IMI-Standpunkt 2024/08

„Kriegstüchtig“: Der „humanitäre Einsatz“ der Luftwaffe in Gaza

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 14. März 2024

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„Einmal mehr zeigt die Bundeswehr, dass sie da ist, wenn sie gebraucht wird“, wird die grüne Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger im Deutschlandfunk zitiert. Anlass ist der Entschluss des Bundesverteidigungsministers Pistorius, dass die Luftwaffe Hilfsgüter über Gaza abwerfen soll. Vor allem die ebenfalls grüne Außenministerin habe entsprechenden Druck ausgeübt, dass der Einsatz der Bundeswehr zustande kommt, so der Deutschlandfunk in seiner Sendung „Das war der Tag“ vom 13. März 2024.

Konkret geht es um zwei Transportflugzeuge der Luftwaffe vom Typ C-130 Hercules, die bislang in Frankreich stationiert waren und nun nach Jordanien geschickt werden, um dort beladen zu werden und anschließend Nahrungsmittel und Medikamente über Gaza abzuwerfen. Die Flugzeuge können jeweils etwa 18 Tonnen Last transportieren – also deutlich weniger als ein(!) normaler LKW. Die Hilfsgüter werden auf Paletten verpackt und mit Fallschirmen abgeworfen. Das ist hochgradig ineffizient. Der Verteidigungsminister, so hören wir im O-Ton beim Deutschlandfunk, geht davon aus, dass es „einige Flüge geben wird … es wird nicht nur zwei Flüge geben“.

Die Transportflugzeuge können nicht nur weniger Last transportieren, als ein LKW, sie können diese auch wesentlich weniger zielgerichtet abliefern. Eine Koordination mit Personal vor Ort ist kaum möglich, sodass nicht kontrollierbar ist, wer sich der Fracht dort bemächtigt. Dementsprechend kritisiert u.a. die Hilfsorganisation Caritas International den Einsatz der Luftwaffe, wie wir an anderer Stelle im Deutschlandfunk erfahren: „Man halte den nicht ungefährlichen und zudem kostenintensiven Abwurf von Gütern durch die Luftwaffe nicht für zielführend. Wirksame humanitäre Hilfe, die vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen erreiche, müsse über den Landweg erfolgen. Dafür benötigten Hilfsorganisationen sichere Korridore“. Wie wenig zielgerichtet der Abwurf humanitärer Güter über dicht besiedeltem Gebiet ist, unterstreicht ein Vorfall, der sich keine Woche vor dem Beschluss des deutschen Einsatzes ereignet hatte. Weil sich der Fallschirm eines von den USA über Gaza abgeworfenen Pakets nicht geöffnet hatte, wurden am Boden fünf Menschen – denen eigentlich geholfen werden sollte – von der Last erschlagen, wie Videos im Internet dokumentieren.

Vor diesem Hintergrund ist eine weitere Aussage des Verteidigungsministers, ebenfalls in der bereits zitierten Sendung des Deutschlandfunks, bemerkenswert, weil sie das Spannungsverhältnis zwischen Zielgenauigkeit und Sicherheit am Boden einerseits und der Sicherheit der Besatzungen der Luftwaffe andererseits aufzeigen: „Das ganze wird in einer Flughöhe passieren, die die Gefahren für einen Beschuss vom Boden minimieren. Gleichzeitig sind sie so erprobt in dem Verfahren, dass das, was abgeworfen wird, auch ankommt. Jedenfalls hoffen wir das, ganz sicher kann man bei einer Flughöhe dieser Art nicht sein“.

Es handelt sich beim Einsatz der deutschen Luftwaffe über Gaza letztlich um weniger, als den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein. Darüber hinaus geht es in erster Linie um eine Geste, die sich vermutlich einerseits an die eigene Öffentlichkeit wendet wie auch an die Öffentlichkeiten verschiedener arabischer Staaten. Zumindest letzteres wird ziemlich sicher nicht funktionieren. Dort wird durchaus wahrgenommen, dass Deutschland, wie auch die USA, keinen ernstzunehmenden Druck auf die israelische Regierung ausüben, tatsächlich wirksame Hilfe zuzulassen. Im Gegenteil leistet man weiter militärische Unterstützung, während der Internationale Gerichtshof ernsthaft verhandelt, ob die israelische Regierung in Gaza einen Völkermord begeht oder ein solcher zumindest droht. Auch innerhalb Deutschlands dürfte durchaus wahrgenommen werden, dass es sich beim Abwurf weniger Tonnen humanitärer Güter mit zweifelhaftem Nutzen nur um eine schwache Geste handelt, die von der eigenen Verantwortung ablenken soll.

Darüber hinaus wird der Einsatz in mehrfacher Hinsicht genutzt, um das Programm der „Kriegstüchtigkeit“ weiter zu verfolgen. Einerseits bestätigt der symbolische Einsatz der Luftwaffe angesichts der Katastrophe in Gaza, dass die Bundeswehr und Militär generell mittlerweile als primärer und nahezu ausschließlicher Lösungsansatz jedes internationalen Problems angesehen wird. Andererseits dient er als Hintergrund für markig-martialische Sprüche, wie den eingangs zitierten von Agnieszka Brugger. Auch Pistorius demonstrierte – wie bereits bei der Entsendung der Fregatte Hessen ins Rote Meer – seine Bereitschaft, die Gefährlichkeit des Einsatzes zu betonen, was bei der Armee und offenbar auch zunehmend der allgemeinen Bevölkerung gut ankommt – „kriegstüchtig“! Angesichts der explizit betonten Gefährlichkeit ist auch bemerkenswert, dass für den Einsatz kein Mandat eingeholt wird und dies auch in der politisch-medialen Sphäre nicht eingefordert wird. Sollte es schrittweise zur Normalität werden, dass der Minister per einfachem, persönlichen Beschluss Kräfte der Bundeswehr in einen „nicht ungefährlichen“ Einsatz schickt? Zuletzt könnte es auch im engeren Sinne um Kriegstüchtigkeit gehen: So wie die Marine im Roten Meer nun erstmals den „scharfen Schuss“ auf feindliche – sie selbst aber kaum gefährdende – Drohnen und Raketen üben (und deren Signaturen kennenlernen) kann, so übt die Luftwaffe über Gaza mal außerhalb von Manövern das halbwegs zielgerichtete Abwerfen von Lasten. Was hier mit humanitären Gütern durchexerziert wird, kann hilfreiche Erkenntnisse liefern, falls später mal Waffen für eigene oder verbündete Kräfte nahe am Gefechtsfeld abgeworfen werden sollten.