IMI-Analyse 2024/36 - in: AUSDRUCK (September 2024)
Geopolitische Leitmotive und Waffentechnologie
Interview mit Linda Ruppert
von: 12. September 2024
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AUSDRUCK – Das IMI-Magazin
Ausgabe September 2024
Schwerpunkt: Ungewisse Zukunft
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Linda Ruppert hat in Heidelberg Geographie studiert und ist aktuell wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie der Universität Freiburg. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit großen Rüstungsprojekten wie dem Future Combat Air System (FCAS). Christoph Marischka hat ihr dazu per E-Mail einige Fragen gestellt.
CM: Hallo Linda, magst Du kurz Deinen akademischen Werdegang beschreiben und wie Du auf Deinen aktuellen Forschungsschwerpunkt gekommen bist?
LR: Hallo Christoph, vielen Dank für die Interviewanfrage, ich freue mich auf den Austausch. Zu meinem Thema bin ich über zwei Wege gekommen: Der Erste basiert auf einer persönlichen Faszination für die Technologien der Luftfahrt und die mit Flugzeugen zusammenhängenden räumlichen und logistischen Prozesse. Ja, ich stehe teilweise bei den Plane-Spotter*innen am Rand des Flugfeldes und finde Flughäfen an sich extrem spannend. Der Zweite fußt auf meinem Studium der Politischen Geographie, in dem ich mich mit einigen Texten von Derek Gregory auseinandersetzte und feststellte, dass mich seine Analysen über Drohnenkriegsführung und damit die Verschneidung von Geopolitik, Technologie und Menschen berührte und überzeugte, was eine kritisch-geographische Perspektive auf Waffentechnologien leisten kann. Auf das FCAS als ein Teilprojekt meiner Dissertation kam ich wahrscheinlich einerseits auf Basis dieser Erfahrungen und andererseits deshalb, weil dieses Rüstungsprojekt als das Leuchtturmprojekt des 21. Jahrhunderts beschrieben wird und damit große Hoffnungen auf sicherheitspolitischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Ebene verbunden sind.
CM: Könntest Du nochmal genauer Deine kritisch-geographische Perspektive auf Waffentechnologie erläutern? Was kann die Disziplin der Geographie dazu beitragen, Rüstungsprojekte zu verstehen?
LR: Tatsächlich würde ich bei dieser Frage etwas weiter ausholen wollen und auf den disziplingeschichtlichen Hintergrund der Politischen Geographie eingehen: Die deutschsprachige Politische Geographie nahm während des Zweiten Weltkrieges eine Rolle als taktische Wissenschaft in der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus ein und etablierte sich zu einer Kriegsführungswissenschaft, indem sie geographische Analysen über Topologie, Klima und Wetterverhältnisse für militärische Strategie und Angriffsvorhaben lieferte. Leider bekannte geographische Vertreter dieser Zeit waren Haushofer oder Ratzel. Vor diesem Hintergrund wurden geographische Analysen zu Militär und Gewalt lange Zeit vermieden. Erst marxistische und linke Theorieentwicklung in den 1960er Jahren führten zu einer kritischen Infragestellung von Militarismus und militärischen Interventionen und die im anglophonen Raum entstehende Critical Military Geography führte zu neuen Konzepten für eine kritische Analyse von Militarismus und Militarisierung. Überraschenderweise existieren nur wenige Arbeiten in diesem Sinne, die Waffentechnologien analysieren.
Im Zuge meiner Dissertation schreibe ich gerade an einem Ansatz für eine Kritische Militärgeographie von Waffentechnologien, worin ich argumentiere, warum es wichtig ist, sich mit Waffentechnologien auseinanderzusetzen, welche Theorieschulen für eine Analyse von Waffentechnologien, den Geographien und Raumwirksamkeiten von Waffentechnologien und der Entwicklung einer kritischen Grundhaltung hilfreich sein können. Da Du explizit nach einer kritischen Perspektive gefragt hast: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich Waffentechnologien untersuchen möchte, ich eine gewisse Offenheit benötige, die es zulässt, mit Waffenherstellern, Militärs oder Menschen, die eine befürwortende Haltung gegenüber Militär und Waffen haben, in den Dialog zu gehen. Das heißt, ich schließe mich in meinem Kritikverständnis der Critical Military Studies an, die eine „kritisch-neugierige“ Forschungshaltung einnimmt, die innerhalb von Kritik trotzdem offen für die Möglichkeit des Dialogs ist – mehr dazu dann im Rahmentext meiner Dissertation ;-).
Zu dem Beitrag, den eine geographische Perspektive auf Waffentechnologien leisten kann, ist es denke ich wichtig zu verstehen, dass Waffentechnologien und Kriegsführung seit jeher grundlegend an Raum gebunden sind. Neben der strategischen Bedeutung der geographischen Beschaffenheit für den Einsatz militärischer Macht verändern (waffen-)technologische Entwicklungen auch die Geographien der Kriegsführung. Beispielsweise wurde die horizontale Kriegsführung im terrestrischen Raum durch Kriegsschiffe um Meeresoberflächen und durch U-Boote um Unterwasserräume erweitert. Durch Fesselballone, Zeppeline, Düsenflugzeuge, Raketen und Marschflugkörper wurde der vertikale Raum militärtechnologisch erschlossen, wodurch sich das zweidimensionale Gefechtsfeld in ein dreidimensionales, volumetrisches wandelte und durch Interkontinentalraketen, welche kurzzeitig die Atmosphäre verlassen, wurde auch der Weltraum von den Raumwirksamkeiten von Waffentechnologien erfasst. Nicht zuletzt erfährt die Bewegung des Krieges durch den geographischen Raum eine stetige Beschleunigung durch Technologie (z.B. Speichermedien oder Kommunikationstechnologien), welche eine Übertragung und Vernetzung der Kriegsführung über weite Distanzen ermöglicht und damit sowohl räumliche als auch zeitliche Entfernung überbrückt. Darüber hinaus sind auch militärische Positionierungen oder waffentechnologische Entscheidungen stark an Geopolitik und damit an die Verschränkung von Macht, Diskurs und Raum gebunden. Waffentechnologien verstehe ich somit als Phänomene, in denen Raumdimensionen inhärent sind und aktiv wirken und umgekehrt Orte, Räume, Umgebungen und Landschaften mitgestalten, weshalb ich es wichtig finde, diese räumlichen Aspekte von Waffentechnologien aus kritischer Perspektive zu analysieren (auch hierzu mehr im Rahmentext meiner Dissertation oder in den einzelnen Papern).
CM: Einerseits überbrückt Waffentechnologie räumliche und zeitliche Distanzen. Andererseits sehen wir z.B. in der aktuellen Kriegführung in der Ukraine, dass Räumlichkeit – ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist – eine sehr große Rolle spielt. Insbesondere scheint mir das für den Elektronischen Kampf zu gelten, weil die Wirkung von Störsendern z.B. mit der Entfernung enorm abnimmt. Der Elektronische Kampf spielt ja auch bei FCAS eine große Rolle und die unbemannten Begleitflugzeuge sollen ja v.a. den Zweck erfüllen, gegnerische Luftabwehr aufzuklären, zu stören und auszuschalten. Das FCAS scheint dafür konzipiert, in Räume vorzudringen, die von einem technologisch ungefähr ebenbürtigen Gegner kontrolliert werden. Würdest Du da zustimmen?
LR: Ja, ich würde Dir darin zustimmen, dass das FCAS dafür geplant ist, in so genannten High-Intensity Conflicts eingesetzt zu werden. Dabei handelt es sich um Kriege oder Konflikte, bei denen beide Seiten über ähnliche militärtechnologische Fähigkeiten und vergleichbare Ressourcen verfügen und in der Regel hoch entwickelte Waffensysteme einsetzen. Das zeigt sich auch an den weiteren angenommenen Einsatzszenarien bzw. dem angestrebtem Fähigkeitspotential des FCAS, das sogenannte A2AD-Zonen – also Anti-Access Area Denial Zonen – durchbrechen können soll. Diese werden in den sicherheitspolitischen Diskursen aktuell in Russland verortet und entstehen durch den Einsatz von Kurz- und Langstreckenwaffen, Raketenabwehrsystemen und Elektronischer Kriegsführung. Im Falle eines umfassenderen Krieges würden diese A2AD-Zonen ein erhebliches Hindernis für Gegenangriffe der NATO darstellen. Damit werden u.a. Stealth-Technologien, also Tarnkappentechnologien, legitimiert, um Radar- und Infrarotsignaturen zu minimieren und so unentdeckt in feindliches Territorium eindringen zu können; Technologien zur Elektronischen Kampfführung, um feindliche Radarsysteme zu stören, zu täuschen oder zu zerstören oder generell kollaborative Einsätze, in denen das Kampfflugzeug (der Next Generation Fighter) in Verbindung mit anderen militärischen Einheiten, einschließlich Drohnen, Satelliten und Bodentruppen agiert. Ein interessanter Aspekt dazu noch am Rande: Im Rahmen einer Konferenz im Mai 2024 zu autonomer Kriegsführung in Paderborn, organisiert von Jutta Weber und Jens Hälterlein (an der wir ja beide teilgenommen hatten), war auch Florian Keisinger (Kampagnenmanager des FCAS bei Airbus) eingeladen. Er beschrieb, dass das FCAS aufgrund der hohen Kosten eher in Szenarien zum Einsatz kommen würde, wo keine Gefahr besteht, dass vor allem das Kampfflugzeug zu Schaden kommen könnte – auch eine Ironie in sich.
CM: In einem Beitrag für die Zeitschrift Geopolitics untersuchst Du die „geopolitischen Leitmotive“, die in den vergangenen Jahrzehnten u.a. die (militärische) Technologieentwicklung geprägt haben. Könntest Du kurz erklären, wie Du da vorgegangen bist und zu welchen Ergebnissen Du gekommen bist?
LR: Gerne. In meinem Artikel über „Die Geopolitik von Technikzukünften“ (englisches Original: Geopolitics of Technological Futures) habe ich zahlreiche deutsche sicherheitspolitische Dokumente von 1969 (der Veröffentlichung des ersten Sicherheitspolitischen Weißbuches) bis 2022 analysiert. Mit Hilfe der Diskurstheorie bzw. Diskursanalyse habe ich diese Texte kodiert, um Regelmäßigkeiten und Brüche innerhalb von Aussagen und Argumentationen über die Zeit zu identifizieren. Damit konnte ich herausarbeiten, dass sich geopolitische Leitbilder seit dem großen Leitbild des Kalten Krieges in relativ kurzer Zeit stetig gewandelt haben: In den 1990er Jahren zum Leitbilde des „Endes der Geschichte“, ab 2011 zum „Krieg gegen den Terror“, ab 2008 bzw. 2014 zu einer Re-Aktualisierung des geopolitischen Leitbildes des Kalten Krieges hin zum „Neuen Kalten Krieg“, ab 2013 zum Leitbild der sogenannten „Westlessness“ und ab 2018 zum sozio-technischen Leitbildes des sogenannten „Hyperwars“. Ich konnte außerdem herausarbeiten, dass in diesen geopolitischen Leitbildern Legitimationen für waffentechnologische Anschaffungen und Notwendigkeiten vorhanden sind. So legitimierte das geopolitische Leitbild des Kalten Krieges beispielsweise Investitionen in Waffentechnologien wie Panzer zur Führung konventioneller Kriege der Grenz- und Flächen- bzw. Landesverteidigung. Das Leitbild des Kampfes gegen den Terror implizierte Technologien zur Führung von irregulärer Kriegsführung mittels (vermeintlich chirurgisch-präzisen) Drohnen (da der Angreifer im eigenen Staat war und daher kein Flächenkrieg gegen einen anderen Staat geführt wurden konnte) und im Hyperwar Szenario werden hohe Investitionen in Waffentechnologien mit Künstlicher Intelligenz (KI) als notwendig konstruiert. Kritisch sehe ich vor allem die unterschiedlichen Zeitlichkeiten hinter den sich schnell wandelnden geopolitischen Leitbildern und den langwierigen waffentechnologischen Entwicklungen. Beispielsweise wurde das FCAS im Jahr 2001 erstmals angedacht bzw. beschlossen, bis ins Jahr 2040 soll es voraussichtlich einsatzbereit sein und es soll weiterhin für Szenarien bis in die 2075er Jahre eingesetzt werden. Was passiert aber, wenn wir da ein ganz anderes geopolitisches Bedrohungsszenario haben als wir uns heutzutage vorstellen und dann aber eine sehr teure Waffentechnologie verfügbar haben, die für ein Szenario der 2030/40er ausgelegt ist?
CM: Könntest Du das Leitbild der „Westlessness“ nochmal etwas genauer erläutern (gerne auch in seiner geographischen Dimension)?
LR: Das geopolitische Leitbild einer Westlessness beschreibt die Sorge vor einer weniger „westlich“ geprägten Welt. Dabei wird geographisch unterschieden. Einerseits ist die Rede von einer „Westlessness in the west“, das heißt aufgrund des Aufstrebens neuer rechter Bewegung im Westen selbst ist die freie, demokratische Welt bedroht. Und andererseits wird der Untergang des Westens auch auf globaler Ebene durch autokratische Staaten gesehen. Insbesondere die US-Präsidentschaftswahl Donald Trumps 2016 wird als Auslöser verstanden für eine Konstruktion „des Westens“ als kollabierende Ordnung und „reluctant guardian“ [widerwilliger Wächter], da sich ohne die USA nicht mehr gegen aufstrebende autokratische Mächte wie China und Russland gewehrt werden könnte. Es bestand bzw. besteht die Sorge, dass „Uncle Sam might disengage from the world“, also, dass sich die USA aus ihrem weltweiten Engagement zurückziehen könnten.
Spannend ist, dass Deutschland als „Möglichmacher-Macht Europas“ konstruiert wird bzw. wurde, indem Deutschland aufgrund seiner Wirtschaftskraft, seines hohen BIP und seiner Lage als „Drehscheibe im Zentrum Europas“ Europa dazu verhelfen könnte, eine bedeutende Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Deutschland wird geographisch als „Transitland, Gastland oder potenzielles Hinterland für Operationen“ verstanden. Diese Rahmung sieht Deutschland als entscheidend für zukünftige militärisch-strategische Imaginationen und reflektiert Europas und Deutschlands seit den 1990er Jahren fortlaufende Bestrebungen der strategischen Autonomie von der NATO. Durch den russischen Krieg in der Ukraine wurde dieses Streben nach Autonomie jedoch wieder etwas schwächer und stattdessen steht die Vereinigung gegen das Altbekannte im Vordergrund. Außerdem wird von einer „geographischen Erweiterung des Westens“ gesprochen, womit dazu aufgefordert wird, Staaten mit westlicher Gesinnung (wie beispielsweise Australien, Südkorea, Japan und Indien) als Teil von Bündnisbildungen wie der „Allianz des Multilateralismus“ oder der „Democracies 10“ zu verstehen.
CM: Die Leitbilder vom „Ende der Geschichte“ und vom „Krieg gegen den Terror“ haben ja eher keine großen Kriege mehr kommen sehen, sondern mehr eine „Weltinnenpolitik“ mit polizeiartigen Interventionen in „gescheiterten Staaten“ gegen Terrorismus, Migration, Organisierte Kriminalität usw. Das ist jetzt weit in den Hintergrund getreten gegenüber dem Hyperwar, den großen Krieg gegen einen ebenbürtigen Gegner. Nach Deiner Analyse der Strategiepapiere: Geht es da eher um einen Krieg mit China, einen Krieg mit Russland oder einen Krieg gegen neue, aufstrebende Mächte? Oder wird das offen gelassen?
LR: Das ist eine sehr interessante Frage. Denn ich habe mich in meiner Analyse auch gefragt, ob es sich bei dem Hyperwar Szenario tatsächlich um ein „geopolitisches“ Szenario/Leitbild handelt. Ein geopolitisches Leitbild definiert sich darüber, dass sich darin konkrete Freund- und Feind-Konstruktionen finden lassen. Während in den bisherigen geopolitischen Leitbildern klare Zuschreibungen hinsichtlich geopolitischer Identitätskonstruktionen vorhanden waren, waren solche in den Diskursen über Hyperwar nicht direkt identifizierbar. Ich beschreibe die Imagination des Hyperwars daher zunächst als Phase der geopolitischen Vagheit oder Unklarheit. Während es in klassischen Szenarien des Kalten Krieges klar war, auf wen die produzierten Waffen gerichtet wurden, ist das im Hyperwar nicht direkt ersichtlich. Vielmehr ist das Hyperwar Szenario zunächst stark über technologische Argumente aufgebaut im Sinne von „was haben Andere an waffentechnologischen Fähigkeiten, das wollen wir auch“. Daher spreche ich in meinem Beitrag im Falle des Hyperwars auch nicht von einem geopolitischen Leitbild, sondern von einer sozio-technischen Imagination. Dies hängt meiner Meinung nach auch damit zusammen, dass es nach den Terroranschlägen 2001 zwar „wie immer“ Russland als Feind auf der Metabene des Diskurses gab, es jedoch keine offensichtliche Bedrohung für Europa und NATO auf klassischer Kriegsebene gab. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wurde die geopolitische Vagheit jedoch aufgegriffen in aktuellen geopolitischen Umständen und geopolitisch aufgeladen. Allerdings waren auch vor dem Krieg implizite Hinweise auf den Feind im Hyperwar vorhanden und zwar wiederholt auf technologischer Ebene: Die im Hyperwar imaginierten auf künstlicher Intelligenz basierenden Waffentechnologien müssen nämlich über die Zeit lernen, wer Freund und wer Feind ist, insbesondere dann, wenn sie interoperabel, also mit Waffensystemen von verbündeten Partnern, zusammenarbeiten müssen. Denn dann muss sichergestellt werden, dass diese Systeme sich nicht gegenseitig als feindlich klassifizieren. Daher werden wahrscheinlich Konstruktionen aus aktuellen und vergangenen geopolitischen Imaginationen reproduziert. Der reproduzierte Gegner oder Freund wird in KI-gestützten Waffen eingeschrieben, materialisiert und perpetuiert. Denn die KI lernt durch die wiederholte Präsentation von Daten und basiert daher auch auf hegemonialen geopolitischen Diskursen, kodierten Vorurteilen und bestehenden Freund-Feind-Konstruktionen – so die Argumentation meiner Analyse. Um also konkret zu werden: Ja, im technologischen Diskurs geht es um China und Russland.
CM: Welche Reichweite soll das FCAS eigentlich haben? Ist das realistisch, dass das von Europa aus gegen China oder Indien zum Einsatz kommen wird?
LR:Das kann ich nicht sicher beantworten. Allerdings glaube ich, dass das FCAS bzw. der Next Generation Fighter selbst gar nicht mehr unbedingt Teil des tatsächlichen Krieges ist, sondern als Steuerungszentrale des System-of-Systems fungiert.
CM: Gibt es in den aktuelleren Strategiepapieren eigentlich auch eine optimistischere Vision der Zukunft, in der kein großer Krieg droht?
LR: Ich würde sagen: nein. Oder anders: das Pferd wird von hinten aufgezäumt. Die vermittelte Logik greift einen altbekannten Leitsatz auf und lautet: Wenn wir waffentechnologisch gut ausgestattet sind und technologisch auf dem „gläsernen Gefechtsfeld der Zukunft“ mitkämpfen können (gläsern wegen der extrem hohen Dichte an Informationen und Daten durch Drohnen etc.), könnte ein Krieg ggf. vermieden werden. Das heißt, das Kredo lautet weiterhin Abschreckung über waffentechnologische Ausstattung. Außerdem meinte ein Interviewter, dass es keine gut ausgebildeten Soldat*innen mehr gebe und auch niemand mehr in den Krieg wolle. Auch dafür bräuchte es das FCAS, in dem viele Aufgaben durch unbemannte Systeme übernommen werden könnten. Dies schließt an Visionen an, in denen Technik gegen Technik kämpft. Ob das ein optimistisches Szenario ist?