IMI-Standpunkt 2012/046 in: AUSDRUCK (Oktober 2012)
Der Krieg gegen den Terror in Mombasa
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 31. August 2012
Am 27.8.2012 wurde der islamische Geistliche Abud Rogo Mohammed auf einer Ausfallsstraße am Rande Mombasas von Unbekannten mit 14 Schüssen in die Brust getötet. Seine Frau, die mit ihm im Auto saß und ebenfalls verletzt wurde, verweigerte jede Hilfe durch die schnell eintreffenden Streifenbeamten und machte die Polizei selbst für den Mord verantwortlich. Diese hatte Abud Rogo Mohammed bereits mehrfach inhaftiert und wegen des Verdachts auf Terrorismus und Unterstützung der somalischen Al Shabab angeklagt, aufgrund ähnlicher Anschuldigungen hatten die USA bereits UN-Sanktionen gegen ihn erwirkt. Das Gerücht, dass die Polizei den bekannten und umstrittenen Geistlichen hingerichtet hätte, machte in Mombasa schnell die Runde, binnen weniger Stunden kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei: Erst flogen Steine, dann angeblich auch Brandsätze, zunächst richtete sich die Gewalt v.a. gegen die Polizei, dann auch gegen christliche Einrichtungen. Am zweiten Tag der Proteste sollen zudem mehrere Granaten explodiert sein, die mindestens drei Polizisten in den Tod rissen. Obwohl die Berichte über die Explosionen widersprüchlich sind, wird übereinstimmend gemeldet, dass sich die Lage seit dem beruhigt hätte. Vertreter_innen des Parlaments und verschiedener Religionsgemeinschaften verurteilten den Einsatz von Granaten als „neue Kultur der Gewalt“ und auch viele Demonstranten scheinen eher geschockt von dieser Eskalation. Außerdem wurde die Präsenz der Sicherheitskräfte deutlich erhöht. In den Medien ist zwar lediglich von Polizisten die Rede, die Uniformierten, die in Berichten des kenianischen Senders ntv jedoch gezeigt werden, wie sie die Slums von Mombasa patrouillieren und Haus für Haus durchsuchen, gleichen eher schwer bewaffneten Soldaten.
Eine solche Eskalation gerade in Mombasa war bereits länger absehbar. Seit jeher leben viele Somalis in Kenia, somalische Nationalisten hegen sogar Ansprüche auf Teile des kenianischen Staatsgebietes. Im Zuge des langanhaltenden Bürgerkrieges und der Hungerkatastrophe im vergangenen Jahr flohen jedoch immer mehr Somalis nach Kenia und v.a. in die Küstengebiete, wo mit Geld aus den Golfstaaten viele, im Vergleich zu den vorherrschenden Lebensbedingungen relativ komfortable, aber auch streng überwachte Siedlungen und zahlreiche Moscheen aufgebaut wurden. Zwischen diesen wuchsen auch sehr ärmliche Siedlungen, die überwiegend von somalischen Flüchtlingen bewohnt wurden.
Für sich genommen handelt es sich dabei zwar um ein soziales Problem, das aber nicht automatisch die Gefahr religiöser Konflikte beinhaltet. Tatsächlich war das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen angesichts der angespannten sozialen Lage gerade in Mombasa lange relativ harmonisch. Nach der Invasion Äthiopiens in Somalia 2006 und der anschließenden Einsetzungen einer international anerkannten, in Somalia selbst aber als völlig illegitim eingeschätzten (Äthiopien nahestehenden) Übergangsregierung 2008 wollte auch Kenia seine Rolle in Somalia stärken. Mit finanzieller Unterstützung der EU und der USA wurden Soldaten (und „Polizisten“) der somalischen Übergangsregierung ebenso in Kenia ausgebildet, wie ugandische und burundische Soldaten, die diese im Rahmen der AMISOM (finanziert u.a. von der EU) in Mogadischu unterstützen sollten. Zudem bot sich Kenia als enger Partner der EU-Mission zur Pirateriebekämpfung vor Somalia, ATALANTA, an. Nahezu durchgängig liegen und lagen Marineboote der teilnehmenden EU-Staaten in Mombasa vor Anker. Häufig übergaben sie dort gefangene mutmaßliche Piraten der kenianischen Polizei, die sie vorbei am beliebten „Pirate Bay“-Strand in das nahe Mombasa gelegene Gefängnis Shimo la Tewa brachten.
Die kenianische Regierung begründete dieses Engagement u.a. mit der Bedrohung Kenias durch die Al Shabab in Somalia. Unter dieser Gruppe wurden alle die Übergangsregierung und ihre internationalen Unterstützer bekämpfenden Gruppen subsummiert und sie wurden von USA und EU pauschal als „terroristisch“ und Al Kaida nahestehend eingestuft, obwohl sie lange nur innerhalb Somalias aktiv war. Die kenianische Regierung jedoch schloss sich dieser Einschätzung an und insbesondere kenianische Medien kolportierten Gerüchte über eine angebliche Unterwanderung der somalischen Diaspora durch Al Shabab bzw. Al Kaida, zwischen denen im öffentlichen Diskurs kaum noch ein Unterschied gemacht wurde. Es muss dabei hervorgehoben werden, dass es neben einzelnen Politikern vor allem die Medien waren, die so gegen eine wachsende und immer sichtbarere muslimische Minderheit Ängste vor Terrorismus schürte. Auf diese wiederum reagierte die Politik zunehmend mit repressiven Maßnahmen. Hatten Menschenrechtsorganisationen zuvor v.a. auf die fehlende Versorgung der Flüchtlinge und einen mangelnden Menschenrechtsschutz im Umgang mit diesen hingewiesen, häuften sich im Jahr 2010 die Berichte von überfallartigen Razzien auf somalische Viertel und Massenverhaftungen in Nairobi und Mombasa. Zugleich berichtete Human Rights Watch in einem Bericht über die Flüchtlingslager im Grenzgebiet zu Somalia, wie die Schließung der Grenze bei anhaltenden Fluchtbewegungen dieses quasi in ein Kriegsgebiet verwandelt hätte. 2011 verschärfte sich die Situation im Zuge der Hungerkatastrophe weiter nicht nur dadurch, dass noch mehr Flüchtlinge ankamen, sondern v.a. auch dadurch, dass Kenia und Äthiopien diese nutzte, um Teile Somalias zu besetzen. Die kenianische Armee erhielt dabei zumindest durch französische Kriegsschiffe Unterstützung, die sich im Rahmen des ATALANTA-Einsatzes vor Ort befanden. Zugleich gewann die AMISOM in Mogadischu und der unmittelbaren Umgebung an Boden und intensivierten die USA die „gezielten Tötungen“ (ein Begriff, der während der Proteste gegen den Mord an Abud Rogo Mohammed häufig aufgegriffen wurde) gegen mutmaßliche Islamisten und Führer der Al Shabab in Somalia. Seitdem ist tatsächliche eine Internationalisierung der Strategie der Al Shabab bzw. der bewaffneten Opposition in Somalia erkennbar. Faktisch hat sie in mehreren kenianischen Flüchtlingslagern die Kontrolle übernommen und bereits mehrfach (mutmaßlich) kleinere Anschläge in kenianischen Städten durchgeführt. Der Einsatz von Granaten angesichts der jüngsten Proteste in Mombasa könnte durchaus ein Versuch gewesen sein, diese zu radikalisieren und zu eskalieren. Dass dieser zunächst fehlgeschlagen ist, straft die Hysterie einer angeblichen Unterwanderung muslimischer Bevölkerungsgruppen durch Terroristen Lügen.
Nach dem Bekanntwerden des Todes des äthiopischen Premierministers Meles Zenawi am 21.8.2012, den die Presse zu diesem Anlass in seltsamer Offenheit als „starken Mann“, Autokrat und engen Verbündeten des Westens bezeichnete, brach die EU-Außenbeauftragte Ashton zu einer Afrikareise auf. Nach einem Besuch bei der neuen Vorsitzenden der Afrikanischen Union, der südafrikanischen Innenministerin Nkosazana Dlamini-Zuma, reiste sie am 27.8.2012 nach Mogadischu, um den Vertretern einer neuen Übergangsregierung ihren Segen zu geben. Von dort reiste sie weiter nach Kenia, dem nach Äthiopien engsten Verbündeten in der Region, um sich mit dessen Premierminister der zukünftigen Zusammenarbeit bei der Befriedung Somalias zu versichern. Sie verwies dabei auch auf eine neue EU-Militärmission, die kurz zuvor begonnen hatte und deren Ziel darin besteht, die Kapazitäten der kenianischen Marine zu verbessern. Auf die Auseinandersetzungen in Mombasa, die einen Tag zuvor begonnen hatte, ging sie in ihrer Pressemitteilung hierzu nicht ein. Dabei handelt es sich natürlich um ein inneres Problem Kenias, für das der Staat überdies gut gerüstet ist: Im Gegenzug für die Aburteilung mutmaßlicher, im Rahmen von ATALANTA festgenommener Piraten unterstützt die EU aus dem Instrument für Stabilität (IfS) den Polizeiaufbau in Kenia.