IMI-Analyse 2017/13

Nach Brexit & Trump: EUropas Neuer Weltmachtanlauf

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 4. Mai 2017

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Diese Analyse erschien in der IMI-Broschüre „Kein Frieden mit der Europäischen Union“. Sie beschäftigt sich sowohl mit der inneren wie auch äußeren Militarisierungsdynamik sowie linken Perspektiven Positionen angesichts der immer aggressiver agierenden EU-Politik.

Die Broschüre (64S A4) kann hier gratis heruntergeladen oder in zum Preis von 3,50 Euro (zzgl. Porto) bzw. 3 Euro (ab 10 Ex. zzgl. Porto) bestellt werden. Bestellungen bitte an imi@imi-online.de

 

Forderungen nach einer „Weltmacht EUropa“, die global auf gleicher Augenhöhe mit anderen Akteuren in der vordersten Reihe agieren soll, sind beileibe nicht neu. Dennoch fällt auf, dass sie nun – vermeintlich als notwendige Lehre aus den beiden Großereignissen Brexit (23.6.2016) und US-Wahl (8.11.2016) – besonders laut hinausposaunt werden. Als die beiden wesentlichen Mittel hierfür gelten seit Jahren die Expansion der EU-Einflusszone in den Nachbarschaftsraum (nebst Schaffung einer Großeuropäischen Wirtschafts- und Einflusszone) und der Aufbau eines möglichst schlagkräftigen Militärapparates, um diese Weltmachtambitionen zu unterfüttern. Letzteres kam allerdings – nicht zuletzt, weil sich Großbritannien als „Bremser“ erwies – lange trotz aller Bemühungen eher schleppend voran.

Insofern war früh abzusehen, dass sich viele EU-Politiker vom bevorstehenden Austritt Großbritannien große „Fortschritte“ in der EU-Militärpolitik in Form einer „Brexit-Dividende“ versprachen.[1] Dennoch war es überraschend, wie zielstrebig und mit welchem Tempo daran gegangen wurde, Nägel mit Köpfen zu machen: Unmittelbar nach dem britischen Referendum veröffentlichte die EU eine Globalstrategie, die den neuen Referenzrahmen für die künftige Außen- und Militärpolitik der Union absteckt. Ungefähr zum selben Zeitpunkt gingen die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, mit ihrem Ruf nach einer massiven Militarisierung der Europäischen Union buchstäblich in die Offensive. Es folgten ein zweites deutsch-französisches Papier, diesmal der Verteidigungsminister Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian (12.9.2016), die Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Europäischen Union (14.9.2016), der Verteidigungs-Aktionsplan der Kommission (30.11.2016) und schließlich die „Erklärung von Rom“ (25.3.2017). Zusammengenommen wurden dabei eine Reihe von Strategien und Maßnahmen auf den Weg gebracht, mit denen dem bislang eher stockend verlaufenen EU-Militarisierungsprozess massiv auf die Sprünge geholfen werden soll.

Brexit + Trump = EU-Weltmacht?

Wie bereits angedeutet: Was die „Lehren“ aus dem britischen Austrittsreferendum und der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten anbelangt, singen fast alle EU-Entscheidungsträger vom selben Blatt. Exemplarisch äußerte sich etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps geradezu trotzig, nun müsse zum großen Sprung nach vorn ausgeholt werden: „In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa geben von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen ‚Sicherheits-Dienstleister‘ wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt.“[2] Fast genauso klingt auch die „Entschließung zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, die das Europäische Parlament am 14. Dezember 2016 verabschiedete: „Das Europäische Parlament […] betont, dass die EU ihre Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, da sie ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigartige ‚Soft Power‘ im Rahmen eines umfassenden EU-Ansatzes mit ‚Hard Power‘ kombiniert“.[3]

Doch, wie ebenfalls bereits eingangs erwähnt, sind derlei Forderung nach einer „Weltmacht EUropa“ keineswegs neu. Beispielsweise äußerte sich der langjährige EU-Parlamentspräsident und jetzige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bereits 2013 folgendermaßen: „Europa ist, ob es will oder nicht, ein ‘global player‘. Die EU ist der größte und reichste Binnenmarkt der Welt, unsere Wirtschaftskraft macht ein Viertel des globalen Bruttosozialproduktes aus. Die EU ist der weltweit größte Handelsblock, der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe – die EU ist ein Wirtschaftsriese. Globale wirtschaftliche Macht geht Hand in Hand mit weltpolitischer Verantwortung – diesem Auftrag kann sich Europa nicht entziehen. Europas Partner erwarten – zu Recht – dass Europa sich dieser Verantwortung stellt und aus der Wirtschaftssupermacht auch eine weltpolitische Supermacht wird.“[4]

Imperiales Raumkonzept

Der Frage, wie die immer offener artikulierten Weltmachtansprüche in ein geostrategisches Konzept gegossen werden können, geht nicht zuletzt die „Group on Grand Strategy“ (GoGS) nach. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss relativ einflussreicher EU-Geopolitiker, die im Gegensatz zum diskursiven Mainstream ganz offen eine militärisch unterfütterte Expansionsstrategie einfordern. Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten des GoGS-Gründers James Rogers, der u.a. auch immer wieder Arbeiten für die EU-Denkfabrik EUISS verfasst. Rogers fordert die Umsetzung einer EU-Geostrategie, die auf zwei Säulen beruhen müsse: „Das ultimative Ziel einer Geostrategie ist es, Geografie und Politik miteinander zu verknüpfen, um die Macht und die Einflusssphäre des heimischen Territoriums zu maximieren. […] Ein solches Konzept muss von einem subtilen, aber hervorragend aufgestellten Militär unterstützt werden, das darauf abzielt, das Auftauchen möglicher Rivalen zu vereiteln.“[5]

Auf dieser Basis entwickelte Rogers Kriterien, mit denen er die Grenzen eines solchen Großraums – von ihm als „Grand Area“ bezeichnet – absteckt und damit gleichsam eine Art Kartographie eines EU-Imperiums vorlegt. Es umfasst große Teile Afrikas, die ölreiche kaspische und zentralasiatische Region und den Mittleren Osten, reicht aber auch bis weit nach Ostasien, wo es gilt, die Schifffahrtsrouten zu kontrollieren (siehe Grafik). Konkret sollen Länder und Regionen in die „Grand Area“ integriert werden, die folgendes „Anforderungsprofil“ erfüllen: „Angesichts der Tatsache, dass gewisse Mächte versucht haben, sich in bestimmten Schlüsselregionen Vorteile zu verschaffen und sich dort einzunisten – häufig zum Nachteil anderer – sollte die Europäische Union mehr tun, um die minimale geographische Zone abzusichern, die für die kontinuierliche Expansion ihrer Wirtschaft benötigt wird. Aus einem geopolitischen Blickwinkel muss diese Zone fünf Kriterien genügen: Sie muss

  1. über alle grundlegenden Ressourcen verfügen, die notwendig sind, um die europäische industrielle Produktion und künftige industrielle Bedürfnisse zu decken;
  2. alle wesentlichen Handelsrouten, insbesondere Energie-Pipelines und maritime Schifffahrtsrouten aus anderen Regionen ins europäische Heimatland, einschließen;
  3. so wenig wie möglich geopolitische Problemfälle enthalten, die zu einer Desintegration der Region führen und damit die künftige wirtschaftliche Entwicklung Europas schädigen könnten;
  4. die geringste Wahrscheinlichkeit einer relevanten Beanspruchung durch andere mächtige ausländische Akteure im Vergleich zu ihrer Bedeutung für die europäische Wirtschaft und ihre geopolitischen Interessen aufweisen;
  5. eine Region sein, die die Europäische Union am kosteneffektivsten durch eine Ausweitung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verteidigen kann.“

Diese „Grand Area“ soll dann wiederum mit einem dichtmaschigen Netz an Militärbasen unter Kontrolle gebracht werden: „Das Konzept der ‚Grand Area‘ würde versuchen, diese Länder in ein dauerhaftes EU-geführtes System zu integrieren, das durch Militärbasen, bessere Kommunikationslinien und engere Partnerschaften abgesichert wird – eine europäische Vorwärtspräsenz, um die Notwendigkeit sporadischer Interventionen zu reduzieren.“ Mit diesem Militärbasennetz soll vor allem folgenden beiden Zielen Nachdruck verliehen werden: „Erstens, ausländische Mächte davon abzuhalten, sich in Ländern in der größeren europäischen Nachbarschaft einzumischen; und zweitens Halsstarrigkeit und Fehlverhalten auf Seiten der lokalen Machthaber vorzubeugen.“ Konkret wird darauf hin die Errichtung einer ganzen Reihe neuer Basen vorgeschlagen: „Neue europäische Militäranlagen könnten im Kaukasus und Zentralasien, der arktischen Region und entlang der Küstenlinie des indischen Ozeans benötigt werden. Das Ziel dieser Einrichtungen wäre es, […] eine latente aber permanente Macht innerhalb der ‚Grand Area‘ auszuüben.“

 „Erfolgreiche“ Expansion – schleppende Militarisierung

In der Praxis wurde der angestrebte Expansionsprozess bereits frühzeitig im Rahmen der EU-Osterweiterung auf den Weg gebracht, in deren Folge die Europäische Union von 15 auf mittlerweile 28 Länder anwuchs. Seit dem Jahr 2004 existiert darüber hinaus die Europäische Nachbarschaftspolitik, die sich von Nordafrika bis zum Kaukasus auf 15 Länder rund um die EU erstreckt. Mit ihr wird auf eine „Expansion ohne Erweiterung“ abgezielt, indem die Nachbarländer mittels sogenannter Assoziationsabkommen zwar neoliberal umstrukturiert und einer großeuropäischen Wirtschaftszone peripher angegliedert werden – allerdings ohne reale Beitrittsperspektive.

In diesem Nachbarschaftsraum erhebt die Europäische Union mittlerweile offen den Anspruch, als „Ordnungsmacht“ notfalls auch militärisch die Vormacht ausüben zu können. So erklärte Catherine Ashton bereits 2013 in ihrer damaligen Funktion als EU-Außenbeauftragte: „Das neue Augenmerk der USA für die asiatisch-pazifische Region ist eine logische Konsequenz der geostrategischen Entwicklungen [Anm.: des Aufstiegs Chinas]. Dies bedeutet auch, dass Europa mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarschaft übernehmen muss. […] Die Union muss in der Lage sein, als Sicherheitsgarant – mit Partnern so möglich, autonom wenn nötig – in ihrer Nachbarschaft entschieden zu handeln, dies schließt direkte Interventionen ein. Strategische Autonomie muss sich zuerst in der Nachbarschaft der Europäischen Union materialisieren.“[6]

Vor diesem Hintergrund wurden bereits ab 1999 die Bemühungen, einen schlagkräftigen EU-Militärapparat aufzubauen, erheblich intensiviert. Als „Geburtsstunde“ der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GSVP), wie sie heute genannt wird, gelten die in diesem Jahr gehaltenen Ratsgipfel in Köln und Helsinki, auf denen die Aufstellung einer EU-Interventionstruppe beschlossen wurde. Es folgte die Einrichtung eines Militärausschusses und andere für die Kriegsplanung relevanter Institutionen im Jahr 2000 und 2003 wurde eine „Europäische Sicherheitsstrategie“ verabschiedet, mit der die Interventionsausrichtung der Union ein festes Rahmenwerk erhielt. Erste GSVP-Einsätze folgten noch im selben Jahr, sodass der damalige EU-Außenbeauftragte Javier Solana zufrieden bilanzierte: „Für EU-Verhältnisse bewegen wir uns mit Lichtgeschwindigkeit.“[7]

Doch dann geriet das Militarisierungsprojekt ganz erheblich ins Stocken, was zunächst mit dem Scheitern des ebenfalls 2003 verabschiedeten EU-Verfassungsvertrages bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 zusammenhing. Der Vertrag enthielt mehrere institutionelle „Innovationen“, mit denen der Ausbau des EU-Militärapparates vorankommen sollte. Das erklärt, weshalb sich Viele einen Quantensprung im Militärbereich versprachen, als der Verfassungsvertrag schlussendlich mit viel Tricksereien doch noch nahezu unverändert durchgedrückt werden konnte und am 1. Dezember 2009 als Vertrag von Lissabon in Kraft trat.

Nachdem auch die USA spätestens mit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama im selben Jahr ihren Widerstand gegen eine Militarisierung der Europäischen Union aufgaben, ja sie regelrecht ermunterten, war zwischenzeitlich der Optimismus groß, nun substanzielle „Fortschritte“ erzielen zu können. Doch als die USA beim NATO-Krieg gegen Libyen 2011 dann konkret anboten, den EUropäern die Führung zu überlassen, mussten diese einen politischen und militärischen Offenbarungseid leisten. Politisch, weil Deutschland – vollkommen zu Recht – die Beteiligung verweigerte; und militärisch, weil Großbritannien und Frankreich zwar bereitwillig die Führung des Einsatzes übernahmen, aber schnell Farbe bekennen mussten, dass sie faktisch weit davon entfernt waren, über die erforderlichen Kapazitäten für eine derart komplexe Militärintervention zu verfügen.

Mit dem Schwenk zu einer deutlich offensiveren deutschen Militärpolitik ab 2014 entfiel einer der Faktoren, der sich nach landläufiger Meinung als besonders hinderlich für die Herausbildung einer militärisch schlagkräftigen EU erwiesen hatte. Und mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens, das über viele Jahre nahezu jeden Versuch, die Militarisierung der Europäischen Union voranzutreiben, blockiert hatte, könnte bald der zweite entfallen. Hier dürfte der Grund liegen, dass eine Reihe von EU-Politkern augenscheinlich den Briten kaum eine Träne nachweint. So meldete sich etwa Elmar Brock, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, folgendermaßen zu Wort:: „Der Brexit hat auch gute Seiten. […] Jahrelang haben uns die Briten aufgehalten. Jetzt geht es endlich voran.“[8] Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gab zu Protokoll: „Wir haben lange Rücksicht nehmen müssen auf Großbritannien, weil Großbritannien konsequent diese Themen nicht wollte“.[9]

Eine Globalstrategie für EUropa

Lediglich fünf Tage nach dem britischen Austrittsvotum nahm der EU-Rat am 28. Juni 2016 eine neue EU-Globalstrategie (EUGS) an, die seither die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) aus dem Jahr 2003 ersetzt. Auf der einen Seite betont die EUGS Interessen, die es global zu „schützen“ gelte: „Im Zusammenhang mit dem Interesse der EU an einem offenen und fairen Wirtschaftssystem besteht die Notwendigkeit von weltweitem Wachstum und weltweiter Sicherheit im Seeverkehr, wodurch offene und geschützte Wege auf Ozeanen und Meeren, die für den Handel von entscheidender Bedeutung sind, und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen sichergestellt werden. Die EU wird zur weltweiten maritimen Sicherheit beitragen und dabei auf ihre Erfahrungen im Indischen Ozean und im Mittelmeer zurückgreifen und die Möglichkeiten für den Golf von Guinea, das Südchinesische Meer und die Straße von Malakka prüfen.“[10]

Andererseits unterstreicht die Globalstrategie auch, dass das primäre – insbesondere auch militärische – Augenmerk auf dem erweiterten Nachbarschaftsraum liegt. Ohne jede Form der Selbstkritik soll dabei auch künftig auf den neoliberalen Umbau des Nachbarschaftsraums und seiner Integration in die EU-Einflusssphäre gesetzt werden, ungeachtet der Tatsache, dass diese Politik massiv zur Destabilisierung der Länder im Süden und Osten der EU beiträgt. Gerade deshalb wird wohl auch betont, dass genau diese Länder die Schwerpunkte möglicher künftiger EU-Militärinterventionen darstellen: „Die EU wird sich – praxisorientiert und auf Prinzipien gestützt – für die Friedenskonsolidierung einsetzen; dabei werden wir die Bemühungen auf unsere östlichen und südlichen Nachbarregionen konzentrieren, während weiter entfernte Einsätze von Fall zu Fall erörtert werden.“

Anders als noch im Libyen-Krieg unter Beweis gestellt, sollen solche Interventionen in der EU-Nachbarschaft künftig tatsächlich möglichst unabhängig – autonom – von den USA erfolgen können: „Die europäischen Anstrengungen auf dem Gebiet der Sicherheit und der Verteidigung sollten die EU in die Lage versetzen, autonom zu handeln und gleichzeitig zu Maßnahmen der NATO beizutragen und gemeinsam mit ihr Maßnahmen durchzuführen. Eine glaubwürdigere europäische Verteidigung ist auch für eine gesunde transatlantische Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von wesentlicher Bedeutung.“

Um dies zu erreichen, fordert die EUGS, dass hierfür auch die dementsprechenden militärischen Kapazitäten aufgebaut werden müssen: „Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss.“ Damit diese „Fähigkeiten“ auch verlässlich bereitgestellt werden, braucht es schließlich noch eine möglichst schlagkräftige Rüstungsindustrie: „Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und eine glaubwürdige GSVP.“

Deutsch-Französische Militarisierungsoffensive

Ebenfalls bereits wenige Tage nach dem britischen Referendum im Juni 2016 veröffentlichten die (damaligen) Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, das offensichtlich lange vorher erarbeitete Papier „Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt“. In ihm wurde nicht nur die Umsetzung von seit Jahren in der Pipeline befindlicher Militärprojekte, sondern auch eine diesbezügliche deutsch-französische Führungsrolle gefordert: „In einem stärker von divergierenden  Machtinteressen  geprägten  internationalen Umfeld  sollten  Deutschland  und Frankreich gemeinsam dafür eintreten, die EU Schritt für Schritt zu einem unabhängigen  und  globalen  Akteur  zu  entwickeln.“[11]

Nach der Sommerpause war es dann zuerst die Außenbeauftragte Mogherini, die am 8. September 2016 einen Forderungskatalog vorlegte, der unter anderem die Aufstellung eines EU-Hauptquartiers enthielt. Nur wenige Tage später, am 12. September 2016, wurde dann das zweite deutsch-französische Papier veröffentlicht, diesmal von den Verteidigungsministern Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian. Auch darin fand sich die Forderung, den Brexit nun für den großen Militarisierungssprung nach vorne zu nutzen: „Unter der Prämisse der Entscheidung des Vereinten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, ist es nun unser Ziel, zu 27 weiter voranzuschreiten.“[12]

Die Gesamtheit der deutsch-französischen Forderungen wurde von der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen zusammengefasst: „Im Zentrum stehen Vorschläge für ein gemeinsames und permanentes EU-Militärhauptquartier. Bisher werden EU-Einsätze mit rotierender Zuständigkeit geführt. […] Von besonderer Bedeutung sind auch neue Verfahrenswege. So soll der bisher ungenutzte Artikel 44 des Lissabonvertrags der EU aktiviert werden. Er erlaubt Mitgliedsstaaten, dass sie in unterschiedlicher Geschwindigkeit die Zusammenarbeit vorantreiben, auch ohne dass Einstimmigkeit herrscht. Bisher wurde auf diese Bestimmung aus Rücksicht auf Großbritannien verzichtet. Die deutsch-französische Initiative sieht außerdem eine Synchronisierung der Haushaltsplanung vor, eine gleiche Lastenverteilung bei Einsätzen, einen EU-Forschungshaushalt für technologische Aspekte der Rüstungsentwicklung und auch mehr Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Ausrüstung.“[13]

Bratislava-Agenda: „Härte Zeigen“

Am 14. September 2016 griff EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union den Großteil der bereits kursierenden Vorschläge noch einmal auf und fügte zu allem Überfluss auch noch eigene hinzu. Auffällig war vor allem auch der militaristische Ton, den der Kommissionspräsident dabei anschlug: „Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht Soft Power allein nicht mehr aus. […] Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Europa kann es sich nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln oder Frankreich in Mali allein zu lassen. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, unsere Interessen und die europäische Art zu leben zu verteidigen.“[14]

Konkret fordert Juncker u.a.:

1) Eine profiliertere EU-Rolle in Krisengebieten

Juncker will, dass die EU als Akteurin – und nicht „nur“, wenn überhaupt, ihre Einzelstaaten – eine führende Rolle bei der Bewältigung heutiger Konflikte spielen soll. Die Schaffung eines aufgrund des Symbolwertes lange hochumstrittenen Postens eines EU-Außenministers dient dabei dazu, diesen Anspruch zusätzlich zu untermauern: „Federica Mogherini, unsere Hohe Vertreterin und meine Vizepräsidentin, leistet hervorragende Arbeit. Aber sie muss unsere Europäische Außenministerin werden, mit deren Hilfe alle diplomatischen Dienste – von kleinen wie großen Ländern gleichermaßen – ihre Kräfte bündeln, um in internationalen Verhandlungen mehr Einfluss zu erlangen. Deswegen fordere ich heute eine Europäische Strategie für Syrien. Federica gehört mit an den Verhandlungstisch, wenn über die Zukunft Syriens geredet wird.“

2) Ein militärisches Kerneuropa

Auch Juncker drängt darauf, endlich von der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ) Gebrauch zu machen, deren Nutzung prinzipiell durch den Vertrag von Lissabon ermöglicht wird, bislang aber unter anderem von Großbritannien blockiert wurde. Dadurch wäre es möglich, das bislang gültige – und oftmals als hinderlich empfundene – Konsensprinzip im GSVP-Bereich auszuhebeln und Teile der EU-Militärpolitik per Mehrheitsentscheid auf eine kleine Gruppe an Mitgliedstaaten zu übertragen. Darüber hinaus werden als „Teilnahmeberechtigung“ in Protokoll 10 des Lissabon-Vertrages auch noch die Beteiligung an allen relevanten EU-Rüstungsprojekten und Militäreinsätzen genannt, wodurch die Hürden so hoch sind, dass sie lediglich von einigen wenigen großen EU-Staaten übersprungen werden können. Dennoch hat sich Juncker dieses problematische Konzept augenscheinlich zu Eigen gemacht: „Der Vertrag von Lissabon gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Verteidigungsfähigkeiten in Form einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit zu bündeln, so sie dies wollen. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diese Möglichkeit zu nutzen.“

3) Ein EU-Hauptquartier für mehr Militäreinsätze

Obwohl seit 2004 verfügbar, wurden die EU-Kampftruppen (Battlegroups) bislang noch nie eingesetzt. Dies lag einmal am Widerstand Großbritanniens, wird aber auch auf unzulängliche Planungskapazitäten zurückgeführt. Das soll nun behoben werden, wenn es nach Juncker geht: „In den letzten zehn Jahren haben wir uns in über 30 zivilen und militärischen EU-Missionen von Afrika bis Afghanistan engagiert. Doch ohne dauerhafte Struktur können wir nicht wirksam agieren. Dringende Operationen verzögern sich. Es ist an der Zeit, dass wir für diese Operationen ein gemeinsames Hauptquartier einrichten.“

4) EU-eigene militärische Fähigkeiten

Bei nahezu allem, was im Militärbereich auf EU-Ebene geschieht, wird auf rein nationalstaatliche Fähigkeiten zurückgegriffen. Eine Bündelung von Fähigkeiten unter EU-Kontrolle wurde von Großbritannien stets als zu großer Schritt in Richtung einer EU-Armee abgelehnt. Juncker teilt diese Aversion augenscheinlich nicht, wie sich schon im März 2015 gezeigt hatte, als er lautstark die Schaffung einer EU-Armee forderte. Auch in seiner Rede zur Lage der Union forderte er: „Außerdem sollten wir uns auf gemeinsame militärische Mittel hinbewegen, die in einigen Fällen auch der EU gehören sollten.“

5) EU-Rüstungsgelder

Zu schlechterletzt widmet sich Juncker auch noch der Frage, wie das ganze militärische Wunschkonzert finanziert werden soll, indem er fordert, EU-Haushaltsgelder für militärrelevante Ausgaben heranzuziehen: „Eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungsindustrie. Deshalb werden wir noch vor Jahresende einen Europäischen Verteidigungsfonds vorschlagen, der unserer Forschung und Innovation einen kräftigen Schub verleiht.“

Erklärung von Rom – Implementierungsplan – Verteidigungsfonds

Im Anschluss an Junckers Rede zur Lage der Europäischen Union verständigten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem informellen – weil bereits ohne Großbritannien abgehaltenen – Ratsgipfel in Slowenien am 16. September 2016 mit der sogenannten „Bratislava-Agenda“ darauf, die kursierenden Vorschläge weiter zu konkretisieren. Hierfür legte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bereits am 14. November 2016 den am selben Tag vom Rat gebilligten „Implementierungsplan zur Sicherheit und Verteidigung“ vor. Er unterbreitete Vorschläge zur Umsetzung der EU-Globalstrategie – bemerkenswert darin ist vor allem die Forderung nach einer Erhöhung des militärischen Planziels (Headline Goal), also des Umfangs der EU-Militärkapazitäten.[15] Noch wichtiger war die Veröffentlichung des Verteidigungs-Aktionsplans der EU-Kommission am 30. November 2016. Im Kern enthielt er den vom Rat im Dezember 2016 grundsätzlich gebilligten Vorschlag, jährlich 500 Mio. Euro für EU-Rüstungsforschung und satte 5 Mrd. Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern auszuloben und damit den bislang weitgehend unbestrittenen Grundsatz, keine EU-Gelder für Militärausgaben zu verwenden, zu umgehen.[16]

Darüber hinaus verständigten sich die EU-Außen- und Verteidigungsminister Anfang März 2017 darauf, eine „Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit“ einzurichten. Dieses stehende Quasi-EU-Hauptquartier – dem Begriff selbst standen offenbar eine Reihe von Mitgliedsstaaten skeptisch gegenüber – soll zwar zunächst „nur“ für nicht-exekutive  Einsätze – vor allem also Ausbildungs- und Trainingseinsätze – zuständig sein, doch damit dürfte perspektivisch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein: „Insbesondere Deutschland wünscht sich noch größere Fortschritte, hieß es in Diplomatenkreisen. So könnte die neue Zentrale später auch ‚exekutive‘ EU-Militäreinsätze führen – also nicht nur Trainings- und Beratungsmissionen, sondern auch Einsätze mit möglicher Waffengewalt wie etwa die Anti-Piratenmission ‚Atalanta‘ und die Marinemission ‚Sophia‘ im Mittelmeer. Sie werden bisher von den Hauptquartieren in den Mitgliedstaaten geleitet.[17]

Als nächster wichtiger Zwischenschritt wurde der 25. März 2017 auserkoren – das symbolträchtige 60jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Zu diesem Anlass unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs sowie Vertreter von Parlament, Rat und Kommission die „Erklärung von Rom“. In ihr wurde noch einmal die Ambition unterstrichen, als EU eine „entscheidende Rolle in der Welt zu spielen“. Für ein „ein stärkeres Europa in der Welt“ bedürfe es einer Union, die bereit sei, „mehr Verantwortung zu übernehmen und dazu beizutragen, eine stärker wettbewerbsfähige und integrierte Verteidigungsindustrie zu schaffen; eine Union, die sich zur Stärkung ihrer gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung bekennt, auch in Zusammenarbeit und Komplementarität mit der Nordatlantikvertrags-Organisation“.[18] Viel konkreter wurde es in diesem Dokument allerdings nicht – insbesondere auch die Passagen zur Aktivierung der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ blieben recht schwammig.

Noch im Oktober 2016 hatten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien in einem Papier unter anderem die Aktivierung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit gefordert – interessanterweise handelt es sich dabei um vier Staaten, die „Post-Brexit“ zusammen 57,5% der Stimmengewichte des Bevölkerungsanteils auf sich vereinigen würden. Wenn es ihnen dann noch gelänge, ausreichend kleinere EU-Länder auf ihre Seite zu ziehen, hätten sie faktisch bereits eine „qualifizierte Mehrheit“ zur Bildung einer SSZ erreicht.[19] Aus diesem Grund ist es nachvollziehbar, dass die FAZ berichtet, im Vorfeld der „Erklärung von Rom“ habe es einigen Widerstand aus den Reihen der kleinen und mittleren EU-Länder hiergegen gegeben: „Die Kanzlerin warb mit Unterstützung aus Frankreich und Spanien für ein ‚Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten‘. Viele andere Europäer waren davon nicht begeistert. […] Der Begriff ‚Kerneuropa‘ ist auch nicht beliebter. Andere denken da nämlich schnell an ein deutsches Zentralgestirn, um das lauter Planeten kreisen.“[20]

Dementsprechend vage wurde in der Erklärung von Rom auf dieses Thema Bezug genommen: „Wir werden gemeinsam – wenn nötig mit unterschiedlicher Gangart und Intensität – handeln, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen, so wie wir es schon in der Vergangenheit getan haben.“[21] Auf der anderen Seite verweist ebenfalls die FAZ darauf, dass sie die Erklärung – aus deutscher Sicht – für einen Fortschritt hält: „Das klingt schon wieder fast belanglos, ist es aber nicht. Die Staaten erkennen erstmals in einer gemeinsamen Erklärung an, dass sie keineswegs im selben Tempo voranschreiten müssen.“[22]

Rüstung mit oder gegen die USA?

Wie aus der vorigen Darstellung klar geworden sein sollte, entwickelt sich der EU-Militärbereich in jüngster Zeit überaus dynamisch. Eine letzte Frage, die sich deshalb aufdrängt ist, inwieweit die in diesem Zusammenhang ergriffenen Rüstungsinitiativen als Ergänzung oder als Konkurrenz zu den USA begriffen werden müssen. Aus Sicht einer Analyse der Generaldirektion des Rates existieren dabei zwischen den Interessen der Europäischen Union und denen der USA keine Konflikte – alles bestens im transatlantischen Verhältnis: „[Die EUGS] könnte sich als Wendepunkt im europäischen außen- und sicherheitspolitischen Denken erweisen. Sie betont zusätzlich zur weichen Macht den Wert harter Macht – einschließlich einer starken Partnerschaft mit der NATO. […] Einige Mitgliedsstaaten haben befürchtet, dass eine stärkere, autonomere EU die NATO schädigen würde, in der 22 EU-Länder Mitglied sind. Aus diesem Grund forderten sie eine starke Berücksichtigung der NATO in der Strategie. Diese Befürchtungen wurden adressiert, da die NATO eine große Rolle in der EUGS spielt. Aus Sicht der Globalstrategie gibt es keine zwingenden Konflikte zwischen den Interessen der EU und denen der NATO.“[23]

Allerdings wurde diese Analyse vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten angefertigt – und die manchmal zwar völlig nachvollziehbare, teils aber auch völlig hysterische Trump-Kritik, die sich unter anderem hierzulande in nahezu allen Medien Bahn bricht, könnte zu der Auffassung verleiten, dass sich der Wind hier allmählich dreht. Hier ist allerdings Vorsicht angebracht – denn zumindest aus deutscher und europäischer Sicht sprechen weiter viele Gründe für ein enges Bündnis mit den USA, Trump hin oder her. So erteilte etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, Plänen zur „Gegenmachtbildung“ eine klare Absage: „Erstens würden wir die vielen Millionen Amerikaner ignorieren, die eben nicht Donald Trump gewählt haben. […]  Anstatt uns  pauschal von den USA abzuwenden, sollten wir mit all jenen zusammenarbeiten, die an einer Bewahrung der transatlantischen Wertegemeinschaft interessiert sind. Dazu scheinen ja auch einige Mitglieder der neuen Regierung zu zählen, die sich erfreulich deutlich zur transatlantischen Partnerschaft und Kontinuität bekannt haben – von den Trump-Gegnern im Kongress ganz zu schweigen. Zweitens ist es nicht so, dass überall auf der Welt Partner Schlange stünden, die mit Europa die liberale Weltordnung verteidigen wollten. […] Langfristig wird die liberale Weltordnung nur Bestand haben, wenn sie von beiden Pfeilern der transatlantischen Partnerschaft gestützt wird. Drittens übersehen jene, die jetzt zu einer europäischen Gegenmachtbildung zu den USA aufrufen, dass diese Option in Wahrheit gar nicht besteht. Die Europäer können kurz- und mittelfristig nicht auf die US-amerikanische Sicherheitsgarantie verzichten.“[24]

Summa summarum: An den USA und damit auch an der NATO führt zumindest mittelfristig allen Anstrengungen zum Trotz – nicht zuletzt aus deutscher Sicht – kein Weg vorbei. Das schließt allerdings ein arbeitsteiliges Verfahren keineswegs aus, zumal Donald Trump ja explizit größere militärische Anstrengungen der Verbündeten einfordert. Den EU-Verbündeten wiederum scheint der Druck aus Washington teils gerade recht zu kommen, ermöglicht er es doch gegenüber der eigenen Bevölkerung umfassende Rüstungsmaßnahmen zu legitimieren: „Es ist die Aufgabe dieser und der nächsten Bundesregierung, die Ausgaben nicht nur zu erhöhen, sondern auch dafür zu sorgen, dass das Geld effizient investiert werden kann. Im Fall der Bundeswehr geht es nach einem Vierteljahrhundert der systematischen Demilitarisierung übrigens nicht um ein Auf-, sondern um ein Nachrüsten. Die deutschen Streitkräfte sind in einem beklagenswerten Zustand, materiell wie personell. So gesehen kann die Bundeswehr Trump dankbar sein: Der Präsident hält den Druck im Kessel hoch.“[25]

In jedem Fall würden die USA den EU-Staaten auch und gerade unter Trump wohl nur allzu gerne die Verantwortung für die militärische Kontrolle „ihres“ erweiterten Nachbarschaftsraums übertragen – und viele Entscheidungsträger in der EU scheinen nur allzu willig, diese „Verantwortung“ als wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer veritablen „Weltmacht EUropa“ zu schultern. Exemplarisch für diese Positionen war der von nicht weniger als zehn Zeit-Redakteuren gezeichnete Artikel „Weltmacht! Echt jetzt?“, in dem es heißt: „Nach der Wahl Donald Trumps erkennen die Europäer, dass sie künftig selbst ihre Interessen durchsetzen und ihre Sicherheit garantieren müssen – und was dem noch alles im Wege steht. […] Europa muss nicht ‚Weltmacht‘ werden im amerikanischen Sinne, mit Flugzeugträgergruppen, die stählern durch alle Weltmeere pflügen. […] Europa hat Interessen in Afrika, in einem Teil von Asien (Syrien! Afghanistan!) und an all seinen Außengrenzen, vom Balkan bis Marokko, vom Atlantik bis tief ins südliche Mittelmeer. Hier Mitverantwortung zu übernehmen, weit über den eigenen Kontinent hinaus – auch das ist Weltmacht. Regional begrenzte Weltmacht ganz gewiss, aber auch zum Glück. Aber für eine ziemlich große Region.“[26]

Anmerkungen

[1] So der Direktor des Europa-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel: Optenhögel, Uwe: Brothers in Arms. Trotz Brexit wird in der europäischen Verteidigung zusammenwachsen, was zusammengehört, Internationale Politik und Gesellschaft, 18.1.2017.

[2] Küster, Kai: Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee?, Deutschlandfunk, 14.11.2016.

[3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2016 zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (2016/2036(INI)).

[4] Schulz, Martin: Die Außenpolitik der Europäischen Union im 21. Jahrhundert: Vision, Ambition und Wirklichkeit, in: integration 2/2013, S. 138-145, S. 145.

[5] Rogers: James: A New Geography of European Power?, Egmont Paper, No. 42, January 2011, S. 16. Siehe hier alle folgenden Zitate dieses Kapitels.

[6] Ashton, Catherine: Preparing the December 2013 European Council on Security and Defence, Final Report by the High Representative/Head of the EDA on the Common Security and Defence Policy, Brussels, 15 October 2013, S. 2.

[7] „Wir bewegen uns mit Lichtgeschwindigkeit“, Die Welt, 25.2.2000.

[8] Deutsch-französische Strategie zur Verteidigungspolitik, Deutschlandfunk, 13.9.2016.

[9] Pany, Thomas: Nach Brexit: Von der Leyen für mehr militärische EU-Zusammenarbeit, Telepolis, 14.7.2016.

[10] Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (EUGS), Brüssel, 28.6.2016. Siehe hier alle folgenden Zitate dieses Kapitels.

[11] Ayrault, Jean-Marc/Steinmeier, Frank-Walter:  Ein starkes Europa in einer unsicheren Welt, Stand 27.6.2016.

[12] Le Drian, Jean Yves/Leyen, Ursula von der: Erneuerung der GSVP, Berlin, 12.9.2016.

[13] Deutschland und Frankreich wollen Verteidigungspolitik der EU reformieren, Süddeutsche Zeitung, 9.9.2016.

[14] Juncker, Jean-Claude: Rede zur Lage der Union: Hin zu einem besseren Europa – Einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt, Straßburg, 14.9.2016. Hieraus auch die restlichen Zitate dieses Abschnitts, sofern nicht anders ausgewiesen.

[15] Implementation Plan on Security and Defence, Brüssel, 14. November 2016 (14392/16).

[16] Europäischer   Verteidigungs-Aktionsplan,   Brüssel,   30.11.2016 (COM(2016) 950 final).

[17] EU wächst militärisch zusammen – zumindest ein bisschen, Spiegel Online, 6.3.2017.

[18] Erklärung von Rom, 25. März 2017.

[19] Große EU-Staaten wollen Kräfte in Verteidigung bündeln, Reuters, 12.10.2016.

[20] Ein Kern für Europa, FAZ, 25.3.2017.

[21] Erklärung von Rom, 25. März 2017.

[22] Ein Kern für Europa, FAZ, 25.3.2017.

[23] Legrand, Jérôme: Does the new EU Global Strategy deliver on security and defence? DG EXPO, September 2016, S. 1 und 15.

[24] Ischinger, Wolfgang: Einbinden, Einfluss nehmen, Süddeutsche Zeitung, 15.2.2017.

[25] Trump zwingt Europäer zu überfälliger Nachrüstung, Die Welt, 19.2.2017.

[26] Weltmacht! Echt jetzt?, Zeit Online, 17.11.2016. Gezeichnet von Jochen Bittner, Georg Blume, Gerhard Gnauck, Angela Köckritz, Matthias Krupa, Jörg Lau, Michael Thumann, Gero von Randow, Heinrich Wefing und Ulrich Ladurner.