Pressebericht - in: Schwäbisches Tagblatt, 15.2.2011
Armut schafft Konflikte
Sind die Güter gerechter verteilt, ist eine Welt ohne Waffen möglich
von: Pressebericht / Schwäbisches Tagblatt / Beat Seemann / Jonna Schürkes | Veröffentlicht am: 15. Februar 2011
Flugplatz sprach mit der Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Informationsstelle Militarisierung Jonna Schürkes über Kritik an der Bundeswehr, die Sinnlosigkeit des Afghanistaneinsatzes und eine Welt ohne Armeen.
Für Jonna Schürkes ist die Bundeswehr eine unnötige und gefährliche Organisation. In der Verfassung steht schließlich geschrieben, dass der einzige Zweck der Armee die Verteidigung Deutschlands sei. Jedoch gibt es heutzutage keine militärische Bedrohung für das Land, in dem wir leben. Das Kernelement jeder Armee ist die Ausbildung von Soldaten, die lernen sollen, Menschen zu töten.
Dafür müssen sie laut Schürkes auf elementare Grundrechte wie Bewegungsfreiheit, Meinungsäußerung oder Unversehrtheit verzichten. Dabei gibt es weltweit auch einige Staaten ohne Armee. Costa Rica ist ein vorbildliches Beispiel. „Dieser Staat ist keiner Bedrohung ausgesetzt, die militärisch bekämpft werden kann“, so Schürkes. In der Geschichte Lateinamerikas gab es zu viele Militärdiktaturen, die die eigene Bevölkerung dauerhaft drangsalierten.
Statt Armeen, davon ist Jonna Schürkes überzeugt, braucht es mehr zivile Organisationen wie das Technische Hilfswerk oder das Rote Kreuz, um in Katastrophengebieten den Menschen zu helfen. Diese Organisationen sollten finanziell gefördert und nicht vom Militär behindert werden. Momentan litten die Entwicklungshelfer, da das Militär deren Aufgaben, zum Beispiel den Bau von Schulen, übernimmt.
Dank Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel bekommen jene, die mit den Soldat(inn)en zusammenarbeiten, Geld aus einem besonderen Entwicklungsfonds. Doch die Arbeit und Mitarbeiter(inn)en der Nichtregierungsorganisationen seien dadurch gefährdet. Durch die zunehmende zivil-militärische Zusammenarbeit würden Konflikte immer stärker innerhalb der Zivilbevölkerung ausgefochten.
Beim Thema Auslandseinsätze kam laut Schürkes der Bruch 1999 mit dem Kosovokampfauftrag. Zuvor hatte es bereits einige Einsätze außerhalb Deutschlands gegeben, nachdem die Regierung nach einer neuen Aufgabe für die Bundeswehr suchen musste. Diese Suche nach Einsatzmöglichkeiten sei von Selbstüberschätzung geprägt, sagt die IMI-Mitarbeiterin und nennt als Beispiele den Kongo und Afghanistan.
In Afghanistan hätten Armut und Hunger seit Kriegsbeginn stark zugenommen, Frauenrechte seien ein Vorwand für den Einsatz. Das offizielle Ziel ist die Beseitigung der Al-Kaida. Jedoch sind Terroristen keine Soldaten, sondern Kriminelle, welche ihre Mitbürger bedrohen und umbringen. Faktisch, erklärt Jonna Schürkes, ist die Taliban mittlerweile weitestgehend nach Pakistan abgewandert. Somit werden im zehnten Jahr Zivilisten bekämpft, welche ihrerseits wieder gegen die Besatzer kämpfen.
Laut einem Bericht der CIA aus dem Jahr 2010 haben 70 Prozent aller Natobekämpfer in Afghanistan nichts mit den Taliban zu tun. Es gebe somit keinerlei Legitimation für die Weiterführung des Einsatzes. Selbst der Bundesnachrichtendienst stellt heute fest, dass die Terrorgefahr für Deutschland durch den Krieg gestiegen ist. Für Jonna Schürkes ist offensichtlich, dass kein westlicher Demokratieaufbau möglich ist und die Situation in Afghanistan nicht verbessert wird.
Präsident Horst Köhler legte sein Amt nieder, weil er den Krieg mit wirtschaftlichen Interessen begründet hatte. Doch das ist nichts Neues: Im Weißbuch der Bundeswehr von 2006, welches so etwas wie die Sicherheitsstrategie ist, steht, dass für Deutschland als exportorientierte Nation Absatzmärkte und sicherer Transit ein „strategisches Interesse“ sind.
Weltweit steigt das Risiko auf einen Konflikt bei Armut und dem Kampf um Rohstoffe enorm. Wenige mächtige Staatenblöcke unterstützen schwächere Staaten, um Rohstoffe für sich selbst zu sichern. Hierzu zählen auch das Fischvorkommen oder fruchtbares Land. In Marokko haben beispielsweise europäische Fangflotten Zugang zu den Fischgründen, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Die Bevölkerung werde vom westlich gestärkten Regime klein gehalten und in ihren Rechten verletzt.
Des Weiteren sollten die Industrieländer nicht weiter ihren Müll und ihre Industriegifte nach Afrika exportieren und korrupte Eliten fördern, sagt Jonna Schürkes: Man sei soweit, dass reiche Staaten und Unternehmen Bauern in Entwicklungsländern enteignen, um dort Pflanzen für Biosprit anzubauen. Doch diese Menschen brauchen Ernährungssouveränität, um selbst für ihre Existenz zu sorgen. Momentan überschwemmen Europa und die USA die Entwicklungsländer mit ihren Billigprodukten, sodass deren eigene Produktion zu teuer wird.
Eine Welt ohne Bundeswehr ist für die IMI gut vorstellbar, wenn es weltweit keinerlei Armeen oder Rüstung gibt. Momentan widerspreche das der politischen Agenda, jedoch gebe es sinnvollere Beschäftigungen für junge Menschen. Und sei es nur, im Liegestuhl in der Sonne zu sitzen. Der Kapitalismus und dessen neoliberale Zuspitzung seien die globale Hauptkonfliktursache. Dringend gebraucht werde eine Demokratisierung und eine Umverteilung des Reichtums von Oben nach Unten auf der Welt. Das sind die Voraussetzungen für eine friedlichere Welt ohne Waffen.