IMI-Analyse 2020/31- in: Telepolis 1.7.2020

Grüner Programmentwurf

Kaum Licht und viel Schatten in der Friedensfrage

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 2. Juli 2020

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Bereits vor einiger Zeit hatten die Grünen einen Programmprozessinitiiert, um sich inhaltlich für die angestrebte Regierungsbeteiligung nach der anstehenden Bundestagswahl in Stellung zu bringen. Dazu waren unter anderem für den friedens- bzw. militärpolitischen Bereich diverse Papiere in die Debatte eingespeist worden, die nun teils auch in den am 26. Juni 2020 vorgestellten Programmentwurf einflossen.

Auch wenn der Entwurf besonders was die Atomwaffenfrage anbelangt, nicht in allen Punkten so übel ist, wie einige dieser im Vorfeld zirkulierenden Papiere, er ist dennoch bellizistisch genug, um keine Zweifel aufkommen zu lassen: An friedenspolitischen Positionen wird eine grüne Regierungsbeteiligung ganz bestimmt nicht scheitern. So kommentierte der Politologe Jürgen Walter den Sinn und Zweck des Programmentwurfs treffenderweise mit folgenden Worten: „Die Grünen wollen sich fit machen für eine Regierungsbeteiligung.“

Auf dem Kriegspfad

Wenig überraschend, aber in der Deutlichkeit wenigstens ehrlich, ist das im Programmentwurf enthaltene Bekenntnis zu militärischen Interventionen, auch wenn sie – selbstredend – „immer nur äußerstes Mittel“ sein sollen: „Die Anwendung militärischer Kriegsgewalt bringt immer massives Leid mit sich. Wir wissen aber auch, dass die Unterlassung in einzelnen Fällen zu größerem Leid führen kann. Handlungsleitend in der internationalen Sicherheitspolitik ist das erweiterte VN-Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Prevent, Protect, Rebuild), das uns als internationale Gemeinschaft verpflichtet, Menschen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen.“

Seit vielen Jahren wird versucht, besagte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) als neue völkerrechtliche Interventionsnorm zu etablieren, was aber am starken Widerstand Russlands und Chinas, aber auch zahlreicher Länder des globalen Südens scheitert. Wie schon beim Vorgänger – der „humanitären Intervention – eignet sich R2P „perfekt“, um das staatliche Interventionsverbot unter Verweis auf tatsächliche – oder in vielen Fällen vermeintliche – Menschenrechtsverletzungen auszuhebeln. Das Konstrukt entpuppt sich damit zu einem Instrument, um ganz andere, nämlich ökonomische und strategische Interessen durchzusetzen. Aus diesem Grund wird R2P auch immer nur dann bemüht, wenn ein es gilt anti-westliche Staaten abzustrafen: dem in Sachen Menschenrechtsverletzungen sicherlich ebenfalls alles andere als unbeleckten Saudi-Arabien, wird jedenfalls nicht mit der R2P-Keule gedroht, um nur ein Beispiel zu nennen.

UN-Mandat: Schwammig!

Den Einsatz militärischer Gewalt grundsätzlich zu akzeptieren, war ein wichtiger Schritt der Grünen in Richtung Kriegspartei, der bekanntlich spätestens mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien Ende der 1990er vollzogen wurde. Dass dieser Krieg auch noch ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates und damit unter eklatanter Verletzung des Völkerrechtes erfolgte, komplettierte die militärpolitische Neuausrichtung der damals in Regierungsverantwortung befindlichen Partei.

Augenscheinlich packte einige Teile der Grünen in der Folge dann doch etwas das schlechte Gewissen: Zwar wurde das grundsätzliche Bekenntnis zu Militäreinsätzen nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt, auch nicht, als man sich später wieder auf der Oppositionsbank wiederfand. Allerdings rückten die Grünen in der Mandatierungsfrage von ihrem beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien eingeschlagenen Kurs wieder ab. So heißt es im aktuellen Grünen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2002: „Für uns gelten die VN-Charta und das Völkerrecht. Darum brauchen Auslandseinsätze ein Mandat der Vereinten Nationen.” Und auch noch das Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 2017 klang ganz ähnlich: „Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen zustimmen.”

Dieses – man sollte meinen eigentlich selbstverständliche – Bekenntnis zum Völkerrecht wurde dann aber gleich im ersten „Impulspapier“ des „Forums Neue Sicherheitspolitik“ der „Böll-Stiftung“ aufs Korn genommen, das im April 2020 explizit als Beitrag zur „Debatte um das nächste Grundsatzprogramm“ veröffentlicht worden war. Verfasst wurde es gleich von einer  Reihe teils relativ prominenter grüner SicherheitspolitikerInnen: Sophia Besch (Centre for European Reform), Sarah Brockmeier (Global Public Policy Institute), Tobias Bunde (Centre for International Security, Hertie School), Gerrit Kurtz (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) und Robin Schroeder (Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel).

Als Kernanliegen wird in dem Impulspapier eine erneute Neupositionierung in der Mandatierungsfrage gefordert, was aufgrund einer neuen „Ära des Großmachtwettbewerbs“ erforderlich sei, denn es würden „Auslandseinsätze der Bundeswehr auch weiterhin notwendig bleiben.“ Dies sei allerdings extrem misslich, schließlich wäre die „Wahrscheinlichkeit, dass sich die fünf Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat auf ein Mandat einigen, stark gesunken.“

Zusammengenommen erfordere dies ein Umdenken in der Mandatierungsfrage: „Wer in diesem Kontext auf die VN-Mandatspflicht verweist [ist bereit] die Kernlehre der Partei aus einer beispiellosen Auseinandersetzung mit den bisherigen Auslandseinsätzen zu ignorieren: Dass es auf die politischen Lösungen ankommt. Wer politische Lösungen für die Krisen und Konflikte in der europäischen Nachbarschaft vorantreiben und Menschen schützen möchte, der muss zumindest die Möglichkeit offenlassen, als ultima ratio auch militärische Mittel zur Unterstützung solcher Lösungen einzusetzen. Diese politische Notwendigkeit kann nicht automatisch dann enden, wenn der Sicherheitsrat blockiert ist.“

Unumstritten ist diese Position innerhalb der Grünen nicht, schließlich wurde kurz darauf ein zweites dagegen argumentierendes Impulspapier veröffentlicht, dass solche Forderungen aber augenscheinlich als satisfaktionsfähig gelten, ist schon schlimm genug.

Dass man nicht mehr an eine Mandatierungspflicht – und damit an einen Grundpfeiler des Völkerrechts – gekettet sein möchte, wollte man wohl auch im Programmentwurf nicht in aller Deutlichkeit sagen. Die gewählte Formulierung ist aber hinreichend schwammig, um im Notfall genau dies zu ermöglichen: „Bei Eingriffen in die Souveränität eines Staates oder dort, wo staatliche Souveränität fehlt, braucht es ein Mandat der Vereinten Nationen. Wenn das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädigt wie Handeln.“

Eine klare Absage an nicht-mandatierte Militäreinsätze hört sich jedenfalls anders an, als diese Passage.

Friedensmacht Europa?

Von bemerkenswerter Realitätsverzerrung zeugen auch die Passagen zur Europäischen Union, zu der es im Programmentwurf kurz und bündig heißt: „Die Europäische Union ist eine Friedensmacht.“

Es genügt ein Blick in das wichtigste aktuelle EU-Strategiedokument, die EU-Globalstrategie aus dem Jahr 2016, um zu wissen, dass es bei EU-Militäreinsätzen nicht um Frieden, sondern einzig um die Durchsetzung von Interessen geht: „Im Zusammenhang mit dem Interesse der EU an einem offenen und fairen Wirtschaftssystem besteht die Notwendigkeit von weltweitem Wachstum und weltweiter Sicherheit im Seeverkehr, wodurch offene und geschützte Wege auf Ozeanen und Meeren, die für den Handel von entscheidender Bedeutung sind, und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen sichergestellt werden.“

Wer sich allerdings eine Welt zusammenfabuliert, in der die Europäische Union altruistisch notfalls mit Waffengewalt dem Guten in der Welt Geltung verschafft, für den mag es womöglich auch eine in sich logische Konsequenz darstellen, diesem Akteur mehr Militärkapazitäten zur Verfügung zu stellen.

So scheint es jedenfalls ein weiteres Impulspapier der Böll-Stiftung aus dem Mai 2020 zu sehen, in dem es heißt: „Europa läuft Gefahr, zum Spielball der Großmächte zu werden. […] Wenn Europa in Zukunft seine Werte und Interessen durchsetzen will, muss die EU weltpolitikfähig werden. Sie muss glaubhaft sein und mit einer Stimme sprechen. Das erfordert unangenehme Entscheidungen. Der Vorrang von Menschenrechten und ziviler Krisenprävention ist und bleibt zu Recht grüne DNA. Aber ohne gemeinsame militärische Kapazitäten ist jedes Machtwort gegen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen unglaubwürdig. […] Aber seien wir ehrlich: Bei 27 Mitgliedern wird es in jeder Krise, bei jedem Konflikt eine Regierung geben, die eine gemeinsame europäische Haltung blockiert. Nur das konsequente Anwenden von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen wird eine handlungsfähige EU ermöglichen.“

Auch im grünen Programmentwurf finden sich nun Forderungen nach einem Ausbau der militärischen Komponenten der Europäischen Union: „Europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss strategisch, vorausschauend, umfassend und schnell handlungsfähig sein. Dazu braucht es eine gemeinsame Analysefähigkeit sowie eine Stärkung des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Schritt für Schritt sollen immer mehr Entscheidungen in diesem Bereich mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können. […] Anstatt immer mehr Geld in nationale militärische Parallelstrukturen zu leiten, sollte die verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte in der EU ausgebaut und militärische Fähigkeiten sollten gebündelt werden. Sie brauchen dafür eine geeignete Ausstattung, den Ausbau von EU-Einheiten sowie eine Stärkung des gemeinsamen europäischen Hauptquartiers.“

In diesem Absatz ist nun so ziemlich alles dabei, was auch bei den größten EU-Militaristen ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Dazu gehört vor allem das – beschönigend Ausbau der Rüstungskooperation benannte – Vorhaben zum Aufbau eines rüstungsindustriellen EU-Komplexes. Er soll die Hardware für die anvisierte „Militärmacht Europa“ liefern, die nicht nur der „besseren“ Interessensdurchsetzung durch konkrete Militäreinsätze, sondern auch ganz generell der Stärkung der Europäischen Union als machtpolitischem Akteur dienen soll – vor allem gegenüber Russland und China, aber auch gegenüber den USA.

Konfrontation mit Russland und China

Angesichts dessen, wie sich zahlreiche Grüne Spitzenpolitiker seit Jahren gegen Russland und in jüngster Zeit auch vermehrt gegen China als Hardliner positionieren, fielen die dementsprechenden Passagen im Programmentwurf vergleichsweise fast noch glimpflich aus. Kürzlich machte unter anderem der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer von sich Reden, der sich nicht zu schade war, sich als Co-Vorsitzender „Inter-Parliamentary Alliance on China“ (IPAC) unter anderem mit den US-Hardlinern Marco Rubio und Bob Menendez sich um eine schärfere Gangart gegenüber China „verdient“ zu machen.

Explizit als Beitrag für den Programmprozess wollte die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brandtner ihr im April 2020 erschienenes Pamphlet „Grüne vernetzte Außenpolitik für eine Welt in Unordnung“ verstanden wissen. Ihr Ziel sei es, „Grüne Antworten auf die geopolitischen neuen Zeiten“ zu geben und einen „Beitrag dazu leisten“ ein „außenpolitisches Narrativ zu entwickeln“.

Im Zentrum dieser „Erzählung“ steht allerdings die Forderung, sich nicht zuletzt militärisch für einen neuen Großmachtkonkurrenz in Stellung zu bringen: „Wir erleben die Rückkehr des geopolitischen Wettbewerbs. Revisionistische Kräfte, wie China und Russland, versuchen die Welt neu zu ordnen. […] Europa muss als geopolitischer Akteur erwachsen werden. […] Wenn wir nicht zusammenstehen, dann werden wir Schachbrettfiguren, im Spiel der Großmächte. […] Die Realität ist, dass kein europäisches Land alleine gegen die neuen Großmachtansprüche bestehen kann. […] Der Rückzug der USA zwingt uns Europäer dazu, zur Macht zu werden, wenn wir nicht in neue Abhängigkeiten geraten wollen.“

Erneut wollten die Grünen in ihrem Programmentwurf nicht in dieser Deutlichkeit eine Kampfansage an Russland und China richten. Wer aber das Treiben von Bütikofer, Brantner und einer Reihe anderer Grüner Spitzenpolitiker im Auge hat, weiß wie Sätze wie dieser zu interpretieren sind: „In einer Wertesystemkonkurrenz zwischen einem regulierten kapitalistischen und einem autoritär gelenkten Fortschritt streben wir eine größere technologische Souveränität Europas an, damit sich Europas Bürger*innen auch in einer technisierten Welt mündig, aufgeklärt und damit selbstbestimmt bewegen können. Das gilt insbesondere für kritische Infrastruktur.“

NATO: „Unverzichtbar“

Auch von den Zeiten, als sich die Grünen noch für einen deutschen Austritt aus dem Militärbündnis NATO aussprachen, ist man mittlerweile weit entfernt – heute ist die Allianz laut Programmentwurf „unverzichtbar“: „Die NATO ist ein unverzichtbarer und Renationalisierung entgegenwirkender Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur sowie der transatlantischen Beziehungen. Sie leidet unter divergierenden sicherheitspolitischen Interessen innerhalb der Allianz und einer unklaren strategischen Perspektive. Es braucht eine strategische Neuausrichtung. Mit einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit und Koordinierung innerhalb der EU und mit Großbritannien können europäische strategische Interessen, gerade auch in der NATO, geschlossen und durchsetzungsstärker vertreten werden.“

Was hier eher verklausuliert angedeutet wird ist die Tatsache, dass der Aufbau europäischer Militärkapazitäten bei aller vermeintlichen „Unverzichtbarkeit“ der NATO auch dazu beitragen soll, die Macht- und Einflussverteilung im Bündnis mit den USA zu den eigenen Gunsten zu verschieben. Auch diese Absicht wird klarer, wenn die etwas weicheren Formulierungen aus dem Programmentwurf mit denen aus dem Brandtner-Papier verglichen werden: „Die Trump-Administration behandelt Europa zunehmend als Vasall, wenn nicht als Rivale, anstatt als Verbündeten. Um den internationalen Herausforderungen gerecht zu werden, muss Europa erwachsen werden und die Arbeitsteilung in der transatlantischen Allianz neu sortieren. Wenn wir wollen, dass Trump uns auf Augenhöhe behandelt, dann müssen wir uns auf Augenhöhe bewegen. Das bedeutet auch unseren eigenen Kontinent geopolitisch ordnen zu können, unsere Militärfähigkeiten optimieren und ein eigenständiger Akteur zu werden, der trotz Eigenständigkeit eng mit den USA verbunden bleibt und wo möglich an einem Strang zieht.“

Atomwaffen: Kleiner Lichtblick

So ziemlich der einzige Bereich, dem friedenspolitisch etwas im Grundsatzprogramm abzugewinnen ist, ist das Bekenntnis zu einer atomwaffenfreien Welt. Dies ist umso erfreulicher, da auch hier im Vorfeld per Impulspapier versucht wurde, alte friedenspolitische Zöpfe abzuschneiden. So wurde in einem weiteren Impulspapier der Böll-Stiftung vom Mai 2020 gefordert, sich eindeutig gegen Forderungen nach atomarer Abrüstung zu stellen: „Die Grünen sollten im Hinblick auf die nukleare Abschreckung fordern, dass sich Frankreich und Großbritannien explizit zur erweiterten Abschreckung bekennen, d.h. ihr Schutzversprechen auf die gesamte europäische NATO ausweiten. Deutschland braucht kein eigenes Atomprogramm. Doch ein Beharren auf atomarer Abrüstung in Frankreich und Großbritannien – eine zumindest implizite Forderung des Zwischenberichts zum Grundsatzprogramm – wäre verfrüht und kontraproduktiv.“

Wer im Blick hatte, wie weitgehend die Forderungen aus den eingespeisten Impulspapieren sich auch im Programmentwurf niedergeschlagen hatten, dem schwante nach der Lektüre dieser Sätze auch für den Atomwaffenbereich Böses. Hier trat aber zunächst einmal der Worst-Case nicht ein, im Gegenteil, im Programmentwurf findet sich sogar eine überaus sinnvolle Forderung: „Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Waffen sind und bleiben wesentliche Pfeiler jeder Friedenspolitik. […] Dazu gehört eine Unterstützung des VN-Atomwaffenverbotsvertrags. Unser Anspruch ist nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt.“

Eine deutsche Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags wäre aus vielerlei Gründen ein überaus willkommenes Signal: Unter anderem wäre sie eine wichtige Stärkung multilateraler Vereinbarungen in einer Zeit, in der das gesamte Rüstungskontrollsystem extrem unter Druck steht. Vor allem aber müsste die Nukleare Teilhabe beendet werden, die unter anderem auf der vom Atomwaffensperrvertrag in Artikel 1(g) untersagten Lagerung von US-Atomwaffen in Deutschland basiert. Damit wäre dann auch die Anschaffung von F-18 Kampfflugzeugen für diese Aufgabe hinfällig, für die es Ende April zwar eine Vorfestlegung des Verteidigungsministeriums gab, über die aber endgültige aller Wahrscheinlichkeit nach erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden wird (siehe Telepolis, 6.5.2020).

Fazit

Abseits der Atomwaffenfrage – und einigen Bekenntnissen, Rüstungsexporte einschränken und die Zivile Konfliktbearbeitung stärken zu wollen – ist der grüne Programmentwurf also eine große Enttäuschung. Selbst was diesen Bereich anbelangt, besteht wohl wenig Anlass zur Hoffnung, da die Abschaffung der Nuklearen Teilhabe für die CDU/CSU – dem nach aktuellem Stand wohl wahrscheinlichsten möglichen Koalitionspartner – wohl nicht zur Debatte stehen dürfte. Angesichts der bisherigen Geschichte der Grünen ist es aber schwer vorstellbar, dass sie eine Regierungsbeteiligung an dieser friedenspolitischen Frage platzen lassen würden. Denn wenn ein anderer Politikwissenschaftler, Wolfgang Schroeder, den Entwurf gegenüber dem bisherigen Programm als „Weiterentwicklung im Sinne der Anerkennung der Realitäten“ bezeichnet, dann geht es hier vor allem um eine Realität: Nämlich dass in Deutschland bis auf weiteres niemand regiert, der sich der Kriegsfrage verweigert.

Zusammengenommen zeigen der Programmentwurf und insbesondere auch die im Vorfeld eingespeisten Diskussionspapiere vor allem zwei Dinge: Einmal offenbaren sie das erschreckende „Meinungsspektrum“ grüner Debatten, das zunehmend militaristische Forderungen integriert, während antimilitaristische und pazifistische Positionen vollständig marginalisiert werden. Außerdem ist es auffällig, dass im Programmentwurf zwar durch die Bank deutlich weichere Formulierungen als in den zuvor veröffentlichten Programmbeiträgen gewählt wurden, sie im Kern aber häufig auf nicht unähnliche Forderungen hinauslaufen. Dies dürfte wohl nicht zuletzt deshalb in dieser Form praktiziert werden, um große Teile der eigenen Wählerklientel nicht zu vergraulen, die sich immer noch einzubilden scheint, sie mache ihr Kreuz bei einer Friedenspartei.