Dokumentation, in: taz nord, 24.3.2009
Globale Monitore aus Bremen
Weil die Bremer Raumfahrtindustrie der Grenzschutzagentur Frontex hilft, Boatpeople auf dem Mittelmeer aufzuspüren besuchten 150 DemonstrantInnen das italienische Konsulat im Viertel
von: Jens Uthoff, taz | Veröffentlicht am: 24. März 2009
Sie trugen ein Schiff den Sielwall hinauf: Mit einer symbolischen Aktion erinnerte das Bremer „Bündnis gegen Frontex“ am vergangenen Samstag an die Mitverantwortlichkeit der Bremer Raumfahrtunternehmen EADS und OHB Technology bei der Flüchtlingsabwehr im Mittelmeerraum.
„Frontex“ nennt sich die für Flüchtlingspolitik zuständige europäische Grenzschutzagentur, die zur verbesserten Überwachung durch Satellitensysteme mit jenen Bremer Unternehmen kooperiert. Etwa 150 Demonstrierende nahmen sich dieses Themas an und zogen vom Ziegenmarkt zum italienischen Konsulat am Sielwall.
Dort wurde ein kleines Holzschiff mit den Aufschriften „Frontex abschaffen“ und „Boatpeople welcome“ angekettet. Der italienische Honorarkonsul Marco-Romed Fuchs ist gleichzeitig Vorstandsvorsitzender bei OHB. Dem Bündnis zufolge vertrete er somit die aggressive Flüchtlingspolitik Berlusconis in doppelter Funktion. Seit Februar ist in Italien die direkte Abschiebung aus Lampedusa nach sechs Monaten Flüchtlingslager möglich. Die gesamte Protestaktion dauerte nur eine halbe Stunde; die Polizei beobachtete, griff aber nicht ein.
Bei OHB Technology ist die Stimmung derweil blendend: Dem allgemeinen konjunkturellen Trend entgegen vermeldete das Unternehmen blühende Raumfahrt-Landschaften. Der Umsatz lag für das vergangene Jahr bei 232 Millionen Euro und stieg damit um sechs Prozent. Die Tendenz sei weiterhin steigend, sagte Fuchs: „Für das laufende Geschäftsjahr erwarten wir eine Steigerung der Gesamtleistung um 15 Prozent.“ Der Unternehmensbereich Telematik und Satellitenbetrieb, der unter anderem die Systeme für Frontex entwickelt, hat dabei einen Anteil von etwa zehn Prozent.
Sowohl OHB als auch der in Bremen beheimatete „EADS Astrium“-Konzern sind für die Weiterentwicklung von Satellitenprogrammen zuständig, die Frontex bei der Organisation der EU-Grenzüberwachung als technisches Mittel dienen. Seit 2005 ist Frontex zuständig für den Schutz der Staatsgrenzen und kooperiert eng mit den nationalen Grenzbehörden, um Flüchtlingsbewegungen zu erfassen. Interesse ist es, die Technologien voranzutreiben, die beispielsweise die Überwachung des Mittelmeerraums optimieren. Und an dieser Stelle kommen die Bremer Unternehmen ins Spiel: Die so genannte „SAR-Lupe“ ist ein Satellitensystem, das jederzeit Bilder in hoher Auflösung von bestimmten Punkten auf der Erde liefern kann. Sie wurde im Jahr 2006 von OHB Technology entwickelt und zunächst nur von der Bundeswehr genutzt.
Unter anderem arbeite die von der Europäischen Kommission und der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA getragene Initiative „Global Monitoring for Environment and Security“ (GMES) mit dieser Technologie, sagt Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen. Die GMES wurde 2006 gegründet, um Krisenmanagement bei Umweltkatastrophen zu vereinfachen.
Mittlerweile aber werde das vorhandene Instrumentarium auch für die EU-Sicherheitspolitik und Frontex genutzt, bestätigt Marischka. „Es gibt zwei nachgewiesene Fälle, in denen Frontex sich der Technologien der GMES-Projekte bedient hat“, sagt er: „Testweise bei der Drogenbekämpfung der französischen Marine in der Karibik und für die Überwachung des EU-Lateinamerika-Gipfels in Lima.“
Anmerkung von Christoph Marischka: Frontex nutzte GMES zur Überwachung der Gewässer um Malta sowie das EU Satellite Center (EUSC) zur Überwachung der westafrikanischen Küste. GMES kam auch bei Drogenbekämpfung in der Karibik, für die Identifizierung von Opiumanbauflächen in Afghanistan und beim EUFOR-Einsatz im Tschad zum Einsatz, ebenso, um den EU-Lateinamerikagipfel in Lima zu überwachen. Bei diesen Einsätzen ist aber unklar ob Frontex eine Rolle gespielt hat.