Pressebericht, in: Telepolis, 8.12.2019
Militärischer BUMMER
Bericht zum IMI-Kongress
von: Telepolis / Olaf Arndt | Veröffentlicht am: 9. Dezember 2019
Wie Amazon, Max-Planck Gesellschaft und die deutschen Autokonzerne gemeinsam die Bundeswehr zur „Facebook-Armee“ hochrüsten wollen
Bis 2024 will die Bundesregierung die deutschen Militärausgaben verdoppeln. Schon in diesem Jahr wurde erstmals die magische Schwelle von 50 Milliarden überschritten – erstmals mehr als für Arbeit und Soziales, die Renten einmal ausgenommen.
Die EU geht einen ähnlichen Weg: Weil durch den Lissaboner Vertrag verboten ist, EU-Mittel direkt für Rüstung einzusetzen, nutzt der soeben berufene EU-Kommissar Thierry Breton, vormals Chef des Militärdienstleisters ATOS, die Industrieförderung zur Aufstockung des Europäischen Verteidigungsfonds.
Alle reden von Digitalisierung, KI und „Sprunginnovation“. Was soll konkret für so viel Geld gemacht werden? Zwei Konferenzen in Bremen und Tübingen stellen höchst aufschlussreich die Großmachtpläne des deutschen Militärs vor.
I. „social“(?) military media
„Die Digitalisierung der Bundeswehr“ klingt zwar sinnvoll, aber irgendwie auch drollig. Man denkt gleich an Verkleinerung, Reduzierung metallischer Masse, die Ersetzung des realen Abschlachtens durch die Vernichtung virtueller Repräsentanten. Bilder sauberer, fröhlicher Soldaten paradieren vor dem inneren Auge, gut frisierte, sportliche Männer und Frauen, die in den Händen statt stählerner Gewehre aluminiumkaschierte Camouflage-Hüllen halten, mit denen sie ihre Smartphones vor den unerlaubten Attacken verfeindeter Regimes oder einfach nur vor Schlag und Spritzwasser beim Parcour-Jogging schützen.
In ihrer Dienstzeit spielen sie hauptberuflich „Globale Offensive Europa“, das 5G-basierte „Wir.dienen.Deutschland“-Update des legendären Taktik-Shooters „Counterstrike“. Statt im Schützengraben zu frieren, hocken die Söldner im komfortabel beheizten war room des Potsdamer Einsatzführungskommandos und ballern die „Kommie“-Avatare mit der Lasermouse weg.
Alexa erhält eine wehrtechnische Schwester namens Ludmilla, die in einem paneuropäischen Forschungsvorhaben zur Superwaffe hochgepimpt wird. Sie fungiert per Voicecontrol, sowie unter fest einprogrammierter Umgehung lästiger parlamentarischer Abstimmungen als neuer nuclear football. Das Hiroshima der „Digitalen Offensive“ findet in second life statt. Auf den Servern des nunmehr rund um den Erdball militärisch genutzten Linden Lab platzen alle Sims, aus denen das übermächtige und aggressive Fake-Putinograd erbaut wurde.
Die Triebabfuhr der Großmächte geht in dieser friedenspolitisch motivierten Vision der militärischen Cyber-Zukunft ohne Töten vonstatten. Der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums twittert, die Digitalisierungsstrategie sei die „totale Humanisierung“ der künftigen Kriegsführung. Er hat für seinen Tweet ein Vögelchen bei Crytek animieren lassen, das beim Ausspucken des Satzes in tausend blutrote Pixel zerbirst.
Military Media at its best.
Jene schwindelerregende Verbindung von Plattformkapitalismus, Wehrforschung und Militär, die sich tatsächlich hinter dem Euphemismus von der „Digitalisierung“ der deutschen Streitkräfte verbirgt – und den damit einhergehenden, rasend schnellen Abbau von Gewaltenteilung und Demokratie – stellten äußerst facettenreich und durchaus unterhaltsam mehr als 30 Redner auf zwei Konferenzen vor: „Künstliche Intelligenz als Wunderland“, organisiert vom „Forum Informatiker für den Frieden“, FIFF Bremen (22.-24. November 2019), und „Rüstung Digital – Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte“ der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., 29. November bis 01. Dezember 2019 in Tübingen, der IMI-Kongress 2019.
II. Zukunfts-Rüstung aus „Stanfordle“
Einen furiosen Einstand in Tübingen gibt Christoph Marischka, der die auf den Kopf gestellte Rüstungs-Konversion am Widerstand gegen das „Cyber Valley“ Tübingen verdeutlicht. 2016 bereits hatten sich das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPIS), die Universitäten Stuttgart und Tübingen und große Industriepartner wie Daimler, Bosch, Porsche, BMW, ZF Friedrichshafen, Amazon und Facebook zu einer Forschungskooperation für künstliche Intelligenz zusammen gefunden, die alles bisher Dagewesene in Sachen KI in den Schatten stellen möchte.
Wegen ihres Standortes im schwäbischen Mundartgebiet wird das Bündnis auch liebevoll „Stanfordle“ genannt. Doch gemütlich soll es dort nicht zugehen, sondern hurtig, mit KI-Siebenmeilenstiefeln voran zur „Wirkungsübermacht“.
Dass die deutsche Spitzenforschung nicht ahnungslos in dieses Tal geraten ist, entnimmt man den Aussagen von Prof. Dr. Martin Stratmann, Präsident der Max Planck Gesellschaft. Er will nach dem Muster des DARPA eine „Agentur für Sprunginnovation“ einrichten.
Marischkas vor wenigen Tagen bei PapyRossa erschienenes Buch Cyber Valley – Unfall des Wissens. Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen ist dringend zur Lektüre empfohlen. Sein Vortrag zeigt deutlich, wie mit dem Schlagwort von der „Sprunginnovation“, die wir angeblich brauchen, um nicht vom Osten her überrollt zu werden und zur Bedeutungslosigkeit von Vasallenstaaten anderer Großmächte abzusinken, alles über Bord gefegt wird, was zum Kanon humanistischer Bildung und gesicherter Rechtsstaatlichkeit zählt.
Selbst die Macher von „Standfordle“ verhehlen solche Absichten nicht: Roland Berger spricht in seiner Blaupause für das Cyber Valley von der Erschaffung eines „neuen politischen Mindsets“. Erhellendes hierzu findet sich auch auf der Aktivisten-Seite:
In Tübingen will Amazon Forschung zu Künstlicher Intelligenz betreiben. Die daraus entstehenden Demokratie- und Freiheitsrechte gefährdenden Technologien verkauft der Konzern schon jetzt an Polizei- & Geheimdienstbehörden weltweit, auch in autoritären Staaten. Dazu bietet Amazon mit „Cloud Computing for Defense“ militärische KI-gestützte Clouddienste an, die Methoden des Maschinellen Lernens in die Führungs- und Informationssysteme von Militärs integrieren.
Nocybervalley. Bündnis gegen das Cyber Valley
Wie Amazon und die deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft gemeinsam hier „ein befruchtendes Ökosystem für den Technologietransfer“ schaffen und sich unter Umgehung von Technologiefolgenabschätzung und sich ohne jede Ermittlung gesellschaftlicher Bedürfnisse auf „disruptive technologies“ einschießen, wie die Sprunginnovationen im internationalen Jargon heißen, hat Marischka im November für Telepolis skizziert: EU-Kommission: (Diese) Industriepolitik ist Rüstungspolitik.
Hier entsteht genau jene unheilige Allianz aus Risikokapital, Zukunftspolitik und konzernbasierter Forschung, für die Geschwindigkeit alles ist. Der Schulterschluss zwischen Wissenschaft, Industrie und Militär nennen sie „Interessenskonvergenz“, für deren Inwerksetzung die Berater des Verteidigungsministeriums auf die Suche gehen nach „menschlichem Venture Kapital“ (Fabian Westerheide von Asgard) – frei nach dem Motto „Verbrennt euch. Wenn ihr es überlebt, seid ihr reich“. Vielleicht.
Statt geeichter Regeln für akademische Abschlüsse setzt man lieber auf „Fähigkeiten“ der jungen Studierenden und belohnt sie mit Anstellung statt Abschluss. Allgemein, so Martin Kirsch, gilt für die aktuelle Führungsspitze der Armee: „schneller“ zum Ziel ist deutlich zu favorisieren gegenüber „besser“. Das belegt vor allem eine aktuelle Kampagne mit schmissigen Mark-Zuckerberg-Zitaten. Das eingesetzte Geld ist dabei völlig egal. Wenn zehn Projekte scheitern, schaffen „wir“ vielleicht den „Sprung“ mit dem elften.
Dazu passend will die Bundeswehr ihr Heer 4.0 zügig „auf einem Bierdeckel“ entwerfen. Alles müsse „aus einem Guss“ sein – man hört unwillkürlich „hart wie Kruppstahl“ – nur eben noch härter: knallhart digital.
In der dazu passenden Marketingabteilung unter cyberinnovationhub.de kann man schlussrichtig Poster mit abgedroschenen Facebook-Slogans finden, die Tempo vor Qualität setzen und die der Hub-Chef Marcel „Otto“ Yon, vormals startup-Gründer, „Business Angel“ und CEO der Odeon Venture Capital AG, auf Flickr hat veröffentlichen lassen. Wir ahnen, nach welchem Muster die nationale Sicherheit umgebaut werden soll.
BUMMER
Aus dieser Mixtur ergibt sich letztlich genau das, was Jaron Lanier BUMMER („Behaviours of Users Modified, and Made into an Empire for Rent“) nennt: ein System, das jede vernünftige Politik verhindert, das eine sprunghafte Umverteilung aller verfügbaren Mittel von Arm zu Reich bewirkt, das uns alle auf den „Horrortrip“ schickt (bummer ist slang für: „unpleasant aftermath of taking hallucinogenic drugs“).
Eine ähnlich umfassende, in die Tiefe gehende Analyse, bei der KI und Militarismus als Sprungturm für einen „Köpper“ in die Untiefen des Kapitalismus diente, bot der Vortrag von Capulcu, eines Bremer Kollektivs für „digitale Selbstverteidigung“, in dem es um social scoring, also um die Aufdeckung, insbesondere aber die darauf folgende Korrektur potentieller Fehler im Nutzerverhalten ging.
Die weitreichenden Verweise auf „libertären Paternalismus“ (sog. nudging) und die „dunkle Aufklärung“ (dark enlightenment) lassen sich mit einem Zitat des Hyper-Unternehmers Peter Thiel krönen: „Most importantly, I no longer believe that freedom and democracy are compatible“ („Vor allem aber bin ich nicht mehr davon überzeugt, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind“).
Der Beitrag von Capulcu führte in der anregenden Gesprächsatmosphäre beim Bremer FIFF-Kongress zu dem nachdenkenswerten Hinweis der im Publikum anwesenden Techno-Feministin Jutta Weber (Uni Paderborn), der „Mensch als Beute“ stünde als Einsatz dem „attraktiven Versprechen der Technologien“ gegenüber.
III. Computer-Krieg
Doch so eloquent auch immer brillante Redner wie Alexander von Gernler, der Vizepräsident der Gesellschaft für Informatik (GI), auf dem FIFF-Kongress in Bremen die Falle beschreiben, in die Freiheit, Recht und Demokratie geraten angesichts frei drehender „Digitalisierungsoffensiven“, oder wie beeindruckend präzise und mit enormem Hintergrundwissen aus parlamentarischen Anhörungen ausgestattet der Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger über die geplante Bewaffnung des Weltraums berichtet – die „digitale Aufrüstung“ bleibt ein Thema, das so komplex, derart abstrakt ist, dass es sich schwer entlang seiner großen thematischen Linien erzählen lässt.
Leichter fällt diese Aufgabe, wenn Personen im Mittelpunkt der Erzählung stehen – wie man gut an Jürgen Wagners voller schwarzem Humor vorgetragenen Recherche zu Thierry Bretons Vorleben als Künstler sehen kann. Wagner, der gerade zusammen mit Claudia Haydt das Buch Die Militarisierung der EU. Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Großmacht herausgebracht hat, begab sich dazu in die Untiefen des Pulp Fiction und legte eine pointierte literaturwissenschaftliche Analyse des literarischen Frühwerks von Breton vor.
Breton ist ein Mann, der es schon rein frisurmäßig leicht mit Trump aufnehmen kann. Und das scheint nötig. Die Ängste, die USA als Bündnispartner zu verlieren, treiben wohl NATO und EU derart um, dass sie mit Breton einen Wirtschaftsboss zum „EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen“ bestallt haben, der als Musterbeispiel gelten darf für den Ausverkauf der guten alten, demokratisch kontrollierten Verteidigungspolitik.
Er fordert die Umwandlung der europäischen Armeen zu Profit-Centern der Risikokapitalanleger. Dafür ist ihre Neu-Ausrichtung auf Angriff notwendig. Dafür muss die Industrieförderung in Aufrüstung umdefiniert werden. Dafür müssen Feindbilder aus der Zeit des Kalten Krieges wieder aufgewärmt werden. Keiner kann das besser, wie Jürgen Wagner in seinem amüsanten Vortrag in Tübingen zeigt, als Breton.
Breton ist nämlich Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane, darunter die holzschnitthafte, antikommunistische Schmonzette „Computer-Krieg“, auf Deutsch 1986 bei Bastei Lübbe erschienen und gebraucht für 25 Cent zu einem exakt angemessenen Preis erhältlich.
Schon der 30-jährige Breton hatte sich also mit dem Stoff befasst, der ihn 2019 zum Industriekommissar für die digitale Aufrüstung prädestiniert.
Bei seinen Star-Wars-Phantasmen sekundiert ihm die französische Verteidigungsministerin Florence Parly. Sie arbeitet mit aller Kraft am Ausbringen von Hochleistungslasern in den Weltraum. Man erfährt, dass im Rahmen des taktischen, KI-basierten Weltraum-Targetingsystem TITAN erstmals auch Schallwaffen aus dem All getestet werden sollen. Parlys schmissiger Aufruf unter dem trockenen Titel „Strategie Spatiale Defense“ schließt mit sozialistisch anmutender Verve: „Lang lebe die Luft- und Weltraumarmee!“
Die gezielte Förderung technischer Superiorität mit den Mitteln der Kunst ist allerdings keine Erfindung des französischen Unternehmers und Ex-Finanzministers Breton.
Bereits in den späten 1940er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten die USA unter der Koordination der Air Force eine Truppe aus Kreativen und Querdenkern zusammengetrommelt. Damit aus dem Brainstorming etwas Praktisches resultiert, wurde dem „Project Forecast“ gleich ein stolzes Budget zur Technologieentwicklung beigeordnet. Man wollte verhindern, dass noch einmal etwas wie der Faschismus beinahe weltweiten Erfolg haben könne.
Was wäre dafür geeigneter als Superwaffen, wie schon Nicola Tesla sie erfunden haben wollte: interkontinental wirkende Todesstrahlen und dergleichen Wirkmittel, wie sie in futuristischen Romanen bereits als voll funktionsfähig beschrieben wurden. Einer jener Groschenheftautoren, der Korea-Kriegs-Veteran und Autor des 1970er Jahre Kultbuches „Strategy of Technology“, Jerry Pournelle, kann als unmittelbares Breton-Vorbild gelten.
Noch ähnlicher zu Breton verläuft allerdings die Karriere des Sci-Fi Autoren-Paares Jack und Janet Morris, die begleitend zu den „Peace Keeping Missions“ der US Armee rassistisch gefärbte Schundromane veröffentlichen, daraufhin zu Forschungsleitern im US Global Strategy Council bestellt werden und zur Befriedigung der dort erkundeten militärischen Bedürfnisse ihre Firma „M2 Technologies“ gründen.
Es sollte Gegenstand künftiger militärkritischer Forschung sein, diese historischen Beispiele einmal genau zu untersuchen, um besser prognostizieren zu können, welche imperialen, antidemokratischen Phantasien und Praktiken hieraus erwachsen.
Heute, ein Jahrhundert nach Nicola Tesla, sind die hard- und softwaretechnischen Voraussetzungen für Superwaffen wie Hochleistungslaser leider gegeben und die EU geht es konkret an, solche Wahnsinnsprojekte ins Werk zu setzen.
Auch die Bundeswehr hat einen Mann zu bieten, der auf dem IMI Kongress vorgestellt wird und dem es sicher leichtfiele, mit Breton Hand in Hand zu arbeiten: „Mr. Digitalisierung“ Frank Leidenberger vom Kommando Heer. Ihn stellt Martin Kirsch in seinem Vortrag „Auf dem Weg in die Kriegswirtschaft?“ vor. Leidenberger ist ein vehementer Verfechter des zuvor beschriebenen Beschleunigungsgebotes.
In der dienstlichen Verklausulierung firmiert die geplante Umgehung der Beschaffungsbürokratie als „einsatzbedingter Sofortbedarf“. Handlungsfähigkeit geht vor Vorschriften.
Leidenbergers Thesenpapiere „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“, „Digitalisierung von Landoperationen“, insbesondere aber das dritte Thesenpapier, „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“, einsehbar unter Augen geradeaus, haben im vergangenen Jahr viel Staub auf großer Bühne aufgewirbelt. Sie alle tauchen über die drei Tage beim IMI-Kongress wie ein roter Faden immer wieder auf.
Ginge es nach Leidenberger, so würde man bei der Bundeswehr eine ganz „neue Kultur leben“. Diese besteht zunächst offenbar hauptsächlich darin, die Beschaffungspraxis für neues Gerät von dem Hindernis zu großer Rechtssicherheit zu befreien.
„Maximale Rechtssicherheit“ sei, so Leidenberger, eine „Komplexitätsfalle“ und führe am Ende nur dazu, dass die Bundeswehr auf einem Schrotthaufen sitze. Die Armee brauche mehr „Beinfreiheit“ für den erwarteten (oder herbeigeredeten?) Krieg gegen Russland. Man spricht im Zusammenhang mit den Plänen der Leidenberger-Clique in der Armee, der sog. „Afghanistan-Connection“, bereits vom „lauwarmen Krieg“.
Die aus einer offenbar als überkommen empfundenen Zeit herrührende Verpflichtung zu Transparenz und Begünstigungsvermeidung beim Einsatz öffentlicher Mittel müsse endlich überwunden werden, um künftige Soldaten, die er als „digital natives“ beschreibt und die „die rasanten Technikzyklen der zivilen Kommunikationsunternehmen“ gewöhnt sind, nicht zu verprellen. Der Stamm in Oliv trommelt angeblich schon unruhig auf den Laptopdeckeln.
„The Need for Speed“ (Leidenberger) sei daher, so muss man das wohl verstehen, über demokratisch beschlossene Regularien zu stellen, in denen sich die „oft überforderten“ Einkäufer der BW-Ausrüstung in ihrem endlosen „Ringen um unanfechtbare Ausschreibungen und die Vergabe von Hauptaufträgen“ verheddern – mit dem Ergebnis, dass die geplante deutsche Cyberarmee weiter mit bleischweren Geräten aus den 1980er Jahren funken muss.
Das wäre ja äußerst peinlich, wenn „wir“ damit den Chinesen gegenübersitzen, die schon 5G-basierte Brillen für 1,90 € das Stück auf den Nasen tragen!
Angesichts der geplanten Verbesserung der „Ausrüstung“, die auf dem IMI-Kongress als deutlich erkennbare „Aufrüstung“ verstanden wurde, zieht Tobias Pflüger den Vergleich zu anderen technischen Großprojekten: „BER und Stuttgart 21 – das gibt es bei der Bundeswehr monatlich“. Mit einem Wort: „Beschaffungskriminalität“.
IV. KI-Waffen und der Sputnik-Schock
Im Gartner Hype Cycle for Technologies, einer Vorhersage-Kurve, mit der aussichtsreiche Technologien im Stil einer Rating-Agentur bewertet werden, sind 18 der 20 auf dem steil aufsteigenden Hang vor dem „peak of inflated expectations“ stehenden Technologien KI-basiert oder ohne KI nicht denkbar. Da es sich bei Gartners Kurve um ein Prognosetool für Investoren handelt, ist absehbar, wohin der Schnellzug fährt.
Frei nach dem Muster des Elon-Musk-Bonmots soll deswegen nun ganz fix selbstlernende „Software mit Panzerketten“ unten dran entstehen. Das englische Wort „fix“ ist mit der US-amerikanischen Drohnen-Einsatzpolitik zu unrühmlicher Bekanntheit gekommen: die 3F-Strategie („find, fix and finish“) lässt mühelos erraten, wie wenig künstlich die Intelligenz am Ende operiert. Drohnen sind das erste wirklich große Beispiel für bereits einsatzfähige, weitgehend autonome Waffen. Beim IMI waren in einer Videopräsentation ganze Geschwader von Airbus-Fliegern zu sehen, die im „flocking“ über der Ostsee einem Leitvogel hinterher donnern.
Die von Veronika Thiel (AlgorithmWatch) beim FIFF vorgestellten „Ethischen Richtlinien in der Algorithmenentwicklung“, ihr Hinweis auf „corporate social responsibility“ und das Grundgesetz, in dem es heißt, alle Aktivitäten hätten dem Gemeinwohl zu dienen, wirken angesichts solcher Demonstrationen von „Airpower“ wie einer Sonntagsrede entnommen. Stumpfere Werkzeuge sind kaum vorstellbar gegen den eleganten Schliff, mit dem Konzerne wie Airbus kollisionsfrei durch die engen Schluchten zwischen den Regeln jagen.
Überhaupt scheint Ethik inzwischen komplett durch Paranoia ersetzt zu sein. Das Mitglied der Atlantik-Brücke Denise Feldner, ein „Kopf“ bei KAIROS Partners, die sich als „Navigatoren bei der Unternehmenstransformation“ verstehen, wird in Tübingen als diejenige vorgestellt, die warnend Wladimir Putin zitiert: „Die Nation, die KI beherrscht, wird die Welt beherrschen“. Damit uns kein zweiter Sputnik-Schock ins Haus steht, fordert Feldner schon jetzt: „Der verbreitete Wunsch nach Stabilität muss überwunden“ werden.
Und, man höre und staune: an der KI zeigten sich „Vorteile autoritärer Systeme“.
Wir kommen dem Kern der Sache näher: Große Zeiten ziehen herauf! So ist man dann auch wenig verwundert, kurz darauf im Vortrag von Marius Pletsch von der NGO „Stop Killer Robots!“ zu hören, dass die deutschen Dienstgrade in einem von der Bundeswehr erdachten Szenario mit Nachnamen „Fuchs“ und „Wolf“ heißen: wie „Rommel“ und „Hitler“? Keine Frage: das sind die richtigen Leute, die es braucht um die „Walküren-Drohne“ von Kratos Defense zu lenken.
Eine Art Techno-Faschismus sehen auch diverse Initiativen auf uns zukommen, die am Rande der Kongresse Flugblätter verteilen. Es geht um „5G-Mikrowellen“, ohne die es keine KI geben kann und deren Opfer nun wir alle werden, die wir unter der Sonne der strahlenden Satelliten leben müssen, totalüberwacht und bis zum Verschmoren aufgeheizt. Eines der Flugblätter konstatiert: „Wir haben es bei 5G-Technologien mit einem sozio-technischen System zu tun, das in alle Segmente der Gesellschaft eindringt“ oder knapper: „Übrig bleibt Demokratie als blosse Fassade.“
Liest man die etwas getrieben geschriebenen, vielfach faksimilierten Statements, versteht man unmittelbar, was diese Technologien mit uns anstellen. Wenn wir nicht von Francoise Parlys Tesla-Strahlen direkt verkokelt werden, verenden wir sicher in Kürze an Hirnschmelze.
Zeit einen positiven Ausblick zu wagen!
V. Konviviale Technik
Zum Abschluss des IMI-Kongresses suchten die Organisatoren nach dem positiven Ausblick.
Spannende, aber im wesentlichen erschreckende Informationen beinhaltende Vorträge, die in die Pläne übermächtiger Netzwerke und Wirtschaftspartnerschaften mit dem Militär einführten, und das Ende vernünftiger Bildung und Forschung unter dem Druck spekulationsorientierter Finanzkapitalisten erahnen lassen – mit so deprimierenden Botschaften wollte die Organisation, die eng mit der Friedensbewegung verknüpft ist, nicht enden.
Die IMI wagte deswegen einen digitalen Ostermarsch.
Sie lud Rainer Rehak aus dem FIFF-Vorstand ein, als „Techie“ über Freuden und Nutzen der Digitalisierung zu sprechen. In einer 25-minütigen „Tour de Force“, die ihresgleichen sucht, sprach Rehak per Video über geniale, menschenfreundliche, lobenswerte und die Lebensqualität verbessernde Aspekte der Digitalisierung.
Er entwarf skizzenhaft mögliche Widerstandspotenziale gegen missbräuchliche Anwendung und forderte gewissermaßen eine „schnelle Speerspitze“ (Bundeswehrjargon) – jedoch für die von Rehak ersehnte Allianz von „Ökos und Hackern“.
Die Flut an Stichworten (von allgemein positiv zu bewertenden anti-konzentrationistischen Zügen des Netzes über crowdfunding; Petitionsplattformen; das Portal FragDenStaat; die Zertifizierungsmarke „Ziviler Betrieb“; vernetzte Feinstaub- und Strahlungssensoren, mit deren Werten man nicht nur Handlungsdruck aufbaut, sondern dem Staat die Alleinherrschaft über die Interpretation der Umweltzustände entzieht; dem GNU stack für „herrschaftfreien kooperativen Internetzugang“, dem konzeptwerk neue ökonomie und „public money public code“, mit dem man zentrale Funktionen wie Geld und Bezahlen dem kapitalistischen Alleinzugang entziehen will, bis hin zum Beispiel Debian, das sich an sozialen Zielen ausrichtet) war doch derart eindrucksvoll, dass manche der älteren Friedenskämpfer ihre besorgten Gesichter etwas entspannten.
Rehaks abschließender Hinweis, dass eine „konviviale Technik möglich“ sei und Nachhaltigkeitskriterien zur Anwendung gelangen könnten, ohne dass die Technik an sich in Frage gestellt werden müsse, konterkarierte doch ziemlich krass alles, was man über die zurückliegenden Tage an Omnipotenzfantasien von Militär, EU, Wirtschaft und Forschung gehörte hatte.
So vermochten sich die Kongressteilnehmer aus der Schockstarre zu erheben, um noch zu planen, wie man das im Frühjahr anstehende Manöver „Defender 2020“ torpedieren könne. Defender 2020 ist das größte Manöver seit Ende des Kalten Krieges und eine unmissverständliche Drohgebärde gegenüber Russland – und auch gegenüber den eigenen Bürgern? Im Werbesprech seiner Ausrichter wird es schon jetzt mit dem „D-Day“ verglichen.
Wer die dystopische Zukunft, die in den Köpfen unserer Eliten heranwächst, nicht widerstandslos hinnehmen will, sollte also dem Vernetzungsaufruf des IMI folgen.