IMI-Standpunkt 2020/068

Regierende einig für völkerrechtswidrige Besatzungspolitiken

Der von Trump ausgehandelte Friedensvertrag zwischen Marokko und Israel gefährdet die Hoffnungen auf ein Ende der Besatzungen in Palästina und West-Sahara

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 15. Dezember 2020

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Am 10. Dezember 2020, genau 72 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, hat der scheidende US-Präsident Donald Trump, wie gewöhnlich über Twitter, die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Königreich Marokko und Israel angekündigt – ein Schulterschluss, der die gegenseitige Akzeptanz gleich zweier völkerrechtswidriger Besatzungen mit systematischen Verletzungen der Menschenrechte einschließt: der besetzten Gebiete in Palästina und der West-Sahara.

Für die staatenlosen Palästinenser, wie auch für die Sahrauis, ist dieses Abkommen ein weiterer Schlag von vielen, die die Erosion der Konsense über ihre, eigentlich international durch UN-Resolutionen anerkannten, Rechte zur Selbstbestimmung zeigen. Die von der Trump-Regierung vorangetriebene Anerkennung Israels durch arabische Staaten begann im September dieses Jahres mit Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Im Herbst folgte der Sudan, obwohl strittig ist, ob die nicht gewählte Übergangsregierung dazu berechtigt war. Die Anerkennung durch den Sudan ist besonders symbolhaft: In Khartum, der sudanesischen Hauptstadt, hatte die Arabische Liga 1967 nach der Besetzung der Palästinensergebiete durch Israel die drei Neins verkündet, die eine Ablehnung diplomatischer Beziehungen mit Israel beinhalten, bis die Besatzung aufgehoben ist.

Zugeständnisse von Seiten der USA scheinen die ausschlaggebenden Motivationen für die arabischen Regierungen gewesen zu sein, das Abkommen von Khartum zu verlassen. Der Sudan wurde auf den Deal hin von einer Sanktionsliste der USA genommen und erhofft sich wohl wirtschaftliche Besserung für den Wiederaufbau des von Diktatur und Bürgerkrieg zerrütteten Landes. Marokko bekam im Gegenzug für seinen Verrat an den Palästinensern, oder zumindest am selben Tag, von den USA die Anerkennung der Hoheitsrechte über die seit 1975 besetzte West-Sahara.

Als Spanien die damals letzte Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent auf Aufforderung der UN verließ, überließ es das Gebiet den beiden Anrainerstaaten, Marokko und Mauretanien. Doch die nationale Befreiungsbewegung Polisario Front, damals noch sozialistischer Couleur, sagte den neuen Besatzern den Kampf an und rief 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Während Mauretanien auf seine Ansprüche verzichtete, eroberte das Königreich Marokko in den folgenden elf Jahren über drei Viertel des Territoriums und sicherte sein Gebiet stets mit befestigten Grenzzäunen. Ein 1991 etablierter Waffenstillstand wird von der UN-Beobachtungsmission MINURSO überwacht, an der auch Bundeswehrsoldaten teilnehmen. Ziel der UN-Mission soll die Durchführung eines Referendums sein, bei welchem die sahrauische Bevölkerung über Unabhängigkeit oder Eingliederung in Marokko abstimmen soll.

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Marokko blockierte dieses Referendum seit dem, baut aber weiterhin Phosphat in der dünn besiedelten Gegend ab. Mit den Vorkommen in der West-Sahara hält Marokko 72% der weltweiten Reserven dieses Rohstoffes, der essentiell für synthetische Dünger und damit für die industrielle Landwirtschaft generell ist. Dieses Fast-Monopol (China mit den zweitgrößten Reserven hat nur 6% der weltweiten Reserven) wäre mit der Unabhängigkeit der West-Sahara dahin. Marokko hätte zwar noch die größten Reserven, könnte aber den Preis nicht mehr diktieren.[1]

Mitte November erklärte die Frente Polisario den 30-jährigen Waffenstillstand für beendet, nachdem das marokkanische Militär eine zivile Blockade einer Verbindungsstraße zwischen Marokko und Mauretanien auf dem Gebiet der Polisario, den sogenannten ‚befreiten Gebieten‘, räumte.[2] Entgegen den Drohungen, sich zu wehren und zu verteidigen, begnügte sich die Polisario scheinbar mit der Evakuierung der Protestierenden und griff keine marokkanischen Ziele an.

Im von Marokko kontrollierten Teil der West-Sahara wird Journalismus und Menschenrechtsarbeit nahezu komplett unterdrückt. MINURSO ist die einzige UN-Beobachtungsmission ohne Menschenrechtsberichterstattung. Reporter ohne Grenzen nannte die Gegend 2019 ein „Schwarzes Loch“ und eine „Wüste“ für Journalisten.[3] Eine der wenigen verdeckten Reportagen aus dem Gebiet gelang Amy Goodman von DemocracyNow! 2018. Darin berichten nicht nur Aktivisten von Folter durch marokkanische Sicherheitsbehörden, sondern die Gängelung und Überwachung der Journalisten kann live miterlebt werden.[4] Goodman interviewte in ihrer Berichterstattung über das jüngste sogenannte „Friedensabkommen“ neben Vertreter*innen der Polisario Front und der Palästinensischen Selbstverwaltung auch die sahrauische Journalistin Nazha El Khalidi, die von Massenverhaftungen von Aktivisten nach der Straßenblockade berichtete.[5]

Trumps Anerkennung von Marokkos Souveränität über die West-Sahara, die dem Wortlaut nach auch die bisher von der Polisario verwalteten Gebiete mit einbezieht, wurde von der Bekanntgabe eines Eine-Milliarde-Dollar-Waffendeals zwischen den beiden Ländern begleitet, der u.a. Drohnen und Präzisionsmunition beinhaltet. Schon vorher war Trump mit dieser Frieden-für-Waffen Strategie erfolgreich gewesen. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten nach ihrem Friedensvertrag mit Israel eine Zusage für eine 23 Milliarden Dollar Waffenlieferung aus den USA bekommen: darunter 50 F-35 Tarnkappenbomber von Lockheed Martin (womit die VAE dem AL-Monitor zufolge als einziges arabisches Land das beste Kampflugzeug auf dem Markt besitzen wird), außerdem 18 waffenfähige Drohnen und Präzisionsmunition.[6]

Palästinenser und Sahrauis, die weder ihre Ressourcen noch ihren Außenhandel selbst kontrollieren und großteils in Flüchtlingscamps und in Abhängigkeit von internationaler humanitärer Hilfe leben, können bei diesem Hi-Tech-Wettrüsten natürlich keinen Fuß in die Tür bekommen. Wenn die internationale Gemeinschaft deren Rechte nicht schützt, zeigen sich die Menschenrechte eben doch als leere Versprechen, gebrochen durch das Recht des Stärkeren.

Anmerkungen


[1] Kasprak, Alex: The Desert Rock that Feeds the World. theatlantic.com 29.11.2016

[2] Equipe Media (der Polisario Front): La represión se intensifica en el Sahara Occidental ocupado emsahara.com 14.11.2020

[3] RSF Report: Western Sahara, A News Blackhole rsf.org 11.06.2019

[4] Amy Goodman: Four days in occupied Western Sahara democracynow.org 31.08.2018

[5] Amy Goodman: U.S. Recognizes Morocco’s Occupation of Western Sahara in Latest Betrayal of Sahrawi People democracynow.org 11.12.2020

[6] Israel ‘very comfortable’ with $23B UAE arms sale, says ambassador al-monitor.com 08.12.2020