IMI-Analyse 2022/09

Aufrüstung der Slowakei

NATO-Präsenz und Rüstungsdeals

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 18. März 2022

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Die Bevölkerung in der Slowakei, die seit 2004 Mitglied von EU und NATO ist, gilt als eher russlandfreundlich und somit NATO-skeptisch. Bei einer Umfrage im Januar 2022 machten 44% der Befragten die USA und die NATO für die damaligen Spannungen an der ukrainischen Grenze verantwortlich, während 35% die Verantwortung bei Russland sahen. Unter diesen Vorzeichen war die Slowakei das letzte Land der NATO Ostflanke, das bis Jahresbeginn sowohl auf eine regelmäßige NATO-Präsenz, als auch auf ein Stationierungsabkommen mit den USA verzichtet hatte. Zwischen Anfang Februar und Mitte März 2022 vollzog die slowakische Regierung dann eine 180 Grad Wende.

Am 9. Februar stimmte das Parlament in Bratislava trotz starker Proteste einem Stationierungsabkommen mit den USA zu. Auf dem NATO-Gipfel am 25. Februar, einen Tag nach der russischen Invasion in der Ukraine, wurden die Pläne für die Stationierung von NATO-Truppen in der Slowakei nach dem Vorbild der NATO-Battlegroups im Baltikum konkretisiert. Nachdem die Regierung diesen Plänen am 10. März zustimmte, votierte auch das Parlament am 14. März für die Einrichtung eines rund 2.100 Soldat*innen umfassenden NATO-Kontingents in der Slowakei.

Während dem US-Stationierungsabkommen bereits ein Rüstungsdeal zum Kauf amerikanischer Kampfflugzeuge vorausgegangen war, nutzt Rheinmetall die Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Kontingent, um der Slowakei einen Deal zum Kauf deutscher Schützenpanzer zu unterbreiten. Die Verknüpfung von NATO-Truppenstationierungen und Rüstungsdeals war in den letzten Jahren bereits in Litauen und Polen gängige Praxis.

Türöffner – US-Stationierungsabkommen

Am 9. Februar 2022 tagte das slowakische Parlament in Bratislava. Zur Abstimmung stand ein Abkommen zur Verteidigungskooperation (Defence Cooperation Agreement/ DCA) mit den USA. Bereits am Vortag hatten tausende Demonstrant*innen vor dem Parlament mit slowakischen Fahnen gegen das Abkommen protestierte. Während der Debatte kam es im Plenarsaal zu Handgreiflichkeiten, nachdem Angeordnete der ultrarechten Volkspartei Unsere Slowakei versucht hatten eine Rede des Verteidigungsministers zu stören. Zuvor hatten sich hochrangige Juristen, darunter das Büro des Generalstaatsanwalts, gegen das Abkommen ausgesprochen, weil darin die Souveränität des slowakischen Staates eingeschränkt werde. Auch wenn dieses Argument in der Slowakei maßgeblich von politischen Akteuren aus dem nationalistischen und rechtsextremen Spektrum vorgetragen wird, ist die Kritik inhaltlich nicht ganz unbegründet. Ähnliche Verträge mit Nachbarstaaten, beispielsweise Polen, enthalten Klauseln, die US-Truppen von lokalen Steuern befreien, die Anwendung von US-Gesetzen zum Tragen, Nutzen und Lagern von Waffen für US Personal akzeptieren und Teile der Hoheit über das Strafrecht für US-Personal an US-Behörden abtreten. Allen Protesten zum Trotz wurde das bereits am 3. Februar unterzeichnete Abkommen mit den Stimmen der Regierungsmehrheit am 9. Februar in Kraft gesetzt.

Damit erhalten die US-Streitkräfte das Recht, die beiden Luftwaffenbasen in Malacky-Kuchyna und Sliac in der West- und Zentralslowakei in den kommenden 10 Jahren gemeinsam mit der slowakischen Luftwaffe zu nutzen. Ein Vorgehen, das in den drei baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bereits Alltag ist. Auch dort unterhalten die US-Streitkräfte keine eigenen Basen, sondern nutzen Kasernen, Übungsplätze und Flughäfen der jeweiligen nationalen Armeen, für die sie sich Belegrechte gesichert haben.

Dem neuen Stationierungsabkommen mit der Slowakei war bereits ein kontroverser Rüstungsdeal im August 2019 vorrausgegangen. Für rund 800 Millionen US-Dollar bestellte das slowakische Verteidigungsministerium 14 Kampfjets vom Typ F-16 in den USA, um die alten Modelle sowjetischer Bauart zu ersetzen. Damit fiel eine Entscheidung gegen die europäische Konkurrenz aus Schweden – das Modell Saab Gripen, das bereits in den Nachbarländern Tschechien und Ungarn eingesetzt wird. Der Rüstungsdeal von 2019 gilt als größter in der Geschichte der Slowakei. Ähnlich, wie bereits in Polen, Rumänien und Bulgarien geschehen, zeigt sich die US-Regierung für diese Entscheidung erkenntlich, indem die Kosten für die notwendigen Modernisierungen der entsprechenden Flugplätze übernommen werden. Eine Bedingung für diese Finanzspritze von rund 100 Millionen US-Dollar war allerdings die Unterzeichnung des Defence Cooperation Agreement.

In den kommenden Jahren werden die Flugplätze in Malacky-Kuchyna und Sliac für die Nutzung der F-16 Kampfflugzeuge vorbereitet. Die F-16 Kampfjets werden künftig von der slowakischen Luftwaffe und bereits jetzt von den US Air Force, u.a. auf den europäischen Basen in Spangdahlem in Deutschland und Aviano in Italien, genutzt.

Mit der Unterzeichnung des Vertrages mit den USA wurde zudem die Tür für die weitere Stationierung von NATO-Truppen in der Slowakei geöffnet.

NATO-Battlegroup und Flugabwehr – Bundeswehr als größter Truppensteller

Bereits 2017 hatte die NATO in den drei baltischen Staaten und Polen sogenannte Battlegroups mit jeweils über 1.000 Soldat*innen stationiert. Seit Dezember 2021 wurde in der NATO, angestoßen durch den Oberbefehlshaber des Bündnisses, Tod Walters, über die Einrichtung solcher Battegroups in Zentral- und Südosteuropa debattiert. Nach einer Phase des Schweigens zu dieser Frage erklärte der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger, unterstützt von Außenminister Ivan Korčok, Anfang Februar erstmals die Bereitschaft NATO-Truppen zu beherbergen. Nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs des transatlantischen Militärbündnisses am 25. Februar wurde dann die Einrichtung entsprechender Einheiten in Rumänien und der Slowakei verkündet.

In Rumänien sind bereits erste Soldat*innen aus Frankreich, Belgien und Portugal eingetroffen. Während Frankreich dort die Führungsrolle übernimmt war zwischenzeitig über ein deutsches Kommando in der Slowakei spekuliert worden. Mit der Entscheidung des slowakischen Parlaments am 14. März herrscht jetzt Klarheit über die Stationierungspläne. Die rund 2.100 Soldat*innen umfassenden NATO-Truppen werden aus zwei Komponenten bestehen – einer Battlegroup mit gut 1.500 Soldat*innen unter tschechischer Führung und einem deutsch-niederländischen Flugabwehrverband mit Patriot Raketensystemen. Die Truppen kommen aus Deutschland (700), Tschechien (650), den USA (400) und den Niederlanden (200). Hinzu kommen kleine Kontingente aus Polen und Slowenien. Die Entscheidung für die tschechische Führungsrolle fiel wohl, weil einerseits seit Jahren eine enge Verteidigungskooperation zwischen den zwei Nachbarstaaten existiert und andererseits eine Führung durch Deutschland oder gar der USA der Bevölkerung kaum zu verkaufen gewesen wäre.

Nichts desto trotz wird die Bundeswehr mit einem Drittel der Soldat*innen der größte Truppensteller. Nach Plänen aus Berlin soll zeitnah eine Infanteriekompanie mit Radpanzern, die einsatzbereit zur Verfügung steht, in die Ost-Slowakei verlegt werden. In den kommenden Monaten soll sie durch eine Panzergrenadierkompanie mit Schützenpanzern abgelöst werden, die aktuell noch einsatzbereit gemacht werden muss. Zudem sind weitere Bundeswehrangehörige für Führungs- und Unterstützungsaufgaben in der NATO-Battlegroup vorgesehen.

Darüber hinaus wird die Bundeswehr die Führung des deutsch-niederländischen Flugabwehrraketenverbandes übernehmen. Eine niederländische und zwei deutsche Patriot-Staffeln sollen nahe eines Atomkraftwerkes in der West-Slowakei, dem Hauptquartier der slowakischen Luftwaffe in der Zentral-Slowakei und dem NATO-Bataillon in der Ost-Slowakei stationiert werden. Einen ähnlichen Auftrag hatten die Flugabwehrsoldat*innen der Luftwaffe aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bereits während des Syrienkrieges bis Oktober 2015 in der Türkei durchgeführt und damit faktisch das offensive Vorgehen der Türkei in Syrien abgesichert. Für die Beteiligung an der NATO-Battlegroup in der Slowakei kann die Bundeswehr auf die Erfahrungen in Litauen zurückgreifen, wo Deutschland bereits seit 2017 das dortige NATO-Bataillon führt.

Rüstungsdeals im Schlepptau – Rheinmetall als Nutznießer?

In den letzten fünf Jahren zeichnet sich ein Muster ab. Mit der Stationierung von NATO-Battlegroups in den östlichen Bündnisstaaten geht eine deutliche Aufrüstung der jeweiligen nationalen Streitkräfte einher. Häufig werden Rüstungsgüter aus genau den Staaten gekauft, die in den jeweiligen NATO-Einheiten eine führende Rolle übernehmen.

Die Stationierung der Bundeswehr in Litauen wurde beispielsweise von diversen Rüstungsgeschäften eingerahmt. Bereits vor 2016 wurden gepanzerte Kettenfahrzeuge, Panzerhaubitzen, Militär-LKWs und weitere Fahrzeuge aus Lagerbeständen der Bundeswehr dorthin verkauft. In den Folgejahren kamen weitere Verträge zum Kauf von tausenden neuen Sturmgewehren von Heckler&Koch, hunderten Militär-LKWs von Mercedes und 88 Radpanzern vom Typ Boxer von Rheinmetall hinzu. Aus der Präsenz der Bundeswehr ergaben sich somit Millionengeschäfte für den deutschen Staat und deutsche Rüstungskonzerne.

Nach Forderungen der litauischen Regierung ist seit 2019 zusätzlich zur NATO-Battlegroup regelmäßig ein rotierender Kampftruppenverband mit rund 500 US-Soldat*innen im Land präsent. Auch hier nicht zufällig wurde im selben Jahr ein Vertrag über den Kauf von 200 gepanzerten Geländewagen aus US-Produktion für 145 Millionen Euro unterzeichnet.

Ein ähnliches Bild ist in Polen zu betrachten. Dort sind mittlerweile, über das US geführte NATO-Bataillon hinaus tausende US-Soldat*innen im Rotationsverfahren präsent. Seit 2017 wurden Rüstungsdeals im Milliardenhöhe mit US-Konzernen abgeschlossen. Darunter der Kauf von 32 F-35 Kampfjets, modernen Flugabwehrsystemen, 250 Kampfpanzern und 20 Raketenartilleriesystemen.

Mit der Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Präsenz in der Slowakei erhoffen sich auch deutsche Rüstungskonzerne neue Geschäfte. In den kommenden Jahren sollen für einen Gesamtpreis von 1,7 Milliarden Euro über 200 Schützenpanzer sowjetischer Bauart durch moderne Modelle nach NATO-Standard ersetzt werden. Noch vor der Entscheidung des slowakischen Parlaments über die Stationierung von NATO-Truppen, unterbreitete Rheinmetall in einer Pressekonferenz am 11. März ein offensives Angebot. Sollte die slowakische Armee sich entscheiden, mindestens 152 Schützenpanzer des Typs Lynx von Rheinmetall zu kaufen, würde der Konzern in Moldava nad Bodvou in der Ost-Slowakei eine Fabrik zur Fertigung und künftigen Wartung dieser Panzer bauen. Zudem könnten dort Teile für den Export gefertigt werden.

Als erster Kunde weltweit hatte das Nachbarland Ungarn sich im August 2020 für den Kauf von über 200 Lynx-Schützenpanzern entschieden. Dort war die Entscheidung für den Schützenpanzer Lynx mit dem Kauf von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A7+ von KMW und Rheinmetall und weiteren deutschen Rüstungsgütern einhergegangen. Das Geschäft mit Ungarn gilt für Rheinmetall als eine Art Sprungbrett in die Region.

Im Falle einer Entscheidung der slowakischen Regierung für das Geschäft mit Rheinmetall, könnte das auch Auswirkungen auf Tschechien und Rumänien haben, wo ebenfalls die Ablösung veralteter Schützen- und Kampfpanzer ansteht. Mit allen vier Staaten unterhält die Bundeswehr enge Kooperationsbeziehungen. In Tschechien hatte Rheinmetall bereits ein Angebot abgegeben. Vermutlich aus Kostengründen wurde die Ausschreibung allerdings vorzeitig beendet. Auch das könnte sich im Angesicht des Kriegs in der Ukraine schnell ändern. In den Idealvorstellungen des düsseldorfer Rüstungsbauers würde sich das Paket aus Kampfpanzer Leopard 2 und Schützenpanzer Lynx zu einer Art neuem Standard in der gesamten Region entwickeln. Zudem ist der Schützenpanzer Lynx auch für eine Lieferung nach Italien im Rennen. Sollte sich nur ein Teil dieser Pläne verwirklichen stehen weitere Milliardenumsätze für Rheinmetall bevor.

Fazit

Blickt man auf die kaum zu leugnenden Zusammenhänge zwischen der Stationierung von NATO-Truppen entlang der Ostflanke und dem Abschluss von Rüstungsgeschäften kommt einem das Bild von moderner Schutzgelderpressung auf Staatenebene in den Sinn.

Mit dem Beitritt zur NATO wird Druck auf die Staaten ausgeübt ihr militärisches Inventar an die Vorgaben des Bündnisses anzupassen. In den meisten Fällen kommen dann nur Rüstungsgüter von Konzernen aus den USA und Westeuropa in Frage. Mit der Stationierung von NATO-Truppen in den jeweiligen Ländern geht dann die Erwartung einher, die Waffensysteme in den Ländern der Truppensteller zu kaufen.

Als größter Player in diesem Spiel haben die USA dieses System perfektioniert. Auf Rüstungsdeals folgen Defence Cooperation Agreements, die eine US-Truppenpräsenz regeln. Dafür übernimmt die US-Regierung Teile der Kosten für die Modernisierung der betreffenden Standorte, um sie für die Nutzung von modernen Waffensystemen nach NATO-Standards anzupassen. Damit einher geht die Hoffnung auf weitere Waffendeals.

In dieser Liga kann die Bundesrepublik nicht mitspielen. Mit der Bundeswehr als zweitgrößtem Truppensteller der NATO in den östlichen Bündnisstaaten und engen Kooperationsgeflechten der Bundeswehr mit den Armeen in Nordost-, Zentral- und Südosteuropas kann allerdings auch die deutsche Waffenindustrie, allen voran Rheinmetall, weiter auf prächtige Geschäfte hoffen.

Auch wenn es trotz, nicht wegen der Aufrüstung der NATO nicht zu einer fatalen Ausweitung des Krieges in der Ukraine kommt, wird die Zeche für die Rüstungsdeals ihrer Regierungen von den jeweiligen Bevölkerungen zu zahlen sein.