IMI-Standpunkt 2023/030 - in: junge welt, 21.8.2023

Beliebte Putschisten. Eine postkoloniale Dialektik

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 22. August 2023

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(Dieser Artikel ist die unredigierte Fassung eines gestern unter dem Titel „Warum die Bevölkerung den Putsch unterstützt“ in der jungen Welt erschienen Artikels.)

Verwundert blicken die Europäer auf Westafrika, wo teilweise tausende Demonstranten freudig in die Stadt einfahrende Militärs begrüßten, die die gewählten Volksvertreter absetzten und selbst die Macht ergriffen. Ist ihnen die Demokratie wirklich so wenig wert?

Um den Hauch der Befreiungskämpfer zu verstehen, der viele dieser Putschisten umweht, muss man zurück bis zur Entkolonialisierung dieser Länder blicken. Als die antikoloniale Bewegung Mitte des 20. Jahrhunderts Momentum erreichte, beschloss Frankreich unter Charles de Gaulle die afrikanischen Kolonien in die formale Unabhängigkeit zu entlassen um Revolutionen zuvor zu kommen. Den in die Unabhängigkeit entlassenen Ländern wurden Verträge vorgelegt, die französischen Unternehmen Vorkaufsrechte für Abbaulizenzen und die alleinige Ausstattung der Armeen sicherten, sie in einer an den Franc (und später Euro) gebundenen Währungsunion hielten und teilweise eine Stationierung französischer Soldaten ermöglichten. Wer, wie Guinea, nicht mitmachen wollte, wurde mit der Zerstörung der von der Kolonialverwaltung errichteten Infrastruktur, wie Schulen und Krankenhäuser, bestraft.

Diese Loslösung in bleibender Freundschaft begünstigte das sich an der Macht halten profranzösischer Eliten der Kolonialzeit. Deren prominentester Vertreter, Félix Houphouët-Boigny, langjähriger Präsident der Elfenbeinküste, prägte den Begriff France-Afrique, der sich später zum kritischen Codewort für die bleibenden Seilschaften zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und afrikanischen Politikern und Geschäftsleuten entwickelte. Wo sich gewählte Vertreter gegen den bleibenden kolonialen Einfluss wendeten, lernten die Afrikaner das Primat der Stärke durch Putsche kennen. So wurde der erste demokratisch gewählte Präsident Afrikas, Sylvanus Olympio aus dem Togo, von ehemaligen französischen Legionären gestürzt, als er aus dem CFA-Franc aussteigen wollte. Selbiges geschah mit dem sozialistischen, ersten Präsidenten Malis, Modibo Keita und Kwame Nkrumah, dem antikolonialen Vordenker und erster Präsident der ehemaligen englischen Kolonie Ghana. In diesen Ländern herrschten danach westlich orientierte Militärregime, die sie nach Vorstellungen von IWF und Weltbank umstrukturierten.

Doch nicht alle Militärs glaubten an den Fortschritt mit Europa. Auf diese beziehen sich Putschisten seit 2020 in Mali und Burkina Faso. Prominentester Vertreter war Thomas Sankara, der 1983 in Burkina Faso putschte und eine Ära der Erneuerung einläutete. Er fuhr große Kampagnen im Bereich Gesundheit, Alphabetisierung und Frauenrechte, wofür er internationale Anerkennung bekam. Er weigerte sich Staatsschulden an Industrienationen zurückzuzahlen und verteilte Landbesitz um. Nur vier Jahre später wurde er in einem Putsch von seinem ehemaligen Wegbegleiter, Blaise Compaoré, getötet. Compaoré errichtete eine profranzösische Diktatur, die 27 Jahre hielt, bis auch er während Massenprotesten 2014 wieder vom Militär abgesetzt wurde. In Mali beseitigte Amadou Toumani Touré 1991 die langjährige Diktatur, die seit Keitas Absetzung herrschte, und führte das Land in die Demokratie.

Im Niger beseitigte 2010 ein Putsch den zweimal gewählten Präsidenten Mamadou Tandja, der im Ausnahmezustand regierte und versucht hatte, sich eine dritte Amtszeit zu sichern. In einem Referendum annullierten die Putschisten Tandjas Verfassungsänderungen und organisierten Neuwahlen.
Und auch die partizipative Neugründung der Republik durch die aktuellen Putschisten in Mali, weckt Hoffnung bei vielen in der Region.