IMI-Analyse 2023/27

Militarisierung und Krieg

Der Rechtsruck aus der Mitte

von: Hannes Draeger | Veröffentlicht am: 26. Juni 2023

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In der Debatte um den Ukraine-Krieg und eine weitere Eskalation durch Waffenlieferungen ist dieser Tage viel über die Gefahr von Rechtsaußen die Rede. Und in der Tat: Es gelingt der gesellschaftlichen Linken nicht, sich als sichtbaren Pol gegen die Scharfmacher à la Baerbock, Strack-Zimmermann, Sascha Lobo und Co. in Stellung zu bringen. Stattdessen stoßen rechte Demagogen ins Feld. Die AfD hat seit Beginn des Ukraine-Krieges fünf bis sechs Prozent in den Umfragen zugelegt.

Was vielfach übersehen oder unterschätzt wird: Die bürgerliche „Mitte“, die sich momentan eifrig bemüht, Anti-Kriegs-Proteste in die rechte Ecke zu stellen, ist selbst Treiber eines gesellschaftlichen Rechtsrucks. Es ist noch nicht überall sichtbar, wie tiefgreifend die jetzige Debatte die Gesellschaft nach rechts verschiebt. Aber die Konturen eines neuen, reaktionären Denkens sind erkennbar und greifen um sich.

Die Rückkehr der Hufeisentheorie

Hatten es Konservative und Reaktionäre in den vergangenen Jahren schwer, links und rechts in einen Topf zu werfen, scheint es mittlerweile wieder zum Volkssport zu werden, linke Kriegsgegner:innen mit den Demagog:innen der AfD gleichzusetzen. Wie bei einem Hufeisen würden sich ganz links und Rechtsaußen treffen. Die Hufeisentheorie ist auch deshalb wieder in Mode gekommen, weil Linksliberale aus dem Rot-Grün-Milieu diese Renaissance der Gleichsetzung von links und rechts mitmachen bzw. selbst vorantreiben. Widersprachen sie dieser Gleichsetzung noch, wenn damit antifaschistische Bündnisse in einen Topf mit den Nazis geworfen wurden, sehen sie jetzt überhaupt kein Problem darin, denn es betrifft sie ja in der Ukraine-Frage nicht selbst. Medien spielen diese Karte geschickt aus, auch um Entsolidarisierungsprozesse zu befördern. Falls sich der Staat irgendwann gezwungen sieht, härter gegen die Friedensbewegung vorzugehen, könnte sich diese Entsolidarisierung für den Staat noch als nützlich erweisen.

Auftrieb für Geschichtsrevisionist:innen

Jahrzehntelang sah es so aus, als würden konservative Geschichtsrevisionist:innen in Deutschland den Kampf um die Deutung der deutschen Geschichte verlieren. Für Alt-Nazis wie für konservative Deutsch-Nationale wirkt die in Deutschland von unten erkämpfte Erinnerungskultur an die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg wie eine Fessel für eine Rückkehr des deutschen Imperialismus an einen „Platz an der Sonne“. Manche Nazis versuchten es mit der Leugnung der Verbrechen inkl. des Holocausts. Klügere konservative Kräfte setzen eher auf die Relativierung der Verbrechen, indem Holocaust und Vernichtungskrieg im Osten entweder als Reaktion auf den „genauso brutalen Stalinismus“ dargestellt wurden oder die Einzigartigkeit des damaligen Massenmordes mit Hinweis auf Kriege und Verbrechen der heutigen Zeit relativiert wurde. Im Zuge des Ukraine-Krieges passiert nun genau das. Bewusst werden Begriffe wie „Vernichtungskrieg“ verwendet und Putin mit Hitler gleichgesetzt, um Russlands heutigen Krieg in der Ukraine mit dem damaligen Krieg der Nazis im Osten gleichzusetzen. Reaktionäre Professoren wie Jörg Baberowski und Co. können sich entspannt zurücklehnen, denn die Gleichsetzung von Putin-Russland und Nazi-Deutschland wird vor allem von Kräften der „bürgerlichen Mitte“ wie Jürgen Trittin, Anton Hofreiter und Sascha Lobo befeuert. Eine solche Debatte revitalisiert eine nie ganz verschwundene Tradition im deutschen Establishment, endlich einen „Schlussstrich“ unter der deutschen Geschichte zu ziehen. Damit einher geht eine Enttabuisierung von antislawischem Rassismus bis weit hinein ins deutsche Establishment. Unter Beisein von grünen Staatsminister:innen erhielt der ukrainische Dichter Serhij Schadan den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, welcher Russen zuvor im Allgemeinen als „Tiere“, „Barbaren“ oder „Unrat“ bezeichnete. Einige Wochen zuvor saß eine „Politikwissenschaftlerin“ bei Markus Lanz im TV, um darzulegen, dass Russen im Allgemeinen ein anderes Verhältnis zum Tod hätten im Vergleich zu den aufgeklärten Europäern.

Rückkehr des deutschen Militarismus

Gauland spricht davon, Baerbock aber auch. Und Carlo Masala erst recht. Eine neue „Wehrhaftigkeit“ im Denken und in der Gesellschaft soll etabliert werden. Gemeint ist damit eine Art kollektiver Abwehrbereitschaft der deutschen Bevölkerung gegen den „Feind“ im Osten. Die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ – ein Beratergremium der Bundesregierung – schlug ein neues Soldat:innenbild vor,i worin sie formuliert, dass die „psychische Bereitschaft zum Kampf“ und der „Wille zum tapferen Dienst“ der Schlüssel zum Erfolg der Bundeswehr seien. Zu beobachten ist eine Rückkehr der Heroisierung des Soldatentums, vorläufig noch überwiegend projiziert auf das „Heldentum“ ukrainischer Soldaten. Alle Kehrseiten des Militarismus wie Zwangsrekrutierungen, das Töten und Sterben an der Front, Befehl-und-Gehorsam-Prinzip und der Klassencharakter innerhalb der Armee stören ein solches Bild nur und werden konsequent ausgeklammert.

An der Heimatfront brechen alle Dämme, wenn es darum geht, „unsere Jungs“ – gemeint ist die Bundeswehr – aufs Podest zu heben. Unzählige Reportagen füllen das TV-Programm und den deutschen Blätterwald mit Heldenstorys über „unsere Jungs“ beim Training oder im Einsatz. Über rechtsradikale Umtriebe in der Bundeswehr hört man indessen nur noch wenig, so als hätte sich das Problem erledigt.

Nie wurde die deutsche Bevölkerung so schamlos belogen wie über die angebliche Unterfinanzierung der Bundeswehr. Über Nacht wurde ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr bereitgestellt. Die Bundesrepublik macht sich auf, zur drittgrößten Militärmacht der Welt aufzusteigen, aber in den deutschen Medien wird über die angebliche Unterfinanzierung der Armee geklagt.

Die Frage ist, was diese Propaganda-Offensive mit jungen Heranwachsenden macht, die mit dem Gedanken aufwachsen, dass Panzer etwas Gutes sind und dass das „Befehl- und Gehorsam“-Prinzip zum Leben dazu gehört. Unter dieser Schablone wachsen autoritäre Ideen, welche ein Top-Down-Prinzip zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen als sinnvoll erscheinen lassen.

Rückzug materialistischer Staatsanalysen

Materialistische Analysen des Ukraine-Krieges, die bei den (imperialen) Interessen der Staaten ansetzen, um die Ursachen zu erforschen und zu erklären, werden vom Mainstream konsequent ignoriert. Vermutlich stehen diese auch an den Universitäten unter Beschuss. Stattdessen sind idealistische Analysen von Staatenbeziehungen auf dem Vormarsch, welche die ideologische Begleitmusik des Ukraine-Krieges zur Haupttriebfeder des Krieges verklären, um die Heimatfront zu stärken.

Diese Tatsache ist an sich kein neues Phänomen und führt nicht zwangsläufig zu einem Rechtsruck im Sinne einer Stärkung der extremen Rechten. Doch unter diesem Denkschema können sich Mystizismus und neue Formen des Irrationalismus leicht ausbreiten. Es stärkt den Teil des deutschen Militarismus, der am laufenden Band Ideologien produziert („feministische Außenpolitik“, „Demokratie vs. Autoritarismus“, „regelbasierte Ordnung“), um der Bevölkerung ihre – in Wahrheit interessengeleitete – Außenpolitik schmackhaft zu machen.

Schwächung der Arbeiter:innenbewegung

Historisch ging eine Stärkung des Militarismus früher oder später einher mit dem Abbau demokratischer Grundrechte und sie ging immer zu Lasten der organisierten Arbeiter:innenbewegung. In Dänemark hat die dortige Regierung jüngst unter Protest der Gewerkschaften beschlossen, einen Feiertag zu opfern, um das dortige Hochrüstungsprogramm zu finanzieren. Das hat Meinungsmacher wie Nikolaus Blome so entzückt, dass er diese arbeitnehmerfeindliche Maßnahme sogleich auch für Deutschland einfordern musste. Sympathien gab es dafür natürlich auch aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion. Es dauerte nicht lange, bis ein hoher Bundeswehr-Funktionär den Vorschlag auf Twitter aufgriff und konkretisierte: Geopfert werden solle in Deutschland der 1. Mai!

Bei der Hochrüstung geht es um mehr als „nur“ um einen Feiertag. Im Zuge der Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst zitierte der SPIEGEL hohe Beamte aus dem Verteidigungsministerium, die sich Sorgen machten über zu hohe Tarifabschlüsse, weil dies die „Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“ schmälern könnte. Nicht nur an der sozialen Front führt die Hochrüstung zu einer Schwächung von gewerkschaftlichen Positionen.

Die Renaissance des deutschen Militarismus hat zu einer Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht geführt. Die Abschaffung der Wehrpflicht war ein zivilisatorischer Fortschritt, denn er bremst den Militarismus dabei, sich in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Wird die Uhr in dieser Frage zurückgedreht, ist der Schritt nicht mehr weit zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Die AfD fordert dies seit Tag 1 ihrer Gründung, aber die Forderung hat auch Fürsprecher in den Reihen von CDU und SPD. Mit Blick ins Geschichtsbuch wissen wir, dass der potentielle Einsatz des Militärs im Inneren für Gewerkschaften nichts Gutes bedeutet. Sei es, weil sich das Militär zum Streikbrechen bestens eignet. Sei es, weil das Militär noch effektiver gegen soziale Proteste vorgehen kann.

Die oben beschriebenen Entwicklungen und Tendenzen werden aus der bürgerlichen Mitte vorangetrieben. Ob sie sich durchsetzen, ist indes nicht ausgemacht. Das hängt von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab und ob es gelingt, die sozialen Kämpfe gegen die wachsende soziale Not mit den Kämpfen gegen die Hochrüstung und für einen Kurswechsel in der Außenpolitik zu verbinden.

Anmerkungen
1 Philipp Fritz/ Dominik Steckel, Mindset LV/BV: Das geistige Rüstzeug für die Bundeswehr in der Landes- und Bündnisverteidigung, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, BAKS-Arbeitspapiere 9/22.