IMI-Analyse 2010/043 - in: AUSDRUCk (Dezember 2010)
Irak
Repressionswelle gegen Gewerkschaften – Bahn frei für Privatisierung?
von: Joachim Guilliard | Veröffentlicht am: 9. Dezember 2010
http://imi-online.de/download/JG-Dezember10-Irak.pdf
Erst acht Monate nach den mehr als fragwürdigen Parlamentswahlen kamen die maßgeblichen politischen Kräfte zu einer Übereinkunft, die den Weg zur Bildung einer neuen Regierung frei macht. Der Hauptgrund für die rekordverdächtige Dauer waren weniger innerirakische Rivalitäten als das Bestreben der Besatzungsmacht, Gegner der US-Präsenz aus der zukünftigen Regierung herauszuhalten. Der Gestaltungsspielraum Washingtons war jedoch auf Grund des starken nationalistischen Gegenwinds im Irak und des großen Einflusses des Iran sehr beschränkt.
Wie die acht Monate der „politischen Blockade“ in der „Grünen Zone“ Bagdads jedoch zeigten, spielen parlamentarische Mehrheiten und die genaue Zusammensetzung der Regierung im Irak keine große Rolle. Obwohl die Maliki-Administration nur noch kommissarisch im Amt war und es keine Parlamentssitzungen in dieser Zeit gab, kamen die Geschäfte ausländischer Konzerne immer besser voran. Ungeachtet breiter Proteste, versteigerte die irakische Regierung Serviceverträge für drei Gasfelder an ausländische Konsortien und offeriert ausländischen Unternehmen den Einstieg in zehn staatliche Konzerne. Die ersten Öl-Multis, die sich letztes Jahr lukrative Aufträge zur Förderung des Outputs der riesigen irakischen Ölfelder sichern konnten, sind dabei, die Arbeit aufzunehmen. Parallel dazu sind die US-Botschaft und das US-Wirtschaftsministerium wieder eifrig damit beschäftigt, US-Unternehmen milliardenschwere Geschäfte zuzuschanzen. Obwohl seit März abgewählt, geht die Regierung auch gegen Kräfte vor, die sich dem Ausverkauf ihres Landes konsequent widersetzen – die unabhängigen Gewerkschaften.
Neue Regierung – alter Wein in neuen Schläuchen
Das Übereinkommen, durch das der bisherige Premierminister Nuri al-Maliki im Amt bleiben wird, sieht ein Bündnis der schiitischen und kurdischen Parteien mit Malikis Rechtsstaatspartei und der säkularen, von Ijad Allawi geführten Nationalen Bewegung, Iraqiyya, vor. Das Bündnis ähnelt dem vor vier Jahren, als eine sogenannte „Einheitsregierung“ gebildet wurde. Aufgrund der Widersprüche zwischen den verfeindeten Lagern fiel diese bald auf ihren Kern, die eng mit den USA verbündeten schiitischen und kurdischen Parteien, zusammen. Auch das neue Bündnis dürfte kaum länger halten.
Letztlich ist das neue Regierungsbündnis ein Kompromiss zwischen den USA und dem Iran, bei dem sich Teheran allerdings stärker durchsetzen konnte und Washington ordentlich Federn lassen musste. Beide wollten zwar Maliki im Amt behalten, die Besatzer hätten jedoch gerne dessen Herausforderer Ijad Allawi als Gegengewicht in eine zentrale Position gehievt. Allawi hat aber nur den Vorsitz eines Nationalen Sicherheitsrats, dem „National Council for Strategic Policies“, in Aussicht, der erst noch gegründet werden muss und über dessen zukünftige Machtbefugnisse die Meinungen auseinandergehen. Die USA mussten vor allem auch die Regierungsbeteiligung von Anhängern ihres Erzfeindes, Muqtada al-Sadr, akzeptieren. Sie drohen nun Maliki mit ernsten Konsequenzen, wenn er die Sadristen nicht aus allen sicherheitsrelevanten Positionen in der Regierung heraushält. Da die Sadr-Bewegung jedoch eine der stärksten Fraktionen im Parlament stellt, dürfte dies schwierig durchzusetzen sein.
Man sollte den Sieg des Irans allerdings auch nicht überbewerten. Schließlich stehen die USA nach wie vor mit einer erheblichen Zahl von militärischen und zivilen Besatzungskräften im Land, die dafür Sorge tragen, dass die neue Regierung nicht zu stark vom gewünschten Kurs abweicht. Es ist aber eine der Ironien des Irakkriegs, dass er die USA zur stillschweigenden Kooperation mit dem Iran zwingt.
Damit bleibt zum großen Teil alles beim Alten. Politisch ist Maliki, der die Wahl eigentlich verloren hat und seine Koalitionspartner nur mit erheblichen Zugeständnissen zu einem Bündnis bewegen konnte, geschwächt. Da er sich jedoch mit US-Hilfe einen effektiven Machtapparat zulegen konnte und sich nicht scheut, diesen in einer Weise einzusetzen, dass viele Iraker bereits von einer neuen Diktatur reden, hat er wenig zu befürchten – solange er die Unterstützung der USA und des Iran behält. Für die Iraker bedeutet dies eine Fortsetzung von Repression und Gewalt gegen alle oppositionellen Kräfte, nicht zuletzt auch gegen die starke Gewerkschaftsbewegung.
Schließung von Gewerkschaften
Am frühen Morgen des 21. Juli 2010 stürmte die Polizei die Büros der Irakischen Elektrizitätsgewerkschaft in Basra, der verarmten Hauptstadt des ölreichen Südens Iraks. Sie teilte Hashmeya Muhsin, der ersten Frau, die eine nationale Gewerkschaft im Irak leitet, mit, dass sie auf Anweisung des Elektrizitätsministers Hussain al Shahristani die Gewerkschaftsbüros schließen müssten. Die Polizei beschlagnahmte neben Computern und Telefonen auch Mitgliederlisten und Akten, in denen die häufig üblen Arbeitsbedingungen dokumentiert wurden, sowie Flugblätter für die Demonstrationen gegen die qualvollen Stromunterbrechungen.[1]
Der neue Erlass Shahristanis, der gleichzeitig auch Ölminister ist, verbietet alle Gewerkschaftsaktivitäten in den Werken, die dem Elektrizitätsministerium unterstehen, verfügt die Schließung der Büros der Gewerkschaften und die Beschlagnahmung ihres gesamten Vermögens, von Bankkonten bis hin zu Möbeln. Der Minister entzieht mit dem Erlass Gewerkschaftsvertretern auch all die Rechte, die ihnen in den letzten Jahren zugestanden wurden. Gleichzeitig wurden sie gewarnt, dass „Drohungen mit Gewalt oder Sabotage“ (worunter z.B. auch Blockaden und Betriebsbesetzungen gezählt werden) „wie Terrorismus geahndet“ würden. Aktivisten könnten, so der Minister, ohne weiteres auf Basis des Anti-Terror-Gesetzes von 2005 inhaftiert werden.[2]
Schon lange im Visier – die Ölgewerkschaft
Zuvor war Shahristani bereits gegen die Gewerkschaften der Öl- und Hafenarbeiter vorgegangen. Diese waren Anfangs des Jahres erneut für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, für die Modernisierung der Anlagen und Ausrüstung und die Legalisierung der Gewerkschaften auf die Straße gegangen und hatten u.a. auch die Raffinerie in Basra bestreikt.[3] Die Maliki-Regierung setzte Militär ein, stellte gegen eine Reihe von Gewerkschaftsführern Haftbefehle aus und verbannte andere auf Arbeitsplätze, die hunderte Kilometer entfernt sind. Allen Gewerkschaftsfunktionären ist es seither untersagt, ohne explizite Genehmigung der Regierung ins Ausland zu reisen, um z.B. an internationalen Gewerkschaftstagungen teilzunehmen.
Am 1. Juni 2010 wurden zwei der prominentesten irakischen Gewerkschafter, Hassan Juma’a und Faleh Abood Umara, verhaftet. Diese stehen an der Spitze der Irakischen Vereinigung der Ölgewerkschaften (Iraqi Federation of Oil Unions – IFOU), die aus der General Union of Oil Employees (GUOE) hervorging. Sie ist mit mehreren zehntausend Mitgliedern der größte unabhängige Gewerkschaftsbund im Irak.[4]
Die beiden verhafteten Gewerkschafter wurden erst nach zwei Tagen gegen Kaution freigelassen und warten nun auf ihren Prozess. Für Umara war es bereits die zweite Haft in diesem Jahr. Ihm und seinem Kollegen wird vorgeworfen, sie würden Arbeiter drängen, sich gegen die Führung der staatlichen Southern Oil Company zu stellen. „Das Problem ist, dass die Gewerkschaften die Öffentlichkeit gegen die Pläne des Ölministeriums aufbringen und dessen Ambitionen, den Ölreichtum mit Hilfe ausländischer Firmen zu erschließen“, so der Sprecher des Ölministeriums Assam Jihad. Außerdem hätten sie Drohungen an ausländische Konzerne gerichtet, die sich im Ölsektor engagieren wollen, und damit die wirtschaftlichen Interessen des Landes geschädigt. Die Aktivitäten der Gewerkschafter wären im Übrigen ohnehin illegal, da es immer noch kein Gesetz gäbe, das die Organisation von Gewerkschaften regelt.[5]
Parallel dazu ging die Regierung auch gegen die Docker vor, die in den Häfen im Süden Basras mit diversen Aktionen die Anerkennung ihrer Gewerkschaft einforderten. Die kampfstarke Hafenarbeitergewerkschaft hat sich seit 2003 ebenfalls sehr erfolgreich gegen Privatisierungsversuche in ihrem Bereich, den großen Häfen und Ölterminals, gewehrt. Auch gegen sie wurde die Armee eingesetzt und ihre Führer wurden ebenfalls an weit entfernte Arbeitsplätze transportiert.
Die Repression beschränkt sich aber beileibe nicht auf die strategisch wichtigen Staatsbetriebe. Die Lehrergewerkschaft beispielsweise wird gleichfalls verfolgt. So wurde im Januar deren Basraer Chef ins Gefängnis geworfen. Die selbst unter der Baath-Herrschaft zugelassene Gewerkschaft war Maliki zu kritisch und zu aktiv und sollte vor den Wahlen zum Schweigen gebracht werden.
Starke Gewerkschaften trotz bleibendem Verbot
Offensichtlich soll die Arbeiterbewegung Iraks ausgeschaltet werden, um ein Umfeld zu schaffen, in dem die großen ausländischen Ölgesellschaften frei agieren und die irakische Regierung weitere marktbasierte Reformen einführen kann. Dies vermutet auch der Journalist, Fotograf und internationale Gewerkschaftsaktivist David Bacon, der sich in seinem Artikel „Is the US Pulling the Plug on Iraqi Workers?“ ausführlich der massiven Repressionswelle widmet.[6]
Nach der US-Invasion hofften viele Iraker, dass sie von nun an wenigstens wieder unabhängige Gewerkschaften aufbauen könnten. Doch die massiven Einschränkungen ihrer Tätigkeit, die die Baath-Regierung während des Krieges gegen den Iran anordnete, blieben in Kraft. Das 1987 erlassene „Gesetz 150“ verbietet gewerkschaftliche Aktivitäten in allen staatlichen Betrieben, d.h. dem größten Teil der irakischen Industrie. Der US-Statthalter der ersten Besatzungsphase, Paul Bremer, setzte zwar mit seinen Erlassen alle Gesetze außer Kraft, die die heimische Wirtschaft vor Ausverkauf und Billigkonkurrenz schützten, ließ aber das „Gesetz 150“ in Kraft, senkte die Löhne und strich staatliche Zuschüsse für Nahrung und Wohnung.
Im Widerstand gegen diese Zumutungen und gegen die ersten Privatisierungsversuche entwickelten sich dennoch rasch kampfstarke Gewerkschaften, allen voran die Ölarbeitergewerkschaft, die das fortbestehende Organisationsverbot ignorieren.[7]
Die parteipolitisch und weltanschaulich unabhängigen Gewerkschaften wurden auch ohne legalen Status zu einer der stärksten nationalistischen, gegen Besatzung und Ausverkauf gerichteten Kräfte im Irak. Sie sind mittlerweile die größten, nicht ethnisch-konfessionell orientierten Organisationen und zählen zu den führenden Kräften, die sich für allgemeine wirtschaftliche Verbesserungen, ausreichende Dienstleistungen etc. einsetzen.
Es gibt daneben auch Gewerkschaften, die den Regierungsparteien nahestehen. Der von der irakischen KP und Ijad Allawis Partei dominierte Irakische Gewerkschaftsbund (IFTU) hat sich mittlerweile mit den Resten des einstigen Einheitsgewerkschaftsbunds (GFTU) zum Allgemeinen Bund irakischer Arbeiter (General Federation of Iraqi Workers – GFIW) zusammengeschlossen. Als faktischer Nachfolger der alten Einheitsgewerkschaft ist er als einzige Gewerkschaftsorganisation offiziell anerkannt und auch in den internationalen Gewerkschaftsorganisationen gut vertreten. Seine Mitgliedsgewerkschaften spielen zuhause bei den Auseinandersetzungen jedoch eine untergeordnete Rolle, sind sie doch über ihre Parteien fest in den „politischen Prozess“ eingebunden. Die KP-Irak ist beispielsweise nach wie vor durch ihren Minister für Wissenschaft und Technologie, Raed Fahmy Jahid, direkt an der vorerst noch amtierenden irakischen Regierung beteiligt.[8]
Massenproteste gegen miserable Stromversorgung
Der Konflikt zwischen Regierung und Gewerkschaften spitzte sich zu, als das Ölministerium begann, über öffentliche Auktionen Serviceaufträge in Milliardenhöhe an ausländische Konzerne zu vergeben und die Gewerkschaften entschiedenen Widerstand dagegen ankündigten.[9] Er verschärfte sich im Sommer des Jahres im Zuge der massiven Proteste gegen die miserable Versorgung mit Strom und Trinkwasser. Auch sieben Jahre nach der Invasion gibt es in den meisten Städten nur wenige Stunden am Tage Strom. In Basra, der zweitgrößten irakischen Stadt, sind es z.B. im Schnitt nur zwei Stunden – und dies bei Temperaturen von 50 Grad und mehr.[10]
1990 produzierten die irakischen Elektrizitätswerke 9.300 Megawatt. Heute, nachdem US-Konzerne viele Milliarden Dollar für die Wiederherstellung der zusammengebombten Energieversorgung eingesackt haben (General Electrics allein erhielt 3 Mrd. Dollar), werden gerade mal 6.000 Megawatt generiert, zwei Drittel dessen, was zwanzig Jahre zuvor für eine wesentlich kleinere Bevölkerungszahl produziert wurde.[11] Da der Output unmittelbar vor dem Krieg, bedingt durch das Embargo, nur 4.000 Megawatt betrug, vermelden US-Regierung und westliche Medien gerne die daran gemessene fünfzigprozentige Steigerung des Outputs als Erfolg.[12] Die Iraker beeindruckt dies jedoch nicht, sie sind damit konfrontiert, dass trotz des Reichtums an Öl und Gas nicht einmal die Hälfte des heutigen Bedarfs von mindestens 13.000 Megawatt gedeckt wird.
Die Wut über das Missmanagement, die Bereicherung der US-Konzerne an irakischem Geld und die Unfähigkeit und Korruption der irakischen Regierung entlud sich in zahlreichen Demonstrationen im Land. Am 19. Juni 2010 belagerten in Basra über zehntausend zornige Bürger die Gebäude der Provinzregierung und fragten lautstark, wohin denn die 13 Mrd. Dollar verschwunden sind, die für die Wiederherstellung der Stromversorgung ausgegeben wurden. Die Polizei schoss in die Menge, tötete dabei mindestens zwei Menschen und verwundete zahlreiche andere.[13] Als am selben Wochenende eine aufgebrachte Menge versuchte, das Gebäude der Provinzregierung in Nasiriya, der Hauptstadt von Dhi Qar ca. 150 km nordwestlich von Basra zu stürmen, gab es erneut zahlreiche Verletzte unter den Demonstranten und der Polizei.[14] Zwei Tage später wurden auch in den nördlicheren Provinzhauptstädten Hilla und Diyala Regierungsgebäude belagert und der Rücktritt des an sich schon abgewählten Premiers Nuri al-Maliki gefordert. Ähnlich wütende Demonstrationen folgten in Bagdad und Ramadi.[15]
Die anhaltenden Proteste zwangen schließlich den amtierenden Elektrizitätsminister, Karim Waheed, zum Rücktritt.[16] Ölminister Shahristani übernahm daraufhin zusätzlich auch seinen Posten. Wenige Tage danach stoppte die nur noch kommissarisch amtierende Regierung mit strengen Restriktionen, die einem faktischen Verbot gleichkamen, zunächst alle weiteren Demonstrationen. Sie gab den Sicherheitskräften explizit freie Hand zur Anwendung von Gewalt und wies sie an, weitere Unbotmäßigkeiten mit allen Mitteln zu verhindern – eine Drohung, die im Irak nicht ernst genug genommen werden kann. Viele Organisatoren der bisherigen Demonstrationen wurden verhaftet. Als einer nicht angetroffen wurde, wurden zwei Familienmitglieder als Geisel mitgenommen, um diesen zu zwingen, sich zu stellen. Das brutale Vorgehen gegen die Versammlungsfreiheit nötigte schließlich auch Human Rights Watch zu einem Protest.[17]
Kurz darauf wurden die Gewerkschaften, die aktiv an den Demos beteiligt waren, verboten. Zur gleichen Zeit wurde auch der Entwurf eines neuen Arbeitsgesetzes, der gewerkschaftliche Rechte gemäß den Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation vorsah, vom Kabinett abgewiesen.[18]
Mega Öl-Geschäfte
Das Timing beim Vorgehen gegen die Gewerkschaften deutet aber auf noch wichtigere Gründe als die Massenproteste. Im letzten Jahr wurden in öffentlichen Auktionen milliardenschwere Service-Aufträge an ausländische Ölkonzerne versteigert. Die ersten Verträge sind mittlerweile unter Dach und Fach. Das Konsortium aus dem britischen Öl-Giganten BP und der staatlichen China National Petroleum Corporation (CNPC), das sich bereits in der ersten Auktion im Juni 2009 den Zuschlag für Rumaila, das größte Ölfeld im Irak, sicherte, ist dabei, konkrete Arbeitsaufträge an Subunternehmen zu vergeben.
Das Rumaila Feld ist mit mindestens 18 Milliarden Barrel weltweit das viertgrößte und liefert aktuell schon fast die Hälfte des irakischen Öls. BP und CNPC sollen die Produktion mehr als verdoppeln. Zur Vergabe der Arbeitsaufträge für das gewaltige Projekt wird eine extra „Beteiligungsmesse“ abgehalten. Die „BP Iraq Share Fair“ fand am 22. November 2010 in Istanbul statt.[19]
Ende Oktober wurde bereits eine dreitägige Konferenz abgehalten, bei der die Konsortien, die bei der zweiten Auktion von Serviceaufträgen Mitte Dezember 2009 den Zuschlag erhielten, ihre Projekte und die Bandbreite nötiger Infrastrukturmaßnahmen vorstellten. Der Titel „Irak Mega Projekte – Entfesselung des Potentials von Öl- und Gasprojekten“ deutet die Erwartungen an.[20] Über 350 Teilnehmer waren gekommen, von führenden Vertretern der Transnationalen Energiekonzerne, über Baufirmen und Maschinenhersteller, wie z.B. Caterpillar, bis hin zu den großen Sicherheitsfirmen.
Die US-Armee hat unterdessen die britische Militärbasis in Basra übernommen und anscheinend in ein Service Center für ausländische Öl-Konzerne umgewandelt. Die beschränkte Öffnung der irakischen Ölindustrie für ausländische Konzerne durch Aufträge für technische Dienstleistungen entspricht zwar noch lange nicht den Zielen Washingtons und der US-amerikanischen Öl-Multis, die einen direkten Zugriff auf die riesigen Ölreserven via Production Sharing Agreements (PSAs) anstreben. Nur wenige US-Konzerne hatten sich daher an den Auktionen beteiligt. Dennoch unterstützen die Besatzer generös alle ausländischen Firmen bei ihrem Einstieg ins irakische Ölgeschäft. Legitimiert dies doch im Nachhinein die Besatzung, ebnet den Weg für umfangreichere Privatisierungen und bietet genügend lukrative Profitmöglichen für US-Firmen im Umfeld der Projekte. Auch von den steigenden Öleinnahmen durch den Ausbau der Ölförderung, würde unter den aktuellen Bedingungen nicht zuletzt die USA profitieren. Der Oberkommandierende der Besatzungstruppen, General Ray Odierno, äußerte sich der Presse gegenüber jedenfalls sehr zufrieden über die Zusammenarbeit mit den ausländischen Unternehmen und sicherte ihnen zu, auch nach der Truppenreduzierung genügend Armee-Einheiten und private Sicherheitskräfte vor Ort zu haben, um die Arbeiten auf den Ölfeldern abzusichern.
Im September hatte US-Botschafter Christopher Hill die Konzernmanager auf die Basis in Basra eingeladen und ihnen dabei die volle Unterstützung bei der Aufnahme der Arbeiten zugesichert, u.a. eine erleichterte Visaerteilung für ausländische Arbeiter und sichere Bankkonten im Irak, über die die enormen Summen transferiert werden können. [21] Hills Hilfsbereitschaft zeigt nebenbei auch recht deutlich, wie „souverän“ der Irak tatsächlich ist. Vermutlich wurde den Managern auch versichert, dass sie von Seiten der Gewerkschaften keine Störmanöver mehr zu erwarten hätten.
Privatisierungsversuche und ein 80 Milliarden Topf
Seit Ende September 2010 bietet das irakische Wirtschaftsministerium ausländischen Unternehmen den Einstieg in zehn staatliche Konzerne via Production Sharing Agreements (PSA) an. Eine Beteiligung über die berüchtigten PSA kommt einer Privatisierung gleich. Es ist der dritte Anlauf seit 2003, eine größere Zahl von Staatsbetrieben zu privatisieren. Die bisherigen Versuche hatte man eingestellt, aus Furcht, es könnte zu Unruhen unter den Arbeitern der betroffenen Werke kommen und Teile der durch die nachfolgenden Rationalisierungsmaßnahmen freigesetzten Belegschaft könnten sich dem Widerstand anschließen.[22]
Am 20. Oktober 2010 versteigerte die amtierende Regierung trotz der breiten und massiven Proteste, die von den Gewerkschaften über Abgeordnete bis zu den Provinzregierungen reichen, weitere umfangreiche Serviceverträge an ausländische Konsortien, durch die die Nutzung dreier Gasfelder erschlossen bzw. ausgebaut werden soll. Zum Zuge kamen kuwaitische, türkische, kasachische und südkoreanische Unternehmen.[23]
Auch diese Aufträge waren für US-Konzerne nicht attraktiv genug. Sie haben Lukrativeres im Blick. Die Maliki-Regierung hat noch rasch die Planungen für Großprojekte, wie den Ausbau von Häfen, Kraftwerken, Strom- und Telefonnetze vorangetrieben und wird nun bald entsprechende Aufträge vergeben – Gesamtvolumen 80 Mrd. Dollar. Ein großer Teil soll natürlich nach dem Willen der Besatzungsmacht wieder an US-Firmen gehen. Diese hatten sich bereits in der Ära von George W. Bush die meisten der Aufträge für den „Wiederaufbau“ gesichert und über 50 Mrd. Dollar – vorwiegend aus irakischen Öleinnahmen – in die Taschen gesteckt. Meist ohne dass die Iraker eine adäquate Gegenleistung zu sehen bekamen.[24] Das US-Wirtschaftsministerium organisierte im September 2010 eine Handelsmission US-amerikanischer Großkonzerne, darunter General Electric, Boing, American Cargo Transport und zwölf weitere große Bau- und Transportfirmen, die schon mal den Weg bereiten wollen.
Internationale Solidarität mit irakischen Gewerkschaften
Gewerkschaften, die für anständige Arbeitsbedingungen kämpfen und sich Privatisierungen widersetzen, können bei all diesen Geschäften selbstverständlich nicht gebraucht werden. Hashmeya Muhsin, die Führerin der Elektrizitätsgewerkschaft, vermutet, dass die Repression wie der ständige Zusammenbruch der Stromversorgung dazu bestimmt sind, eine Atmosphäre der Verzweiflung zu schaffen. „Die Regierung glaubt, dass wenn die Leute nur genügend verzweifelt sind, sie alles akzeptieren, um Strom zu bekommen, auch Privatisierung“, so Muhsin. „Sie weiß, wir würden das nicht akzeptieren, daher will sie uns lähmen.“ [25]
Die Gewerkschafter haben sich vom Verbot und der Repression aber nicht einschüchtern lassen. Wenige Tage nachdem Hashmeya Muhsin aus ihrem Büro geworfen wurde traf sie sich mit Vertretern der Ölarbeiter und anderen Gewerkschaften, um sich gemeinsam gegen die Regierungsmaßnahmen zu wehren. Sie gründeten ein „Vereinigtes Komitee zur Verteidigung der Gewerkschaftsrechte im Irak“. Eine Reihe britischer und US-amerikanischer Gewerkschaften sowie internationale Gewerkschaftsorganisationen, wie die International Federation of Chemical, Energy, Mine and General Workers‘ Unions (ICEM), solidarisierten sich mit den irakischen Kollegen und protestierten in Briefen an die irakische und ihre eigene Regierung gegen die Missachtung der Gewerkschaftsrechte. Der britische Gewerkschaftsbund TUC startete eine Kampagne auf dem Portal LabourStart.org. Da die Auseinandersetzungen im Irak mit Sicherheit weitergehen werden, finden sich dort aktuelle Informationen über die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung im Irak, u.a. auch der Appell an Hussain al-Shahristani auf Deutsch.[26]
Anmerkungen
[1] Minister closes all union offices in Saddam-style move, US Labor Against War
[2] Ben Lando, Shahristani clamps down on electricity unions, Iraq Oil Report, 26.7.2010
[3] Workers strike and demonstrate in Basra, Iraq Oil Report, 23.3.2010
[4] Die engl. Homepage findet sich hier: http://www.basraoilunion.org
[5] Union leaders taken to court for oil sector dissent, Iraq Oil Report, 2.7.2010
[6] „Is the US Pulling the Plug on Iraqi Workers?“, truthout, 27.8.2010
[7] siehe auch Joachim Guilliard, „Gewerkschaften im Irak“, im Reader für die geplante Tour irakischer Gewerkschaften 2005: http://www.labournet.de/internationales/iq/2005tourreader_auswahl.pdf
[8] Wikipedia, Council of Ministers of Iraq, Stand 21.10.2010
[9] siehe Joachim Guilliard: Irak: Im Clinch ums Öl, in: AUSDRUCK (August 2009).
[10] 50 Grad Hitze und kein Strom für die Klimaanlage, ARD, 23.06.2010
[11] siehe David Bacon „Is the US Pulling …“
[12] Powerless in Baghdad, Sydney Morning Herald, 17.10.2010
[13] Basra Protest Over Lack Of Electricity Reflects Twenty Years of Problems, Musings On Iraq, 21.6.2010, Thousands Protest Electricity Shortage in Iraq, NYT, 18.6.2010, Iraqi Energy Protests Grow, IWPR, 25 Jun 10
[14] Anger spreads over Iraq outages, Arab News, 21.6.2010
[15] Maliki Forced To Respond To Public Protests Over Lack Of Electricity In Iraq, Musings On Iraq, 26.6.2010
[16] Protests Over Power Shortages Force Iraqi Minister to Quit, NYT, 21.6.2010
[17] Iraq: Stop Blocking Demonstrations — Secret Order, Government Regulations a Setback for Freedom of Assembly, HRW, 17.9.2010
[18] Talal Sabih Shawqi, A Brief Explanation of the new Labour Law, www.iraqitradeunions.org/wordpress
[19] The Rumaila Project: http://www.rooevents.com/rumaila.php
[20] Iraq Mega Projects – Unleashing the Potential of Oil and Gas Projects, http://www.cwcimp.com/index.aspx
[21] David Bacon, Unionbusting, Iraqi-Style, The Nation, 6.10.2010
[22] Iraq Attempting To Privatize Its State-Run Businesses Once Again, Musings on Iraq, 22.10.2010
[23] Iraq Successfully Auctions Off Three Gas Fields, Musings on Iraq, 22.10.2010
[24] siehe J. Guilliard,,Kontrollierte Plünderung – Die Ökonomie des Irak-Krieges, junge Welt, 05.06.2008
[25] David Bacon, Unionbusting, Iraqi-Style, The Nation, 6.10.2010
[26] Konkret unter: www.labourstart.org/cgi-bin/solidarityforever/show_campaign.cgi?c=778