IMI-Standpunkt 2009/025

Jugoslawien – schon vergessen?

Rede von IMI-Beirat Uwe Reinecke beim 7. Ostermarsch im Eichsfeld am 13.04.2009

von: Uwe Reinecke | Veröffentlicht am: 14. April 2009

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„Zwischen dem Hammer (NATO) und dem Amboss (herrschendes Regime) sind wir eingeklemmt.“

Diese Worte schrieben uns vor genau 10 Jahren unsere Freunde aus Belgrad während deutsche und andere Soldaten Bomben auf sie und andere Jugoslawen warfen. Die oppositionellen Serben wollten den ungeliebten Slobodan Milosevic loswerden, bekamen statt Hilfe aber Bomben und Raketen in ihre Häuser. Blieben sie davon verschont, kam die Milosevic-Polizei.

So beschrieben unsere Partner die Situation in Serbien sehr gut. 1999 haben wir etliche Stellungnahmen der serbischen Opposition auf dem Marktplatz verlesen. Dafür wurden wir verachtet und beschimpft. Auch in Deutschland klappte das mit dem Hammer und dem Amboss sehr gut. Die Willfährigkeit und Kriegsbegeisterung bestürzen mich heute noch.

Ob Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser, Kirchen und Klöster, Radio- und Fernseh-Anlagen, Umspannwerke, Bahnlinien, Brücken oder Industrieanlagen. Nichts wurde verschont. Weil Wasserleitungen und Bäckereien auch für serbische Soldaten nutzbar waren, wurden sie von der NATO zu „militärischen Zielen“ erklärt und zerstört. Dies diene den Menschenrechten, so erklärten uns die Verbrecher auf Seiten der NATO.

Auf deutscher Seite sind hier neben dem Alt-Kanzler Gerhard Schröder, der damalige Kriegsminister Rudolf Scharping und der damalige Außenminister Joseph Martin alias „Joschka“ Fischer zu nennen.

Scharping gebührt die zweifelhafte Ehre, den so genannten „Hufeisenplan“ der Serben selber entwickelt zu haben.

Ex-Außenminister Fischer warf nicht mehr Steine auf Polizisten, sondern jetzt als Minister Bomben auf Zivilisten. Er tat beides, um den Faschismus zu bekämpfen und ein neues Auschwitz zu verhindern, wie er stets lügenhaft behauptete.

Diese und viele andere Lügen der deutschen Regierung aus der Zeit übersteigen bei weitem das Maß an Lügen, das George W. Bush und Tony Blair 2003 für den Irak-Krieg brauchten, an dem sich die rot-grüne Bundesregierung übrigens massiv beteiligte. Ich nenne hier nur die Überflugrechte für Bomben- und Folterflugzeuge, die Schröder und Merkel gewährten.

Der vorgegebene Grund für den Jugoslawienkrieg 1999, die Menschenrechte durchzusetzen, wurde während und nach dem Krieg von der deutschen Regierung nicht eine Minute lang verfolgt.

Stattdessen setzte man sich für die Umsetzung ganz anderer Ziele ein.

Der souveräne blockfreie Staat Jugoslawien sollte zerschlagen werden. Die schnelle Anerkennung der sich von Jugoslawien abspaltenden Regionen unterstützte den gewalttätigen Nationalismus auf allen Seiten in den frühen 1990er Jahren. Nach dieser Stärkung des Nationalismus gab der Westen dann erschrocken vor, gerade diesen bekämpfen zu wollen. Legendär ist der Ausspruch des späteren Außenministers Fischer, „Notfalls müssen wir die Vernunft in die Köpfe hineinbomben!“ Vier Jahre später war es dann soweit. Fischer war gut vorbereitet und konnte endlich seine Bomben werfen.

Mit dem Kosovo sollte zudem ein Signal an die UN, Russland und China gesendet werden. Das Signal heißt: Die NATO, die EU und speziell Deutschland interessieren sich nicht für das Recht, sondern allein für die Macht.

Das Kosovo gilt jetzt 53 von 192 Staaten als „unabhängig“. Unabhängig von wem oder was?, das ist hier die Frage. Denn tatsächlich allein und frei entscheiden kann das Parlament des Kosovo nicht. Die eine Abhängigkeit wurde einfach gegen eine andere neue Abhängigkeit eingetauscht. Nicht das Kosovo, sondern die USA und einige EU-Staaten sind jetzt die wahren Herren im Kosovo. Dazu bedienen sie sich verschiedener Elemente:

Im Kosovo regieren nicht die Kosovaren, sondern die NATO und die EU. Ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina herrscht eine Art Oberrat der so genannten „Internationalen Gemeinschaft“ im militärisch besetzten Land. Gesetze und Verordnungen des kosovarischen Parlaments und Entscheidungen der Kosovo-Regierung werden so mit einem Federstrich weggewischt. Gewählte Personen können von der „Internationalen Gemeinschaft“ einfach willkürlich wieder abgesetzt werden. Diese Oberregierung ist niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig.

Die seit zehn Jahren im Kosovo stationierten KFor-Soldaten setzen gemeinsam mit der EULex diese Bestimmungen durch.

Die EULex- Mission besteht vornehmlich aus Polizisten und Juristen. Offiziell dienen sie dem Aufbau einer demokratischen Polizei- und Justizordnung im Kosovo.

Anders als bei Bundeswehrsoldaten muss der Bundestag über eine deutsche Beteiligung nicht abstimmen. Das entscheiden die Landesregierungen bzw. die Bundesregierung allein.

Im Kosovo regiert neben der EULex-Mission und den NATO-KFor-Truppen noch eine dritte Macht: die Mafia. Korruption, Subventionsbetrug, Waffen- und Frauenhandel, Geldwäsche und Schmuggel gehören zum Alltag. Dies nicht etwa trotz Anwesenheit von KFor und EULex, sondern gerade wegen dieser internationalen Einmischung.

Aus unserer Sicht bleibt als Ergebnis:

Die falschen Leute wurden an die Macht gebombt.

Einige Beispiele für offensichtliche Fehlentwicklungen, wie Korruption, Geldwäsche und anderes mehr.

Wer von Pec/Peja nach Prizren fährt, sieht auf jeden Kilometer eine Tankstelle. Das Kosovo ist so zum Land mit der größten Tankstellendichte der Welt geworden. Dass da was faul ist, ist eindeutig. Merkt das keiner? Will man das nicht sehen? Wozu dienen diese vielen Tankstellen? Wer verdient daran?

Viele neu gebaute Häuser stehen leer, weil sie nicht dem Wohnen, sondern der Spekulation und dem Subventionsbetrug dienen. Oft wird illegal auf fremden Grund gebaut. Besitzverhältnisse über Grundstücke sind oft nicht geklärt. Baugenehmigungen werden nach Bekanntheitsgrad und Geldgebebereitschaft des Antragsstellers erteilt.

Roma, Ashkali und Serben oder andere Minderheiten leben oft in verwahrlosten Ruinen in Ghetto-ähnlichen Sondersiedlungen. Ihnen wird ein Neubau oder eine Renovierung verboten. Außerdem haben sie oft keine Arbeit und damit kein Geld für notwendige Reparaturen.

Produzierendes Gewerbe gibt es im Kosovo praktisch gar nicht. Alles muss teuer eingeführt werden. Daran verdienen hauptsächlich die EU-Staaten und nicht etwa Kosovaren. Die Arbeitslosigkeit ist dadurch eklatant hoch.

Kirchen und Klöster werden mit NATO-Draht umzäunt. Ein friedlicher Ostergottesdienst ist in Prizren nicht möglich, weil die an die Macht gebombten UCK-Kämpfer ekelhafte Rassisten sind.

Denkmäler für jugoslawische Partisanen aus dem zweiten Weltkrieg wurden derart umgebaut, dass jetzt nur noch der UCK-Kämpfer gedacht wird.

Danke Bundeswehr, kann man da nur zynisch sagen. Dass ausgerechnet deutsche Soldaten dabei helfen, die Denkmäler für jugoslawische Antifaschisten zu zerstören, ist schon erschreckend. Dabei war der Grund für die Bomben doch der vorgebliche Antifaschismus des Herrn Fischer.

NATO und EU haben in jüngster Vergangenheit im Kosovo drei gemeinsame Übungen zur Aufstandsbekämpfung durchgeführt. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Da sind wir wieder beim Hammer und dem Amboss.

Zum Krieg nach außen gehört immer auch der Krieg nach innen, die innere Repression.

Bewaffnung und Ausbildung der deutschen Polizeien haben sich militarisiert. Polizisten ohne Pistolen, Helme und Vermummung sieht man hier auf Demonstrationen nicht mehr.

Kriegsgegner werden mit Prozessen überzogen. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Deutschland hat sich also massiv verändert, und zwar zum Schlechten!

Die Militarisierung der Gesellschaft hat Politik und Parteien ebenso erfasst, wie Gewerkschaften und Kirchen.

Ein paar Beispiele: Während des Krieges lud der DGB mehrere Minister aus Schröders Kriegskabinett ein, in verschiedenen Städten die Hauptreden auf den Maikundgebungen zu halten. Als ob Kriege jemals für die Interessen der Arbeiterbewegung geführt worden wären.

Oder die Kirchen:

„Wir fühlen uns jetzt unseren Soldaten und ihren Angehörigen in besonderer Weise verbunden.“ erklärte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock 1999 zum Jugoslawienkrieg.

Der Göttinger damalige Stadtsuperintendent Steinmetz betete am 24. März 1999 für „die gesunde und glückliche Rückkehr unserer Soldaten“.

Früher füllte die Demokratie- und Friedensbewegung in Ost und West die Kirchen, heute sind es Soldaten und Politiker mit Leichenbittermiene bei so genannten Staatsakten.

Der Kirchentag wird vom Kriegsministerium und von der Militärseelsorge genutzt, um Hand in Hand mit Bischöfen, Pfarrern und Laien das Militärische als goldenes Kalb anzubeten. Die Rettung der Welt käme danach nicht von Gott, sondern von der weltweit eingesetzten Bundeswehr.

Die Deformierung der deutschen Gesellschaft geht aber noch weiter:

Während des Krieges wollten jugoslawische Sportler, die in verschiedenen Bundesligen spielten, Trauerflor anlegen. Dies wurde ihnen von den europäischen und von den deutschen Sportverbänden verboten. Trauer für Jugoslawen? Das sollte es nicht geben. Das alte „Serbien muss sterbien“ kam bei uns Deutschen wieder durch.

Der Hermann-Gmeiner-Fonds setzte noch einen drauf: Diese Einrichtung verwaltet die SOS-Kinderdörfer im Ausland. Eines dieser Dörfer steht in Novi Sad/ Sremska Kamenica. Ein Jahr nach dem Krieg wurde die Zentrale in München brieflich gefragt, wie die Kriegsschäden aussahen und ob sie bereits behoben seien. In einem arroganten Antwortbrief hieß es lapidar, “ Am 25. März wird eine Bombe über Novi Sad abgeworfen, die aber glücklicherweise weit entfernt vom SOS-Kinderdorf einschlägt. Die größte Angst unserer Mitarbeiter vor Ort war, daß eine große Brücke, die sich in der Nähe des SOS-Kinderdorfes befindet, bombardiert werden könnte.“ Bis heute rückt der Hermann-Gmeiner-Fonds trotz mehrmaliger Nachfrage nicht davon ab, dass in Novi Sad nur eine Bombe fiel und diese keinerlei Schaden angerichtet habe. Tatsächlich war die erwähnte Brücke nicht nur gefährdet, sondern alle drei Donaubrücken wurden zerbombt. Noch heute behindert eine flache Behelfsbrücke den Schiffsverkehr. Die zwei anderen sind schon erneuert. Die Kriegsbegeisterung war so groß, dass man nicht einmal zehn Jahre später zugeben will, dass man wohl völlig falsch gelegen hat.

Trotz dieser Beispiele gelingt es der deutschen Gesellschaft den Kriegszynismus noch einmal zu steigern: In Berlin wird jetzt eine Ruhmeshalle für „gefallene“ deutsche SoldatInnen gebaut. Ein solches Bauwerk brauchen und wollen wir nicht.

Stattdessen sollten wir in Berlin ein Denkmal für die von der Bundeswehr getöteten Menschen aus aller Welt bauen. Die Zahl geht schon in die Tausende, vornehmlich Zivilisten.

Wir wollen auch nicht, dass Arbeitsagenturen und besonders Schulen für Rekrutierungsveranstaltungen missbraucht werden. Stattdessen muss es eine ehrliche Aufarbeitung des Krieges gegen Jugoslawien, gerade in den Schulen, geben.

„Bundeswehr wegtreten!“ heißt unsere klare und laute Aussage.

NEIN zu NATO und zur Bundeswehr! Und Nein bleibt Nein!

Vielen Dank.

Eichsfeld am 13.04.2009