IMI-Standpunkt 2022/033

„Wertepartnerschaft“ über Völkerrecht

Baerbock gibt gegenüber Marokko bezüglich West-Sahara klein bei

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 31. August 2022

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In ihrem Versuch, neben den Verlängerungen von Kohlekraftwerken und Investition in Flüssiggasinfrastruktur auch kleine Erfolge im grünen Energiebereich zu erringen, genehmigte sich Außenministerin Annalena Baerbock mal wieder Blüten der Doppelmoral und wendete sich zudem vom Völkerrecht ab. Denn um Projekte zur Förderung grünen Wasserstoffs in Marokko wieder in Gang zu bringen, lenkt man gegenüber Marokko in der Frage der Westsahara ein.

Nachdem das Königreich Marokko im Dezember 2020 gegen einiges an Gegenwind aus der eigenen Bevölkerung diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahm und im Gegenzug Donald Trumps Anerkennung für die Hoheit über die besetzte Westsahara zugesichert bekam, startete das Königreich eine (recht un-)diplomatische Offensive, um internationale Akzeptanz für ihre Souveränität über die Westsahara, die es zu zwei Dritteln besetzt hält, zu sammeln. Diese bestand u.a. darin, Druck auf Spanien und Deutschland, auszuüben.

Letzte Kolonie Afrikas

Die ehemalige Kolonialmacht Spanien hatte die Westsahara erst 1976 als vorletztes Land in Afrika in die Unabhängigkeit entlassen. Die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario musste sich jedoch nach dem Abzug der Spanier direkt mit den mauretanischen und marokkanischen Truppen befassen, die von beiden Seiten einfielen. In den folgenden Jahren nahm Marokko zwei Drittel des Landes ein, das hauptsächlich aus Wüste mit einigen Oasen besteht aber auch über die größten Phosphat-Vorkommen der Welt verfügt.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) verabschiedete mehrere Resolutionen zur West-Sahara. Zu Beginn forderten diese eine Entkolonialisierung der Sahara von den Spaniern, später von Marokko ein Referendum über die Unabhängigkeit. Dieses wird von Marokko jedoch blockiert. Es will nur die Autonomie zur Abstimmung geben, nicht eine tatsächliche Unabhängigkeit. Jedoch hatte der Internationale Gerichtshof schon vor dem Einmarsch jegliche Ansprüche Marokkos und Mauretaniens für ungültig erklärt. Spanien und Deutschland waren unter den westlichen Verfechtern des durch die VN mandatierten Vorgehens – obwohl auch diese Länder an der Verabschiedung eines Assozierungsabkommens zwischen Marokko und der EU beteiligt waren, welches später vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurde, weil es Produkte aus der Westsahara mit einschloss.

Besatzung, Ausbeutung, Migrationskontrolle, Erpressung

Spanien bekam Marokko recht leicht weich geklopft. Als Antwort auf eine Corona-Behandlung des von Marokko gesuchten POLISARIO-Anführers Brahim Ghali in einem spanischen Krankenhaus reduzierte Marokko im Mai 2021 den Grenzschutz zu den spanischen Enklaven auf dem nordafrikanischen Festland und ließ dadurch rund 10 000 Asyl suchende Menschen in die EU einreisen. Kurz darauf nannte Sanchez den marokkanischen Autonomieplan für die Westsahara die „ernsthafteste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage für eine Lösung des Konflikts“ – ein eindeutiger Seitenwechsel.

Die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland wurden von Marokko im Frühjahr 2021 einseitig heruntergefahren. Äußerungen des ehemaligen Außenministers Heiko Maas und das Hissen der sahrauischen Fahne am Bremer Rathaus hatte die marokkanischen Behörden so verärgert, dass diese ihren Botschafter aus Berlin zurück beriefen und Kontakte zur deutschen Botschaft in Rabat, aber auch zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (giz) auf Eis legten. Gemeinsamen Entwicklungsprojekte bewegten sich kaum noch. Das grüne Licht der marokkanischen Verwaltung für den neuen deutschen Botschafter kam nicht, wodurch der Posten in der Botschaft in Rabat leer blieb. Auf Nachfrage des Mediums Maghreb-Post im November 2021 antwortete das Auswärtige Amt wohl, dass es nach Auffassung der Bundesregierung im beidseitigen Interesse sei, die „traditionell breiten und guten diplomatischen Beziehungen“ wieder fortzusetzen. Andererseits würde man sich „aber nicht unter Druck setzen lassen, dafür rechtsstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien aufzugeben.“1

Mit der neuen Regierung veränderte sich dies. Schon im Dezember 2021, nur wenige Tage nachdem Annalena Baerbock das Außenministerium übernahm, veränderte das Auswärtige Amt seine Beschreibung von Marokko. Darin wird der Autonomie-Plan Marokkos als wichtiger Beitrag zur Lösung des Konflikts bezeichnet.

Anbetracht der Weigerung Marokkos, diesen Plan neben anderen, inklusive dem Unabhängigkeitsplan der Polisario Front, der Bevölkerung zur Abstimmung zu geben – womit das Referendum seit Jahrzehnten faktisch behindert wird – ist diese Formulierung ein Hohn auf die sahrauische Bevölkerung, die Demokratie und das Völkerrecht.

Abkehr vom Völkerrecht

Um die Zusammenarbeit mit der fünftgrößten Wirtschaft Afrikas wieder in Gang zu bringen, legte die deutsche Außenministerin beim ersten Besuch seit über einem Jahr noch einmal einen drauf. Bezüglich der Westsahara wird in der gemeinsamen Mitteilung der beiden Minister auf die Resolution 2602 des Sicherheitsrats der VN und die „Verantwortlichkeiten der Parteien bei der Suche nach einer realistischen, praktikablen, dauerhaften und kompromissbasierten politischen Lösung“ hingewiesen. Bestätigt wird auch, dass Deutschland „den im Jahr 2007 vorgestellten Autonomie-Plan als ernsthafte und glaubwürdige Bemühung Marokkos“ sehe und außerdem als „gute Grundlage, um zu einer Einigung beider Seiten zu kommen.“ Ein Wink an die Sahrauis, endlich klein bei zu geben.2

Baerbock meinte zudem, dass es hinsichtlich der Westsahara nur „in Nuancen Unterschiede“ zwischen der deutschen und marokkanischen Sichtweise gebe. Anbetracht der völkerrechtlich bindenden Resolutionen, die auch der Europäische Gerichtshof schon als Entscheidungsgrundlage nahm und dem sahrauischen Volk die Entscheidung über die Unabhängigkeit zusprechen, kann diese Position nur als Abkehr vom Völkerrecht verstanden werden. Denn Marokkos Position ist in etwa so eine Nuance von Unterschied zum Völkerrecht, wie sie zwischen der russischen Okkupation und dem in Minsk II festgeschriebene Recht der Bevölkerung in Donezk und Luhansk, über ihren Status abzustimmen, besteht.

Tot-Prügeln keiner Rede Wert

Dass es zum Job eine*r Außenministerin gehört, auch mal mit fragwürdigen Persönlichkeiten zur Einigung zu kommen, lässt sich nicht abstreiten. Die eigenen Interessen über Menschenrechte zu stellen, ist hingegen eine eher konservative bis rechte Position. Passend: Auf ihrer Reise nach Rabat begleitete Baerbock die Oppositions-Abgeordnete Katja Leikert von der CDU. Diese spricht davon, dass Marokko „sowohl in Fragen der Migration vom afrikanischen Kontinent als auch in der Erzeugung regenerativer Energie“ eine „bedeutende Rolle“ spielen wird.

Dass Marokkos jüngster Beitrag zur Migrationsbekämpfung ein hartes Durchgreifen gegen hunderte Migrant*innen war, die am 24. Juni 2022 versuchten in die spanischen Enklave Melilla zu gelangen, wobei über 30 Personen starben – teils totgeprügelt, teils verletzt in der Sonne liegen gelassen – bekam keinerlei Mahnung von Baerbock. In der gemeinsamen Mitteilung der beiden steht hingegen: „Deutschland erkennt Marokkos Anstrengungen bei der Reduzierung irregulärer Migration und seinem Vorsitz im Rahmen des Rabat-Prozesses an.“ Zudem wurde wohl auch wieder neue Ausrüstungslieferungen aus Deutschland versprochen. Denn „Marokko begrüßt in diesem Zusammenhang die angebotene technische Unterstützung“, steht da.

Anmerkungen

1 Marokko – Diplomatisches Schweigen zw.Deutschland und Marokko maghreb-post.de 7.11.2021

2 Deutsch-Marokkanische gemeinsame Erklärung. auswaertiges-amt.de 25.8.2022