IMI-Studie 2023/04

Ein digitaler MIK – oder viele?

Politikgestaltende Netzwerke aus Wissenschaft, Militär und Digitalwirtschaft in den USA und Deutschland

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 5. Dezember 2023

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Gesamte Studie hier zum download

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INHALTSVERZEICHNIS

1. USA
1.1 Die Ursprünge des digitalen Zeitalters im Zweiten Weltkrieg
1.2 Nur ein Beispiel: RAND
1.3 Das Denksystem der RMA
1.4 Die neuen Player: Google & Co

2. Deutschland
2.1 Die frühe IKT-Industrie in Deutschland
2.2 Relativ isolierte Wehrforschung
2.3 Durchbruch Dual Use
2.4 Die Bundeswehr wird Cyber
2.5 Ein neues, disruptives Mindset in der Wissenschaft
2.6 Risikokapital, die Big Four und GovTech

3. Fazit
3.1 „Digitale Souveränität“ – Fantasma und Transferprogramm…

Diese Studie erschien stark gekürzt in der „Z – Zeitschrift für marxistische Erneuerung“ Nr. 135 (September 2023). Die gesamte Studie hier zum download

    1. USA

1.1 Die Ursprünge des digitalen Zeitalters im Zweiten Weltkrieg

In seinem (sehr lesenswerten) Buch „Turings Kathedrale“ macht der Wissenschaftshistoriker George Dyson in der Entwicklung des Großrechners ENIAC zwischen 1943 und 1946 am Institute for Advanced Study in Princeton „[d]ie Ursprünge des digitalen Zeitalters“ (so der Untertitel) aus.(1) In seiner dichten Beschreibung des Milieus aus teilweise vor dem Krieg geflohenen Wissenschaftler*innen erscheint die alltägliche Gegenwart von Uniformen, die Rolle militärischer Forschungsgelder und Fragestellungen selbstverständlich und irgendwie subtil. Das mag der Wahrnehmung der Beteiligten durchaus entsprechen. Im Mittelpunkt steht die Person John von Neumann, der auch aufgrund seiner engen Verbindungen zum Militär schnell zum Mastermind des Projekts wurde und nach dem jene Computerarchitektur benannt ist, die erstmals im ENIAC umgesetzt wurde und bis heute den meisten Computern zugrunde liegt. Entwickelt wurde der ENIAC zur Berechnung ballistischer Tabellen für das Militär, eingesetzt wurde er v.a. für die Simulation zur Realisierbarkeit der Wasserstoffbombe im Rahmen des Manhatten Projects, in dem von Neumann ebenfalls zur zentralen Person avancierte. Finanziert wurde die Entwicklung des ENIAC von der US Army und er wurde nach der öffentlichen Vorstellung 1946 auch an diese übergeben. Unter dem Titel „Erfindung des Computers aus dem Geist der Bombe“ moniert eine Rezension von Dysons Buch trotzdem: „Die Rolle des militärisch-industriellen Komplexes, dem Neumann angehörte, und die moralische Dimension der atomaren Bewaffnung blendet Dyson weitgehend aus“.(2)

Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich zeitgleich an der Ostküste der USA, in einer Region, die heute als Silicon Valley weltweit bekannt ist und kopiert wird. Diese Geschichte zeichnet die Historikerin Margaret O’Mara in ihrem Buch „The Code“ nach, welches den Untertitel „Silicon Valley and the remaking of America“ trägt.(3) O’Mara war unter der Clinton-Administration selbst als Beraterin für Wirtschafts- und Sozialpolitik tätig und räumt in ihrem Buch (überausführlich) mit der Vorstellung auf, dass es primär individueller Erfindungsgeist und hemdsärmlige Investoren gewesen seien, die den Aufstieg des Valleys ermöglicht hätten. Stattdessen beschreibt sie anhand zahlreicher Biographien die Drehtüreffekte zwischen Militär und Industrie und eine Kaskade von Regierungsprogrammen auf nationaler bis kommunaler Ebene, die primär geopolitisch motiviert waren, sich aber zunehmend als allgemeines Modell der Wirtschafts- (und Technologie-) Förderungen der Vereinigten Staaten etablierten. Das Buch beginnt mit der Ankunft von David Morgenthaler 1949 in Palo Alto, einer Gegend, „die der Krieg zu einer geschäftigen Aktivität angeregt, die Friedenszeit aber wieder in ihre ländliche Verschlafenheit zurückfallen hat lassen“ (ÜdA).(4) Wie und warum sich das schnell wieder änderte, beschreibt O’Mara im Folgenden. Zusammenfassend sei hier ein Zitat aus einem Interview wiedergegeben, das sie 2020 Cathren Landsgesell von der Wiener Zeitung gab (Untertitel: „Die Historikerin Margaret O‘Mara demontiert in ihrem Buch „The Code“ den Mythos von den Jungs in den Garagen“): „Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg brachten sehr viel Geld für die Entwicklung von Waffen und die Computertechnologie. Entscheidend war, dass dieses Geld indirekt floss. Man ließ Vertragspartner aus der Rüstungsindustrie das Geld in Form von Forschungsaufträgen an andere private Unternehmen und Universitäten vergeben […]. Ab den 1950er Jahren siedelten sich im Umfeld viele der staatlichen Rüstungspartner mit Zweigstellen an. Zuerst Lockheed Martin, die in Sunnyvale eine Raketen- und Raumfahrtabteilung aufbauten. Andere Firmen, vor allem aus der Mikroelektronik, machten es ebenso. So entstand eine neue Nische für IKT [Informations- und Kommunikationstechnologie] an der Westküste, während die ganzen Großrechner und die Computerindustrie noch hauptsächlich an der Ostküste waren“.(5)

O’Mara rekonstruiert in ihrer Darstellung auch die Programme und Institutionen, die das heutige Silicon Valley bereits während des Krieges umstrukturierten, darunter – verteilt über (zu) viele Anekdoten und Biografien – auch das Office of Scientific Research and Development (OSRD), welches 1941 gegründet wurde, unmittelbar dem Präsidenten unterstand und dessen erster Direktor Vannevar Bush war, der bereits 1922 jene Firma gegründet hatte, aus der später der Rüstungsgigant Raytheon hervorging. Das OSRD gilt als Vorläuferorganisation der 1958 gegründeten DARPA, der Forschungsagentur des Pentagon. Deren Forschungsförderung ist bis heute daran orientiert, waghalsige Zukunftsvisionen zu fördern und unter dieser Vorbedingung großzügig Gelder an Universitäten, private Forschungsinstitutionen, (Groß-)Unternehmen und Startups zu vergeben. Eines dieser waghalsigen Projekte war das IARPANET als Vorgänger des Internets. Wie sehr hierbei langfristige und strategische Ziele von Militär und Geheimdiensten im Hintergrund mitgewirkt haben, wird in dem Buch „Surveillance Valley“ von Yasha Levine womöglich etwas zu zugespitzt rekonstruiert.(6)

Gesamte Studie hier zum download