IMI-Standpunkt 2019/055

Der Krieg und seine Logistik: Defender 2020

Europäisches Mega-Militärmanöver mit starker deutscher Beteiligung

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 22. November 2019

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Ein neuer großer Krieg in der Mitte Europas? Für die NATO und die USA ist dies schon länger kein abstraktes Szenario, sondern eine Option, die ganz konkret vorbereitet wird. Dabei drehen sich die Überlegungen kaum um die Auswirkungen einer solchen Konfrontation für die Bevölkerung, sondern vor allem darum, Krieg in Europa führbar zu machen. Der Chef der US-Landstreitkräfte, General James McConville, sieht in einem Krieg auf dem europäischen Kontinent nicht die Gefahr einer humanitären Katastrophe, sondern die eines logistischen Alptraums.[1] Um dies zu vermeiden, beabsichtigen die Streitkräfte der USA mit Beteiligung anderer NATO-Staaten und der Bundeswehr im Frühjahr 2020 die Durchführung eines militärischen Großmanövers mit der Bezeichnung „DEFENDER 2020“ (DEF 20). Dieses Militärmanöver wird in wesentlichen Teilen auch aus Deutschland unterstützt. DEF 20 ist ein militärisches Großmanöver, das es in dieser Größenordnung seit 25 Jahren nicht mehr gegeben hat. Mit DEF 20 soll unter Beweis gestellt werden, dass es möglich ist,­ in kurzer Zeit große Mengen an Panzern und Soldaten quer durch Europa an die russische Grenze zu transportieren.

Deutschland als ‚Drehscheibe und Transitland‘

Schon allein geographisch kommt Deutschland für die US-Militärpläne eine große Bedeutung zu, doch die Bundesregierung versteht sich spätestens seit der Veröffentlichung der jüngsten Konzeption der Bundeswehr ganz bewusst „als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung.“[2] Dieser Anspruch soll nun im Rahmen von DEF 20 unter Beweis gestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Manöver soll von Januar bis Mai 2020 eingeübt werden, wie eine Division, also ein militärischer Großverband, quer durch Europa ins Baltikum und nach Polen verbracht werden kann. Die Architekten des Manövers vergleichen es mit dem D-Day und damit mit dem Kampf gegen Hitlerdeutschland.[3] Einmal abgesehen davon, was so ein Vergleich über das Verhältnis von USA und Russland sagt, wird klar, dass hier großangelegte militärische Auseinandersetzungen vorbereitet werden.

Eine ganze Division US-Soldaten (Mannschaftsstärke circa 20 bis 25.000) und deren Material sollen aus den USA transportiert werden. Insgesamt werden wohl bis zu 40.000 Soldaten an dem Manöver beteiligt sein. Anfangs war die Rede davon, dass zehn Länder an der Übung beteiligt sein sollen, zwischenzeitlich wird von 15 NATO-Ländern und zwei Partnernationen berichtet.[4] Die Verlegung der Truppen durch Deutschland und damit auch die Einbeziehung von Bundeswehrstandorten wird schwerpunktmäßig von April bis Mai 2020 stattfinden. Zu den involvierten Standorten in Deutschland gehören drei „Convoy Support“ Zentren, in Garlstedt (Landkreis Oberholz in Niedersachsen), Burg (bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt) und das Support Zentrum im Truppenübungsplatz Oberlausitz. Welche Ausmaße DEF 20 hat, zeigt sich daran, dass beim Truppenübungsplatz Bergen (Lüneburger Heide, Niedersachsen) eigens für dieses Megamanöver eine Tankanlage aufgebaut wird. In Grafenwöhr (Oberpfalz, Bayern) sollen Gefechtsstandsübungen stattfinden und eine Divisionskommando-Übung durchgeführt werden. Neben europäischen Seehäfen wie Antwerpen (Belgiem), Vlissingen (Niederlande) und Paldiski (Estland) wird Bremerhaven für die Verbringung der Kriegsgüter eine wichtige Rolle spielen. Insgesamt sollen etwa 20.000 größere Ausrüstungsgegenstände und Fahrzeuge aus den USA nach Europa verbracht werden. Die Transporte über den Atlantik werden mit Schiffen und Flugzeugen durchgeführt. Durch Europa werden einerseits Bahntransporte stattfinden und andererseits werden Soldaten in Bussen und Rüstungsgegenstände in Konvois in großem Umfang auf den Straßen unterwegs sein.

Offene Grenzen für Panzer

Um Defender 2020 möglichst an echte Kriegsszenarien anzulehnen, gehören zum Beispiel auch eine Flußüberquerung mit 11.000 Soldaten in Polen und Fallschirmabsprünge in Georgien zu den geplanten Aktivitäten. Es geht bei dem Manöver aber nicht allein darum, das militärische Gerät und die militärischen Kommandostrukturen zu testen, sondern auch deren Zusammenspiel mit zivilen Strukturen: „Mit der Unternehmung wird sowohl die [zivile] Infrastruktur als auch die Grenzpolitik getestet.“[5] Damit schließt Defender direkt an Bemühungen auf EU-Ebene an, mit denen sowohl bürokratische Hürden für den Transport von Panzern und anderem Militärgerät quer durch Europa abgebaut werden sollen. In Zeiten von immer stärkeren Einschränkungen für die Freizügigkeit von Menschen sollen gleichzeitig Panzer ohne größere Hindernisse von einem Land ins andere rollen können.

Erklärtes Ziel von Defender ist es, die Auseinandersetzung mit einem nahezu gleichstarken Gegner (near-peer adversary) zu simulieren und die Fähigkeit der USA zur „Machtprojektion“ über den Atlantik hinweg zu beweisen. Deswegen geht es neben der Transportlogistik auch explizit um grenzüberschreitende Kämpfe und Kampfvorbereitung, wie aus der Aufgabenbeschreibung für die Bundeswehr und besonders das deutsche Heer hervorgeht, die den Obleuten im Verteidigungsausschuss am 1. Oktober 2019 zuging: „Kampf, Kampfunterstützung und Führung – in Deutschland, Polen und Litauen“, werden dort explizit als Schwerpunktbereiche für die Beteiligung der Bundeswehr benannt. Deswegen ist es auch  wenig überraschend, dass die von deutschen Soldaten geführte enhanced Forward Presence (eFP) Battlegroup in Litauen integraler Bestandteil dieser Mobilmachung ist.

Das Ulmer JSEC Kommando (Joint Support and Enabling Command) wird durch die Übung Combined Defender in das Großmanöver einbezogen. Es ist davon auszugehen, dass das JSEC hier übt, was zukünftig seine zentrale Rolle in der NATO sein soll: die Koordinierung der transatlantischen Mobilmachung gegen Russland. Daneben wird voraussichtlich das Europa-Kommando der US-Streitkräfte (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen wesentliche Aufgaben übernehmen.

Das Manöver Defender soll zukünftig jedes Jahr wiederholt werden – nicht nur als transatlantisches Manöver, sondern auch jeweils parallel im Pazifikraum. Die Manöver sollen im jährlichen Wechsel als schwere und leichte Manöver stattfinden. Während 2020 das Manöver im Pazifik nur als sogenanntes leichtes Manöver durchgeführt wird, während das transatlantische Manöver einen großen Umfang hat, wird das Pazifikmanöver 2021 das Schwergewicht bilden.

Das Manöver soll auf vielen Ebenen Neuland betreten, so soll auch eine Weltraumkomponente in die gemeinsame Übung von US- und NATO-Streitkräften integriert werden. „Die US-Armee plant einen ersten Prototypen des taktischen Weltraum-Systems TITAN (Tactical Intelligence Targeting Access Node) während der multinationalen Defender-Europe 20 Manövers einzusetzen.“[6] Diese Technologie setzt auf zahlreiche Sensoren und nutzt künstliche Intelligenz, um die Unmenge an erhobenen Daten zu verarbeiten. Damit sollen unter anderem versteckte gegnerische Ziele[7] entdeckt werden können. Titan soll es Soldaten ermöglichen, das Kommando über Missionen in einem komplexen „multi-domain“ Schlachtfeld auszuüben. Zudem sollen weitere technologische Ansätze wie maschinelles Lernen, robotische Systeme oder auch Schallwaffen getestet werden.

Manöver ist ein Angriff auf Frieden und Umwelt

Wegen der Größe von DEF 20 werden umfangreiche Abstimmungen zwischen Bundesregierung und Landesregierungen nötig sein und auch massive Auswirkungen auf Straßen- und Schienenverkehr sind zu erwarten. Um allzu großen Unmut in der Bevölkerung zu verhindern, verspricht die Bundesregierung, dass es während der Osterfeiertage nicht zu Truppenbewegungen kommen soll. Selbst wenn diese kurze Pause eingehalten werden sollte,  wird allein die Ökobilanz dieser Großtransporte quer durch Europa verheerend sein. Die Bundesregierung begrüßt dennoch das Manöver DEF 20 und unterstreicht „die Wertschätzung der USA für multinationale Zusammenarbeit“ und das „deutliche Bekenntnis“ der USA zur „Sicherheit Europas“. Ob solches Säbelrasseln wirklich mehr Sicherheit bringt, darf bezweifelt werden – es steht im Gegenteil zu befürchten, dass durch solche Manöver die Kriegsgefahr in Europa wächst. Deswegen ist es notwendig – und wegen der größeren Vorlaufzeit auch möglich –, sowohl dezentrale als auch bundesweite Aktionen der Friedensbewegung und hoffentlich zahlreicher Bündnispartner vorzubereiten.

Anmerkungen

[1] Kyle Rempfer, Kyler: Army’s new chief looks to prep the force for large-scale combat, Army Times, 20.9.2019.

[2] Konzeption der Bundeswehr, Berlin, April 2018, S. 61.

[3] Fraser, Abernethy, Strong Europe: A continental style combat sustainment laboratory, army.mil, 1.4.2019.

[4] Judson, Jen: Fighting the bureaucracy: For NATO, the Defender 2020 exercise in Europe will test interoperability, defensenews.com, 14.10.2019.

[5] Ebd.

[6] US Army to test TITAN tactical space tech during Defender-Europe 20, army-technology.com, 25.10.2019.

[7] Freedberg Jr., Sydney J.: Artificial Intelligence Will Detect Hidden Targets In 2020 Wargame, Breaking Defense, 21.10.2019.