IMI-Standpunkt 2023/003
Papstbesuch erinnert: Grenzziehungen galten mal als Friedenslösung
von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 6. Februar 2023
Unter dem Titel „Zum Abschied eine Friedensbotschaft“ berichtet tagesschau.de über den Abschluss der Afrika-Reise von Papst Franziskus und dessen Besuch im Südsudan. Der Beitrag verweist auch auf die „große Geste“, „mit der Franziskus 2019 im Vatikan dem südsudanischen Präsidenten Salva Kiir Mayardit und dessen früherem Rivalen Riek Machar die Füße küsste, um sie um Aussöhnung anzuflehen“. Eher am Rande wird auch erwähnt, dass es sich beim Südsudan um das „jüngste Land Afrikas“, handelt, „das erst seit 2011 unabhängig ist“.1
Am 9. Juli 2011 hatte der Südsudan mit einer großen Feierlichkeit seine Unabhängigkeit erklärt – und hatte dabei große internationale Unterstützung. Der Spiegel etwa berichtete seinerzeit: „An den Feierlichkeiten nahmen unter anderem Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon und der frühere US-Außenminister Colin Powell teil. Vom Weißen Haus aus erklärte US-Präsident Barack Obama, die USA würden den Südsudan als ‚souveränen und unabhängigen Staat anerkennen‘“. Auch der damalige deutsche Außenminister Westerwelle hatte die Anerkennung durch die Bundesregierung in einer „Glückwunschadresse“ mitgeteilt und Kanzlerin Merkel erklärt: „wir wollen, dass mit dem Nord- und mit dem Südsudan zwei stabile Staaten entstehen“.2
Wenn es um den Südsudan ging, herrschte damals in Deutschland nicht nur große Einigkeit in der schwarz-gelben Koalition und der Berichterstattung, sondern auch mit den Oppositionsparteien Grüne und SPD. Ausdruck dessen war u.a. ein interfraktioneller Antrag vom März 2010, den CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne gemeinsam eingebracht hatten: „Freie und faire Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011 hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbessern“. Das Abkommen CPA, das 2005 v.a. auf westlichen Druck hin zwischen der Regierung des Sudan und Rebellen unterzeichnet wurde und den Weg zur Unabhängigkeit des Südsudan bereitet hatte, wird darin als „entscheidende Voraussetzung für dauerhaften Frieden und Stabilität im gesamten Sudan“ bezeichnet, die jedoch „kein Endpunkt im Friedensprozess“ darstellen solle, „sondern Auftakt zu weiteren Verhandlungen für eine umfassende nachhaltige Friedenskonsolidierung“.3 In die damalige Begeisterung über die Neuziehung von Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent wollten seinerzeit im parlamentarischen Raum allein einige Abgeordnete der Linken nicht so recht einstimmen, die hinter der vom Westen forcierten Abspaltung des ölreichen Südsudan eine „imperialistische“ Politik vermutet hatten. Internationale Widerstände gab es ansonsten v.a. von einigen anderen afrikanischen Staaten, die ihrerseits in ihrer Peripherie mit Unmut und Rebellenbewegungen zu kämpfen haben und mit der Präzedenz des Südsudan ein Aufleben des Sezessionismus auf dem afrikanischen Kontinent befürchteten.
Bereits nach wenigen Monaten versank der neugegründete Südsudan in einem Bürgerkrieg. Insofern ist seine Abspaltung nicht wirklich ein Beispiel für einen gelungenen Friedensprozess. Zugleich ist der jahrzehntelange Bürgerkrieg im Sudan nur an wenigen Punkten mit dem Konflikt im Osten der Ukraine seit 2014 zu vergleichen. Die Binse, dass es bei ersterem auch um „Fragen des Zugangs zu Land, Wasser, Macht und politischer Teilhabe“ gegangen sei, wie der interfraktionelle Antrag feststellt, dürfte allerdings auch für die Ukraine gelten, selbst wenn das in dieser Hinsicht heute keine der beteiligten Fraktionen mehr so ausdrücken würde. Bei allen, oft grundlegenden Unterschieden zwischen den Konflikten um den Südsudan und den Donbas bleibt doch ein auffälliger Kontrast, wie dieselben Akteure in Politik und Medien, die damals die Neuziehung von Grenzen als Friedenslösung betrachtet und begrüßt haben, diese heute kategorisch ausschließen und die Unverhandelbarkeit von Grenzen zu einem Prinzip erhöhen, für das fast alle bereit sind und bereit zu sein haben, bis zum Äußersten zu kämpfen bzw. kämpfen zu lassen.
Übrigens: Während 2011 unter internationalem, v.a. westlichen Jubel der Südsudan seine Unabhängigkeit erklärt und gefeiert hat, war die NATO noch gar nicht so weit davon entfernt dabei, Libyen zu bombardieren und hat damit aus einer Regionalmacht einen gescheiterten Staat gemacht, der bis heute von konkurrierenden Milizen geprägt ist; aus dem Erdöl exportiert wird, aber Menschen unter Negation aller zivilisatorischer Errungenschaften von einer Weiterreise nach Europa abgehalten werden.
Anmerkungen
1 Zum Abschied eine Friedensbotschaft, tagesschau.de vom 5.2.2023.
2 Südsudan zelebriert seine Staatsgründung, spiegel.de vom 9.7.2011.
3 Bundestags-Drucksache 17/1158, https://dserver.bundestag.de/btd/17/011/1701158.pdf.