IMI-Standpunkt 2009/055 - in: AUSDRUCK (Oktober 2009)

Das erpresste „Ja“

Schrankenlose EU-Militärpolitik nach dem Referendum in Irland?

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 6. Oktober 2009

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Am Freitag, den 2. Oktober 2009 fand in Irland die zweite Abstimmung über den Lissabon-Vertrag statt. 67 Prozent sprachen sich für den Lissabon-Vertrag aus, 33 Prozent dagegen. Von fairen und freien Wahlen konnte dabei jedoch kaum die Rede sein. Besonders das Ja-Lager argumentierte kaum mit den Inhalten des Vertrages. Die Debatte spitzte sich zu auf die Frage der möglichen Isolation Irlands bei einem „Nein“ und auf die erhoffte Wirtschaftshilfe „aus Brüssel“ zur Überwindung der irischen Krise und zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Nach Einschätzung von Michael Youlton, einer der Sprecher des progressiven Nein-Lagers, war das „Nein“ in den Medien im Vergleich zur „Ja-Seite“ im Verhältnis eins zu fünf unterrepräsentiert und im Verhältnis eins zu zwanzig unterfinanziert bei der Durchführung ihrer Kampagnen im Vorfeld der Referendums. Die Brüsseler Kommission und die europäischen Schwesterparteien der großen irischen Parteien beließen es nicht nur bei verbaler Unterstützung des Lissabon-Vertrags, sie finanzierten die Ja-Kampagne massiv. Zusammen mit der Finanzierung des „Ja“ durch Privatunternehmen wie Intel und Ryanair entstand so ein massiver Druck auf die Bevölkerung. „Die Iren stimmten mit der Pistole an der Schläfe ab“, kommentierte die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ treffend.

Risikofaktor Tschechien

Nun muss der Lissabon-Vertrag noch in zwei weiteren Staaten ratifiziert werden. Was oberflächlich wie ein großer Erfolg aussieht, birgt jedoch immer noch jede Menge Risiken in sich. Der polnische Staatspräsident kündigte zwar an, den Vertrag zu ratifizieren, nachdem Irland zugestimmt hat, aber der tschechische Präsident Vaclav Klaus möchte mit seiner Unterschrift warten, bis der tschechische oberste Gerichtshof über eine zweite Klage von tschechischen Senatsabgeordneten, die am 29. September eingereicht wurde, entschieden hat. Dadurch könnte sich die tschechische Unterschrift bis ins Jahr 2010 verzögern. Im Frühjahr nächsten Jahres wiederum finden in Großbritannien Wahlen statt. Die britischen Konservativen kündigen bereits jetzt an, dass sie ein Referendum durchführen und gegebenenfalls die britische Unterschrift zurückziehen würden, wenn der Lissabon-Vertrag im nächsten Jahr noch nicht abschließend ratifiziert ist. Solange noch nicht alle Unterschriften hinterlegt und der Vertrag damit gültig ist, kann ein Land jederzeit seine Unterschrift wieder zurücknehmen.

Leere Versprechungen

Die irische Regierung hatte im Juni diesen Jahres eine Reihe von „Garantien“ mit der Europäischen Union ausgehandelt, die die Bedenken in der irischen Bevölkerung zerstreuen sollten. So soll Irland auch in einer verkleinerten Kommission einen Kommissar stellen dürfen, die irische Neutralität und Steuer- sowie Abtreibungsgesetzgebung sollen geachtet werden. Bei der Abtreibungsfrage ging es vor allem um die Befriedung der katholischen Kirche Irlands. Doch Analysen der Motivation des Nein-Lagers beim letzten Referendum kamen klar zum Ergebnis, dass das Nein vor allem bei jungen Menschen und bei Frauen favorisiert wurde. Beide Gruppen sprechen sich mehrheitlich für liberalere Abtreibungsgesetze aus. Wichtiger ist die Frage der Neutralität, da die NATO-Gegnerschaft in der Bevölkerung weit verbreitet ist und eine militarisierte Europäische ¬Union wenige Freunde in Irland hat. Auch Fragen der Privatisierung, der Arbeiterrechte, der Gesundheitsversorgung und der Regulierung der Landwirtschaft spielten eine wichtige Rolle bei der Ablehnung. Nur einem Teil dieser Bedenken wurde in den verhandelten „Garantien“ überhaupt Rechnung getragen. Doch auch sie sollen nicht Teil des Vertragstextes des Lissabon-Vertrags werden. Damit sind sie nicht verbindlich und haben den Charakter bloßer Absichtserklärungen.

Verfasste Militarisierung

Der irische Regierungschef Brian Cowen erklärte nach dem Referendum „Heute ist ein guter Tag für Irland und ein guter Tag für Europa.“ Ganz Europa kann er damit nicht gemeint haben, denn besonders für die ärmeren Teile der Bevölkerung ist bei einer, durch den Lissabon-Vertrag gestärkten neoliberalen EU-Wirtschaftspolitik, mit einer weiteren Verschlechterung ihrer rechtlichen und ökonomischen Situation zu rechnen. Besonders freuen über den Ausgang des Referendums dürften sich jedoch die europäischen Militärs und Rüstungslobbyisten. Der Lissabon-Vertrag macht die EU endgültig zu einem Militärblock. Dazu trägt nicht zuletzt die Solidaritätsklausel (Titel VII, Art. 222) bei, die festlegt, dass die Union im Kriegs- und Krisenfall „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel (mobilisiert), einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“. Durch die Einführung eines europäischen Außenministers (Hoher Repräsentant) mit einem eigenen diplomatischen Corps wird die EU wahrscheinlich wirklich handlungsfähiger in der Außenpolitik, da sie aber gleichzeitig nicht demokratischer wird (das Parlament wird nur „informiert“), ist damit zu rechnen, dass es vor allem darum geht, schneller Kriege beginnen und durchführen zu können.

Dazu wird auch der neu eingerichtete Anschubfonds (Art. 41,3) beitragen, eine Art „schwarzer Kriegskasse“, in die die Mitglieder einzahlen, um jederzeit mit einer militärischen Mission beginnen zu können. Darüber hinaus soll sich die militärische Außenpolitik aber künftig auch aus dem allgemeinen EU-Haushalt bedienen können, indem Regelungen erlassen werden, die „den schnellen Zugriff auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten“. Das war unter den bisher gültigen Nizza-Gesetzen nicht möglich. Profitieren wird von diesem Zugriff auf EU-Finanzen auch die Rüstungsagentur, die nun Verfassungsrang erhält und nicht nur die EU-Aufrüstung koordiniert, sondern auch die EU-Rüstungsproduktion und Rüstungsforschung stärken soll. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit ein militärisches Kerneuropa im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ) zu etablierten. Mitgliedstaaten, die im Militärbereich besonders hohe Zielvorgaben für Rüstungsausgaben und die Bereitstellung von Truppen erfüllen, können sich zur SSZ zusammenschließen. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Außenpolitik wird hier nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden. So wird strukturell die Wahrscheinlichkeit für EU-Kriegseinsätze noch höher als sie es bereits ist, verstärkt wird dies dadurch, dass der Lissabon-Vertrag auch den Katalog der Militäreinsätze, die in Frage kommen, noch deutlich über die so genannten Petersbergaufgaben hinaus erweitert hat (Art. 43,1). Das „Ja“ im irischen Referendum war somit sicher kein schöner Tag für die Idee eines friedlichen Europa.