IMI-Standpunkt 2023/007

Die Mär von 70 Jahren Frieden Europa

Friedenspolitisches Denken in Zeiten kriegerischer Geschichtsausblendung

von: Jens Wittneben | Veröffentlicht am: 20. Februar 2023

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Für den Krieg in der Ukraine will die Regierung in Berlin Bürger:innen offenbar eintrichtern,  dass dieser Krieg eine historische Wende darstellt – von einem Europa, in dem mensch angeblich 70 Jahre in Frieden leben konnte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa 1945 – hin zu einem Europa, das sich (einem Opfer gleich) angeblich plötzlich in eine Kriegssituation gezwungen sieht. Diese Erzählung dient der Rechtfertigung weiterer Kriegspolitik in der Ukraine. Ein friedliches Europa hat es meiner Ansicht nach nicht gegeben. Angebliche 70 Jahre Frieden in Europa blenden die historischen Tatsachen aus und verhöhnen die Opfer von Kriegen, Bürgerkriegen und militärischen Interventionen – in Nordirland, dem ehemaligen Jugoslawien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Algerien und Vietnam. Das zeigt ein Rückblick auf Einsätze von Militär durch die Großmächte Frankreich, Großbritannien, Sowjet-Russland und die NATO mit ihrer Führungsmacht USA seit 1945:

Schon ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs trat Frankreich in einen neuen Krieg ein. Die französiche Bevölkerung befand sich de facto von 1940 bis 1962 permanent im Krieg: „Der […] Französische[r] Indochinakrieg [1946 bis 1954 …] war ein Krieg […] zwischen Frankreich und der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Việt Minh), die unter der Führung der vietnamesischen Kommunisten stand. Die französische Seite versuchte, ihre politische Herrschaft in der Kolonie wieder herzustellen.“ (1) Im Anschluss an den Indochinakrieg verlagerte Frankreich sein militärisches Engagement nach Afrika. „Der Algerienkrieg […] war ein bewaffneter Konflikt um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich in den Jahren 1954 bis 1962. Er wurde planvoll von der marxistisch-nationalistischen FLN begonnen, […]. Dem französischen Militär gelang es […], militärisch die Oberhand zu behalten.“ (2)

Auch die Großmacht im Osten Europas, Sowjet-Russland, behauptete ihr Einflussgebiet nach 1945 militärisch, etwa in Ungarn: „Am 23. Oktober 1956 kam es zu einem Volksaufstand, […] eine Mehrparteienregierung […] forderte die parlamentarische Demokratie sowie die Neutralität Ungarns. Der Aufstand wurde jedoch durch die sowjetische Armee blutig niedergeschlagen.“ (3)  Sowjet-Russland griff auch in der Tschechoslowakei militärisch ein. „1968 kam es unter dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Alexander Dubček zum Versuch einer „Vermenschlichung“ des kommunistischen Staates. Der Prager Frühling […] wurde aber von der Sowjetunion […] mit Waffengewalt am 21. August 1968 niedergeschlagen.“ (4)

Ebenso wie Frankreich und Russland hat Großbritannien nach 1945 seine militarisierte Großmachtpolitik fortgeführt. Der Bürgerkrieg in Nordirland „beherrschte die nordirische und britische Politik der Jahre 1969 bis 1998.“ Höhepunkt der Eskalation: „Die Erschießung von 13 unbewaffneten Menschen durch britische Fallschirmjäger bei einer Demonstration in der nordirischen Stadt Derry am 30. Januar 1972, dem Blutsonntag (englisch: Bloody Sunday), verstärkte die Unterstützung großer Teile der katholischen Bevölkerung für die IRA“, der Irisch-Republikanischen Armee, die aus dem Untergrund operierte. (5)

Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Etablierung westlicher Demokratien beispielsweise in Polen und Ungarn griff die NATO in den Bürgerkrieg um Bosnien und Herzegowina ein. Vielleicht Höhepunkt der Eskalation: „Am 21. November 1994 flogen NATO-Kampfflugzeuge einen Angriff auf die Landebahn des Flughafens Udbina in der ‚serbischen Krajina‘ […]. Zwei Tage später wurden auch Raketenstellungen der bosnischen Serben im Raum Bihać bombardiert, nachdem zuvor ein britisches Flugzeug beschossen worden war.“ (6) Auch in die militärische Auseinandersetzung zwischen Serbien und Kosovo griff die NATO ein. „Vom 24. März bis zum 10. Juni 1999 führte die NATO einen Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien mit dem erklärten Ziel, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern. [Die behauptete humanitäre Katastrophe, ein Massenmord an Kosovar:innen, war vermutlich Propaganda und fake news, die auch der damalige Bundesaußenminister Fischer von den Grünen verbreitete. Anm. d. V.] […] Die militärische Kontrolle übernahm – bis heute – die NATO-geführte KFOR-Truppe.“ (6)

Anmekungen

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Indochinakrieg

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Algerienkrieg

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Ungarn#Ostblock,_Ungarnaufstand_und_Wende

(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakei

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Nordirlandkonflikt

(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Jugoslawienkriege