IMI-Standpunkt 2025/024
Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung
Staatsräson und Selbstzensur in Zeiten des Krieges
von: Claudia Brunner | Veröffentlicht am: 10. April 2025
Wie in anderen disziplinären Feldern, so gilt auch für die deutschsprachige Friedens- und Konfliktforschung: Die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit in fernen Ländern zu beklagen fällt leicht. Widerspruch ist solange erwünscht, wie die Angriffe auf Forschung, Lehre und Zivilgesellschaft im eigenen Land von weit rechts auf die sogenannte politische Mitte abzielen. Wenn die Wissenschaft selbst daran beteiligt ist, die Räume des (Un)Sagbaren zu definieren und zu kontrollieren, wird es kompliziert – und kontrovers.
Vor diesem Hintergrund haben sich Anfang des Jahres Mitglieder des Arbeitskreises Herrschaftskritische Friedensforschung, der sich 2015 in der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK e.V.) gegründet hatte, dazu entschlossen, eine Stellungnahme zur zunehmenden Bedrohung der Freiheit der Wissenschaft in Forschung und Lehre im deutschsprachigen Raum zu verfassen. Drei Jahre nach dem Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine und eineinhalb Jahre nach dem Überfall der Hamas auf Israel hielten wir es für höchste Zeit, sich nicht nur im Rahmen anderer Petitionen und als Einzelpersonen, sondern auch als Fachcommunity von Friedens- und Konfliktforscher*innen zu den Konsequenzen der beiden Kriege auf dem Terrain von Wissenschaft und Bildung zu äußern. Ausgerechnet jenes disziplinäre Feld, das von sich behauptet, die Möglichkeitsbedingungen von Krieg und Frieden beforschen zu wollen und auch zu können, war nämlich bemerkenswert stumm geblieben, wenn Kolleg*innen ausgeladen, Räume entzogen, Forschungsprojekte und Publikationen behindert wurden, welche die enger werdenden Räume des Sagbaren zu überschreiten drohten.
Den letzten Auslöser für die Initiative des AK bildeten die beiden Resolutionen des Deutschen Bundestages zum Thema Antisemitismus, mit deren Hilfe nicht nur Politik, Öffentlichkeit, Kultur und Zivilgesellschaft, sondern auch die Wissenschaften auf eine problematische und folgenreiche Definition von Antisemitismus verpflichtet werden sollen. Dem AK Herrschaftskritische Friedensforschung geht es dabei nicht um Solidaritätsbekundungen für einzelne Kolleg*innen, die immer wieder notwendig sind. Darüber hinaus soll vor allem problematisiert werden, wie auch das Feld der Friedens- und Konfliktforschung potenziell verstrickt ist in die ganz konkreten Politiken des Krieges und dessen diskursiver Rechtfertigung, Duldung oder gar Unterstützung.
Nicht nur, aber derzeit vor allem dann, wenn es um die Einhegung und Unhörbarmachung kritischer Positionen zum Krieg in Palästina/Israel und die diesbezügliche Komplizenschaft westlicher Akteur*innen geht, werden Staatsräson und Selbstzensur auch unter Wissenschaftler*innen zu wirkmächtigen Werkzeugen des Krieges selbst. In geringerem Ausmaß und entlang anderer Kriterien ist Vergleichbares auch bei Kontroversen um den Krieg in der Ukraine und die damit gerechtfertigte massive Aufrüstung der EU zu beobachten. Auch hier werden Räume des (Un)Sagbaren homogener und enger – und verinnerlicht.
Dafür will die Stellungnahme des AK Herrschaftskritische Friedensforschung sensibilisieren, dagegen wollen wir mobilisieren. Bislang war es aufgrund erwartbarer Kontroversen nicht möglich, den gesamten Dachverband der AFK für eine Unterstützung des Texts zu gewinnen. Über die Arbeitsgemeinschaft der Friedens- und Konfliktforschung hinaus wird dieser nun allen Interessierten als Diskussionsgrundlage für eine Auseinandersetzung über die, in Zeiten des Krieges besonders relevante, Beziehung von Gewalt- und Wissensverhältnissen zur Verfügung gestellt, die uns voraussichtlich noch lange beschäftigen und herausfordern wird.
Die Stellungnahme selbst kann hier heruntergeladen und gelesen werden:
https://afk-web.de/cms/wp-content/uploads/2025/04/stellungnahme-wissenschaftsfreiheit-ak-herrschaftskritische-friedensforschung-veroeffentlichung.pdf