IMI-Standpunkt 2018/034 - in: AUSDRUCK (Oktober 2018)

Bundeswehrmessen: Wann darf demonstriert werden?

Der Fall Thomas H. geht zum Europäischen Gerichtshof

von: Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 8. Oktober 2018

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In Stuttgart, so der Vorwurf der dortigen Staatsanwaltschaft, habe der Aktivist Thomas H. bei den Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 Unrecht begangen (ausführlich siehe IMI-Standpunkt 2018/009). Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Hausfriedensbruch.

Seit nun drei Jahren kämpft Thomas H. sich durch den Dschungel der Gerichte, weil er bei einer Messe fünf Minuten sein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegen die massive Werbung der Bundeswehr im öffentlichen Raum wahrnahm. Sein Argument: Es darf nicht sein, dass eine staatliche Institution Werbung für den Dienst an der Waffe durchführt und ein öffentlicher Protest hier nicht möglich sei.

Bisher scheint die Strategie der Bundeswehr allerdings aufzugehen, sich einfach jeder demokratischen, gewaltfreien Meinungsäußerung durch das steuerfinanzierte Einmieten bei privaten Messeveranstaltern zu entziehen. Erschwerend kommt hier für die Anklage sogar noch der  Ort des Protestes hinzu: Die Messehalle befindet sich vollkommen in öffentlicher Hand und die Stadt Stuttgart übernahm die Schirmherrschaft über die besagte Messe-Veranstaltung. Der Protest fand also in einer öffentlichen Einrichtung statt, die als privat-öffentliche Kooperation angemietet wurde, und wo die Bundeswehr als öffentliche Institution versuchte Nachwuchs zu werben.

Die Anklage und die Gerichte konnten im bisherigen Prozessverlauf zudem weder Thomas H. eine individuelle Schuld so nachweisen, dass er den Messeablauf im besonderen Umfang beispielsweise durch ein Megaphon gestört haben soll; noch konnten sie deutlich machen, ob das Hausverbot überhaupt ausgesprochen werden konnte oder ob es überhaupt beim Angeklagten ankam. Das Hauptargument der Verteidigung des Aktivisten allerdings, dass es möglich sein muss, gegen die Bundeswehr auch zu demonstrieren, wenn sie sich im Privaten versteckten will, blieb bisher fast völlig ungehört. Gerade frühere Urteile wie das Fraport-Urteil können allerdings eine solche Rechtsauffassung zum Schutz des Grundrechtes auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit nahe legen: Der Staat darf sich „seiner Grundrechtsbindung durch eine ‚Flucht ins Privatrecht‘ nicht entziehen“, wie es 2011 im Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgericht hieß.

Der bisherige Rechtsweg war jedoch eher ernüchternd. Das vorletzte Kapitel war die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Sie wurde am 8. Juni 2018 abgelehnt, da sie nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Eine Begründung, warum das Verfassungsgericht sich nicht mit dem Fall befassen will, erfolgte allerdings nicht!

Im Oktober 2018 nun wird der Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt. Dass Thomas H. hier zu seinem Recht kommt, ist jedoch aufgrund der schieren Anzahl an Beschwerden im Vergleich zu den Wenigen, die bearbeitet werden, eher unwahrscheinlich. Trotzdem soll auch dieser letzte rechtliche Schritt, der mit einem vergleichbar geringen finanziellen Aufwand einhergeht, ausgereizt werden. Recht darf nicht zu Unrecht werden.

Im Falle eines jetzt leider eher unwahrscheinlichen Prozessgewinns von Thomas H. wird das gesammelte Geld an den Carl-von-Ossietzky Solidaritätsfonds der DFG-VK weitergegeben. Er soll zukünftig Aktivist_innen, die für ihr Recht auf Versammlung und gegen die Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr kämpfen, im Falle einer Anklage die nötige Rechtskraft einräumen. Spenden zur Prozessunterstützung sind dringend erbeten.

Stichwort „Prozess Thomas“, Konto der DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40