IMI-Analyse 2024/31 - in: AUSDRUCK (Juni 2024)

Gesamteskalation: Freunde und Helfer rüsten auf!

von: Clara Kirchhoff | Veröffentlicht am: 8. Juli 2024

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In den letzten Jahren sind in vielen Bundesländern die Polizeigesetze erneuert und die Polizei mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen und Material ausgestattet worden; zudem wurde die Eingriffsschwelle erheblich reduziert. Vielfach wurde gegen die neuen Regelungen erfolgreich geklagt (z.B. beim Sicherheits- und Ordnungsgesetz, kurz: SOG, in Mecklenburg-Vorpommern).

Die Regelungen der neuen Polizeigesetze führen nicht nur zur Erweiterung der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten, sondern sind geeignet, zur Eskalation im Kontakt mit der Zivilbevölkerung beizutragen.

Die Polizei rüstet auf

Die Polizei ist eine Gefahrenabwehrbehörde. Das heißt, sie hat die Aufgabe, in möglichen Gefahrenlagen den Eintritt von Schäden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern. Nach juristischer Definition liegt eine Gefahr vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigen wird.

Vorangestellt sei: Bürger*innen dürfen alles tun, was nicht explizit verboten ist. Die Polizei hingegen darf nur das tun, was ihr explizit erlaubt ist. Dies ist ein wichtiger Unterschied: dass die Polizei eingreift, sollte NICHT der Regelfall sein, sondern die Ausnahmesituation.

Was der Polizei in welchen Situationen erlaubt ist, ist in den Polizeigesetzen der Länder, bzw. für die Bundespolizei im Polizeigesetz des Bundes geregelt.

Der Polizei, bzw. den „Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft“ sind auch Befugnisse in der Strafprozessordnung (StPO) eingeräumt. Diese betreffen nicht die Gefahrenabwehr. Nach der StPO dürfen die Behörden dann tätig werden, wenn eine Straftat bereits begangen wurde und im Nachgang ermittelt wird, sie also repressiv tätig sind.

Darüber hinaus gibt es eine strikte Trennung zwischen Militär und Polizei. Das Militär soll nicht im Inland tätig sein, die Polizei soll nicht so ausgestattet sein wie das Militär. In einer Hand soll nicht zu viel Macht sein, Aufgabenbereiche sollen in geteilter Verantwortung gestaltet und Befugnisse nicht angehäuft werden können.[1]

Mit den neuen Polizeigesetzen wurde in mehreren Bundesländern versucht, den Begriff der „drohenden Gefahr“ einzubringen. Das Konzept zielte darauf, Eingriffe nicht an das Bestehen einer Gefahr zu binden, sondern diese bereits zu ermöglichen, wenn der Eintritt einer Gefahr droht (im Gegensatz zu „wenn ein Schaden droht“). Aufgrund von Protesten sowohl seitens der Zivilbevölkerung als auch von Rechtswissenschaftler*innen sowie bereits existierender Rechtsprechung zur Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen, wurden diese Pläne allerdings mehrheitlich nicht umgesetzt. Es wurde jedoch der Begriff der „terroristischen Gefahr“ genutzt, um eine gleiche Vorverlagerung vorzunehmen in Verbindung mit einem Katalog von Straftaten, bei welchen dieser greift.

Die Entwicklung der Polizeigesetze folgt auf Bundes- wie auf Länderebene der gleichen Logik: Die Eingriffsschwelle wird gesenkt, die Überwachungsressourcen, die Möglichkeiten, unmittelbaren Zwang anzuwenden, werden ausgeweitet und die Ausstattung wird militärischer.

Digitale Aufrüstung

Eine der Techniken, die der Polizei inzwischen zur Verfügung steht, ist der Staatstrojaner. Ein Trojaner ist eine Software, die ohne Wissen des Betroffenen von Polizei oder anderen Hacker*innen auf Rechnern oder anderen informationstechnischen Systemen des zu Überwachenden eingesetzt wird. Seit der StPO-Reform 2017 können Staatstrojaner als repressive Maßnahme eingesetzt werden (§ 100a StPO). Damit die Polizei auch präventiv hacken kann, muss dies zusätzlich im Polizei- oder Ordnungsrecht des jeweiligen Landes geregelt sein. Dies ist durch die Online-Durchsuchung oder die Quellen-Telekommunikationsüberwachung rechtlich legitimiert. Als solche tauchen sie auch in den Polizeigesetzen auf.

Politisch werden Staatstrojaner meist mit Verweis auf Strafverfolgung im Fall von Terrorismus oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie Kinderpornografie begründet. Faktisch werden Staatstrojaner am häufigsten im Kontext von Drogendelikten eingesetzt.

Trojaner sind stark umstritten. Nicht nur, weil der Staat durch sie an sensible Informationen kommt, sondern auch weil ihr Einsatz dem Schutzauftrag des Staates gegenüber den Bürger*innen widerspricht. 

Um Trojaner einsetzen zu können, ist der Staat darauf angewiesen, dass Sicherheitslücken in den Betriebssystemen solcher Endgeräte bestehen, die von fast allen Bürger*innen genutzt werden. Trojaner machen sich Sicherheitslücken, die in Betriebssystemen von Smartphones (Android, iOS) vorhanden sind, zunutze, um Zugang zu den Geräten zu bekommen. Die Technik ist vergleichbar mit einem Schloss, das in Türen verbaut wird und nicht richtig funktioniert. Anstatt den Hersteller darauf hinzuweisen, schweigt der Staat, um unter Umständen selbst einfach in die Wohnung zu kommen. Doch diese Sicherheitslücken werden nicht nur von staatlichen Behörden erkannt und genutzt. Wenn die Polizei es schafft, sich Zugang zu den Daten zu verschaffen, schaffen es Geheimdienste, kriminelle Netzwerke und andere unautorisierte Hacker*innen erst recht.

Die Behörden weigern sich jedoch bislang, die Sicherheitslücken offen zu legen. Die staatlichen Stellen sind, wollen sie mit dem Staatstrojaner arbeiten, darauf angewiesen, dass die Software der Hersteller Lücken aufweist. Dies sorgt dafür, dass die Daten der Nutzer*innen auch dauerhaft nicht sicher sind. Damit verhindert der Staat, dass Sicherheitslücken geschlossen werden, um ein paar Drogen-Dealer*innen zu bekämpfen. Denn es gibt kaum Berichte darüber, wie bereits erfolgreich gegen den internationalen Terrorismus durch Staatstrojaner vorgegangen wurde.

Die deutschen Polizeibehörden haben mehrere Trojaner eingekauft und zu ihrer Verfügung. Seit 2013 hat das BKA den Trojaner FinSpy von FinFisher. Seit 2019 nutzt es auch Pegasus des israelischen Unternehmens NSO Group. Selbst hat es auch einen Trojaner programmiert. Zu der Frage, welche weiteren Trojaner Polizei und Geheimdienste besitzen und nutzen, äußert sich die Bundesregierung nicht. Bekannt ist beispielsweise, dass Pegasus von autoritären Regimen u.a. gegen Oppositionspolitiker*innen eingesetzt wurde.

Erst seit vier Jahren gibt es offizielle Statistiken darüber, wie oft die deutsche Polizei Staatstrojaner einsetzt. Seitdem steigen die Zahlen Jahr für Jahr.

Die Ampel-Regierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die Eingriffsschwellen für Staatstrojaner hochzusetzen. Vor kurzem wurde ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt. Ob und wie das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, ist derzeit noch nicht abzusehen.[2]

Ein weiteres Problem ist, dass die Trojaner von privaten Herstellern kommen. So sind die Behörden von privaten Firmen abhängig und können bislang nicht nachvollziehen, ob diese sich „Hintertüren“ in den Softwares lassen, eventuell doch Zugriff auf Daten haben und was passieren kann, wenn eine private Firma – ob aus Eigennutz oder aufgrund von politischem Druck des Landes des Firmensitzes – sich entscheidet die Zusammenarbeit einzustellen.

Insgesamt stehen die Staatstrojaner also auf sehr wackeligen Beinen. Sowohl verfassungsrechtlich als auch politisch – und moralisch sowieso.

Predictive Policing

In der Kurzgeschichte „Minority Report“ von Philip K. Dick aus dem Jahr 1956 können sog. „Precogs“, welche hellseherische Fähigkeiten haben, künftige Verbrechen vorhersagen. Auf Grundlage dieser Vorhersagen wird in der Geschichte die Abteilung „Precrime“ der Polizei tätig und verhaftet vermeintlich präventiv mögliche zukünftige Verbrecher*innen, die angeblich ein Verbrechen begehen werden.

Solche polizeilichen Vorgehen scheinen jedoch längst keine Fantasie mehr zu sein. Vielmehr träumen einige Softwareentwickler*innen und Politiker*innen von solchen Szenarien. „We’re making the world a better place“, meint auch der CEO von Predpol, einem der größten Anbieter von Predictive Policing Technologien.

Predictive Policing (im Folgenden: PP) wird übersetzt als „prognosebasierte Polizeiarbeit“. PP beschreibt die auf analytisch-digitalen Verfahren beruhende, computergestützte Berechnung zukünftiger Kriminalitätsrisiken auf Grundlage von (Massen-)Daten und der Auswertung statistischer Prognosen. Im Zentrum steht der Prognosegedanke.

PP arbeitet mit digitalen Analyseverfahren, ist aber unspezifisch hinsichtlich der Frage, aus welcher Quelle Daten bezogen werden können und damit jener der Algorithmen, die für die Verarbeitung der Daten in Frage kommen. Die Entwicklung der entsprechenden Programme läuft noch. Verwendet werden sie trotzdem schon.

PP-Programme könnten in Zukunft auch Überwachungsvideos, Social-Media-Daten oder ähnliches für ihre Prognosen heranziehen, auch wenn sie in Deutschland wohl hauptsächlich Daten aus den Kriminalstatistiken und Angaben der Beamt*innen verarbeiten. Die errechneten Risiken beziehen sich stets auf konkretisierte und in naher Zukunft liegende kürzere Zeiträume.[3]

Innerhalb der PP- Ansätze lassen sich personenbezogene und raumbezogene Ansätze unterscheiden.

In den personenbezogenen Ansätzen stehen Prognosen im Hinblick auf Individuen im Vordergrund. Es sollen in der Zukunft delinquente Personen berechnet / identifiziert oder die Rückfallquote Inhaftierter errechnet werden. Ziel ist es, möglicherweise delinquente Personen durch die Berechnungen zu identifizieren und so über sie ein Risikoprofil für mehr oder minder spezifizierte Straftaten, bzw. eine Rückfallwahrscheinlichkeit zu erstellen. Ziel ist es außerdem, durch primär personenbezogene Ansätze Gruppen und Einzelpersonen ausfindig zu machen, die einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, selbst Opfer einer Straftat zu werden. Gründe dafür können beispielsweise deren Lebensumstände oder eine zurückliegende Viktimisierung sein.

Der Einsatz dieser KIs zur Vorhersage von Verbrechen ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Einmal aus datenschutzrechtlicher Sicht: Welche Daten werden zur Verarbeitung herangezogen? Nur die aus den Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS)? Dass diese Statistik mehr ein Tätigkeitsbericht der Polizei als eine tatsächliche Darstellung der Kriminalität ist, ist vielfach belegt. Was ist mit Daten aus Opferberatungsstellen, welche äußerst sensibel sind?

Auch in Deutschland werden immer mehr KI-Programme eingesetzt. So das Programm Precobs (findet Anwendung in Bayern, Baden- Württemberg und Sachsen), Pre-Map (Niedersachsen), SKALA (NRW), Krimpro (Berlin), KLB-Operativ (Hessen).

Die raumbezogenen Ansätze legen ein bestimmtes Raster auf eine räumliche Bezugsgröße, die durch Kameras erfasst wird. 

Darüber hinaus haben Einsätze mit PP gezeigt, dass bestehende Vorurteile durch den Einsatz von PP nachweislich verstärkt werden. Beispielsweise wurde für die Gebiete, in denen viel patrouilliert wird, auch mehr Verbrechen vorhergesagt. Genauso wurden aufgrund der eingespeisten Daten in den USA viel mehr schwarze Menschen als potentielle Straftäter*innen identifiziert.

Die Technik selbst ist objektiv, insofern sie keine eigenen Sympathien (oder Antipathien) entwickelt; allerdings reproduziert sie die eingespeisten erlernten Denkmuster, zu denen die Stigmatisierung bereits marginalisierter Gruppen und Vorverurteilung bestimmter Wohngebiete gehört. Wie auch KI Rassismen reproduzieren kann, zeigt das Beispiel der Stadt New Orleans. Sie beendete die Zusammenarbeit mit dem Softwareanbieter Palantir, da durch die diskriminierende Wirkung der verwendeten Programme die von der Stadt angenommenen sozialen Kosten den Nutzen der Software weit überstiegen.[4] Inwieweit können wir es einer Technologie überlassen, polizeiliches Handeln zu lenken? Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 18.12.2018 bestätigt, dass Behörden auf statistische Methoden zurückgreifen können, wenn es um die Beurteilung einer Situation geht. Doch was bedeutet „Einbeziehung“ statistischer Daten? Kann das auf die verwendete KI übertragen werden? Hat dies bei der Beurteilung von Verdachtsfällen mehr Gewicht als „kriminalistische Erfahrung“?

Hat eine Polizeidienststelle eine Handlungspflicht, wenn eine KI vorhersagt, dass in nächster Zeit in einem bestimmten Gebiet ein Wohnungseinbruch bevorsteht? Wenn dieser dann nicht stattfindet, ist dies Folge einer falschen Vorhersage oder der erhöhten Polizeipräsenz? Werden Wohngebiete sozial abgewertet, weil eine KI dafür sorgt, dass dort die Präsenz von Polizei erhöht ist? Ist die Polizei an einem Ort präsenter und aufmerksamer, bzw. kontrolliert mehr, werden in der Regel auch mehr Straftaten aufgedeckt. Wer trägt Sorge dafür, dass die Vielfalt an Erklärungen eines statistischen Befundes parallel zum Einsatz von KI berücksichtigt wird?

Viele Fragen sind in Bezug auf den Einsatz von PP noch offen. Hinzu kommt, dass es den deutschen Behörden an Ressourcen fehlt, um KI kompetent einzusetzen. Immerhin sind in der EU bislang keine personenbezogenen KI-Systeme im Einsatz.

Materielle Aufrüstung

Doch auch materiell rüstet die Polizei auf. Die Wirkung eines Tasers, auch „Elektroimpulswaffe“ beruht auf einem Stromfluss durch den Körper, der durch eine Spannung von circa 1 Kilovolt hervorgerufen wird. Die Kontaktpunkte, durch welche die elektrischen Impulse geleitet werden, können über eine gewisse Distanz aus einer Pistole geschossen werden. Taser können jedoch auch aus der Nähe verwendet werden.

Die Einführung der Waffe hatte das Ziel, Angreifer*innen, Randalierer*innen, fliehende oder mit Suizid drohende Personen primär durch den Verlust der Kontrolle über die Skelettmuskeln und sekundär eventuell durch Schmerzen handlungsunfähig zu machen. Da ihre Wirkung im Distanzmodus nicht vom Schmerzempfinden und der Reaktion darauf abhängig ist, sollen Distanz-Elektroimpulsgeräte auch gegen Personen geeignet sein, die unter dem Einfluss von (psychoaktiven) Medikamenten, Alkohol oder anderen Drogen stehen.

Mit dem Taser war die Erwartung einer gegenüber der Schusswaffe geringeren Eskalationsstufe verbunden; der Taser sollte vor allem auch dem Schutz der Polizist*innen dienen. Personen sollen entwaffnet werden können, ohne langfristige Schäden davonzutragen. Doch das stellt sich als eine falsche oder zumindest unvollständige Erwartung dar.

Amnesty International kritisiert, dass Taser gerne auch für „weiße Folter“ verwendet werden, weil ihr Einsatz am Opfer häufig nicht nachweisbar ist. Hinzu kommt, dass durch den Sturz der getroffenen Person doch eine erhebliche Verletzungsgefahr besteht.

Es mag in manchen Situationen gut sein, eine Eingriffsmöglichkeit vor der Schusswaffe zu haben. Es zeigt sich jedoch auch, dass jedes Mittel, welches der Polizei zur Verfügung gestellt wird, von dieser auch genutzt werden wird. Es besteht eine große Gefahr, dass Taser nicht ergänzend zur sondern statt einer Kommunikation mit der betroffenen Person genutzt werden. Das vermeintlich „sichere“ und „niedrigschwellige“ Mittel des Tasers kann dabei helfen, Menschen ruhig zu stellen, ohne langfristige Schäden zu verursachen. Problematisch ist vor allem, dass dies auch den Dialog verkürzt. Denn wenn die Polizei ein Mittel hat, wird sie es auch verwenden.

Ein drastisches Beispiel dafür, wohin der Einsatz von Tasern als „milderes Mittel“ führt, zeigt der Mord an Mohammed Dramé in Dortmund. Dieser wurde zunächst von 2 Taserschüssen getroffen, nur damit die Beamten sodann sechs Schüsse aus ihren Dienstwaffen abgeben, von welchen fünf den 16-Jährigen trafen.

Die Situation, zu welcher die Polizei gerufen wurde, war die, dass der Jugendliche auf dem Hof seiner Unterkunft saß und mit Selbstschädigungsabsicht ein Messer in der Hand hatte. Der Leiter der Jugendhilfeeinrichtung, in welcher er untergebracht war, rief im Dezember 2022 die Polizei wegen einer akuten Suizidgefährdung eines Bewohners. Er saß zusammengekauert im Hof der Unterkunft und richtete ein Küchenmesser gegen sich selbst. Als die Polizei eintraf und keine Kommunikation herzustellen vermochte, in dem Wissen, dass er kein deutsch sprach, setzten die Beamt*innen Pfefferspray ein. Daraufhin stand Dramé auf und bewegte sich von der Wand weg, an der er lehnte. Sofort setzte einer der Beamten den Taser ein. Zwei Mal wurde auf den Jugendlichen mit dem Taser geschossen, um ihn kurz darauf mit fünf Kugeln zu erschießen.[5]

Von Dramé ging keine Gefahr für die Beamt*innen aus.

Es ist bekannt, dass die Polizei Kommunikation nicht immer geschickt zur Deeskalation einsetzt.  Speziell dieses Beispiel zeigt erstens, dass Taser nicht dazu geeignet sind, den Schusswaffeneinsatz wirksam zu verhindern; es zeigt zweitens, dass Kommunikationswege abgekürzt werden und Situationen schneller eskalieren.

Schusswaffen und Handgranaten

Eine weitere sichtbare Aufrüstung stellen die Schusswaffen der Polizei dar. Gerade auf Weihnachtsmärkten bemerken Passant*innen immer wieder die Aufrüstung der Polizei. Die Frage ist nur: warum sind die so ausgestattet?
Viel Geld und Prestige wird in die Ausrüstung mit Maschinenpistolen und -gewehren gesteckt. Begründet wird dies vor allem mit der steigenden Terrorismusgefahr. In mehreren Bundesländern (Bayern, Sachsen) sind inzwischen auch Handgranaten im Waffenarsenal der Polizei vorhanden. Es stellt sich die Frage, welche Situationen die Polizei mit diesen Waffen deeskalieren und welche Personen sie schützen will. Das gilt es beispielsweise im Blick auf den Schutz von Weihnachtsmärkten zu fragen:

Was bringen Taser, Maschinengewehre und Handgranaten bei einer Bombendrohung? Was, wenn ein LKW in eine Menschenmasse rast? Das subjektive Sicherheitsgefühl der Weihnachtsmarktbesucher schwindet dadurch eher, als dass es gestärkt würde. 

In seiner Entscheidung im Januar 2024 sah das Landesverfassungsgericht Sachsen in der Aufrüstung der Polizei keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot von Polizei und Militär. Ausführlich hat sich das Gericht hierzu jedoch noch nicht geäußert. Zu hoffen bleibt, dass sich das Bundesverfassungsgericht, wenn es gezwungen ist, sich aufgrund der Entscheidungen über die Polizeigesetze damit auseinanderzusetzen, etwas ausführlicher äußert.[6]

Und auch hier: Waffen, die der Polizei zur Verfügung stehen, werden auch von ihr eingesetzt. Das wird auch im Fall von Maschinenpistolen (mit einer solchen wurden im Übrigen in direkter Abfolge die tödlichen Schüsse  auf Mohammed Dramé abgegeben) und Handgranaten so sein.

Fuhrpark

Doch nicht nur die Bewaffnung der einzelnen Polizeibeamt*innen wird immer weiter hochgefahren. Auch die Fahrzeuge werden immer eindrucksvoller und sind häufig gepanzert. Sehr präsent in der Presse war der Panzerwagen der sächsischen Polizei („Survivor R“), bei welchem der Schriftzug „POLIZEI“ abgedeckt werden kann und er dann nur noch ein riesiges blau-weißes, gepanzertes Fahrzeug ist und quasi „unauffällig“. In welchen Einsatzlagen diese der Polizei weiterhelfen sollen, ist bislang nicht klar. [7]

Die Anschaffung dieser Wagen wird begründet mit Terrorgefahr – spezifischer wird’s nicht. Daher wurde der Panzerwagen der bayerischen Polizei bei einem Amoklauf in München angefordert. Fragwürdig war, dass unklar blieb, welche Aufgabe der Panzerwagen hatte. Es war nicht klar, wohin der Täter nach der Tat geflohen war, wie viele Täter überhaupt beteiligt waren etc. So fuhr der Panzerwagen ziellos durch die Stadt und verursachte Unruhe und Panik, anstatt die ursprüngliche Gefahr zu bannen.

Auch diese Anschaffungen werfen Fragen auf: welchen Nutzen haben sie? Sie schüchtern in jedem Fall ein und wirken bedrohlich. Diese Wirkung wird dadurch noch verschärft, dass der Farbton der Fahrzeuge immer dunkler wird (s.u. zur Farbe der Uniformen).

Diese Fahrzeuge werden auch gezielt zur Bedrohung und Abschreckung eingesetzt. Immer wieder gibt es Berichte von Demonstrationen und Kundgebungen, bei welchen plötzlich riesige Wasserwerfer präsent sind – ohne dass eine Notwendigkeit oder Gefahrenlage bestand, aus welcher heraus ein Einsatz in Erwägung gezogen werden könnte.

Die Aufrüstung gerade des Fuhrparks ist nicht nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sie soll klar auch der Abschreckung dienen. Wer die Wasserwerfer des Modells „Actros 3341 AK/42/6×6“ schon einmal sehen konnte, weiß, dass diese gänzlich anders wirken als noch die vorherigen Modelle. Und dies macht sich die Polizei zunutze.

Als es im Februar 2024 in Mecklenburg-Vorpommern zur Kontrolle zweier Reisebusse kam (die Insassen waren Teilnehmer*innen einer Fahrt zum Gedenken an Mehmet Turgut, der vom NSU ermordet wurde), wurden die beiden Wasserwerfer MV1 und MV2 zu einem Rastplatz bestellt, um diesen auszuleuchten. So lautete zumindest die Information der diensthabenden Beamten*innen. Die Teilnehmer*innen wurden zwischen Bussen und Wasserwerfern zur Ausleuchtung eingekesselt, obwohl der Rastplatz beleuchtet war. Es gab auch keine Anhaltspunkte dafür, dass von den Insassen eine Gefahr ausgehen würde oder eine Eskalation zu erwarten gewesen wäre. Der Einsatz der Wasserwerfer schien ausschließlich der Einschüchterung zu dienen.

Doch die Aufrüstung der Polizei geht noch weiter. Beispielsweise sind die Uniformen der Polizei und der Spezialeinheiten in den letzten Jahren immer dunkler und einschüchternder geworden.

Ursprünglich waren die Uniformen der Polizei in Deutschland blau. Ende der der 80er Jahre sollten die Uniformen dann ansprechender und kommunikativer wirken. Ziel war es, die Polizei ansprechbarer erscheinen zu lassen. Nur knapp 30 Jahre später wurde diese Idee jedoch verworfen und nach und nach kleideten sich die Polizeien der Bundesländer wieder blau. Begründet wurde dies zum einen damit, dass man so eine europäische Einheitlichkeit erreichte und andererseits mit der besseren Praktikabilität, die alten Uniformen hätten gedrückt. Doch auch das Blau wurde von Uniformneugestaltung zu Neugestaltung immer dunkler.

Auch die Helme, die anfangs noch alle weiß waren, sind inzwischen Schwarz, bzw. so dunkelblau, dass dies keinen Unterschied mehr macht. Ähnlich verhält es sich mit der Farbe Grün. Die Bereitschaftspolizei Niedersachsen hat beispielsweise grüne Uniformen. Schaut man sich Bilder an, wirken diese jedoch eher schwarz als grün – wüsste man nicht, dass es grün ist.[8]

Die Polizei soll „Freund und Helfer“ sein, im Idealfall Gefahrenlagen deeskalieren und so Schäden und Verletzungen vermeiden. Hellere Farben wirken in diesem Zusammenhang freundlicher und weniger bedrohlich. Polizei soll gerade nicht allein durch Einschüchterung und das Zurschaustellen des Gewaltmonopols für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung sorgen.

Gerade dies scheint in den letzten Jahren jedoch abzunehmen. Der Name „Gesamteskalation“ scheint die verschiedenen Veränderungen gut zu erfassen. Die Befugnisse der Polizei werden immer weiter ins Vorfeld von möglichen Gefahrenlagen gezogen (so weit, wie es die Gerichte gerade noch zulassen), das Waffenarsenal wird erweitert, der Fuhrpark wird vergrößert, das Auftreten wird militärischer und gewaltvoller.

Der von der Polizei oft verbreiteten Geschichte, dass die Gesellschaft immer „gewalttätiger“ werde, muss entgegengetreten werden. Noch nie waren Polizist*innen so gut geschützt, nie konnten sie auf ein dermaßen umfangreiches Waffenarsenal zurückgreifen. Zwar war die Polizei schon früher gewalttätig, diskriminierend und übergriffig. Aber ihre Mittel waren noch beschränkter.

Anmerkungen


[1] Ausführlich hierzu: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Grenzen der Bewaffnung der Polizei und der Amtshilfe durch die Bundeswehr, bundestag.de, 2008.

[2] Andre Meister: Polizei hackt jetzt jede Woche mit Staatstrojaner, netzpolitik.org, 6.5.2024.

[3] Simon Egbert, Susanne Krasmann: Predictive Policing. Eine ethnographische Studie neuer Technologien zur Vorhersage von Straftaten und ihre Folgen für die polizeiliche Praxis, Hamburg, 2019.

[4] New Orleans ends its Palantir predictive policing program. In: The Verge vom 15.3.2018.

[5] Aaron Wörtz: Tödliche Staatsgewalt. Polizist erschießt Teenager, taz.de, 6.5.2024.

[6] Jakob Härterich: Maschinengewehr und Handgranaten für die Polizei, verfassungsblog.de, 6.5.2024.

[7] LVZ: Sächsischer Polizeipanzer „Survivor R“: umstrittene Stickereien, wenig Einsätze, lvz.de, 6.5.2024.

[8] Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen: Bereitschaftspolizei, zpd.polizei-nds.de 6.5.2024.