Pressebericht - in: junge Welt, 30.7.2022
»Das ›Sondervermögen‹ wird bei Konzernen versickern«
Das »Handbuch Rüstung« liefert einen Überblick über deutsche Waffenschmieden. Ein Gespräch mit Andreas Sei
von: Henning von Stoltzenberg / Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 30. Juli 2022
Sie geben Anfang August das »Handbuch Rüstung« heraus. Was ist das Ziel der Publikation?
Das Handbuch soll einen Überblick über die deutschen Rüstungsunternehmen vermitteln. Wir haben dafür ein paar Basisinformationen über die Beschaffung von Rüstungsgütern in Deutschland zusammengetragen und versucht, gängige Stichwörter aufzugreifen, um eine Grundlage für eine informierte Debatte zu liefern.
Welchen Umfang hat das Handbuch?
Die Publikation hat einen Umfang von 100 Seiten, von denen circa ein Viertel auf erklärende Texte entfällt und der Rest ein Verzeichnis der Firmen darstellt. Enthalten ist zudem eine Karte, auf der alle Firmenstandorte verzeichnet sind. Damit wollen wir lokale Debatten über Sinn und Zweck einer solchen Branche anregen wollen. Insgesamt sind es rund 600 Einträge, die wir zusammengetragen haben. Wir haben uns schwer damit getan, Zahlen zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Umsätzen einzufügen – diese Daten sind nicht immer vorhanden und oftmals ist ihr Aussagewert eher gering, gemessen an der Tödlichkeit des Endproduktes.
Können Sie ein Beispiel dafür geben, was für Informationen zu den Rüstungsfirmen zum Nachschlagen aufgelistet sind?
Wir haben uns die einzelnen Firmen genau angesehen und versucht, in kurzen Skizzen zu beschreiben, was sie produzieren und wie die Produkte später eingesetzt werden. Dabei werden Zusammenhänge mit anderen Unternehmen oder auch mit einzelnen Rüstungsprojekten deutlich. Nicht wenige der genannten Firmen sind sowohl für den zivilen Bereich tätig als auch für den militärischen – da gilt es dann immer zu beachten, wieviel für das Militär Relevantes in einem einzelnen Produkt oder einer Dienstleistung steckt, etwa für die Logistik. Reine Zulieferer, die lediglich nach den Vorgaben einer großen Firma kleine Bestandteile liefern, haben wir zumeist nicht berücksichtigt. Wesentlich war für uns aufzuzeigen, wie verzweigt die Produktion ist und dass sich abseits der großen Standorte noch viele kleine Niederlassungen finden, die gegebenenfalls relevant für die Forschung oder Entwicklung sind. Wir führen Adressen und Webseiten auf, damit man sich vor Ort oder im Netz ein Bild von den Firmen machen kann.
Warum glauben Sie die Erzählung von der bis aufs Hemd kaputtgesparten Bundeswehr nicht?
Ein realistischer Blick auf die im Bundeshaushalt hinterlegten Zahlen macht deutlich, dass das Gegenteil richtig ist. Die Bundeswehr bekommt seit der Jahrtausendwende Jahr für Jahr mehr Geld: Im Jahr 2000 betrug das Budget 24,3 Milliarden Euro, 2021 waren es schon stolze 46,93 Milliarden – fast eine Verdopplung. Die Armee scheint immer weniger für immer mehr Geld zu bekommen. Gespart wird da nicht, vielmehr scheint die Bundeswehr ein Fall für den Bundesrechnungshof zu sein. Wenn nun davon die Rede ist, dass man in Zukunft sorgsamer mit den Mitteln haushalten will – Anfang Juli wurde ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz beschlossen –, dann bleiben dennoch viele strukturelle Probleme der Beschaffung wie auch im Betrieb unangetastet.
Sie schreiben in der Ankündigung Ihres Handbuchs, dass die Rüstungsbranche volkswirtschaftlich nicht relevant ist, aber enorme Geldmengen vernichten darf. Wie ist das gemeint?
2015 betrug das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 3.026 Milliarden Euro. Davon entfielen auf den Bereich Rüstung gerade einmal acht Milliarden Euro oder 0,26 Prozent. Der Umsatz der gesamten Branche – inklusive Exporte und Waren, die außer der militärischen noch andere Verwendungen haben – betrug damals 11,69 Milliarden Euro. 2020 waren es mit 11,28 Milliarden Euro sogar noch ein bisschen weniger. Es spricht vieles dafür, dass das »Sondervermögen« von 100 Milliarden, die der Bund jetzt als zusätzliche Schulden aufnimmt, um dieses System zu stützen, noch nicht mal in einen Kampfkraftzuwachs bei der Bundeswehr münden werden, sondern vor allem bei gut verdienenden Konzernen versickern.