IMI-Standpunkt 2022/035- in: Telepolis, 3.9.2022

Indopazifik: Verstetigung der deutschen Militärpräsenz

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 5. September 2022

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Spätestens seit 2019 ist auch Deutschland auf einen deutlich konfrontativeren Kurs gegenüber China eingeschwenkt (siehe Dunkle Sturmwolken). Seither erhöht die Bundeswehr auch Schritt für Schritt ihre militärische Präsenz im Indo-Pazifik, dessen Kontrolle als Schlüssel zur Eindämmung Chinas gilt. Erst wurde letztes Jahr die Fregatte Bayern losgeschickt, kürzlich waren es dann sechs Eurofighter nebst weiterem Gerät – im kommenden Jahr soll jetzt ein ganzer Flottenverband entsendet werden, wie nun berichtet wird. Das Ziel sei eine „Verstetigung“ der deutschen Militärpräsenz in der Region, wodurch Berlin seinen Hut in den Ring der dortigen Machtkonflikte werfen will.

Flagge per Fregatte

Man wolle im „Systemwettbewerb“ mit China „Flagge zeigen“ im Kampf um die „regelbasierte Ordnung“, mit diesen Worten kündigte die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Grundsatzrede im November 2020 die Entsendung einer Fregatte in die Region an. Allerdings ist es mit diesen „Regeln“ so eine Sache – schließlich ist es zentral, wer die Regeln aufstellt, auslegt und wer darüber entscheidet, wer sie brechen darf und wer eben nicht. Eine kluge Analyse zur Situation im Indo-Pazifik und zur Verwendung dieser Begrifflichkeit kam vor einiger Zeit aus dem GIGA-Institut:

„Die regelbasierte Ordnung symbolisiert das gemeinsame Interesse einer vielfältigen Gruppe mächtiger Staaten, den chinesischen Einfluss einzudämmen. Dies verkompliziert die Frage, um welche gemeinsamen ‚Werte‘, ‚Regeln‘ und Vorstellungen von ‚Ordnung‘ es geht. Die immer breitere Nutzung der ‚regelbasierten Ordnung‘ hat auch dazu geführt, dass die Politik beschönigt, dass sie selbst Teil des Ringens um neue Einflusssphären war und es vorantreibt.“

Überdeutlich wird der instrumentelle Umgang mit den „Regeln“ am Beispiel Diego Garcia, das sich Großbritannien 1965 völkerrechtswidrig unter den Nagel gerissen hat. Trotz eines Schiedsspruchs des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und einer Resolution der UN-Vollversammlung weigert sich das Land, die Chagos-Inseln, zu denen Diego Garcia gehört, zurückzugeben. Der Grund sind die dort befindlichen britischen und amerikanischen Militärbasen, die zentral für die Machtprojektion in der Region sind (siehe Der amerikanisch-britische Stützpunkt Diego Garcia verstößt gegen das Völkerrecht).

Vor diesem Hintergrund hatte es einen mehr als faden Beigeschmack, dass die Fregatte Bayern auf ihrer Indo-Pazifikfahrt zum Schutz der regelbasierten Ordnung zwischen August 2021 und Februar 2022 ausgerechnet auch auf Diego Garcia Halt machte. Selbst der regierungsnahen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ fiel die diesbezügliche „Doppelmoral“ auf:

„Diego Garcia, die größte Insel des Chagos-Archipels im Indischen Ozean, gehörte einst zur britischen Inselkolonie Mauritius. Im Jahr 1965 wurde sie völkerrechtswidrig zu einer separaten Verwaltungseinheit umgewandelt, um dort den Bau eines britischen Militärstützpunktes zu ermöglichen. […] Bleibt es bei der geplanten Route, ließe sich mit Blick auf die Verteidigung der regelbasierten Ordnung und des internationalen Rechts eine gewisse Doppelmoral kaum von der Hand weisen. Aus der offenen Weigerung Londons, der UN-Resolution und dem IGH-Urteil Folge zu leisten, folgt, dass durch Besuche des Archipels der völkerrechtlich mindestens problematische Status quo wenn nicht offen unterstützt, so doch de facto akzeptiert würde. Zudem würde dem chinesischen Narrativ einer selektiven Auslegung der aus Sicht Pekings ohnehin westlich-dominierten internationalen Ordnung Vorschub geleistet. In einer Zeit, in der im Kontext der sich weiter verschärfenden sino-amerikanischen Großmächterivalität internationale Normen und Regeln zunehmend in Frage gestellt werden, ist all dies sicherlich nicht im strategischen Interesse Deutschlands.“ (Heiduk, Felix: Eine heikle Mission: Die Fregatte »Bayern« zeigt Flagge im Indopazifik, SWP, 12.8.2021)

Manöver mit Eskalationspotenzial

Neben den Konflikten um Taiwan sind es besonders unterschiedlichste Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, die zur brisanten Konfliktkonstellation beitragen. Die USA pochen dabei darauf, recht umfassende chinesische Ambitionen mit sogenannten „Manövern zur Freiheit der Schifffahrt“ (FONOPs) zu konterkarieren. Von diesen Fahrten geht ein erhebliches Eskalationspotenzial aus, nicht zuletzt, weil Peking in ihnen, nicht völlig zu Unrecht, wiederum wenig verdeckte Versuche erblickt, den US-Einfluss in der Region auf seine Kosten auszubauen:

„Solche Fahrten bergen allerdings immer die Gefahr einer Gegenreaktion und können Anlass für Zwischenfälle auf See und in der Luft sein. […] Die durch amerikanische Schiffe seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten ‚Freedom of Navigation‘-Einsätze haben vor allem in den letzten Jahren im Zeichen sich anbahnender Großmachtrivalitäten im Indo-Pazifik den Beigeschmack amerikanischer Machtprojektion gegenüber China bekommen.“ (Swistek, Göran: Quadratur des Kreises im Indo-Pazifik. Sicherheitspolitische Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien, SWP-Aktuell, März 2021, S. 5 und 7)

Aus chinesischer Sicht überdehnen die westlichen Staaten das, was unter der Freiheit der Meere verstanden werden kann, mit ihren Militärmanövern erheblich. Deshalb handelt es sich bei derlei Übungen um ein Spiel mit dem Feuer, da China mit Maßnahmen reagiert, die das Risiko weiter erhöhen. Der US-Politikprofessor Michel T. Klare schreibt:

„Auf derart provozierende Manöver der US-Marine antwortet das chinesische Militär, die Volksbefreiungsarmee (PLA), in der Regel herausfordernd mit eigenen Schiffen und Flugzeugen. […] Häufig entsendet die chinesische Seite ein oder mehrere eigene Schiffe, die das amerikanische Schiff – um die Sache so höflich wie möglich zu gestalten – aus dem Gebiet herauseskortieren. Diese Begegnungen haben sich manchmal als äußerst gefährlich erwiesen, insbesondere wenn die Schiffe nahe genug aneinander gerieten, als dass es zu einem Kollisionsrisiko kam.“ (Klare, Michael T.: In den Krieg hineinstolpern? in: Luxemburg, Mai 2021)

Auch einige Zeit nach Beendigung der „Bayern-Fahrt“ wurde bekannt, dass es dabei zu einem Zwischenfall kam, der zwar klein und glimpflich ablief, das Eskalationspotenzial derartiger Manöver aber zusätzlich untermauert:

„Die Fahrt der Fregatte Bayern im Indo-Pazifik, die im vergangenen August begann und im Januar endete, verlief nicht so reibungslos wie bisher angenommen. So sollen chinesische Fischerboote das Schiff zeitweise bedrängt und mit Scheinwerfern angestrahlt haben. […] Ziel der Reise war es, die Geltung der bestehenden völkerrechtlichen Regeln, insbesondere das Recht auf freie Navigation, zu unterstreichen sowie Kontakt zu regionalen Partnern, wie Australien, Japan oder Südkorea zu suchen.“ (Europäische Sicherheit & Technik, 24. Mai 2022)

Dennoch gab es bereits vor Rückkehr der Fregatte Bayern Spekulationen über Pläne für eine maritime Dauerpräsenz in der Region – sogar über die Einrichtung einer quasi-Militärbasis scheint nachgedacht zu werden:

„Die Marine will schon ab 2023 einen regelmäßigen Einsatz im Indo-Pazifik absolvieren. […] Mit Partnern in der Region und in Singapur sei man über die Einrichtung eines temporären logistischen Zentrums (‚logistic support hub‘) im Gespräch, mit dessen Hilfe die logistische Betreuung vereinfacht würde.“ (Böge, Frederike: Deutsche Marine verstärkt Engagement im Indo-Pazifik, FAZ, 22.12.2021)

Pitch Black – Eurofighter

Bevor die Bundeswehr ihre maritimen Pläne für den Indo-Pazifik weiter konkretisierte, war erst einmal die Luftwaffe dran – und zwar in Form der Manöver „Pitch Black 22“ und „Kakadu 22“. Beiden Manövern vorgeschaltet war „Rapid Pacific 22“, mit der die Bundeswehr sechs Eurofighter (sowie vier A-400M und drei A330 Multi Role Tanker) am 15. April 2022 innerhalb von 24 Stunden über eine Distanz von über 12.000km nach Singapur verfrachtete. Anschließend ging es dann weiter zur Teilnahme an den beiden besagten Übungen:

„Bei der Luftkampfübung Pitch Black werden die Eurofighter mit den internationalen Partnern in größeren Formationen Luftangriffe und Verteidigung üben. Die Eurofighter werden dabei in der Luft-Luft- und Luft-Boden-Rolle eingesetzt. Bei der multinationalen Seekampfübung Kakadu schützen die Partner darüber hinaus Schiffe aus der Luft. Rund 250 Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe sind beteiligt.“ (bundeswehr.de, 25.8.2022)

Sei es, um die USA in ihren Bemühungen zur militärischen Eindämmung Chinas zu unterstützen, sei es um auf eigene Rechnung den eigenen Interessen „besser“ Nachdruck verleihen zu können, in jedem Fall handelt es sich hier um einen weiteren Schritt zum Ausbau der deutschen Militärpräsenz in der Region. Recht ungeschminkt wird zum Beispiel Oberst a.D. Ralph Thiele zu Deutschlands Interessen im Zusammenhang mit der Luftverlegung mit folgenden Worten zitiert:

„Ja. Deutschland muss überall verteidigt werden. Im Outback, im Weltraum und im Cyberraum. Denn direkt vor unserer Tür steht ja zum Glück keiner. Gleichzeitig hat sich in Asien ein Wahnsinnsmarkt aufgebaut, von dem unser Wohlstand abhängt. Da verdienen wir unsere Renten- und Krankenversicherung. Der Gedanke, dass das vollkommen zerklüftete Sicherheitssystem im indopazifischen Raum für uns unwichtig ist, ist komplett abwegig. Wir haben ein Interesse daran, dass in Asien zivilisiert miteinander umgegangen wird. Deshalb muss die Bundeswehr auch mal dahingehen. Und das machen wir gerade in einem ersten Schritt.“ (Rhein-Zeitung vom 26.08.2022)

Verstetigte Militärpräsenz

Die Verlegung der Eurofighter demonstriere die „verstetigte Präsenz der Bundeswehr“, die „in den kommenden Jahren fortgeführt“ werde, meldet die Truppe. Anschließend ist erstmals auch das Heer dran und die Marine soll gleich mehrere Schiffe entsenden, kündigte Generalinspekteur Eberhard Zorn nun an:

„Im kommenden Jahr wird sich das Heer an einer Übungsserie mit unseren Wertepartnern in Australien beteiligen. […] Die Marine wird ebenso in den Indo-Pazifik zurückkehren, aber diesmal mit einem Flottenverband, bestehend aus mehreren Schiffen. […] Wir wollen mit unserer Präsenz niemanden provozieren, aber auch ein klares Signal der Verbundenheit an unsere Wertepartner senden“, sagte der General und fügte hinzu: „Wir treten für die Freiheit der Seewege und die Wahrung internationaler Normen ein.“ (FAZ, 31.8.2022)

Die Großmachtkonkurrenz nimmt unübersehbar an Schärfe immer weiter zu – ob es allerdings dazu beiträgt, weitere Eskalationen zu verhindern, wenn wie auf Autopilot lediglich mehr Militär als einzige Option in Frage zu kommen scheint, darf getrost bezweifelt werden – das Gegenteil dürfte der Fall sein.