IMI-Aktuell 2022/228

Sahel-Berichterstattung: „verwahrlost“

von: 5. Mai 2022

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Der Deutschlandfunk berichtet über eine Untersuchung der Afrika-Berichterstattung und lässt einen der Autoren der Studie, Lutz Mükke, ausführlich zu Wort kommen. Dieser bezeichnet die Berichterstattung über die Konflikte der Sahel-Region als „verwahrlost“. Konkret untersucht wurden die Online-Auftritte der Zeit, der FAZ und der BILD sowie die ARD-Tagesschau in der Zeit vor und nach der Abstimmung des Bundestages im Mai 2021 über die Verlängerung der Bundeswehr-Einsätze in Mali und den Nachbarstaaten. Die Beiträge hätten überwiegend auf Agenturmeldungen basiert oder auf Korrespondent*innen aus Berlin, Paris, Kapstadt oder Rabat, Stimmen vor Ort seien so gut wie nicht abgebildet worden, so die Zusammenfassung des Deutschlandfunk, der auch eine (empfehlenswerte) Kurzfassung der Studie verlinkt hat:

„Vor allem verließen sich die Korrespondenten offenbar auf Verlautbarungen hochrangiger deutscher und französischer Regierungsvertreter, Militärs und internationaler Organisationen. Afrikanische Wissenschaftler, Geschäftsleute oder Religionsvertreter dagegen seien als wichtige Quellen nie vorgekommen“.

Ein Beispiel, wie es anders geht, demonstrierte die taz am 19.4.2022. Hier kommen Stimmen aus dem Niger zu Wort, u.a. ein Vertreter der „nichtstaatlichen Organisation Eirene (Internationaler Christlicher Friedensdienst) in Niamey“, Boniface Cissé:

Terroristen, mahnt Cissé, nutzen schlechte Regierungsführung, Korruption und Klientelismus aus und gewinnen damit Anhänger*innen. ‚Jungen Menschen, die aufgrund von Vetternwirtschaft keine Chance auf einen Job haben, versprechen sie: Wenn ihr mitmacht, erhaltet ihr Arbeit‘. Aus seiner Sicht müssen lokale Lösungen her, und zwar durch Verhandlungen. Das hätten mittlerweile alle drei Staaten erkannt. ‚Dass Waffen nicht helfen, sehen wir seit zehn Jahren in Mali‘.“

Diese Auffassung teilten in Niger viele, so die Autorin, die allerdings auch einen Mann prtraitiert, der vor den Terroristen geflohen ist und eine etwas andere Meinung kund tut:

„In seinem Hinterhof zuckt Issaka mit den Schultern. ‚Wenn Soldaten aus Europa uns helfen, wäre es eine Möglichkeit‘, sagt er vage. Jede Chance müsse genutzt werden, damit er endlich wieder zurück zu seiner Familie kann – ohne in ständiger Angst zu leben.“

Derweil erklärt Afrika-Experte Denis M. Tull in der Zeitschrift Internationale Politik, warum zwar der EUTM-Einsatz wohl in die Nachbarstaaten verlegt werden, die Bundeswehr aber vermutlich trotzdem auch in Mali präsent bleiben wird:

„Ein deutscher Rückzug wäre unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar. Er wäre aber unmittelbar nach Afghanistan das Eingeständnis eines weiteren Scheiterns deutscher und europäischer Stabilisierungspolitik. Mit Blick auf das kompetitive internationale Umfeld ist davon auszugehen, dass die europäische Handlungsfähigkeit auch im Sahel von strategischen Konkurrenten wie Russland, China und der Türkei vermessen wird. Dies ist kein geopolitisches Argument für eine Politik der Verteidigung von Einflusszonen um jeden Preis. Aber europäische Handlungsfähigkeit in der unmittelbaren regionalen Nachbarschaft mit der Fähigkeit, dort Stabilität zu fördern und zu projizieren, ist ein Anspruch europäischer Politik, der angesichts der internationalen Turbulenzen gefragter, aber auch mehrheitsfähiger denn je sein dürfte.“

(Man fragt sich, wie demgegenüber ein „geopolitisches Argument für eine Politik der Verteidigung von Einflusszonen um jeden Preis“ gelautet hätte…)