IMI-Standpunkt 2022/014

Autoritäre Aufrüstungsgelüste

Tagesthemen-Kommentator fordert Ende der politischen Kontrolle des Militärs

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 26. März 2022

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Der abendliche Konsum der Spätnachrichten ist aktuell eine besondere Herausforderung. Auf drastische Bilder und Interviews, die das Elend in der kriegsgebeutelten Ukraine zeigen und beschreiben, folgen neue Sanktionspakete, Beschlüsse der NATO und Aufrüstungsdebatten im Bundestag. Teils versehen mit erschreckenden Kommentaren von Politiker*innen und Journalist*innen.

Welche Blüten der absolute Wille zu Aufrüstung und militärischer Stärke treiben kann, hat am 23. März der ARD-Hauptstadtkorrespondent Georg Stempfle in einem Kommentar in den Tagesthemen verdeutlicht. Angekündigt wird sein Kommentar mit dem Thema der Generaldebatte, also der politischen Debatte im Bundestag über den künftigen Bundeshaushalt und die damit einhergehende politische Entscheidung, welcher Arbeitsbereich bzw. welches Ministerium welche finanziellen Handlungsspielräume haben wird.

Diese politische Debatte missfiel dem Kommentator allerdings grundlegend. Er zweifelt daran, ob die Politik den Ernst der Lage begriffen habe. Während er die Zeitenwenderede von Kanzler Scholz als historisch lobt, schaut er mit Verachtung auf die Fraktionen von SPD und Grünen, die plötzlich mitdiskutieren wollen, was die Regierung so treibt. Die Parlamentarier*innen sollen zu Abnickern von großen Reden und ihren weitreichenden Konsequenzen werden – 100 zusätzliche Milliarden für die Bundeswehr inklusive.

Gerade warm geworden, macht Stempfle auch vor Minister*innen der Regierung nicht halt. So solle, folgt man seiner Meinung, nicht Verteidigungsministerin Lambrecht die Mängel bei der Bundeswehr finden und abstellen, sondern der höchste Militär im Staatet – der Generalinspekteur. Seine Aufgabe solle es sein, zwei Dinge herauszufinden: “Was brauchen wir, um in wenigen Jahren einsatzfähige Brigaden zu haben. Also Männer und Frauen, die dieses Land im Ernstfall militärisch verteidigen können.” Und: “Wie müssen das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr umorganisiert werden, um endlich effizient zu sein.“ Ginge es nach Stempfles Kopf, würde die Verteidigungsministerin sich derweil damit beschäftigen, die Reihen in der SPD zu schließen. Die Kontrolle der Militärs durch Parlament und Regierung hält er anscheinend für überflüssigen Ballast aus vergangenen Zeiten. Damit stellt Stempfle nicht nur das Verhältnis von Parlament und Regierung, sondern auch von Politik und Militär auf den Kopf.

Damit aber nicht genug, Stempfle holt noch zu einem weiteren Schlag aus: Die Umsetzung der historischen Zeitenwende verlange einen Mentalitätswechsel bei Politiker*innen und Bürger*innen. Und schließt mit dem Satz: “Wer den [Mentalitätswandel] nicht vollzieht gefährdet die Sicherheit Deutschlands.”

Mit diesem rethorischen versuch alle Abweichler*innen, wenn auch nicht wörtlich, als “Volksverräter” zu brandmarken, legt Stempfle die Axt an elementare Grundrechte wie Mandatsfreiheit, Meinungsfreiheit und auch die ihn selbst betreffende Pressefreiheit.

Damit macht sich Stempfle zum medialen Marktschreier einer autoritären Debatte, die aktuell um sich greift. Diverse Vertreter*innen der vermeintlichen bürgerlichen „Mitte“ unterschiedlicher Couleur zeigen, welches autoritäre Potenzial und welche Gelüste nach militärischer Effizienz in ihren Köpfen schlummern und durch das aktuelle Kriegsgetöse geweckt werden. Für das Ziel der Kriegsbereitschaft sind sie erschreckend schnell bereit das über Bord zu werfen, wofür sie zu kämpfen vorgeben – die Demokratie.