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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0605 ………. 25. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Liebe Freundinnen und Freunde,
wir sind wohl alle geschockt von den Ereignissen in der Ukraine – die klare Kritik an dem russischen Angriff zieht sich durch fast alle Stellungnahmen der Friedensbewegung, auch durch die unsrigen. Die Situation ist ernst, sie darf nicht noch ernster werden, indem diejenigen noch mehr Gehör finden, die jetzt nach genau den militärischen Mitteln schreien, die uns in diese Lage gebracht haben.
Die IMI hat sich die letzten Tage mehrfach untereinander ausgetauscht, erste Positionen und Analysen verfasst und wird sich auch morgen an einer Kundgebung gegen den Krieg beteiligen.
Hier eine Auswahl der neuesten Texte: eine Zusammenstellung bisheriger Stellungnahmen der Friedensbewegung, zwei erste kurze Stellungnahmen unsererseits und eine längere Analyse zur Rolle des Ulmer Logistikkommandos JSEC, das nun angesichts zu erwartender weiterer Truppenverlegungen nach Osteuropa von zunehmender Bedeutung sein wird. Schon kurz vor der jetzigen Eskalation erschien eine Analyse des anstehenden Großmanövers Defender 2022, auf die wir ebenfalls hinweisen möchten:
IMI-Analyse 2022/04 – in: AUSDRUCK (März 2022)
Organisierter Aufmarsch
NATO-Kommando in Ulm koordiniert Truppenbewegungen in Europa
Martin Kirsch (24. Februar 2022)
IMI-Standpunkt 2022/006b
Zur aktuellen Entwicklung in der Ukraine
Aktualisierung der Stellungnahme vom 22. Februar 2022
Claudia Haydt (24. Februar 2022)
IMI-Mitteilung
Ukraine: Erklärungen aus der Friedensbewegung
(24. Februar 2022)
IMI-Analyse 2022/03
Säbelrasseln gegen Russland
Das Großmanöver Defender Europe 2022
Claudia Haydt (15. Februar 2022)
IMI-Standpunkt 2022/007
Die Dummheit des Krieges und der Aufrüstung (der NATO)
Christoph Marischka (24. Februar 2022)
Der militärische Einmarsch Russlands in die Ukraine stellt einen eklatanten Bruch des Völkerrechts dar und ist zu verurteilen. Insbesondere ist zu verurteilen und zu unterstreichen, dass sich die russische Regierung hierbei auf ihren Status als Atommacht abstützt. Dies ist insbesondere zu unterstreichen, weil es die sehr weitgehende Handlungsunfähigkeit der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten erklärt. Den innerhalb des militaristisch aufgeladenen Diskurses womöglich nachvollziehbaren Forderungen nach einem militärischen Beistand der Ukraine ist auch deshalb eine klare Absage zu erteilen, weil dieser die Welt kurzfristig (noch näher) an den Abgrund eines Atomkrieges führen würde.
Dasselbe gilt auf längere Sicht allerdings für die nun erhobenen Forderungen nach einer weiteren Aufrüstung der NATO-Ostflanke, der NATO-Streitkräfte und Erhöhung der Rüstungshaushalte der NATO-Mitgliedsstaaten. Diese Politik der vergangenen Jahre ist die Ursache der aktuellen Eskalation und – aktuell ganz offensichtlich – nicht deren Lösung. Über Jahre hat Russland Sicherheitsgarantien und einen Stopp der NATO-Osterweiterung eingefordert – stattdessen wurde aufgerüstet, auf beiden Seiten. Dies betrifft nicht alleine die militärische Ebene, sondern nahezu alle Politikbereiche. Von der Handels- und Sanktionspolitik über die Cybersicherheit und den Kampf um Informationshoheit bis hin zu den Patenten für Impfstoffe war und ist das Verhältnis zwischen den Großmächten von Konkurrenz statt Kooperation geprägt. Dass diese früher oder später auch militärisch eskaliert, war absehbar.
Es gab allerdings – v.a. jenseits der Großmächte – auch andere Ansätze. Ausgehend von zivilgesellschaftlichen Initiativen haben im Juli 2017 122 von 193 in den UN vertretenen Staaten für die Verabschiedung des Atomwaffenverbotsvertrags gestimmt, aktuell haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 59 Staaten ratifiziert. Die Atommächte, Deutschland und auch die allermeisten NATO-Mitgliedsstaaten sind nicht darunter.
Nach dem Ende der sog. „Blockkonfrontation“, der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts bestand weltweit die Hoffnung auf eine Friedensdividende. V.a. die NATO aber hat auf ihrem Fortbestand und ihrer Osterweiterung beharrt und obendrein ihre Aktivitäten 1999 (Serbien) und 2001 (Afghanistan) über ihr Bündnisgebiet hinaus ausgedehnt. Auch dadurch wurde in den vergangenen 30 Jahren eine historische Möglichkeit verspielt, die Welt von der Geißel der Atomwaffen zu befreien, abzurüsten und auf eine kooperative Form der internationalen Sicherheit hinzuarbeiten. Dies hätte die immensen Summen, die weltweit in Rüstung und Militärs fließen, für andere, dringende Aufgaben der Menschheit freigesetzt. Stattdessen wurden v.a. unter dem US-Präsidenten Donald Trump wichtige Abkommen der Rüstungskontrolle und Mechanismen der Deeskalation aufgekündigt bzw. aufgegeben.
Dieser Kurs darf nicht fortgesetzt und erst recht nicht durch den russischen Einmarsch in der Ukraine beschleunigt werden. So selbstverständlich wie nun von allen Seiten eine weitere Aufrüstung der NATO und der Bundeswehr als „Reaktion“ eingefordert wird, so sehr verdeutlicht der Krieg in der Ukraine das Scheitern dieser Politik. Und es ist nicht nur der Krieg in der Ukraine, der dieses Scheitern offenbart, sondern es ist auch das Scheitern an anderen Herausforderungen, die nur gemeinsam gelöst werden können und nicht in einer Situation der beständig eskalierenden Großmachtkonkurrenz: Dem Klimawandel, dem Artensterben, der aktuellen und künftigen Pandemien und der Überwindung einer auf Wettbewerb, Wachstum und Ausbeutung basierenden Ökonomie.
Die Überwindung dieser Probleme und Konflikte sollten wir nicht hochgerüsteten Potentaten und Bündnissen überlassen, sondern selbst in die Hand nehmen. Das bedeutet auch, ihnen jene Mittel zu entziehen, auf denen ihre Macht fußt und aus denen sich ihre Konkurrenz und Kriege speisen. Auf den Straßen und in den Haushaltsverhandlungen sollte Abrüstung statt Aufrüstung das Gebot der Stunde sein. Einen von vielen Bezugspunkten hierfür lieferte der UN-Generalsekretär in seiner Rede vom 23. März 2021, in der er zu einem „weltweiten Waffenstillstand“ aufrief, um sich dem „gemeinsamen Feind“ stellen zu können. Gemeint war damals Covid19. „Das Wüten des Virus offenbart die Dummheit des Krieges“, so Guterres in seiner Rede, die historisch hätte werden können – wäre sie beachtet worden. Weitere solche „gemeinsamen Feinde“ wären der Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Rassismus, Atomwaffen und der Militarismus mitsamt der dahinter stehenden ökonomischen Strukturen.