IMI-Standpunkt 2012/008

Für eine friedliche Universität

Zur Tübinger Debatte über eine „zivile“ Universität

von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 14. Februar 2012

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Am 31. Januar fand die Abschlussveranstaltung der Ringvorlesung zur Tübinger Zivilklausel unter dem Titel „Wie die Tübinger Zivilklausel mit Leben füllen“ in Form eines Podiums unter der Moderation des Politikwissenschaftlers Thomas Nielebock statt. Die Vorlesungsreihe selbst war im Vorfeld bereits zum Politikum geworden, da ein Exponent der Zivilklauselbewegung, Dietrich Schulze, ausgeladen wurde. Sein lauter Protest gegen die Berufung des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger zum Honorarprofessor, als unvereinbar mit einer Zivilklausel, wurde von den Veranstaltern der Reihe anders gesehen. Die Benennung einer Dozentin der Führungsakademie der Bundeswehr für einen der Vorträge stieß ebenfalls auf Protest und schließlich haben die Grünen- und die Juso-Hochschulgruppe in einer parallelen Veranstaltung auch noch einen Bundeswehrsoldaten eingeladen, seine Erlebnisse aus Afghanistan zum Besten zu geben.

Für die Redakteurin des schwäbischen Tagblatts ist es in ihrem Resümee[1] des Abschlusspodiums zur Zivilklausel-Ringvorlesung Aufgabe der Studierenden, die Einhaltung einer Zivilklausel zu überwachen – und ihr mangelndes Interesse gefährde nun selbige in ihrer Existenz. Ja besser noch, ausgerechnet ein Student plädiert für ein stärkeres Engagement der Bundeswehr in der Universität und würde gern selbst Herrn Ischinger einladen (siehe Kasten). Dabei hat das Abschlusspodium der Ringvorlesung zur Tübinger Zivilklausel eine ganze Reihe bemerkenswerter Beiträge gesehen: kämpferische Beiträge dafür, die von Studierenden geforderte und durchgesetzte Klausel mit Leben zu füllen. Denn abgesehen von dem „Studenten“/Juso Kurz und dem „Professor“ Birbaumer, die sich beide so gar nichts Konkretes unter der Klausel vorstellen konnten (außer dem, was man vielleicht so in der Zeitung las), rückten die anderen Teilnehmer mit spannenden Positionierungen heraus, die ein bisschen mehr Diskussion verdienen.

Eine notwendige Debatte

Daniel Lede-Abal tat sich schwer in der Rolle, einerseits eine grüne Parteilinie zu vertreten, die ihr Fähnchen seit der Wahl von pro nach contra gedreht hat, andererseits die als notwendig empfundene Debatte um eine friedliche und zivile Universität aufrecht zu erhalten. Eine gesetzliche Verankerung von Zivilklauseln im Landesgesetz schloss er nicht aus, würde er aber auch nicht mehr so dringlich ansehen. Er verpasste damit die Chance, die Debatte um diese Klausel auf eine übergeordnete politische Ebene zu heben und die Rolle von universitärer Forschung im Gefüge einer sich ändernden politischen Welt zu thematisieren. Dies blieb letztlich Heike Hänsel vorbehalten, die nicht nur an die bisherige Rolle der Universitäten und die explizite Mitschuld der Forschung an den Weltkriegen erinnerte, sondern auch die Folgen des Umbaus der Bundeswehr zur kriegsfähigen Armee für die Universitäten thematisierte. Dass Universitäten von Militärkreisen als Aktionsfeld angesehen werden, in die man verstärkt die eigenen sicherheitspolitischen Debatten einbringen müsse, um das Verständnis und die Akzeptanz expansiver militärischer Planung zu verankern (Celler Appell), kam dabei genauso zur Sprache, wie die Werbeoffensive der Bundeswehr, die auf die Rekrutierung von Hochqualifizierten für Auslandseinsätze abziele. Hier macht sich der Ärger über das friedliche Gerede in der Grundordnung und das anschließende Hofieren von Militärstrategen Luft. Überhaupt war es sehr gut, dass jemand das friedliche Selbstbild der Universität Tübingen zurück auf seine militaristischen Füße stellte und darauf aufmerksam machte, dass es sehr wohl sichtbare Zeugnisse von Wehrforschung gibt. Der Fall des Dozenten (!) Ischinger kann darüber hinaus als Beispiel herhalten, wie friedlich man sich Exponenten des deutschen Militarismus reden kann. Das ist notwendig als Positionierung zwischen dem Studenten („an der Uni Tübingen gibt’s doch nichts“) und dem Professoren („jede gute Forschung taugt fürs Militär“) – den Extremen von „nichts sehen wollen“ und „ausgeliefert und nicht verantwortlich“ sein.

Wolfgang Neef nahm den Faden historischer Verantwortung auf und fügte mit der Einbettung der Forschung in wirtschaftliche Verwertungsinteressen und der daraus resultierenden Kolonisierung der Universitäten ein Argument hinzu. Der Zwang zu sparen habe die Universitäten nachhaltig verändert und sie gezwungen, sich Geldgebern und deren spezifischen Interessen zu unterwerfen. Auch die Wirtschaft sei, so fügte er hinzu, nach innen wie außen kriegerisch organisiert. Die Zivilklausel biete dabei einen Ansatz, sich mit dieser Tendenz kritisch auseinander zu setzen und sich bestimmten Formen dieser Kolonisierung explizit zu verweigern. Auch für Elisabeth Gräb-Schmidt schien es angebracht, die Zivilklausel statt als starres Verbot zu begreifen, als Instrument zu nutzen, eine gezielte Diskussion mit den Wissenschaftlern anzustoßen, wo ethische Grenzen in der Forschungsarbeit liegen. Auf diese Weise soll möglichst früh eine Verzahnung ethischer Bewertung und der konkreten Forschungsarbeit herbeigeführt werden, um dem Missbrauch von Forschung für Krieg und Militär vorzubeugen. Die gezielte Sensibilisierung auf die Thematik sei letztlich ein fortwährender Prozess, der durch Seminare oder begleitende Veranstaltungen gestützt werden könne.

Dem Vertreter der Universitätsleitung, Herbert Müther, war jede Konkretisierung zuwider. Er erläuterte anekdotenhaft seine Position und kam zum Schluss, dass es letztlich reiche, das Zivile in Schriftform verankert zu haben. So gestand er Forschern so viel Intelligenz zu, Forschungsprojekte im Zweifelsfall doch als „zivil“ umzudeklarieren, umgekehrt dann aber nicht so viel, diesen Etikettenschwindel bei anderen zu durchschauen. Das Gebot transparenter (weil irgendwann veröffentlichter) Forschung ist ihm, gepaart mit der Grundannahme, dass an Universitäten so oder so nichts anderes als Grundlagenforschung betrieben werden könne, Schutz genug vor dem direkten Gebrauch durch das Militär. Denkt man dies zu Ende, fragt man sich, wozu die Universität dann überhaupt eine Zivilklausel gebraucht hat.

In den Ideen für eine Umsetzung gab es die konkretesten Vorschläge wiederum von Neef, der in standardisierten Abfragen und ihrer Kontrolle durch die Fakultäten ein probates Instrument sah, frühzeitig in die Forschung eingreifen zu können. Auch eine „Beschwerdestelle“ wurde eingebracht, die Kontrollfunktionen wahrnehmen könnte. Gräb-Schmidt betonte die wichtige Funktion einer möglichst frühzeitigen Sensibilisierung, die z.B. in Form von (freiwilligen) Seminaren an Studierende und junge Wissenschaftler herangetragen werden könnte. Explizite Kommissionen, wie sie an verschiedenen Stellen unter dem Begriff der „Ethikkommission“ diskutiert wurden, fanden auf dem Podium keine Mehrheit.

Dabei, so wurde durch einen Publikumsbeitrag deutlich, hat die Universität Tübingen sogar schon eine solche Kommission. Die „Kommission für Technikfolgeabschätzung“, Anfang der 1990er Jahre von studentischen und gewerkschaftlichen Vertretern durchgesetzt, sollte Forschung auf ihre gesellschaftliche Tragweite hin überprüfen und war als Forderung entstanden, weil es Rüstungsforschung an der Universität Tübingen gab! Einziger Schönheitsfehler: Sie hat nie getagt. Regelmäßig durch den Senat der Universität personell besetzt, existiert sie ausschließlich auf dem Papier.

Müther war Zielscheibe auch der anderen Publikumsbeiträge des Abends, die er mehr amüsiert ertrug, als auf sie zu reagieren. So wurde angemahnt, dass in der Klausel vorhandene, in die Zukunft weisende Element, der aktiven Gestaltung friedlicher Konzepte zu stärken. Müthers Antwort: Machen wir ohnedies – folglich kein weiterer Handlungsbedarf notwendig. Auf die Frage eines Anderen, wie denn die Universität mit den expliziten Rekrutierungswünschen der Bundeswehr umgehe, antwortete er dann doch noch etwas erhellendes: Kein Hausverbot für die Bundeswehr. Die Bundeswehr sei als Geldgeber und als Bestandteil der Lehrveranstaltungen herzlich willkommen. Eine Position, die der Vertreter der Juso-Hochschulgruppe mit Nachdruck unterschreiben möchte: Für ihn sind Bundeswehrsoldaten sogar notwendig, wenn sich die Studierenden über Kriege und deren Folgen informieren möchten.

Die Universität: ein politikfreier Raum?

An Kurz und Müther ließe sich nun deutlich machen, wie schief das Bild ist, welches man von der Funktion und dem Inhalt einer Zivilklausel eigentlich vermittelt – oder auch, von den Aufgaben einer Universität. Der hehre Anspruch, ein Ort der Wissenschaft zu sein, macht die Uni nicht zu einem Raum ohne Politik und immunisiert sie auch nicht gegen Beeinflussung und Instrumentalisierung. Universitäten sind vielmehr einer der Orte in der Gesellschaft, in denen gesellschaftliche Tendenzen kritisch reflektiert werden müssen. Das gilt auch für das „Zivile“, wie das „Militärische“ und eine Zivilklausel stellt so auch kein Verbot, sondern ein Gebot dar, sich damit auseinander zu setzen.  Die Frage ist aber, wer es wie dann auch macht. Das Statement eines Soldaten (oder aktiven Militärdiplomaten) in eine übergeordnete Fragestellung und Veranstaltung einzubetten und anhand seines Beispiels diese Fragen zu diskutieren, ist zur Erlangung eines fundierten Standpunktes ggf. sogar sinnvoll. Ihn zum Dozenten zu erheben und ihm gleichsam zuzusprechen, mehr als einen Augenzeugenbericht zu leisten, stellt ihn an eine Position, der er nicht gerecht werden kann – Medizinvorlesungen werden aus diesem Grunde auch nicht von den betroffenen Patienten gehalten, sondern von Leuten, die die übergeordneten Fragen behandeln.

Es ist darüber hinaus die Frage, ob die Universität als Legitimationsrahmen benutzt wird, um militaristische Positionen in die politische Agenda zu transponieren. So kann sich die Universität nicht der Diskussion entziehen, ob sie einer Wehrgesellschaft ihre Räume zur Verfügung stellt, deren Inhalte so gar nicht zu den Zielen der Universität passen mögen. Das sind keine Lehrveranstaltungen! Da ist kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse hinter, sondern die universitäre Öffentlichkeit wird missbraucht. Denkt man das zu Ende, so erscheint auch ein regulärer Dozent, der in seinen Seminaren und Vorlesungen zum Agenda-Setting militär- und gewaltzentrierter Konfliktlösungen beiträgt, nicht unbedingt der Geeignetste, um einer Zivilklausel gerecht zu werden.

Der Punkt betrifft aber auch die Forschung. Niemand mit Verstand geht davon aus, dass der Entwicklungsauftrag für eine Waffe heutzutage noch an eine Universität vergeben wird – niemand sollte aber auch davon ausgehen, dass der Verweis auf „Grundlagenforschung“ ausreicht, zivile Neutralität zu garantieren.  Die Aussage von Herrn Birbaumer, „jede gute Forschung taugt für’s Militär“, ist schlichter Unsinn – richtig ist, davon zu sprechen, dass das Militär und die Wehrindustrie alle Forschungsergebnisse heranziehen, die ihnen einen relativen Vorteil versprechen. An dieser Stelle könnte man noch näher auf den Begriff des „relativen Vorteils“ eingehen und käme zu dem verblüffenden Schluss, dass es eben nicht ganz egal ist, ob ein Ergebnis nur einfach öffentlich, d.h. publiziert ist und es vielmehr ganz erheblich auf den Zeitpunkt ankommt und wer es dann auch nutzen kann. Oder anders: die Publikation ist keine Absolution.

Universitäten forschen an Grundlagen und sie forschen (insbesondere in den Naturwissenschaften und der Medizin) kleinteilig an isolierten Fragestellungen, die erst in einen übergeordneten Kontext eingebunden werden müssen. Das mag es schwieriger machen, sich das Endergebnis als „militärisch“ oder „zivil“ vorzustellen – unmöglich ist es damit nicht. Ob nun eine Kommission das geeignete Mittel, oder der unmittelbare (und informierte) Kollegenkreis die erste Station einer Überprüfung dieser Zielrichtung sein muss, sei dahin gestellt. Transparenz über einen solchen Prozess, d.h. die frühzeitige öffentliche Diskussion über Forschung und deren Inhalte und Projekte herzustellen, kann sich nicht in der Veröffentlichung einer „Liste“ oder Datenbank erschöpfen (die es bisher nicht einmal gibt), sondern braucht kommunikative Elemente. Dies dient nicht nur als „Kontrolle“, sondern geradezu als „Hilfestellung“, damit sich der Forschende (und er ggf. seine Mitarbeiter) weniger in Gewissenskonflikte über die Nutzung seiner Forschungsergebnisse bringt. Nur in diesem Fall lässt sich auch für die Universität klären, wie sie die Verwendung der Forschungsergebnisse im Sinne ihrer Selbstverpflichtung sicherstellen kann. Bei Forschungspartnern aus der Wehrindustrie oder expliziten Forschungsinstituten, die für das Militär forschen, wird eine solche Intention schwer umzusetzen sein – es nicht zu versuchen, ist die Bankrotterklärung ans Militärische. Mitunter hilft nur, Abstand zu halten. Im schlimmsten (leider auch denkbarsten) Fall trägt hier ein Forscher der Universität dazu bei, ein ziviles Mäntelchen über ein ansonsten militärisches und repressives Forschungsprojekt zu legen – das Stichwort wäre wiederum „Legitimationsbeschaffung“.

Hier kommt ganz wesentlich der von Neef angesprochene Aspekt der Kolonisierung der Forschungskapazitäten ins Spiel. Vorn weg: Forschungsrahmenprogramme fallen nicht vom Himmel, sie sind Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, bei denen die Gesellschaft von Politikern vertreten wird und Wirtschafts- und Militärlobby erheblichen Einfluss ausüben. Ausschreibungen innerhalb dieses Rahmens berücksichtigen vor allem wirtschaftliche und politische Interessen. Von unbeschränkter Forschungsfreiheit kann (!) also nicht die Rede sein. Sich der Mechanismen der Forschungsförderung in diesem Land und ihrer Bedingtheit bewusst zu werden, ist der erste Schritt, friedliche Forschungsvorhaben umzusetzen. Eine Zivilklausel abzulehnen, weil sie die Forschungsfreiheit einschränkt, verkennt diese Mechanismen. Für die Exzellenzinitiative der Universitätsleitung war es möglich, ganze Fachbereiche auszutrocknen und den Rest auf „Bedürfnisse“ zuzuschneiden – ein Eingriff in die Forschungsfreiheit, wie sie die Klausel niemals leisten kann. In dieser Debatte sind dann übrigens nicht nur die Studierenden gefragt, die die Professorenschaft gern mal vorschiebt, um Argumente für mehr Geld an den Universitäten zu haben. Hochschullehrer und Forscher sind um ihre Meinung bezüglich der Ausgestaltung der zivilen Universität gefragt. Die postulierte „Freiheit der Forschung“ darf kein Totschlagsargument werden, sich der gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen.

Die Veranstaltung war ein guter Beginn einer Debatte über den Sinn und Zweck der Zivilklausel – soll sie nicht auch der Endpunkt sein, bedarf es jetzt einer Positionierung der Universitätsleitung zu den gegen verschiedene Forschungs- und Lehrprojekte erhobenen Fragen. Aufzugreifen wäre beispielsweise, was Herrn Ischinger eigentlich befähigt, Dozent an der Uni zu sein, wie die zivile Nutzung von der Bundeswehr finanzierter Forschungsvorhaben sichergestellt wird, wie mit Verbundprojekten z.B. in der Sicherheitsforschung umgegangen wird, an denen Waffenproduzenten und Militärforschungsstellen beteiligt sind. Bisher ist es jedenfalls die Universitätsleitung, die bisher den kleinsten Beitrag zur „Transparenz“ in Sachen Forschung beigetragen hat – sich auszuschweigen ist kein Zeichen von Dialogbereitschaft oder Transparenz.

Zuletzt sei daran erinnert, dass der Protest gegen die Sicherheit-, Militär- und Kriegsforschung an der Universität Tübingen sich nicht im Verteidigen der Zivilklausel erschöpft – er ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Protestes, der die Tendenz der Regierung der Bundesrepublik Deutschlands, immer stärker auf militärische Konfliktlösung zu setzen und hierfür immer mehr Menschen und Institutionen versucht zu begeistern, verurteilt.

Anmerkungen:

[1] „Transparenz ist der Schutz“ und „Ernüchterung gefährden die Klausel“ erschienen im Schwäbischen Tagblatt am 2. Februar 2012.