IMI-Standpunkt 2011/021

Nabelschau einer „Friedensmacht“ – Verteidigungsweißbuch der VR China 2010


von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 14. April 2011

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Alle zwei Jahre veröffentlicht die VR China ein Weißbuch zu Fragen der Verteidigung und der Entwicklung seines Militärs (People’s Liberation Army, PLA). Der informative Gehalt ist dabei keineswegs erschöpfend: genaue Zahlen über die Zusammensetzung der Truppenteile, ihre geografische Verteilung und spezifische Aufgaben der Einheiten sucht man vergeblich; das Verteidigungsbudget wird in wenigen globalen und kaum verifizierbaren Summen zusammengefasst. Ziel der Weißbücher ist es vielmehr, einen Eindruck von den prinzipiell friedlichen Absichten der VR China zu vermitteln. Ein Weißbuch dieser Art gewinnt erst im Vergleich zu den vorangegangenen Versionen einen Nutzen. Erst so werden (mitunter minimale) Verschiebungen in den politischen Aussagen deutlich. Die Gestaltung der jeweiligen Weißbücher folgt allerdings keinem einheitlichen Muster, sondern auch die Strukturierung des Textes unterliegt gewissen Veränderungen, was es nicht immer einfach macht, überhaupt etwas darin zu finden.

Das Verteidigungsweißbuch 2010 hält für den geduldigen Leser dennoch einige kleinere Überraschung bereit. So erfährt man, dass sich der generelle Trend zur Professionalisierung fortsetzt, der unter anderem in der verstärkten Rekrutierung bereits technisch ausgebildeter Personen oder aus akademischen Berufen besteht. Dieser Trend wird auch in der Miliz umgesetzt, die von 10 auf 7 Millionen erheblich reduziert wurde. Zusammen mit dem Ansatz, Infrastruktur und moderne Industrien näher mit Armee und Miliz zusammen zu bringen, bedeutet dies, dass sich beide immer weiter aus der Fläche zurückziehen und in den Städten konzentrieren. Die PLA zieht sich damit auch von bestimmten Aufgaben, wie der Ausbildung der einfachen Landjugend in handwerklichen Berufen zurück – die Miliz, die auf dem Land oftmals auch Ordnungsfunktionen übernommen hatte, verschwindet nun ersatzlos. In diesem Zusammenhang ist es verblüffend, dass die Bewaffnete Polizei (People’s Armed Police, PAP), die wie die PLA direkt der Partei unterstellt und Bestandteil der Bewaffneten Kräfte der VR China ist, kaum noch Beachtung im Weißbuch findet. Dass die PAP letztlich Hauptinstrument für die Bevölkerungskontrolle ist und allfällige Aufstände von ihr niedergeschlagen werden, findet sich in diesem Text nicht.

Unter dem Kapitel der Modernisierung der Armeen findet sich auch ein Abschnitt zur politischen Arbeit innerhalb der PLA, der insofern bemerkenswert ist, als hier (erstmals) Elemente der psychologischen Betreuung von Soldaten und Offizieren angesprochen werden. Der gezielte Ausbau von Stabsstellen für Psychologen deutet auf eine neue Qualität in der Arbeit und der Struktur der Einsätze hin. Der massive Einsatz der PLA in Katastropheneinsätzen in den letzten Jahren, aber auch die häufiger werdenden Einsätze im Ausland stellen eine enorme psychologische Belastung dar, dem man nun Rechnung trägt.

Mit einer geradezu erstaunlichen Akribie setzt das Weißbuch 2010 die Bemühungen Chinas um internationale Kontakte, vertrauensbildenden Maßnahmen und Einsätze für die UN in Szene. In vergangenen Weißbüchern war dies meist Bestandteil tabellarischer Aufzählungen im Anhang, doch nun wird dieses Engagement offensiv und textlich beschrieben. China profiliert sich hier als ein Partner für andere und zeigt sich offen für jede Form des Dialogs. Die schiere Menge der Kontakte mag beeindruckend sein, sagt aber wenig darüber aus, wie substanziell diese Maßnahmen sind. Dass es sie aber zunehmend gibt, ist auch deshalb bemerkenswert, weil damit eine weitere Stärkung des Verteidigungsministeriums einher geht – d.h. die Integration der PLA in internationale Zusammenhänge ist auch eine politische Frage und keine rein militärische mehr. Vor wenigen Jahren war der Verteidigungsminister mehr oder minder ein Grüßaugust, der ab und an ins Rampenlicht geschoben wurde, wenn es um den Empfang eines ausländischen Politikers ging. Seine Position, so kann man ersehen, wird politisch und medial gestärkt werden. Mit der Entsendung von Kampfschiffen vor die Küste Somalias und der Bereitstellung von Polizisten (der PAP) für einen Einsatz in Haiti hat China zudem eine neue Qualität innerhalb seiner Einsätze für die UN erreicht, die sich bis zu diesem Zeitpunkt vor allem auf die Bereitstellung von Logistik und Pionieren beschränkt hatten. Chinas Bereitschaft, sich in Zukunft auch in bewaffnete Einsätze zu begeben, wird deutlich.

Das mit Abstand erstaunlichste Element des Textes bezieht sich auf die Handhabung der Taiwan-Frage. Taiwan, das aus VR-chinesischer Sicht lediglich eine abtrünnige Provinz darstellt, wurde noch zuletzt mit einem Gesetz bedroht, dass der Regierung der VR jedes Mittel in die Hand gab, eine Abspaltung (d.h. Unabhängigkeit) zu verhindern. Taiwan wurde auf Druck Beijings aus fast allen internationalen Organisationen verdrängt und Länder mit offiziellen diplomatischen Kontakten mit Taiwan wurden von der VR geschnitten. US-amerikanische Waffenverkäufe an Taiwan haben zuletzt, wie auch schon in den vergangenen Jahren, zu einer temporären Aussetzung der militärischen Kontakte zu den USA geführt. Nun regt das Weißbuch direkte militärische Kontakte und Konsultationen zwischen beiden Parteien der Taiwanstraße an. Man geht sogar so weit, einen Friedensvertrag nicht auszuschließen – natürlich nicht, ohne auf das „Ein-China-Prinzip“ zu verweisen.

Bei allem Friedensgeplänkel fallen aber auch deutliche Wort auf, die man auch als Warnungen in Richtung vor allem der USA verstehen kann. Zum Einen wird auf die Atomabrüstungspläne bezug genommen, bei denen China deutlich macht, dass es jede Initiative unterstützen wird, die zu einem vollständigen Abbau aller Atomwaffen führen können. China fordert aber, dass die USA und Russland in diesem Punkte voran gehen und, dass bevor es zu einem Abbau kommt, ein internationales Rechtsinstrument geschaffen wird, das auf dem verbindlichen Versprechen aller Parteien beruht, auf den Einsatz von Atomwaffen (für immer) zu verzichten – eine Erweiterung der bisherigen Position. Zum Zweiten wird deutlich davor gewarnt, dass Antiraketensysteme exportiert und installiert werden, die die vorhandenen Abschreckungspotentiale verändern könnten. Letzteres ist eine Position, die bereits in einzelnen Statements der politischen Führung zu finden war und nun im Weißbuch wiederholt wurde.

Im Fazit bleibt das Weißbuch 2010 viele Antworten schuldig – es enthält allerdings auch viele Aussagen, an denen sich die VR China in Zukunft messen lassen muss.

http://eng.mod.gov.cn/
http://eng.chinamil.com.cn/special-reports/China%20National%20Defense%20in%202010.htm