IMI-Analyse 2023/02
Das Puma-Debakel
Der Pannen-Schützenpanzer und das marode Beschaffungswesen der Bundeswehr
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 10. Januar 2023
Am 14. Dezember 2022 gab der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner letzten Sitzung des Jahres grünes Licht für die ersten größeren Rüstungsprojekte, die aus dem Bundeswehr-Sondervermögen (sprich: den Schulden) von 100 Mrd. Euro bezahlt werden sollen. Als größter Batzen wurden 8,3 Mrd. Euro (mit Folgeaufträgen mindestens 10 Mrd. Euro) für die Anschaffung von F-35 Kampfjets bewilligt. Damit wurde auch der Beibehaltung der Nuklearen Teilhabe und damit der fortgesetzten Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland zugestimmt, obwohl sich bei der F-35 bereits jetzt immense Probleme abzeichnen (siehe Kasten [nur im PDF]).
Noch krasser verhält es sich mit dem Schützenpanzer Puma, der – nicht erst – in den letzten Wochen spektakulär von sich reden machte. Kaum ausgeliefert, musste der Panzer gleich wieder nachgerüstet werden, um den Anforderungen der NATO entsprechen zu können. Und kaum hatte der Bundestag die diesbezüglichen Gelder für die letzte Nachrüstungsmarge am 14. Dezember bewilligt, wurde der ganze Prozess schon wieder auf Eis gelegt, nachdem sich die – nachgerüsteten – Panzer bei einer Übung als Totalausfall erwiesen hatten. Angetreten sei das Projekt mit dem Anspruch, der „modernste und schlagkräftigste Schützenpanzer weltweit“ zu werden, wetterte Welt-Journalist Thorsten Jungholt. Nun sei er „eines der größten Fehlschläge in der Geschichte der deutschen Rüstungsindustrie.“
Im Anschluss an das Debakel begannen Politik, Militär und Industrie sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Doch egal, wer hier am Ende die Hauptverantwortung trägt, die Episode zeigt vor allem einmal mehr, wie hoffnungslos dysfunktional das Beschaffungswesen der Bundeswehr ist. Das hindert die interessierten Akteure allerdings nicht daran, zumindest in einer Sache an einem Strang zu ziehen, nämlich unverdrossen weitere Milliarden zu fordern, um dieses marode System weiter zu befeuern.
Schützenpanzer als Rohrkrepierer
Beim Schützenpanzer Puma handelt es sich um eine der ganz besonderen „Erfolgsgeschichten“ des deutschen Beschaffungswesens: Bis das letzte Exemplar der ersten Bestellmarge („Los“) ausgeliefert wurde, war eine Verspätung von 69 Monaten angehäuft, während die Kosten von ursprünglich 4,3 Mrd. Euro um zusätzliche 1,388 Mrd. Euro deutlich anstiegen.
Neben Verspätungen und Verzögerungen haperte es augenscheinlich auch an der Qualität des Pumas. Jedenfalls wurden bereits 2019 erste Nachrüstungen („Konfigurationsstand S1“) von 40 Exemplaren in Auftrag gegeben, noch bevor das erste Los mit insgesamt 350 Pumas im Juni 2021 vollständig ausgeliefert worden war. Nötig wurde dies, weil der Panzer ansonsten nicht den Anforderungen der Schnellen NATO-Eingreiftruppe (VJTF) entsprochen hätte, deren Führung die Bundeswehr am 1. Januar 2023 übernommen hat.
Mit Auslieferung des ersten Loses erhielten die Konstrukteure Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann im Juni 2021 den Auftrag, für 1 Mrd. Euro weitere 154 der Schützenpanzer auf VJTF-Standard zu bringen. Außerdem wurde eine Option für die Nachrüstung weiterer 143 Puma für 820 Mio. Euro vereinbart, die dann am 14. Dezember 2022 von den Abgeordneten des Haushaltsausschusses bewilligt wurden (allerdings waren die Kosten mittlerweile bereits auf 850 Mio. Euro gestiegen).
Dadurch wurden inzwischen Aufträge zur Nachrüstung von 337 Pumas vergeben, addiert man die 13 Schulfahrzeuge hinzu, für die kein Upgrade vorgesehen ist, war somit das gesamte erste Los nachrüstungstechnisch vermeintlich unter Dach und Fach. Auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums war man zu diesem Zeitpunkt noch sichtlich zufrieden: „143 Schützenpanzer Puma können für rund 850 Millionen Euro auf einen einheitlichen Konstruktionsstand nachgerüstet werden. Mit der Nachrüstung werden alle Puma der Bundeswehr ein einheitliches und einsatztaugliches technisches Niveau erreichen.“ (bmvg.de, 14.12.2022)
Außerdem lag man mit der Auslieferung der für die VJTF-Übernahme vorgesehenen ersten 40 aufgebohrten Schützenpanzer im Februar 2022 im Plan – dachte man zumindest, weshalb auch die Diskussion um die Beschaffung eines zweiten Puma Loses parallel von da ab Fahrt aufnahm.
Rad vs. Kette
Noch bevor das jüngste Debakel seinen Lauf nahm, blies dem Puma sowohl aus dem Parlament wie auch bundeswehrintern teils ein rauer Wind entgegen. Als der Haushaltsausschuss am 11. November 2022 das Bundeswehr-Budget für 2023 genehmigte (50,1 Euro Mrd. plus 8,5 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen), versahen die Parlamentarier die Entscheidung mit einem Maßgabebeschluss, in dem die Skepsis gegenüber dem Puma deutlich zum Ausdruck kam. In ihm wurde die Bundesregierung aufgefordert, „zu prüfen, ob eine Fortführung des 2.Loses PUMA noch Sinn ergibt.“
Lange galt die Anschaffung eines zweiten umfangreichen Puma-Loses als gesetzt, vor allem nachdem dessen Finanzierung aus dem Sondervermögen als gesichert erschien (siehe Bundeswehr-Sondervermögen: Aufrüstung als Konjunkturpaket, Telepolis, 5.6.2022). Im März 2022 war noch die Rede von 229 weiteren Pumas gewesen, eine Zahl, die in den letzten Monaten deutlich nach unten korrigiert wurde. Am 7. Dezember 2022 meldete dann das Fachportal Europäische Sicherheit & Technik (7.12.2022): „Der Umfang eines zweiten Loses des Schützenpanzers Puma fällt offenbar deutlich geringer aus als erwartet. Wie aus dem vorgestern veröffentlichten 16. Rüstungsbericht des Verteidigungsministeriums hervorgeht, soll der Bestand des Schützenpanzers beim Heer bis zum Jahr 2031 von 350 auf 400 Einheiten steigen – ein Plus von lediglich 50 Exemplaren. […] Ursprünglich sollten in einem zweiten Los über 200 Pumas beschafft werden, um die seit den 70er Jahren im Einsatz befindlichen Schützenpanzer Marder, mit dem weiterhin Panzergrenadierbataillone ausgerüstet sind, abzulösen. Zuletzt hatte das Heer einen Bedarf von 111 Pumas angemeldet. Diesem Wunsch wird nun offenbar nicht entsprochen.“
Der nachlassende Enthusiasmus hat dabei nicht nur mit der schier endlosen Pannenserie des Puma zu tun, sondern er ist auch ein Resultat eines Flügelstreits innerhalb des Verteidigungsministeriums, über den in der WirtschaftsWoche (3.6.2022) folgendes nachzulesen war: „Im Kern geht es bei dem Konflikt offenbar um die künftigen Schwerpunkte des Heeres. Bisher setzten die Planer in größerem Umfang auf eine Verteidigung nahe der deutschen Grenzen. Dafür wollten sie neben den schweren Leopard-2-Kampfpanzern vor allen gut geschützte Puma-Schützenpanzer. […] Angesichts der wachsenden Bedeutung schneller Eingreiftruppen im Rahmen der Nato und den Erfahrungen im Ukrainekrieg drängt nun offenbar Heeresinspekteur Alfons Mais auf mehr mobile Kampfverbände. Diese sollen wie die US Army vor allem Kampfwagen mit Radantrieb nutzen, weil die wegen ihres geringeren Gewichts schneller verlegt werden können als Kettenfahrzeuge.“
Die Probleme des Puma in Kombination mit dem Bedeutungszuwachs beweglicher Kräfte dürften zur Folge gehabt haben, dass die Stückzahl des zweiten Puma-Loses immer weiter sank und stattdessen wohl vermehrt Radpanzer des Typs Boxer angeschafft werden sollen. Außerdem dokumentierten die Abgeordneten des Haushaltsausschusses mit einem weiteren Maßgabebeschluss, diesmal zur Freigabe der Gelder für die Nachrüstung weiterer 143 Pumas am 14. Dezember 2022, erneut ihren Unmut: „Vor Einbringung einer 25 Mio. Euro Vorlage zur Beschaffung weiterer SPz PUMA 2. LOS, ist zu prüfen und sicherzustellen, dass die Maßgaben erfüllt sind und alle SPz PUMA 1. Los angemessen umgerüstet werden.“ (Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vom 14.12.2022)
Das Geld für die Nachrüstung der Panzer wurde also zwar freigegeben, aber weitere Mittel für ein zweites Puma-Los sollen nur bewilligt werden, wenn die aufgebohrten Exemplare auch wirklich reibungslos funktionieren.
Totalausfall – Totalstopp
Nur wenige Tage nach Freigabe der Puma-Gelder platzte die Bombe in Form eines von Spiegel Online am 17. Dezember 2022 veröffentlichten Schreibens von Generalmajor Ruprecht von Butler an seinen Chef, den Inspekteur des Heeres. Butler ist Kommandeur der 1. Panzerdivision, zu der auch die Panzergrenadierbrigade 37 aus Frankenberg gehört, die seit Januar 2023 den Kern der VJTF-Truppe der Nato stellt.
Genau für diese Aufgabe waren die im Februar 2022 ausgelieferten ersten 40 auf VJTF-Standard aufgebohrten Pumas vorgesehen, von denen kurz zuvor 18 in einer wohl nicht einmal sonderlich anspruchsvollen Übung getestet worden waren. Das Ergebnis lässt sich dem Brief Butlers entnehmen – ebenso wie dessen Verärgerung: „Von 18 einsatzbereiten Schützenpanzern, mit der die Kompanie begonnen hatte, sank die Einsatzbereitschaft während der letzten acht Ausbildungstage auf 0 Schützenpanzer. […] Sie können sich vorstellen, wie die Truppe die Zuverlässigkeit des Systems Puma nun bewertet. […] Mit der üblichen Zuverlässsigkeit [sic] deutscher Landfahrzeuge ist dies nicht zu vergleichen, und wir sprechen hier über Fahrzeuge, die wir mit erheblichen [sic!] Kostenaufwand auf einen anderen – vermeintlich – zuverlässigeren Stand gebracht hatten. Dies ist gerade auch für die mir unterstellte Truppe belastend.“ (Generalmajor Ruprecht von Butler, Spiegel Online, 17.12.2022)
Ursächlich für die Probleme sei die komplexe Elektronik gewesen, auch Kabelbrände wären aufgetreten. Es werde nun Monate dauern, bis die Pumas wieder am Start wären – und das eben zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eigentlich für die VJTF zur Verfügung stehen sollten. Er sehe sich deshalb gezwungen, so Butler in seinem Schreiben, für die VJTF nun auf die jahrzehntealten Marder zurückzugreifen. Generell sei die Einsatzfähigkeit der Pumas inzwischen zu einem „Lotteriespiel“ geworden, so Butlers Fazit.
Kurz darauf wurden erste Konsequenzen aus dem Debakel gezogen: „Verteidigungsministerin Lambrecht erklärte nicht nur, dass die für kommendes Frühjahr geplante Bestellung weiterer Schützenpanzer dieses Typs vorerst zurückgestellt werde. Auch die vom Haushaltsausschuss des Bundestages erst in der vergangenen Woche freigegebenen Gelder für eine Nachrüstung der bereits beschafften Pumas sollen vorerst nicht genutzt werden: Der entsprechende Vertrag, hieß es aus dem Ministerium, werde zunächst nicht gezeichnet.“ (Thomas Wiegold, TableSecurity, 20.12.2022)
Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die Zusage gerissen worden, für die VJTF-Übernahme im Januar 40 funktionierende Schützenpanzer auf NATO-Standard einspeisen zu können. Auch die von Deutschland zugesagte schwere Division mit 266 Puma-Schützenpanzern mit VJTF-Standard dürfte sich kaum rechtzeitig bereitstellen lassen – zumal der diesbezügliche Zeitplan von 2027 auf 2025 nach vorne gezogen wurde. Der Welt-Journalist Thorsten Jungholt glaubt jedenfalls nicht mehr daran: „Wie das jetzt noch gelingen soll, ist das Geheimnis des Verteidigungsministeriums.“
Die angedrohte Beendigung des Puma-Projekts hätte jedenfalls erhebliche Folgen für die deutschen NATO-Zusagen gehabt: „Aus dem Puma-Projekt auszusteigen hätte massive Auswirkungen auf die Bundeswehr – finanziell und strukturell. Bis 2025 haben Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn der Nato eine voll einsatzbereite Division mit rund 30.000 Soldaten zugesagt. Der Puma wäre wesentlicher Bestandteil und schon zuvor gab es erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Projektes. […] Ein Puma-Kaufstopp hätte damit unmittelbar zur Folge, dass Deutschland eines seiner zentralen Nato-Versprechen nicht einhalten könnte.“ (tagesschau.de, 20.12.2022)
Pikante Details
Tage nach den Puma-Ausfällen drangen weitere Details an die Öffentlichkeit. So etwa dass der Rechnungshof laut FAZ (26.12.2022) bereits im September 2022 forderte, die Nachrüstung sowie den Ankauf weiterer Schützenpanzer bis auf weiteres auszusetzen: „Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat die Nachrüstung von 143 Schützenpanzern Puma Mitte Dezember trotz grundsätzlicher Bedenken des Rechnungshofes durch den Bundestag gebracht. Der Bundesrechnungshof hatte laut der Abstimmungsvorlage am 2. September 2022 in einer Prüfmitteilung empfohlen, ‚die Vertragsverhandlungen abzubrechen, da weder die Vorgaben des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (HHA) umgesetzt seien, noch das System eine technische Reife aufweise, die eine Folgebeschaffung rechtfertigen würde‘.“ (FAZ, 26.12.2022)
Ungeachtet dessen habe das Verteidigungsministerium dem Puma gegenüber dem Haushaltsausschuss nichtsdestotrotz die „technische Reife“ attestiert und so den Weg für die Freigabe der 850 Mio. Euro zur Nachrüstung des restlichen ersten Loses freigemacht, so die FAZ weiter. Das wollte das Verteidigungsministerium so nicht auf sich sitzen lassen, allerdings kam dessen „Entgegnung“ am 27. Dezember 2022 doch recht flapsig daher: „Wir haben die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 2022 zur Kenntnis genommen und nehmen jede Bemerkung sehr ernst.“
Auch der zeitliche Ablauf der „Schadensmeldung“, wie er von der FAZ (23.12.2022) beschrieben wird, wirft einige Fragen auf: „Am Morgen vor der Sitzung brannte beim Heer aber schon die Luft. Gerade war die Nachricht von den kaputten Schützenpanzern eingetroffen. Generalmajor Ruprecht von Butler, Kommandeur der 10. Panzerdivision, rief vormittags Johann Langenegger an, den stellvertretenden Inspekteur des Heeres. Ein nicht ganz gewöhnlicher Vorgang, wie manche sagen. […] Parlament und Ministerin wurden offenbar erst einmal nicht informiert, und so bewilligte der Haushaltsausschuss wenige Stunden später die 850 Millionen für die Modernisierung.“
Beweisen lässt es sich nicht, aber die Vermutung liegt nahe, dass man die heiklen Informationen bezüglichen der ausgefallenen Pumas erst einmal unter Verschluss halten wollte, bis die entsprechenden Gelder bewilligt worden waren. Dies zumindest legt auch der zuvor zitierte FAZ-Artikel (23.12.2022) nahe: „‘Ein guter Tag für die Bundeswehr‘ sei das, sagte Lambrecht [zur Freigabe der Gelder im Haushaltsausschuss], bevor sie in den Regierungsflieger nach Afrika stieg. Die Zeitwende werde nun ‚mit Leben‘ gefüllt. Sie wollte ihr schwieriges erstes Jahr als Verteidigungsministerin mit einem Erfolg beschließen. Und der Puma sollte Teil dieser erfolgreichen Bilanz sein.“
Sturm im Wasserglas?
Nachdem allerdings der schonungslos offene „Schadensbericht“ über die Puma-Ausfälle Spiegel Online zugespielt worden war, ließ sich die ganze Angelegenheit beim besten Willen nicht mehr verheimlichen. Schnell versuchten sich darauf hin Industrie, Politik und Militär gegenseitig die Schuld für die Puma-Misere in die Schuhe zu schieben: „An der Spitze der Bundeswehr, im Ministerium und bei der Industrie hieß es jetzt: Rette sich wer kann. Alle kämpften gegen alle, die Stimmung war zum Zerreißen gespannt, und immer noch hatte man kein vollständiges Bild über die wirkliche Schadenslage. […] Am Montagabend dann hatte die Ministerin ihre Linie gefunden. Der Tagesbefehl hieß: Angriff auf die Industrie, auf die Hersteller des Puma, Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. Abends im Heute-Journal ging Lambrecht in die Offensive. ‚Die Industrie ist in der Pflicht‘, sagte sie. Bevor sich der Puma nicht als stabil erweise, werde es keine neuen Bestellungen geben. ‚Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen oder ihn eben abbrechen, wenn es sein muss.‘ Am Tag darauf begann der Gegenangriff. Mehrere Vertreter der betroffenen Unternehmen begannen sich in vertraulichen Gesprächen zu wehren. Das erste Argument aus der Industrie: Hier werde von Politik und Militär ein ‚Riesenbuhei‘ um Lappalien gemacht. Zwar sei die Untersuchung noch im Gang, aber eines sei jetzt schon klar: Die meisten der angeblich havarierten Pumas hätten nur Bagatellschäden gehabt.“ (FAZ, 23.12.2022)
Als Reaktion auf die Anschuldigungen der Ministerin lies die Industrie in „internes“ Papier durchsickern, derzufolge die Schuld beim Militär liege: „Sowohl die Truppe als auch die Industrie versuchen nun fieberhaft, den Grund für den Massenausfall festzustellen. Bei der Fehlersuche, so heißt es in einem internen Protokoll der Industrie, deute einiges auf Probleme bei der Truppe hin: Die Einheit habe weder die nötigen Ersatzteile mit in diese Übung genommen noch ausreichend Sonderwerkzeug. Die bereitstehende Hilfe der Herstellerfirmen sei nicht angefordert worden.“ (Thomas Wiegold, TableSecurity, 20.12.2022)
Außerdem handele es sich bei den Problemen überwiegend um „Kleinstschäden“, das Ganze sei lediglich ein „Sturm im Wasserglas“, wie der Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, Armin Papperger, monierte. Und tatsächlich meldete das Handelsblatt kurz vor Jahresende 2022, 17 der 18 defekten Panzer seien wieder instand gesetzt. Allerdings müssten die Pumas nun zum „Panzer-TÜV“ und stünden erst einmal für einen längeren Zeitraum nicht zur Verfügung: „Die 18 Puma sollen nach dem Pannen-Check nun direkt die Hauptuntersuchung durchlaufen. Diese werde weitere Zeit in Anspruch nehmen, hieß es in den Kreisen. Ab März sollten die Schützenpanzer der Bundeswehr dann wieder zur Verfügung stehen.“ (Handelsblatt, 30.12.2022)
Lambrecht angezählt – Kommando zurück!
Trotz aller Versuche, das Ganze als Lappalie darzustellen, schlussendlich standen die nachgerüsteten Pumas nicht für eine Verwendung in der VJTF zur Verfügung, die Bundeswehr musste also auf Marder-Schützenpanzer zurückgreifen. Dennoch ging die Industrie schnell dazu über, systematisch gegen die „ungerechtfertigten“ Anschuldigungen der Verteidigungsministerin Stimmung zu machen, während in den Medien mal offen mal verdeckt ihr Kopf gefordert wurde. Besonders nach ihr in der Tat missglücktes, aber vergleichsweise harmloses Neujahrsvideo, das zu einem waschechten Skandal aufgebauscht wurde, wirkte Lambrecht sichtlich angezählt.
Noch am 2. Januar 2023 hieß es in der Wirtschafswoche, Lambrecht habe ihren Laden nicht im Griff und wolle davon ablenken, indem sie der Industrie ungerechtfertigt die Schuld für diverse Pannenserien in die Schuhe schieben wolle: „‘Die Ministerin muss die Probleme in ihrem Haus aktiv benennen und auch gegen Widerstände durchsetzen‘, sagt Christian Mölling, Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er sieht den ‚Radikalumbau‘ als letzte Möglichkeit für Lambrecht. Nur so könne die Ampelregierung sicherstellen, bis 2025 der Nato verlässlich eine versprochene vollausgestattete und einsatzbereite Heeresdivision bereitstellen zu können. Nur so lasse sich auch ein dauerhaftes Engagement für die Ukraine garantieren. […] Anstatt aber im Ministerium aufzuräumen, zeigt Lambrecht lieber auf andere. Deutsche Waffenhersteller etwa sind verärgert, weil sie immer wieder als Sündenböcke herhalten müssen.“
Auch hier lässt sich schwer beurteilen, ob es mit der Schärfe der Angriffe zu tun hatte, die im Vorfeld auf die Ministerin niederprasselten, jedenfalls wurde der Ton des Ministeriums gegenüber dem Puma in einem Sachstand vom 4. Januar 2023 dann schlussendlich wieder deutlich entschärft. Vor allem die zuvor im Raume stehende grundsätzliche Abkehr von diesem System war erst einmal wieder ebenso vom Tisch, wie die zuvor verkündete Aussetzung der Nachrüstung des ersten Loses auf den VJTF-Standard – ein zweites Los könne allerdings erst beschlossen werden, sollten sich die nachgerüsteten Puma bewährt haben. Konkret heißt es im „Sachstand beim Schützenpanzer Puma“ dazu: „Grundsätzlich ist der Puma ein leistungsfähiger Schützenpanzer und verfügt über die Fähigkeit, der Truppe im Gefecht Wirkungsüberlegenheit zu verschaffen. […] Aktuell werden 150 Puma des 1. Loses auf den verbesserten Konstruktionsstand ‚S1‘ gebracht. Zusätzlich wird das technisch-logistische Konzept der Truppe weiter ausgestaltet. Die Wirksamkeit der Maßnahmen sind Voraussetzung für die Auslösung weiterer Nachrüstoptionen oder die Beauftragung des 2. Loses.“
Marodes Beschaffungswesen
Am Ende des Liedes bleibt vor allem, dass der Schützenpanzer viele Jahre zu spät und viel teurer als geplant ausgeliefert wurde, dann für teuer Geld aufgerüstet werden musste, um für die VJTF überhaupt zu taugen und am Stichtag war der Panzer dann trotzdem gegen die Wand gefahren: Für die Führung der VJTF greift die Bundeswehr nun seit Januar 2023 auf 28 Marder-Schützenpanzer zurück. Doch egal, wer am Ende die Hauptverantwortung in diesem Fall trägt, wahrscheinlich ein Mix aus allen beteiligten Akteuren, die jüngsten Puma-Pannen sind vor allem symptomatisch für das insgesamt hoffnungslos dysfunktionale Beschaffungswesen der Bundeswehr, das bereits seit Jahren in der Kritik steht. Zuletzt kam im Mai 2022 eine im Auftrag von Greenpeace angefertigte Studie zu dem Ergebnis, diverse Probleme beim Beschaffungsprozess würden Mehrkosten zwischen 35% und 54% verursachen. In schöner Regelmäßigkeit dokumentiert auch die Bundeswehr ihr Scheitern bzw. das ihres Beschaffungswesens in Form von halbjährlich erscheinenden Rüstungsberichten. Darin legt das Ministerium vor allem Zeugnis über den Stand, die Verspätungen und die Kostensteigerungen der wichtigsten Bundeswehr-Großprojekte ab. Im letzten Anfang Dezember 2022 erschienenen Bericht ließ sich nachlesen, dass die untersuchten Rüstungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von 68,8 Mrd. Euro dem ursprünglichen Zeitplan im Schnitt 27 Monate hinterherhinken würden und dabei insgesamt rund 12 Mrd. Euro teurer seien als anfangs geplant.
Auf den ersten Blick weichen diese neuen Zahlen erheblich vom Frühjahrsbericht 2022 ab: Demgegenüber sind sowohl die Verzögerungen (48 Monate) als auch die Kostenüberschreitungen (16,9 Mrd. Euro) deutlich gesunken. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass diese Werte vor allem darauf zurückzuführen sind, dass einige der spektakulärsten Rohrkrepierer nach Auslieferungsende aus der Statistik gefallen sind. Neben dem Puma haben der Bundeswehr zum Beispiel auch der nun nicht mehr aufgelistete Transporthubschrauber NH90 (Mehrkosten: 1,343 Mrd. Euro; Verzögerung: 134 Monate) und die Fregatte F125 (1,258 Mrd. Euro; 56 Monate) über Jahre die Pannenstatistik verhagelt. Die neu aufgenommenen Projekte (F-126, U212, PEGAUS…) befinden sich noch in ihren Anfängen und hatten somit bislang noch wenig Gelegenheit, um signifikante Verzögerungen und Mehrkosten zu verursachen.
Wie beschrieben, wird sich der Bundeswehr-Haushalt im kommenden Jahr auf 50,1 Mrd. Euro plus 8,5 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen belaufen. Davon sollen nach aktuellen Planungen 2023 insgesamt 71 große Rüstungsprojekte (25-Mio-Euro-Vorhaben) beschlossen werden. Dementsprechend schnellen auch die Rüstungsinvestitionen in die Höhe: Von vergleichsweise moderaten 4,181 Mrd. Euro (2017) stiegen sie bereits auf 7,652 (2021) und 9,933 (2022) deutlich an, nur um dann mit 16,211 (2023) und anschließend mindestens 22 Mrd. Euro (2024) richtig zu explodieren. Nichts deutet aber darauf, dass der marode Beschaffungsapparat in der Lage sein wird, solch gigantische Steigerungen absorbieren zu können. Im vorigen Jahr wurde beispielsweise erneut ein „mittlerer dreistelliger Mio-Betrag für Beschaffung mangels Kapazitäten im Beschaffungsprozess nicht
abgerufen.“ (griephan-Briefe, Nr. 001/23)
Außerdem gibt es wenig Hinweise, dass Politik, Militär und Industrie künftig in der Lage sein werden, das Problem in absehbarer Zeit in den Griff zu bekommen. Anfang Januar 2023 wurde etwa über ein 63seitiges „Reformpapier“ des Verteidigungsministeriums berichtet, das in den Medien unisono als vollkommen unzureichend kritisiert wurde. „Lustlos, ideenlos, widersprüchlich“, lautete etwa das vernichtende Urteil in der Welt (6.1.2023). Die Zeitung zitierte aus dem Papier selbst, in dem frank und frei eingeräumt wurde, die insgesamt rund 200 Vorschläge würden allenfalls kleine Verbesserungen bringen. Der Reformbedarf sei „grundlegend, vielfältig und gewaltig“, das Maßnahmenpaket „nicht ausreichend, um die Verkrustungen von Jahrzehnten auszubrechen“.
Insofern sind weitere Pleiten, Pech und Pannen bereits vorprogrammiert. Das sollte vielleicht auch denen zu denken geben, die trotz – und teils sogar wegen – der jüngsten Probleme weiter reflexhaft nach immer mehr Geld rufen, um diesen dysfunktionalen Apparat weiter zu befeuern – tut es aber nicht.