IMI-Analyse 2010/035

Nicht trauern!

Volkstrauertag und die Opfermythen der Bundeswehr

von: Eugen Januschke | Veröffentlicht am: 11. Oktober 2010

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Jedes Jahr wird am Volkstrauertag im November auch der bei Auslandseinsätzen „gefallenen“ Bundeswehrsoldaten gedacht. Damit wird diesen ein Opferstatus zuerkannt, da am Volkstrauertag offiziell an die „Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft“ erinnert wird. Dieser Opferstatus ist nicht ein einfacher Zusatz zum neuen Soldatenbild der Bundeswehr, sondern er erfüllt eine zunehmend wichtige Funktion, wie auch das im September 2009 in Berlin eröffnete Ehrenmal der Bundeswehr zeigt.

Kreuzzüge und die Sakralisierung des Krieges

Als George W. Bush 2001 den „Kreuzzug“ ausrief, wurde diese Vokabel auch von deutschen PolitikerInnen zurückhaltend bis ablehnend kommentiert. Dabei verweist diese Vokabel trefflich auf das Vorhaben deutscher PolitikerInnen, den Bundswehrsoldaten vermehrt Ehre zukommen zu lassen. Zunächst sei erinnert, dass die Kreuzzüge eine Erfindung des ausgehenden elften Jahrhunderts sind. Deren vorgebliches Ziel war die „Rückeroberung“ des „Heiligen Landes“ mit den für die Christenheit wichtigen Pilgerstätten aus dem islamischen Herrschaftsbereich. Weniger bekannt ist dagegen der Umstand, dass die Kreuzzüge auch eine entscheidende Wendung im Rittertum, verstanden als das mittelalterliche Soldatentum, darstellten. Vorher kämpften die Ritter für ihren Lehnsherrn, was mehr oder weniger profitabel war, aber kein besonderes Seelenheil versprach.

Maßgeblicher Propagandist des ersten Kreuzzuges war Papst Urban II. Von ihm wurde die Verheißung von ewiger Ehre, die den frühchristlichen MärtyrerInnen galt, auf die Kreuzritter übertragen, inklusive einer direkten Eintrittskarte für das Paradies. Dies mag überraschend erscheinen, da das Bild der frühchristlichen MärtyrerInnen wesentlich davon geprägt ist, dass diese ohne Gegenwehr ihre Ermordung hingenommen haben. Aber in der Logik des Papstes zählte eben nicht die Gewaltlosigkeit, sondern der Fokus seiner Argumentation lag auf dem Einsatz des eigenen Lebens als extreme Form des Glaubensbekenntnisses. In diesem Sinne sollten die Kreuzritter, die für die Eroberung des „Heiligen Landes“ ihr Leben ließen, mit den frühchristlichen Märtyrern gleichgesetzt werden.

Im weiteren Verlauf erfuhr der Kampf um das „Heilige Land“ eine Säkularisierung. Wie der deutsch-jüdische Historiker und Mediävist Ernst Hartwig Kantorowicz gezeigt hat, erlaubte diese weitergehende Säkularisierung des Kampfes um das „Heilige Land“, jene Ehre auch im Kampf für die jeweilige „Nationalmonarchie“ zu erlangen. So kann Bush nicht nur die Mobilisierung einer anti-islamischen Grundstimmung durch die Verwendung der Kreuzzug-Vokabel unterstellt werden, sondern auch der Versuch, sakrale Momente der Ehrung auf die eigenen Soldaten zu übertragen.

Dabei ist dieser Versuch beileibe nicht der einzige, den es in den USA in jene Richtung gegeben hat. In unmittelbarer Erinnerung ist noch Ronald Reagans „Reich des Bösen“ in Bezug auf die Sowjetunion. Im Vergleich zur schwammigen Semantik dieser Vokabel trifft der Rückgriff auf die Kreuzzug-Metapher präzise den geschichtlichen Umschlagpunkt, an dem tötende Kämpfer eine sakrale christliche Ehrung erfahren, und ist damit bestens geeignet, diese sakrale Ehrung auch in der Gegenwart für die Soldaten zu stärken.

Nun trauen sich deutsche PolitikerInnen im Allgemeinen nicht, einen solchen direkten Weg zu nehmen. Aber der Volkstrauertag und das Ehrenmal der Bundeswehr lassen sich in einer Weise nutzen, sakrale Ehrung für die zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten einzuführen. Während sich um „Demokratieerhalt bzw. –export“ und um wirtschaftliche Vorteile zumindest mit vorgeblich rationaler Argumentation öffentlich streiten läst, ist das Bemerkenswerte an solchen sakralen Momenten gerade, dass sie sich von Anfang an einer diskursiven Auseinandersetzung zu entziehen suchen. Dieser Einführung sakraler Momente entgegenzutreten ist umso notwendiger, als hier die VertreterInnen der liberal-sozialdemokratisch-grünen Öffentlichkeit völlig versagen. Um dieses Versagen, aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit und einen Weg des Widerstandes gegen die sakralen Momente zu klären, bedarf es einer genaueren Betrachtung des semantischen Feldes rund um den Opfer-Begriff.

MärtyrerInnen

Die frühchristlichen MärtyrerInnen legten eine „Blutzeugenschaft“ für die Göttlichkeit Christi und den christlichen Glauben ab. Die Hinnahme der blutigen und tödlichen Bestrafung für das religiöse Bekenntnis wird dadurch erhöht, dass sie als „Nachahmung Christi“ in dessen Leiden für die Erlösung der Welt verstanden wird. Die MärtyrerInnen „vervollständigen“ sogar das Leiden Jesu, so Paulus: „Nun freue ich mich über meine Leiden für euch und ergänze das, was an Christi Drangsalen noch aussteht, an meinem Fleisch für seinen Leib, welcher die Kirche ist.“ (Kolosserbrief 1,24) Damit erfahren die MärtyrerInnen höchste Ehrung als Figuren des Frühchristentums, weil sie in nicht überbietbarer Weise Christus nachgefolgt sind. Mit Bezug auf dieses Märtyrerbild lassen sich einige Momente des jetzigen verstärkten Ehrungsversuches getöteter Bundeswehrsoldaten deuten und Zusammenhänge nicht zuletzt zum Volkstrauertag und dem neuen Ehrenmal der Bundeswehr herstellen, auch wenn bisher zu Tode gekommene Bundeswehrsoldaten noch nicht explizit als Märtyrer bezeichnet werden.

Victima und Sacrificium

Dagegen werden die getöteten Bundeswehrsoldaten durchaus als Opfer benannt, z.B. am Volkstrauertag. Dass es semantisch überhaupt möglich ist, wie am Volkstrauertag oder an der Neuen Wache sowohl der Opfer des Genozids an den europäischen Juden und Sinti und Roma als auch der „Opfer des Bombenkrieges“ oder sogar der zu Tode gekommenen Wehrmachtssoldaten zusammen gedenken zu können, wird vielfach der mangelnden Differenzierung der deutschen Sprache angelastet. Diese unterscheidet nicht wie das Latein zwischen victima und sacrificium. Denn die Formel „Der Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft“ meint zunächst Opfer im Sinne von victima, die unwillentlich einem fremden Geschick ausgeliefert waren, als passives und wehrloses Objekt von Gewalt.

Bundeswehrsoldaten fallen zwar bisweilen auch „feigen und hinterhältigen Anschlägen“ zum Opfer. Sie aber als Opfer im Sinne von victima zu verstehen, unterschlüge nicht nur den Umstand, dass diese nicht gezwungen sind, Soldaten zu sein mit einem dazugehörigen Risiko, dabei getötet zu werden. Sondern die Bestimmung als victima wäre kaum staatstragend, denn die Soldaten sollen ein Opfer als sacrificium tätigen. Sacrificium bezieht sich im heutigen Sprachgebrauch auf den selbstbestimmten Einsatz des eigenen Lebens in einem heroischen Sinne für Ziele, hinter denen man selbst steht. Wäre der Bundeswehrsoldat „lediglich“ victima, so stünde dies im Kontrast zur offiziellen Vertretung des grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechtes, für das er auch zu kämpfen hat.

So zumindest hätte es auch gerne die liberal-sozialdemokratisch-grüne Öffentlichkeit. Als deren Vertreter soll hier Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung bezüglich des Opfercharakters im neuen Soldatenbild zu Wort kommen. Einstmals durch Kritik an der Wehrmacht aufgefallen, äußert er sich explizit zum sacrificium der Bundeswehrtoten: „Doch kommt hier (…) eine Bedeutungsschicht des Wortes „Opfer“ zum Tragen (sacrificium), die durch den Heldenkult des deutschen Nationalismus und Nationalsozialismus hoch belastet und im Sprachgebrauch daher praktisch tabuisiert worden ist. (…) Gleichwohl ist sie hier – in einem gänzlich unheroischen Sinne – am Platz, und sie ist es auch dann, wenn wir mit den speziellen Modalitäten dieses oder jenes bestimmten Einsatzes persönlich nicht übereinstimmen mögen. Die Bereitschaft, unter Lebensgefahr und mit Einsatz des eigenen Lebens tätig geworden zu sein, verdient Respekt und Anerkennung. (…) Soldaten haben, wenn man dem Wortsinn folgt, ein Opfer für die gemeinsame Sache – res publica – erbracht.“[1]

Naumann erfasst hiermit allerdings nicht, dass sich mit dieser Verwendung des Opferbegriffes für Bundeswehrsoldaten nicht nur die Bedeutungsschicht des sacrificiums zum Tragen kommt, sondern auch die des christlichen Märtyrers. Der Bundeswehrsoldat übernimmt nicht nur freiwillig das Todesrisiko für Ziele der Gemeinschaft, hinter denen er selber auch stehen soll. Sondern er legt weitergehend in herausragender Weise Zeugnis für die „gemeinsame Sache“ ab und darf hierfür besondere Ehrerbietung erwarten. Der damalige Kriegsminister Jung hat hierfür im Ehrenmal das Motto anbringen lassen: „Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit“. Bleibt diese Wertevorstellung gewollt im bundesrepublikanischen Ideenhimmel, so darf trotzdem mit demselben Ehrversprechen säkularisiert für das Vaterland, dessen Machtambitionen und Wirtschaftsinteressen gekämpft, gestorben und geehrt werden.

Fremdopfer und Selbstopfer

Dieser fließende Übergang von sacrificium zum Märtyrertum wird ermöglicht durch die sich heute herausgebildete Verwendung des Begriffes sacrificium als Lehnwort in der deutschen Sprache. Das ursprüngliche Latein ist hier klarer. Dort bezeichnet sacrificium die Vornahme bzw. Durchführung der Opferhandlung und steht in dieser Weise der victima als dem, wer oder was geopfert wird, gegenüber. Wenn der Geopferte und der Opferer nicht in einer Person zusammenfallen, kann von einem Fremdopfer gesprochen werden, das sich gut mit dem Begriffspaar sacrificium / victima in seiner ursprünglichen lateinischen Bedeutung erfassen lässt. Verdeutlicht werden kann die Sinnfälligkeit dieser semantischen Gegenüberstellung am paradigmatischen Opfer des alten Testaments. Indem Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll, beabsichtigt er ein sacrificium und Isaak ist hierbei victima. Der unbedingte Gehorsam Abrahams ist dabei die höchste Form religiösen Zeugnisses vor Gott, sich und anderen.

Nun ist das Märtyrertum an sich keine Erfindung des Christentums. Neu ist allerdings, dass es dort ins Zentrum des Heilsgeschehens rückt. Dem passiv geopferten Isaak und dem lediglich die Opferhandlung vornehmenden Abraham steht der sich aktiv selbstopfernde Jesus gegenüber. An diesem Selbstopfer Jesu hängt aus christlicher Sicht die Erlösung der Menschheit. Damit erfahren dieses und die ihm folgenden Selbstopfer eine dramatische sakrale Aufwertung; auch bei den Selbstopferern, die selbst keinen expliziten Bezug zu dem von Jesus herstellen.

Eben ein solches Selbstopfer wird den zu Tode gekommenen Soldaten unterstellt: Diese wären vor allem jenes einsatzbedingte Todesrisiko eingegangen, weil sie selbst darin ein Bekenntnis zu den demokratischen Grundwerten sahen; analog den christlichen Märtyrern mit ihrer „Blutzeugenschaft“ für die Göttlichkeit Jesu und den christlichen Glauben. Zusätzlich wurde an einer weiteren Parallele zu den Märtyrern als Nachahmer Christi in deren Leiden zur Vervollständigung der Erlösung der Welt bereits fleißig gebastelt. In dieser Weise kann man zumindest auch das offizielle Gedenken zum 20. Juli 1944 verstehen. Die Bundeswehrsoldaten werden zu Nachfolgern Stauffenbergs und seiner Jünger, die in staatstragender Lesart die Deutschen vor der Gefahr bewahrt haben, der Welt als das einig kollektive Tätervolk des Holocausts zu erscheinen.

Die Bundeswehrsoldaten dürfen nun mit ihrem Auslandseinsätzen heute, dank u.a. Joschka Fischer, drohende Holocausts sonst wo auf der Welt verhindern, Deutschland endgültig in den Rang normaler Nationalität zurückführend. Als Ort des Ehrenmals wurde der Bendlerblock gewählt. Der Ort, wo wichtige Attentäter des 20. Juli zwar nicht gekreuzigt, doch zumindest erschossen wurden.

Unter diesem Blickwinkel gibt es eigentlich nur noch einen wesentlichen Punkt, der bisher davon abhält, die in Afghanistan zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten als Märtyrer zu benennen: das Scheitern.[2] Beim Selbstopfer Jesu wird dessen Unterlegenheit in ein aktives Handeln und religiöse Überlegenheit umgedeutet. In dieses Schema lassen sich die „Männer des 20. Juli“ problemlos einordnen. Und spätestens wenn der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan endgültig gescheitert ist, steht auch für diese Toten die Märtyrerverklärung offen.

Opfermythen als Immunisierung gegen Kritik

Auch wenn es hier in Deutschland bis jetzt keine konsistente Wiedereinführung des säkularisierten Märtyrertums ins Soldatenbild gibt, so lässt der Bau des Ehrenmals als einer Art Tempel erahnen, welche sakralen Kräfte hier mobilisiert werden sollen. Deshalb ist zu erwägen, Gedenken und Trauer, wie sie z.B. am Volkstrauertag für die bei Auslandseinsätzen getöteten Bundeswehrsoldaten gefordert werden, zu verweigern. Klaus Naumann meint dagegen: „Darüber zu streiten, dass den Toten als Toten die Würdigung nicht zu versagen ist, sollte sich eigentlich erübrigen. Aber dies ist (…) nur der letzte (und dauerhafteste) von drei identifizierenden Aspekten des Totengedenkens. Die anderen beiden betreffen die Qualifikation der Verstorbenen (als ‚was’ wir sie ehren) und das Verhaltensgebot, das daraus für uns selbst erwächst. (…) Was ist die Republik den Toten und sich selbst schuldig, wenn sie ihrer gedenkt?“

Für die liberal-sozialdemokratisch-grüne Öffentlichkeit erklärt Naumann hier in einem Dreischritt, wieso es keine ernsthafte Kritik an den zu Tode gekommenen Bundeswehrsolldaten geben kann und soll: Der äußerste Schutzwall ist die Ablenkung auf die Frage, dass zwar über das Was und Wie der Zeremonien und Denkmäler zu streiten sei, aber nicht über die Soldaten selbst. Der mittlere Wall, an dem gerade noch diskutiert werden darf, ist die Frage, ob es sich denn auch bei den Bundeswehrsoldaten um richtige Helden und Opfer handelt: Naumann hätte diese Ehrung gerne unheroisch, um genügend Abstand zum Nationalsozialismus zu wahren. Unantastbarer Schutzbereich ist dagegen die Würdigung des Soldaten als Toter; verboten ist damit, die Würdigung der Toten als Tote mit dem Grund für die Todesgefahr in einen Zusammenhang zu bringen, und damit Konsequenzen für die Würdigung zu ziehen. Und doch sollte darüber gestritten werden, ob man diesen Toten als Tote eine Würdigung zuteil werden lassen sollte. Denn ein Soldat ist bezüglich des Opfers eben nicht vorrangig Selbstopfer, sondern tätigt vor allem ein Fremdopfer, ist also – zumindest vorrangig – Täter.[3]

Nun soll keinem Täter, egal welche Tat er begangen hat, das Menschsein abgesprochen werden. An die Achtung der Menschenwürde schließt sich für viele ein respektvoller Umgang mit dem toten Körper an. Ein weiterer Schritt ist dagegen schon die „Würdigung“ verstorbener Täter. Und so stellt sich die Frage, ob nicht die scheinbare Selbstverständlichkeit der Würdigung der toten Bundeswehrsoldaten als Tote, die nach Naumann von allen gefordert sei, bereits als Teil des Vorhabens gesehen werden muss, die Kritiker an der Bundeswehr und ihren Einsätzen zu behindern.

An dieser Stelle zeigt sich nochmals, wie wichtig es ist, die Soldaten nicht nur als Tätige eines sacrificiums zu sehen, wie dies Naumann lediglich sieht, sondern hier auch die Dimension des Märtyrertums in die Analyse mit einzubeziehen. Die zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten werden als Opfer aufgebaut, die besonderes Zeugnis abgelegt haben für die freiheitlich-demokratische Grundordnung: Weil sie bewusst das Todesrisiko eingegangen und für „ihre“ Überzeugung gestorben seien, ermöglichen sie ein weiteres Bestehen unserer Freiheit und Demokratie. Wenn man allerdings den Aspekt des Märtyrertums ablehnt, so tätigt der Bundeswehrsoldat ein sacrificium im alten lateinischen Sinne: Er tötet aus Gehorsam andere Menschen, bringt diese als Opfer dar für einen national-kapitalistischen Religionsersatz mit der verklärenden Formel „Für Frieden, Recht und Freiheit“. Wenn der Tod der Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat steht, der Opferung anderer Menschen, wie soll es dann eine Kritik der Tat zusammen mit einer Würdigung des Täters geben?

Die Verweigerung der Würdigung der toten Bundeswehrsoldaten als Tote stellt somit die stringente Konsequenz der Kritik der beiden anderen, von Naumann erwähnten Aspekten des Totengedenkens dar, nämlich „was wir denn an den toten Bundeswehrsoldaten ehren“ können sollten und „wie wir uns zu den offiziellen Gedenkritualen verhalten“. So fragt sich gerade am Volkstrauertag verstärkt, ob eine Verweigerung der Würdigung der toten Bundeswehrsoldaten als Tote nicht die konsequenteste Art der Forderung zur Entopferung darstellt: der Enthebung der Bundeswehrsoldaten als Opferpriester eines Kriegskultes. Und damit ein Beitrag zur Verhinderung weiterer von Bundeswehrsoldaten verursachten victimas.

Anmerkungen

[1] Dieses und die folgenden Zitate von Klaus Naumann stammen aus dem Aufsatz Große Geste, kleine Öffnung. Zur Debatte um das Soldaten-Ehrenmal des Bundesverteidigungsministeriums, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Das Ehrenmal der Bundeswehr – eine notwendige Debatte, herausgegeben von Jan-Holger Kirsch und Irmgard Zündorf, September 2007, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/documents/pdf/naumann_bwe.pdf

[2] Das tatsächlich größte Problem für die explizite Benennung der in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten als Märtyrer dürfte allerdings darin liegen, daß der Begriff vom Gegner bereits besetzt ist. Und hier möchte man doch tunlichst vermeiden, mit seinen eigenen Toten in dessen Nähe gerückt zu werden. Sonst würden die umgekommenen Bundeswehrsoldaten entweder als arme verführte Selbstmordattentäter oder als fanatische Killer erscheinen.

[3] Zu bedenken ist natürlich, dass viele Soldaten auch – zumindest teils – als Opfer der herrschenden Politik anzusehen sind. Und zwar in dem Sinne, dass ihnen u.a. aufgrund sozialer Perspektivlosigkeit zumindest subjektiv wenig andere Perspektiven offen bleiben, als sich für die Armee zu verpflichten. Die Bundeswehr macht sich diesen Umstand u.a. durch ihre massive Rekrutierungstätigkeit in Arbeitsämtern massiv zu Nutze. Vor diesem Hintergrund können und sollten verstorbene Soldaten ungeachtet einer durchaus vorhandenen Eigenverantwortung jedes Individuums – zumindest auch – als Opfer deutscher Politik verstanden werden. Um sie in diesem Sinne zu trauern, wäre hingegen etwas völlig anderes als die von offizieller Seite praktizierten Rituale.