Dokumentation
Neues zu Zivilklausel und Rüstungsforschung
von: Dokumentation / Dietrich Schulze | Veröffentlicht am: 11. Februar 2011
Über 60 Hochschullehrer und Wissenschaftler der Universität Bremen nahmen die Stiftungsprofessur durch das Bremer Unternehmen OHB System AG zum Anlass, die Ökonomisierung von Forschung und Lehre als Gefährdung der Unabhängigkeit von Wissenschaft zu kritisieren und an deren Verantwortung für den Frieden zu erinnern.
Desweiteren wurde überraschend die neue Grundordnung der tübinger Universität, die eine Zivilklausel enthält, von der baden-württembergischen Landesregierung angenommen. Diese hatte bislang den Standpunkt vertreten, dass ausgerechnet eine Zivilklausel gegen die Freiheit der Wissenschaft verstoße.
Aufgrund dieser Entwicklungen dokumentieren wir im Folgenden die Bremer Erklärung und einen zusammenfassenden Bericht von Dietrich Schulze.
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Erklärung Bremer HochschullehrerInnen und WissenschaftlerInnen zu Stiftungsprofessuren
Wir begrüßen die vom Akademischen Senat der Universität Bremen im Sommer 2010 vertretene Auffassung, „dass die Thematik der Friedensforschung ein unabdingbarer Bestandteil der Gründungsideen der Universität Bremen war, der heute eher an Relevanz gewinnt als verliert“.
Im Gegensatz dazu beobachten wir, dass Lehrstühle an der Universität Bremen zunehmend von Wirtschaftsunternehmen finanziert werden. Auch ohne dass uns die betreffenden Verträge zwischen der Universität und den Wirtschaftsunternehmen im Einzelnen bekannt sind, sehen wir in der Einrichtung befristet von der Wirtschaft gesponserter und später aus dem Haushalt der Universität zu finanzierender Professuren einen Grund für die Außensteuerung der Universität und für die Gefährdung der Unabhängigkeit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Gerade bei der jüngsten der bisher bekannt gewordenen Stiftungsprofessuren wird dies deutlich. Im Fall der Stiftungsprofessur für Weltraumfahrt-Technologie erscheint uns die Abhängigkeit von der Wirtschaft besonders problematisch, weil der Stifter, das Bremer Unternehmen OHB System AG, mit der Rüstungsproduktion seinen wirtschaftlichen Aufstieg genommen hat und dem Geschäft im militärischen Bereich eine zunehmend große Bedeutung beimisst.
Eine derartige Stiftungsprofessur setzt die Freiheit von Forschung und Lehre aufs Spiel und widerspricht dem Geist der Gründung der Universität sowie dem Auftrag einer Friedensforschung, die nicht der Gefahr der Rücksichtnahme auf privatwirtschaftliche Spender ausgesetzt sein darf.
Die Erklärung mit den Namen der Unterzeichner_innen findet sich hier:
http://www.bremerfriedensforum.de/bilddat/erklaerung_stiftungsprofessur022011.pdf
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Uni-ProfessorInnen und Zivilklausel
Zarte Kampfansage in Bremen, Fragezeichen in Karlsruhe und großer Erfolg in Tübingen
von Dietrich Schulze
Die Universitäten Bremen und Karlsruhe haben seit einiger Zeit ein ähnliches Problem. Wie gehen sie mit der Zivilklausel um, der Friedensbindung von Forschung und Lehre? Bremen hat seit 1986/1991 vorbildliche Senatsbeschlüsse und Karlsruhe wurde anlässlich des Zusammenschlusses mit dem dortigen Forschungszentrum mit dem Import von dessen Zivilklausel konfrontiert. Die Studierenden in beiden Unis haben hier eine klare Haltung eingenommen. Sie wollen die Zivilklausel, d.h. Forschung Lehre nur für friedliche und zivile Zwecke. Was aber denken und tun ihre akademischen Vorbilder in dieser Grundsatzfrage?
Und gerade dazu hat sich Anfang Februar etwas beinahe revolutionär Anmutendes getan. Nach Jahrzehnten der Anpassung und des Schweigens wie überall – von rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen – klagt die stattliche Zahl von über 60 Bremer ProfessorInnen über die Aushöhlung der universitären Autonomie und Freiheit durch privatwirtschaftlich finanzierte Stiftungsprofessuren anhand eines besonders eklatanten Beispiels der Bremer Rüstungsfirma OHB-Systems, jüngst durch Wikileaks-Enthüllungen wegen Projektführerschaft für einen Spionagesatelliten in die Schlagzeilen geraten. Diese Professur ist ein klarer Verstoß gegen die gültige Zivilklausel, was die sofortige Rücknahme erfordern würde. Das Selbstverständliche, die Einhaltung der eigenen Beschlusslage, wird in der Bremer Erklärung noch nicht einmal gefordert.
Allein die Tatsache der gemeinsamen öffentlichen Bekundung einer Warnung, eine doch sehr zarte akademische Kampfansage, hat zu einem mittleren Erdbeben geführt mit bemerkenswerter Presseresonanz und harscher Reaktion der Uni-Leitung.
Freiheit beginnt mit Gedankenfreiheit. Der Gedanke, dass die alma mater nicht zu einem von Wirtschafts- und Rüstungsinteressen gesteuerten Unternehmen umgeformt werden darf, ist gefährlich und kann, wenn er sich nicht nur bei den Studierenden, sondern auch bei den Lehrenden ausbreitet, die weit fortgeschrittene Ökonomisierung und Militarisierung der Bildungsstätten zum Einsturz bringen. Das ist das prinzipielle große Verdienst der Bremer ProfessorInnen-Erklärung. Wie gehen deren Karlsruher KollegInnen mit dem Problem Zivilklausel um?
Die haben nämlich gleich zwei dicke Pfunde auf ihrer Seite, einerseits die Übernahmemöglichkeit der bewährten Zivilklausel des Forschungszentrums, hinter der dessen gesamte Belegschaft einschließlich der WissenschaftlerInnen und der Vorstandsmitglieder stehen und andererseits die Studierenden der Uni, die sich im Januar 2009 in einer bis dato bundesweit einmaligen Urabstimmung für die Übernahme der Zivilklausel auf das gesamte neue Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ausgesprochen haben. Dagegen steht von Beginn an die schwarz-gelbe Landesregierung, eine in jahrzehntelangem Filz mit den ökonomisch Mächtigen im Ländle verbrauchte CDU-Herrschaft. Seit Monaten wird an der neuen Grundsatzung für den Uni-Teil gebastelt und gleichzeitig die Forderung der Studierendenvertreter in der Grundsatzungskommission blockiert. Nach außen völliges Schweigen der ProfessorInnen bis auf die Vermutung, dass die Grundsatzung ohne Zivilklausel und ohne jegliche demokratische Regelungen noch vor der Landtagswahl am 27. März in trockene Tücher gebracht werden soll. Das wäre doch aber der sichtbare Beleg für das Einknicken vor den herrschenden Machtverhältnissen, das wäre Missachtung des Studierendenvotums und der Haltung der KollegInnen des Forschungszentrums.
Seit gestern wissen wir aufgrund einer Podiumsdiskussion in der Universität, wie dieser unangenehme Eindruck vermieden werden soll. Eher beiläufig erklärte der RCDS-Vertreter in einem Podium des Unabhängigen Studierendenausschusses (UStA) mit KandidatInnen zur Landtagswahl, dass seine Partei gegen die Zivilklausel sei, es aber eine prima Ethik-Kommission geben werde. Allein die intellektuelle Glanzleistung dieses Nachwuchsakademikers ist bemerkenswert, dem noch nicht einmal aufzugehen scheint, dass er Äpfel mit Birnen vergleicht. Eine Ethik-Kommission ist eine Verfahrensregelung zur Konfliktlösung, die beim Umgang mit Normen, Bestimmungen, Gesetzen wie zum Beispiel einer Zivilklausel entstehen können. Das sollte er seinem künftigen Arbeitgeber lieber niemals vorschlagen, wie man mit einem Verfahren eine Norm ersetzen kann. Wir werden es bald erfahren, ob die Karlsruher Uni-ProfessorInnen eine solche inszenierte Farce hinnehmen oder gar versuchen werden, die Hinnahme ausgerechnet mit einer Ethik-Kommission zu verbrämen.
Und jetzt kommt das Beste. Erst heute früh nach dem Podium wurde über die GEW Baden-Württemberg bekannt gemacht, dass eben diese Landesregierung bereits im September 2010 der im Dezember 2009 vom Senat der Universität Tübingen beschlossenen Zivilklausel zugestimmt hat. Die Tübinger ProfessorInnen hatten diesen Beschluss zur Ergänzung der Grundordnung auf Initiative der Studierenden im Bildungsstreik gefasst. Die Tübinger Zivilklausel ist damit rechtskräftig. Der zuständige Wissenschaftsminister Frankenberg hatte zuvor mehrfach öffentlich die Zivilklausel als unvereinbar mit der Verfassung bezeichnet. Das war vom Frankfurter Verfassungsrechtler Denninger in einem Gutachten widerlegt worden.
Schier unfassbar ist, dass bis heute trotz Veröffentlichung der Unterzeichnung im Amtsblatt und im Netz weder aus dem Kreis der Studierenden, noch der ProfessorInnen, noch der Tübinger GewerkschaftskollegInnen oder der örtlichen Friedensbewegung ein Ton über die sensationelle 180-Grad-Wende der Landesregierung zu hören war. Die Karlsruher Uni-ProfessorInnen jedenfalls können sich nun auf die Unterschrift des zuständigen Ministers im Falle Tübingen berufen.
Ein unschätzbarer Erfolg zweifellos der Studierenden, der Gewerkschaften und der politischen Opposition und ein starkes Signal für die bundesweite Zivilklausel-Bewegung. Die immer wieder von Senaten und Landesregierungen behauptete Unzulässigkeit einer gesetzlichen Zivilklausel ist damit de facto vom Tisch. Das ist zu aller erst dem überzeugenden Gutachten von Erhard Denninger zu verdanken.
Wie auch immer sich die abgewirtschaftete Landesregierung in Baden-Württemberg zur Forderung für die restlichen Hochschulen des Landes und für das KIT verhalten wird, die Opposition zieht in diesen wesentlichen Fragen an einem Strang. Auch das ist eindeutig in der Podiumsdiskussion sichtbar geworden. Die GRÜNEN, die SPD und die LINKE haben sich in ihren Wahlprogrammen für eine landesweite Zivilklausel für die Hochschulen, für die Abschaffung der Studiengebühren und für die Wiedereinführung der von Filbinger 1977 abgeschafften Verfassten Studierendenschaft mit politischem Mandat ausgesprochen. Hier kann im Bildungsbereich etwas Neues im Sinne von Frieden, Demokratie und Freiheit entstehen. Allein der Gedanke daran ist befreiend.
Und sehr ermutigend ist, dass sich die Studierenden an vielen anderen Orten mit Rüstungsforschung, Drittmittelabhängigkeit und Ausfinanzierung ihrer Uni auseinandersetzen. Wie in Karlsruhe haben im Dezember in der Uni Köln und im Januar an der FU Berlin große Mehrheiten für eine Zivilklausel votiert. Die durchgesetzte Rechtsgültigkeit der Tübinger Zivilklausel wird die Bewegung weiter beflügeln. Inzwischen gibt es sogar einen Internationalen Appell für den Verzicht auf Forschung und Lehre für militärische Zwecke in allen Universitäten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht in einem Beitrag am 12. Januar von einer wachsenden Zivilklausel-Bewegung und scheut sich nicht, die Schlagzeile „Wenn sie dir morgen befehlen“ zu verwenden. Eine Zeile aus dem berühmten Antikriegsgedicht von Wolfgang Borchert (1921–1947) „SAG NEIN“.