IMI-Analyse 2024/42
Duell der Panzerbauer: Rheinmetall vs. KMW
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. Oktober 2024
Am 3. Juli 2024 genehmigten die Abgeordneten des Haushaltsausschusses unter anderem den milliardenschweren Kauf neuer Leopard-Panzer. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Panzermarkt aktuell mächtig in Bewegung ist: Großprojekte wurden für alle erdenklichen Zeithorizonte auf den Weg gebracht: Kurzfristig steht nun eben der – haushälterisch nicht abgesicherte – Ankauf von über 100 zusätzlichen Leopard 2 A8 auf dem Programm; mittelfristig präsentierten sowohl Rheinmetall als auch Krauss-Maffei Wegmann (KMW) neue Modelle; und langfristig gibt es ein hartes Ringen um Anteile am geplanten deutsch-französischen Kampfpanzersystem („Main Ground Combar System“, MGCS). Mit der kürzlich für das 1. Quartal 2025 angekündigten Gründung des Joint Ventures Leonardo Rheinmetall Military Vehicles (LRMV) geht der Dauerstreit der beiden großen deutschen Panzerbauer in die nächste Runde.
Panzer für die Kriege der Zukunft: MGCS
Die Anfänge des deutsch-französischen Kampfpanzersystems gehen schon auf das Jahr 2012 zurück, als erste Überlegungen für eine deutsch-französische Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer künftigen Kampfpanzergeneration angestellt wurden.
Richtig Schub bekam das Projekt infolge des deutsch-französischen Ministerrates im Juli 2017, in dessen Abschlusserklärung eine Reihe von Großvorhaben (u.a. das Luftkampfsystem FCAS) angekündigt wurden, darunter auch der besagte Panzer: „Frankreich und Deutschland werden ihre Zusammenarbeit beim Bau eines gemeinsamen Nachfolgers der heutigen Kampfpanzer- und Artilleriesysteme fortführen. Die Zusammenarbeit soll für andere Mitgliedsstaaten geöffnet werden, wenn diese Planungen hinreichend ausgereift sind. Nach erfolgreichem Abschluss der bilateralen Konzeptstudienphase wird bis Mitte 2018 ein Fahrplan für die nächste Phase ausgearbeitet.“ (Deutsch-Französischer Ministerrat, Abschlusserklärung, Juli 2017)
In der Folge nahm das – eine gängige deutsche Übersetzung gibt es nicht wirklich – „Main Ground Combat System“ langsam Gestalt an. Das Projekt setzt dabei ganz auf neue Technologien, wie unter anderem im Magazin des Reservistenverbandes „loyal“ betont wurde: „Deutschland und Frankreich haben sich daher entschlossen, den Panzer der nächsten Generation gemeinsam zu entwickeln. […] Dahinter steckt kein einzelnes zu entwickelndes Fahrzeug mehr, sondern – wie die Bezeichnung schon sagt – ein ganzes Verbundsystem, eine Kombination aus heute zum Teil noch futuristisch anmutender Hochtechnologie, Big Data und Waffentechnik. Überlegenheit und Durchsetzungsfähigkeit lauten die Ziele.“ (loyal, 1.4.2021)
Für den Bau war bereits 2015 die heute KMW+NEXTER Defense Systems N.V. (KNDS) genannte Holding gegründet worden, an der Krauss-Maffei Wegmann (Deutschland) und Nexter (Frankreich) zu je 50 Prozent beteiligt sind.
Was die Entwicklungskosten anbelangt, gibt es kaum Schätzungen, ab und zu ist von – wahrscheinlich deutlich zu niedrig angesetzten – 8 Mrd. Euro zu lesen. Als Umsatzerwartung wird dagegen von diversen Quellen rund 100 Euro genannt. Erste Gelder wurden im März 2020 freigegeben und zwar für eine ursprünglich auf 18 Monate geplante „System-Architektur-Definitionsstudie“ (SADS). Eingestellt wurden 75 Millionen Euro (Frankreich steuerte denselben Betrag bei), mit denen der Auftakt für den Bau eines Prototyps („Gesamtsystemdemonstrator“) gegeben wurde, der ursprünglich 2027 fertig gestellt sein sollte. Die Gesamtkosten bis zu diesem Zeitpunkt wurden auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt, die zur Hälfte auf Deutschland entfallen sollten. Als Auslieferungsdatum wurde ursprünglich Anfang der 2030er angepeilt.
Doch das Projekt geriet schnell erheblich ins Stocken, was vor allem daran lag, dass Rheinmetall, der zweite große deutsche Panzerbauer, penetrant versuchte, sich in das Vorhaben hineinzudrücken. Dies gelang auch 2019, als der Konzern aber als dritter MGCS-Partner hinzukam, ging das Gezerre um den Rüstungskuchen erst richtig los. Seither „ging auf Industrieseite praktisch nichts mehr voran“, wie unter anderem die FAZ monierte. Frankreich pochte auf seinen 50prozentigen Anteil, während KMW keine große Neigung verspürte, die Führung mit Rheinmetall zu teilen. Zwischenzeitlich war die Lage so verfahren, dass zum Beispiel im Fachmagazin Europäische Sicherheit & Technik Ende 2023 gefordert wurde, das „MGCS in seiner jetzigen Form zu begraben.“
Dieser Gordische Knoten wurde zumindest vorläufig bei einem Treffen des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius und seines französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu Ende April 2024 zerschlagen. Dabei wurde ein Kompromiss erzielt, indem einige entscheidende Fragen – insbesondere, ob Rheinmetall oder KNDS France die Hauptwaffe liefert – auf später verschoben wurden. Dies ermöglichte es, bei dem Treffen eine Absichtserklärung („Memorandum of Understanding“) zum gemeinsamen Bau des MGCS zu unterzeichnen und sich auf einzelne Technologiesäulen zu verständigen. „Mit dem Memorandum of Understanding wurde die Verteilung der industriellen Verantwortlichkeiten zwischen Frankreich und Deutschland festgelegt. Vereinbart wurde, dass sich beide Länder als gleichberechtigte Partner an der Rüstungskooperation mit jeweils 50 Prozent an den Kosten beteiligen und die jeweilige nationale Industrie mit entsprechenden Arbeitsanteilen berücksichtigt wird.“ (bmvg.de, 26.4.2024)
Nach der Absichtserklärung folgte im Juni 2024 noch eine Willenserklärung („Letter of Intent“) zur Gründung einer Projektgesellschaft noch in diesem Jahr. Auch wenn Rheinmetall nicht ganz aus dem Projekt gedrängt wurde, sein angestrebtes Ziel, beim MGCS auf Augenhöhe mit Nexter und KMW zu agieren, war damit in weite Ferne gerückt. So pochte der Chef von KNDS wiederholt mit markigen Worten auf die Projekthierarchie: „Auch sonst sind sich Rheinmetall-Chef Armin Papperger und KNDS-Chef Frank Haun nicht grün. […] Haun betonte, wie wichtig eine klare Führung bei einem Großprojekt wie dem MGCS sei und dass die Verantwortung für das Gesamtsystem in einer Hand liegen müsse – nämlich in seiner.“ (focus.de, 29.4.2024)
Vor diesem Hintergrund begann Rheinmetall bereits vor einiger Zeit, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Attraktiv wurde dies unter anderem auch deshalb, weil durch die Verzögerungen beim MGCS Bedarf für eine Brückenlösung bestehen wird: „Der Zeitrahmen für die Einführung des MGCS verschiebt sich immer weiter nach hinten. Der Beginn der Ausstattung der Truppe wird ab 2045 erwartet. Als Abschluss wird offiziell 2050 angegeben. Das bedeutet eine Nutzungsdauer von 20 bis 30 Jahren für die Systeme, die jetzt im Dienst bzw. in absehbarer Zeit in Dienst gestellt werden.“ (Europäische Sicherheit & Technik, 18.6.2024)
Brückenpanzer: Panther & Leopard 3
Rheinmetall arbeitet schon länger an einem eigenen Panzer, der bei der Eurosatory in Paris im Juni 2022 mit dem Panther KF51 in einem Frühstadium präsentiert wurde. „Rheinmetall [konnte] nicht die Rolle innerhalb des MGCS spielen […], die der Konzern angestrebt hatte – aufgrund des Zusammenschlusses von KMW und Nexter konnte man nicht genügend Einfluss nehmen, laut dem ‚Stern‘ wurde man ‚von den ‚Partnern’ de facto bei der Führung […] ausgebootet‘. Schließlich zog man sich größtenteils aus dem Projekt zurück, nur die Hauptwaffe sollte Rheinmetall noch entwickeln – möglicherweise die Geburtsstunde des Panthers.“ (IMI-Studie 2022/7)
Der Panther könnte entweder als kostengünstigere MGCS-Alternative oder als Brückenpanzer zum MGCS fungieren, in den dabei erarbeitete Technologien mit einfließen könnten. Zunächst blieb es allerdings unklar, ob es der Panther über das 2022 präsentierte Modell hinaus schaffen würde, Ende 2023 machte das Projekt dann allerdings einen großen Schritt nach vorn: „Rheinmetall ist von der ungarischen Regierung beauftragt worden, den Panther KF51 bis zur Serienreife zu entwickeln. Ein entsprechender Vertrag wurde jetzt im ungarischen Zalaegerszeg unterzeichnet. Der Entwicklungsauftrag hat einen Wert von rund 288 Mio. EUR. Die Arbeiten sehen den Bau und die Qualifikation eines Demonstrators vor, welcher die Serienfertigung vorbereitet.“ (Rheinmetall-Pressemitteilung, 15.12.2023)
Auch seither macht das Programm „Fortschritte“, bei der Eurosatory im Juni 2024 wurde mit dem KF51 CUT eine Variante mit einem unbemannten Turm präsentiert. Dennoch stand hinter der Realisierung des Panthers lange noch ein großes Fragezeichen, außer Ungarn waren eine ganze Zeit keine weiteren Interessenten in Sicht. Ob das für eine wettbewerbsfähige Serienproduktion genügt hätte, ist durchaus fraglich, zumal KNDS bei der Eurosatory ebenfalls sein Konkurrenzprodukt präsentierte. „Mit dem Panther KF 51 CUT wird der Wettstreit zwischen den beiden Panzerbauern aus Deutschland, KNDS Deutschland und Rheinmetall, fortgesetzt. KNDS hatte am Vormittag den Leopard 2 A-RC 3.0 mit unbemanntem Turm und einer Kanone im Kaliber 120 mm und wahlweise bis 140 mm vorgestellt. Dem hat Rheinmetall den Panther mit unbemanntem Turm und 130 mm Kanone entgegengesetzt. Zielrichtung beider Unternehmen ist die Überbrückung der Fähigkeitslücke einerseits und das Angebot einer Basistechnologie für das Main Ground Combat System, für das die Vergabe für den Bau von Teildemonstratoren nach Auswahl der Technologien ansteht.“ (Europäische Sicherheit & Technik, 18.6.2024)
KNDS vs. LRMV
Auf seiner Suche nach Kooperationspartnern für mögliche MGCS-Alternativen wurde Rheinmetall unverhofft beim italienischen Leonardo-Konzern fündig. Der wollte nämlich eigentlich zusammen mit KNDS groß ins MGCS-Projekt einsteigen, wie noch Ende letzten Jahres berichtet wurde: „In Europa entsteht ein neuer grenzüberschreitender Rüstungsriese mit einem Schwerpunkt im Panzerbau. […] Italiens größter Rüstungskonzern Leonardo wird sich in einer strategischen Allianz mit KNDS verbünden, teilten die Unternehmen mit. Es ist der bedeutendste Konsolidierungsschritt in Europas Rüstungsindustrie seit Jahren. […] Die neue Allianz KNDS-Leonardo ist ein Gegengewicht zum größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall und seinen eigenen Panzer-Ideen. Dazu zählt die Entwicklung des eigenen schweren Kampfpanzers Panther oder zur Rolle von Rheinmetall bei der Entwicklung des von Grabenkämpfen geprägten Zukunftspanzerprojektes MGCS (Main Ground Combat System).“ (Die Welt, 28.12.2023)
Zum Gesamtpaket gehörte auch der geplante italienische Ankauf von über 130 Leopard A8-Panzern. Der war allerdings auch bald wieder vom Tisch, nachdem Mitte Juni 2024 über das Scheitern der Kooperationsverhandlungen berichtet wurde: „Mit dem Platzen des Bündnisses KNDS-Leonardo ist das Rennen um die Großaufträge Roms wieder offen. In einer knappen Mitteilung von Leonardo zum Gesprächsabbruch heißt es, dass der Konzern für die Entwicklung künftiger Kampfpanzersysteme gut aufgestellt sei, ‚auch durch die Zusammenarbeit mit anderen qualifizierten internationalen Partnern‘.“ (Die Welt, 19.6.2024)
Kurz darauf wurde dann schnell klar, um wen es sich bei dem „qualifizierten internationalen Partner“ handelte: „Leonardo und Rheinmetall haben heute ein Memorandum of Understanding (MoU) zur Gründung eines neuen 50:50-Joint Ventures unterzeichnet, das auf die Entwicklung eines europäischen industriellen und technologischen Ansatzes im Bereich der Landverteidigungssysteme abzielt. Ziel der Vereinbarung ist die industrielle Entwicklung und anschließende Vermarktung des neuen Kampfpanzers sowie der neuen Lynx-Plattform für das gepanzerte Infanterie-Kampfsystem (AICS) im Rahmen der Kampfsystemprogramme der italienischen Armee. […] Die Technologien werden auch im Falle einer italienischen Beteiligung an MGCS eine mögliche Grundlage für die Entwicklung des künftigen europäischen Kampfpanzers und der neuen, für den internationalen Export bestimmten Versionen bilden. Mit dem neu entwickelten Kampfpanzer Panther und dem neuen Schützenpanzer Lynx verfügt Rheinmetall über die entsprechende Basistechnologie, auf die in beiden Programmen aufgebaut werden kann.“ (Rheinmetall-Pressemitteilung, 3.7.2024)
Insgesamt soll es Berichten zufolge um den Bau von 200-Panther-Kampfpanzern und 350 Lynx-Schützenpanzer mit einem Gesamtvolumen von 20 Mrd. Euro gehen.
Mitte Oktober wurden weitere Details zur geplanten Zusammenarbeit bekannt, vor allem, dass im ersten Quartal 2025 ein Joint Venture namens Leonardo Rheinmetall Military Vehicles (LRMV) gegründet werden soll: „Wie vereinbart sollen beide Partner jeweils 50 Prozent an dem Gemeinschaftsunternehmen halten, 60 Prozent der Tätigkeit jedoch in Italien erfolgen. Rechtlicher Sitz soll Rom werden, operatives Hauptquartier La Spezia. Ziel ist zunächst die Produktion neuer Kampf- und Schützenpanzer für das italienische Heer. Jedoch sehen die Partner auch gute Aussichten für künftige Exporte.“ (Soldat & Technik, 15.10.2024)
Sofortlösung: Leopard 2 A8
Mit der baldigen Gründung von LRMV entsteht KNDS ein mächtiger Konkurrent auf dem europäischen Panzermarkt. Wie der Wettlauf ausgehen wird, ist offen. Allerdings dürfte KNDS durch die Abwärtskompatibilität seiner Modelle aufgrund der weiten Verbreitung des Leopard 2 einen deutlichen Startvorteil haben: „KNDS bewertet den Leopard 2 A-RC 3.0 eigenen Angaben zufolge ‚nicht nur als Brückenlösung bis zur Einführung des Landkampfsystems der nächsten Generation MGCS, sondern auch als entscheidenden technologischen Vorläufer des MGCS‘. Es wird darauf erwiesen [sic], dass der Leopard 2 A-RC 3.0 trotz ‚seiner bahnbrechenden Innovationen‘ vollständig abwärtskompatibel ist.“ (hartpunkt.de, 13.6.2024)
Der Leopard 2 A-RC 3.0 wird teils auch direkt als Leopard 3 bezeichnet, eine Benennung, auf die offiziell vermutlich bewusst verzichtet wurde, um ihn nicht als MGCS-Alternative zu präsentieren. Allerdings ist eine fortlaufende evolutionäre Weiterentwicklung des Leopard hier definitiv für den Fall mitgedacht, dass das MGCS doch noch scheitert. Durch die starke Position am Markt – Anfang 2023 wurde von über 2.000 Leopard-2-Panzern in den westlichen Staaten berichtet – ist davon auszugehen, dass ein Scheitern des MGCS für Frankreich problematischer wäre als für Deutschland: „Paris steht dabei mehr unter Druck als Berlin, da der Leclerc veraltet ist. Der Leopard 2 wird mit der Version A8 dagegen gerade auf ein neues technisches Niveau geholt. ‚Von der können wir 300 bis 500 allein in Europa absetzen‘, sagte eine mit den Planungen vertraute Person.“ (Handelsblatt, 6.9.2023)
Tatsächlich entwickelt sich der Verkauf der neuesten Leopard-Variante 2 A8 – zumindest aus Konzernsicht – recht positiv. So haben bereits Tschechien (76 Stück), Norwegen (54 Stück) und die Niederlande (46 Stück) die modernste Leopard-Version bestellt und Litauen soll ebenfalls Interesse bekundet haben. Auch in Deutschland entwickelt sich für das Unternehmen alles in die richtige Richtung. Dort wurden zunächst im Mai 2023 lediglich 525 Mio. Euro für 18 Leopard 2 A8 als Ersatz für dieselbe Zahl alter an die Ukraine abgegebener Panzer bewilligt. Allerdings wurde eine Option für den Kauf weiterer 105 Exemplare für einen Preis von 2,93 Mrd. Euro vereinbart – und genau diese Option löste das Verteidigungsministerium dann auch aus und der Haushaltsausschuss bewilligte am 3. Juli 2024 die Gelder dafür. Dadurch wird der deutsche Leopard-Bestand deutlich auf rund 420 Panzer anwachsen.
Panzer auf Pump
Große Rüstungsprojekte haben häufig jahre- wenn nicht gar jahrzehntelange Laufzeiten – auch die Bezahlung erfolgt dementsprechend meist gestaffelt. Das ist besonders dann ein Problem, wenn die künftig zu entrichtenden Gelder haushälterisch noch überhaupt nicht abgesichert sind und im Volumen immer weiter zunehmen. Beim Fachblog Augengeradeaus wird bereits von einem neuen „Rüstungs-Trend“ gesprochen: „Große Beschaffungen für die Bundeswehr werden durch den Haushaltsausschuss des Bundestages geschleust, ob für Panzer, Fregatten oder Munition. Den meisten Projekten ist eines gemeinsam: Damit werden Ausgaben gebilligt, die Jahre in der Zukunft erst im Haushalt fällig werden – auch wenn niemand bislang sagen kann, wie der Etat zum Ende des Jahrzehnts aussehen wird.“ (Augengeradeaus, 25.6.2024)
Dementsprechend hat die Zahl dieser sogenannten Verpflichtungsermächtigungen in den letzten Jahren stetig zugenommen, besonders in diesem Jahr wurde hier ordentlich erhöht: „Neben einer Vielzahl kleinerer Änderungen und der Anpassung an Bedarfe sind zudem Verpflichtungsermächtigungen in Milliardenhöhe ausgebracht worden […]. Diese Verpflichtungsermächtigungen sind teilweise als Anschlussfinanzierung ab 2028 für Projekte aus dem Sondervermögen Bundeswehr gedacht. Die Verpflichtungsermächtigungen in dem Etat liegen nunmehr bei 49,04 Milliarden Euro. Das sind 7,22 Milliarden Euro mehr als im Regierungsentwurf.“ (Heute im Bundestag 42/2024)
Es spricht vieles dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen, ja wahrscheinlich sogar weiter beschleunigen wird. So hätte die Optionsauslösung für die weiteren 105 Leopard-Panzer ursprünglich einmal komplett aus dem Sondervermögen bezahlt werden sollen. Da dieses aber inzwischen nahezu vollständig verplant ist, sollen nun scheinbar „nur“ noch 460 Millionen Euro anteilig bis 2027 aus dem Sondervermögen entnommen werden (ohne dass dabei klar wäre, welche Projekte dafür gestrichen oder verschoben werden). Der später anfallende Löwenanteil der Kosten soll nun ebenfalls über Verpflichtungsermächtigungen abgesichert werden: „Trotz knapper Kassen treibt Verteidigungsminister Pistorius die Modernisierung seiner Truppe voran. Nach SPIEGEL-Informationen will er mehr als hundert Leopard-Panzer in der modernsten Version einkaufen – für fast drei Milliarden Euro. […] In den Unterlagen betont das Finanzressort, dass die Kosten für die Panzer weder durch das 100-Milliarden-Sondervermögen noch durch die bisher angepeilten Jahresbudgets des Wehrressorts für die Jahre ab 2025 abgedeckt seien. Es solle stattdessen eine sogenannte Verpflichtungsermächtigung erteilt werden. Damit garantiert der Bund, dass die Rechnungen am Ende bezahlt werden und der Auftrag ausgelöst werden kann. […] Mit dem Modell schafft das Ministerium von Pistorius auch für mögliche Nachfolgeregierungen Fakten.“ (Spiegel Online, 20.6.2024)
Doch nicht nur im Falle der Leopard-Panzer werden aktuell – bewusst – Fakten geschaffen: „Nach Informationen der WirtschaftsWoche arbeiten die Beamten im Berliner Bendlerblock im großen Stil an solchen Rüstungsbestellungen, deren Kosten weder durch das 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr noch durch den laufenden Haushalt gedeckt sind. Koalitionskreise sprechen von Einkaufswünschen in Höhe von 28 Milliarden Euro, deren Finanzierung Stand heute völlig ungeklärt bleibe. […] ‚Das Klarna-Prinzip der deutschen Beschaffung: Heute kaufen, später bezahlen‘, erklärt ein Abgeordneter.“ (Wirtschaftswoche, 20.6.2024)
Frank und frei räumte Verteidigungsminister Boris Pistorius auf Kritik an dieser Praxis ein, dass der Einkauf auf Pump nun zur gängigen Methode des Verteidigungsministeriums geworden ist: „Wir melden jetzt nicht an, was wir uns anhand der Kassen leisten können, sondern wir melden das an, was wir für die Verteidigungsfähigkeit des Landes brauchen und sehen dann, was wir durchkriegen, auch auf der Grundlage – das ist ein unverzichtbares und wichtiges Instrument – von sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Diesen Weg sind wir konsequent gegangen.“ (Europäische Sicherheit & Technik, 4.7.2024)