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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0376 ………. 15. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1) ein IMI-Standpunkt zu den kürzlich abgehaltenen Wahlen in Libyen;
2) ein IMI-Standpunkt zur nochmaligen Erhöhung des deutschen Rüstungshaushaltes.
1) Libyen-Wahl
IMI-Standpunkt 2012/037
„In großen Zahlen demokratisch Wählen gegangen“
EU erklärt die Wahlen in Libyen zum Erfolg – was gewählt wurde, bleibt jedoch unklar
https://www.imi-online.de/2012/07/10/in-grosen-zahlen-demokratisch-wahlen-gegangen/
von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 10. Juli 2012
Unterschiedliche Darstellungen
Am Abend des 7. Juli 2012 brachten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und der EU-Kommissar für die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik, Štefan Füle, eine gemeinsame Pressemitteilung heraus, in der sie „dem libyschen Volk und seinem friedlichen Kampf für Rechte und demokratische Ambitionen“ gratulierten. Kurz zuvor hatte bereits die Tagesschau im ARD über die „erste freie Parlamentswahl nach Jahrzehnten“ berichtet. Gezeigt wurde darin auch der „Leiter der EU-Wahlbeobachtermission“ (so der eingeblendete Untertitel) Alexander Graf Lambsdorff, der den Urnengang lobte: „Die Organisation der Wahlen hier, wo wir das beobachten konnten, war einwandfrei, erstaunlich gut…“ Die Wahlen seien „in der Hauptstadt Tripolis und auch im ganzen Land“ gefeiert worden, so der Sprecher aus dem Off. Ein nicht namentlich genannter Korrespondent ergänzte daraufhin nochmal in ein ARD-Mikrofon: „Die Libyer haben viele internationale Experten überrascht und ein wenig auch sich selbst. Nur zehn Monate nach dem Ende Gaddafis haben sie eine bemerkenswert professionell organisierte Wahl abgehalten … Libyen scheint auf einem guten Weg, sich eine demokratische Verfassung zu geben.“ Nur am Rand wird berichtet, dass es „im Osten des Landes … Überfälle auf Wahllokale“ gegeben habe.
Im Deutschlandfunk wurde noch am selben Tag ein anderes Bild vermittelt: Dort hieß es, „die erste freie Parlamentswahl nach über 40 Jahren wurde von Gewaltakten begleitet“. Mehrere Milizen hätten zum Boykott der Wahl aufgerufen und frühere Rebellen Ölraffinerien abgeschaltet, um die Wahl zu verhindern. Wahllokale seien auf Grund von Gewalt- und Sabotageakten geschlossen worden, „[m]ilitante Wahlgegner hätten außerdem Hunderte Stimmzettel aus einem Wahllokal entwendet und öffentlich verbrannt, berichteten Augenzeugen“. Später war dann noch von einem Toten und dem Abschuss eines Hubschraubers der Wahlkommission die Rede. Im Interview mit dem Deutschlandfunk meint Lambsdorff den Vorfall zu relativieren: „Allerdings ist der Hubschrauber nicht, wie das in mancher Tickermeldung hieß, nicht abgeschossen worden, sondern er ist beschossen worden und unglücklicherweise ist einer der Insassen dabei umgekommen.“
Die „EU-Wahlbeurteilungsmission“
Diese sehr unterschiedlichen Darstellungen des Wahlverlaufes können durchaus beide richtig sein und trotzdem kein umfassendes und adäquates Bild der Gesamtsituation vermitteln. Eine ausführlichere Darstellung von durch die EU beobachteten Wahlen liefern oft die Berichte auf der Homepage der jeweiligen EU-Wahlbeobachtermission. Allein: Es gibt keine solche Homepage, denn es gab gar keine EU-Wahlbeobachtermission. Alexander Graf Lambsdorff ist lediglich Leiter eines aus 21 Personen bestehenden „Election Assessment Teams“ (EU EAT). Im Gegensatz zu den EU-Wahlbeobachtungsmissionen, die letztes Jahr u.a. in der DR Kongo, Tunesien, Sambia, Nicaragua, Peru, Niger, Nigeria, dem Sudan und Tschad stattfanden, sind die EATs nur sehr kurzfristig und ohne konkrete Aufgabe im Land, eine flächendeckende Präsenz ist nicht einmal im Ansatz angestrebt. An einer Stelle beschreibt der Deutschlandfunk die Mission in journalistisch korrekter Abgrenzung von den Wahlbeobachtermissionen als „EU-Wahlbeurteilungsmission“. Das kommt der Sache im Grunde relativ nahe, denn es handelt sich bei den EATs eher um PR-Teams, welche die Wahlen nicht wirklich beobachten, sondern eine bestimmte Wahrnehmung von ihnen transportieren sollen. Vor Libyen gab es erst zwei andere EU EATs: 2010 in Irak und Afghanistan.
Objektiver und vernünftiger Ausschluss
Doch auch die EAT erstellte einen Bericht, der immerhin Aufschluss darüber gibt, wer gewählt werden konnte und wer nicht. Zur Wahl standen letztlich 2501 unabhängige Kandidat_innen und 1206 Bewerber_innen, die über Listen gewählt werden konnten. Während für die Listen eine gesetzliche Quote garantierte, dass 44% der Bewerber_innen Frauen waren, waren nur 85, etwa 3%, der unabhängigen Kandidat_innen Frauen. Eine eigens hierfür einberufene Kommission schloss alle „Mitglieder des alten Regimes“ von den Wahlen in einem Prozess aus, der vom EAT als „objektiv und vernünftig“ charakterisiert wird.
Zur Wahl registrierten sich demnach exakt 2,8 Mio. Wähler_innen, während von insgesamt 3,5 Mio. Wahlberechtigten ausgegangen wurde. Warum diese Zahl auch angesichts der relativ jungen Bevölkerung Libyens so niedrig ist, obwohl die CIA im Januar 2011 noch von einer libyschen Gesamtbevölkerung von 6,46 Mio. Menschen (in Libyen) ausging, darauf liefert der Bericht nur Andeutungen. So haben die in sechs bzw. fünf Distrikten eingerichteten Registrierungszentren und Wahllokale für Binnenflüchtlinge diese sicher nicht vollständig erreicht und ebenfalls nicht wählen konnten die „großen libyschen Gemeinschaften“, die in den Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten (Niger und Mali wären ebenfalls zu nennen) – teilweise als Flüchtlinge – leben. Vergessen werden dürfen auch nicht die Tausenden von Menschen, die immer noch in den Gefängnissen und Lagern der verschiedenen Milizen festgehalten werden.
Niedrige Wahlbeteiligung
Am Montag nach der Wahl verbreitete die libysche Wahlkommission dann eine Zahl, die ebenfalls in seltsamen Kontrast zur angeblichen Feierlaune stand: Die Wahlbeteiligung habe nur knapp über sechzig Prozent derer betragen, die sich registrieren ließen. Gewählt haben sollen also nur knapp 1.7 Mio. Menschen, von 3.5, die potentiell wahlberechtigt waren bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung (allein im Land) von 6.4 Mio. Menschen vor Beginn des Krieges.
Warum aber ging angeblich nur etwas über die Hälfte derer wählen, die sich zuvor extra hatten registrieren lassen? Dafür stehen verschiedene Erklärungen zur Verfügung, die jedoch allesamt das Bild einer angeblich „demokratischen“ oder „freien“ Wahl schwer beschädigen. So könnte es z.B. bereits bei der Registrierung Unregelmäßigkeiten gegeben haben, die UN etwa wiesen in anderem Kontext darauf hin, dass die Bevölkerung Libyens nicht annähernd durch Behörden etc. erfasst wäre und sich die Staatsbürgerschaft des oder der einzelnen kaum feststellen ließe. Möglicherweise registrierten sich dieselben Menschen unter verschiedenen Namen und konnten letztlich nur einmal abstimmen, weil ihnen dabei der Finger eingefärbt wurde. Andere konnten vielleicht aus gerade diesem Grunde nicht abstimmen, weil verschiedene Milizen ja zum Boykott aufgerufen hatten und diese während der Wahl – von der Tagesschau euphemistisch als „Sicherheitskräfte“ bezeichnet – omnipräsent waren. Die vagen Angaben der EU-Wahlbeurteiler lassen zuletzt auch keine Schlüsse darauf zu, wie viele Wahlzettel tatsächlich verbrannt wurden oder im Laufe ihres Transports oder der Auszählung abhanden kamen.
Kein Wahlergebnis
Doch es könnte noch einen ganz anderen Grund für die niedrige Wahlbeteiligung geben. Am Tag der Wahl war nämlich unklar, was überhaupt gewählt wurde. Um insbesondere den Milizen im Osten entgegenzukommen, welche eher nach Unabhängigkeit streben, sich angesichts ihrer Bewaffnung und Rolle im Bürgerkrieg unterrepräsentiert sehen und den Wahlprozess ohnehin eher skeptisch verfolgten, veränderte der Nationale Übergangsrat zwei Tage vor der Wahl den Prozess zur Verfassungsgebung grundlegend. Nicht mehr der zu wählende Nationalkongress sollte eine Kommission einsetzen, welche die Verfassung ausarbeitet, stattdessen soll diese nun zu einem späteren Zeitpunkt wiederum direkt gewählt werden. Theoretisch bleibt dem Nationalkongress nun noch die Aufgabe, einen Premierminister zu wählen, der eine Regierung einsetzen und den Übergangsrat ablösen soll. Diese Regierung aber verfügt dann weder über eine verfassungsrechtliche Grundlage noch – angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung und der zahlreichen Unregelmäßigkeiten – über eine demokratische Legitimation. De facto wird die Macht wohl beim Übergangsrat und insbesondere bei den bewaffneten Gruppen verbleiben. Diesen Zustand, der Libyen wahrscheinlich noch lange beherrschen wird, zumindest nach Außen in das Gewand pseudo-demokratischer Legitimität zu kleiden, war offensichtlich Aufgabe des EU EAT, die Tagesschau und andere Medien haben das – mal wieder – bereitwillig geschluckt.
2.) Erhöhung des Bundeswehr-Haushalts
IMI-Standpunkt 2012/036
Rüstungshaushalt: Von der Schmierenkomödie zur Farce
https://www.imi-online.de/2012/07/10/ruestungshaushalt/
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 10. Juli 2012
Aus Militaristensicht passt eigentlich alles zusammen: Ein als Bundespräsident getarnter Feldpfarrer versucht, der Bevölkerung mehr Appetit auf neue Kriege einzutrichtern und weiß sich damit auf einer Wellenlänge mit Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, der bei Militäreinsätzen keine Tabus mehr sehen möchte (IMI-Standpunkt 2012/035). Gleichzeitig wird an jeder Ecke gejammert, der Bundeswehrhaushalt würde derart zusammengekürzt, dass die Truppe ihrem Einsatzauftrag – der augenscheinlich darin besteht, auf der ganzen Welt Menschen umzubringen – kaum mehr gerecht werden könne. Zuletzt kritisierte etwa der Wehrbeauftragte der Bundeswehr Hellmut Königshaus, aufgrund der klammen Kassenlage würden erhebliche Ausrüstungsmängel existieren, die dringend behoben werden müssten (Spiegel Online, 30.06.2012). Diese Kassandra-Rufe vom „Kaputtsparen der Bundeswehr“ trafen jedoch nicht einmal für die ursprünglichen Kürzungspläne zu – mit der neuesten Etatplanung bis zum Jahr 2016 werden sie aber nun endgültig zur Farce.
Der Reihe nach: Ursprünglich sollte die Bundeswehr zu den 81,6 Mrd. Euro, die die Bundesregierung bis 2014 einsparen will, laut Beschluss vom Juni 2010 eigentlich 8,3 Mrd. beitragen. Dies hätte laut anfänglichem Haushaltsansatz eine Absenkung des Militärbudgets auf 27,6 Mrd. Euro im Jahr 2014 bedeutet. Durch eine „Fristverlängerung“ wurde jedoch anschließend sichergestellt, dass der BMVg-Haushalt lediglich auf 30,4 Mrd. Euro bis 2015 sinken sollte (Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015, 12. August 2011, S. 20). Des Weiteren wurde noch über zahlreiche Buchungstricks diskutiert, wie militärrelevante Kosten in den Einzelplan 60, also den allgemeinen Haushalt verschoben werden könnten (vgl. etwa IMI-Standpunkt 2011/049).
Die Ende Juni 2012 präsentierten aktuellen Haushaltsplanungen sprengen selbst diesen weit gesteckten Finanzrahmen nun noch einmal erheblich. Laut Bundesfinanzministerium wird sich der Militäretat von 31,7 Mrd. im Jahr 2012 auf 33,3 Mrd. Euro im Jahr 2013 deutlich erhöhen (anstatt wie im bereits nach oben angepassten letzten Finanzplan auf 31,4 Mrd. absinken). Den neuen Planungen zufolge soll zudem der Haushalt bis zum Jahr 2016 lediglich auf 32,5 Mrd. Euro „abgesenkt“ werden (Bundeshaushalt 2013 und Finanzplan bis 2016, S. 11f.). Darüber hinaus wird die Möglichkeit eröffnet, jährlich Personalkosten von bis zu 1. Mrd. Euro dem allgemeinen Haushalt anzukreiden und so zusätzliche versteckte Budgeterhöhung vorzunehmen: „Der mit der Reform eingeleitete weitere Personalabbau wird hinsichtlich der Ausgaben für ziviles Überhangpersonal weiterhin finanziell flankiert mit einer Verstärkungsmöglichkeit aus dem Einzelplan 60 bis zur Höhe von 1,0 Mrd. Euro.“ (Bundeshaushalt 2013 und Finanzplan bis 2016, S. 12)
Von den ursprünglich einmal anvisierten 27,6 Mrd. hat man sich also mittlerweile gehörig entfernt – 2016 wird der Militärhaushalt im Extremfall knapp 6 Mrd. Euro über diesem Wert liegen! Kein Wunder also, dass der Rüstungsindustrie nahestehende Organe wie der Newsletter Verteidigung (Nr. 46/10. Juli 2012) angesichts der neuen Zahlen wohlwollend attestiert: „Die gute Nachricht: Die Kürzungen sind nicht so stark wie von vielen befürchtet und der Verteidigungshaushalt steigt insgesamt sogar ein wenig an.“