Dokumentation - in: Zeitung gegen den Krieg, März 2008

Anstatt der notwendigen humanitäre Hilfe: Deutsche „Militärhilfe“ für das Besatzungsregime im Irak


von: Joachim Guilliard | Veröffentlicht am: 7. April 2008

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Gerhard Schröder machte 2002 weltgeschichtlich Furore als er, mit der drohenden Niederlage bei den Bundestagswahlen konfrontiert, eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen den Irak kategorisch ausschloss. Zur selben Zeit begann Deutschland zu einem der wichtigsten Aufmarschgebiete der US-Armee zu werden. „I am not convinced – ich bin nicht überzeugt“ schleuderte Außenminister Joseph Fischer dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegen, als dieser auf der „Münchner Sicherheitskonferenz“ im Februar 2003 die vom Irak ausgehenden Gefahren beschwor. Anschließend wurde diese Konferenz, kurz vor Kriegsbeginn, genutzt, um abzuklären, wie mit dem Dissens konstruktiv umgegangen werden könnte. Das Ergebnis ist bekannt: die Schröderregierung durfte weiterhin mit ihrer öffentlichen Kriegsgegnerschaft punkten, überließ den britischen und amerikanischen Waffenbrüdern aber Deutschland als wichtigste logistische Drehscheibe. Die Bundeswehr stellte 2003 bis zu 4.200 Soldaten zur Bewachung von US-Kasernen, um US-Kollegen für den Kriegseinsatz freizusetzen, sandte Patriot-Abwehrraketen in die Türkei und stationierte ABC-Schutzpanzer in Kuwait. Deutsche Agenten erkundeten sogar mögliche Angriffsziele in der irakischen Hauptstadt.

War Deutschland damit bereits einer der wichtigsten Partner im Kriegsbündnis, so stellte sich die Bundesregierung bald nach dem die ersten Bomben auf Bagdad fielen, faktisch hinter die Aggression. Nach dem der Krieg nun leider begonnen habe, so Außenminister Fischer, könne man nur hoffen, dass die US-geführte Koalition rasch den Sieg davon trage, alles andere wäre eine Katastrophe.[1] Beide Bundesregierungen unterstützen seither nahezu uneingeschränkt die US-Politik im Irak. Nach wie vor wird der größte Teil des Nachschubs der US-Truppen über deutsche Luft- und Seehäfen abgewickelt, wichtige Führungsstäbe organisieren von hier den Krieg und Zigtausende verwundete GIs wurden schon im US-Krankenhaus in Landstuhl zusammengeflickt. Ohne ihr deutsches Hinterland könnten sich die Besatzungstruppen im Moment kaum eine Woche im Irak halten.

Daneben leistete Deutschland auch direkte Besatzungshilfe, vor allem durch Ausbildung und Ausrüstung der neuen, unter US-Führung stehenden Armee und Polizei. Die Bundeswehr setzt diese Hilfe auch in diesem Jahr fort. Wie das Magazin „Focus“ voller Stolz berichtete, werden in Abu Dhabi bald 70 deutsche Ausbilder 250 irakischen Soldaten beibringen, „wie man einen Logistik- und Nachschubverband organisiert“ und „einen 50-Tonnen-Tieflader durch losen Sand steuert“.[2] Ob sie dafür tatsächlich die Hilfe des „weißen Mannes“ brauchen, darf in einem Land, das seit den 1980ern Jahren fast dauernd im Krieg ist, bezweifelt werden. Wichtiger ist sicherlich die Bereitstellung der Hardware für einen neuen Transportverband der irakischen Streitkräfte: 20 Schwerlasttransporter, 100 Krankenwagen und ca. 250 weitere Fahrzeuge im offiziellen Wert von 7,5 Mio. Euro.

Nach dem 2006er Rüstungsexportbericht der GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung) betrug der Wert der Rüstungslieferungen 2004 insgesamt 32,9 Millionen und 2005 ca. 25 Millionen Euro.[3] Die BRD ist, wie Militärminister Franz Josef Jung bei der Unterzeichnung des Vertrags über die neue Lieferung betonte, sehr um eine langfristige militärische Zusammenarbeit mit dem Irak bemüht.[4]

Die Bundesregierung verkauft ihre militärische Unterstützung als humanitäres Engagement, als Hilfe zur Stabilisierung eines Landes, das nach der US-geführten Invasion in tiefes Chaos stürzte. Tatsächlich ist es aber eine direkte Beteiligung an der Besatzung. Wichtiger, als der verhältnismäßig bescheidene materielle Umfang, ist die damit verbundene politische Unterstützung Washingtons dabei, eine abhängige, von radikal-islamischen und separatistischen Parteien getragene Regierung zu etablieren und aus deren Anhang eine US-loyale Armee aufzubauen.

Faktisch werden so einige extreme irakische Kräfte gegenüber allen anderen in Stellung gehalten. Dies ist auch das Urteil der transatlantisch orientierten International Crisis Group (ICG). Auch deren Experten sind überzeugt, dass die dominierenden Kräfte in der irakischen Regierung den Kreislauf aus intensivierter Gewalt und Gegengewalt weiter anheizen, um Nutzen aus einer Polarisation der Gesellschaft ziehen zu können. Gleichgültig gegenüber den nationalen Erfordernissen, heißt es in einer ihren Analysen, würden deren politische Führer zunehmend zu „Warlords.“ Ausgerechnet die „Sicherheitskräfte“, die offensichtlich mitverantwortlich für den aktuellen schmutzigen Krieg sind, zur Verringerung der Gewalt auszubauen, habe „die Weisheit einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung: Schritte, die genau den Prozess beschleunigen werden, den sie zu verhindern vorgeben.“ [5]

Wer nach Gründen für die fast vorbehaltlose Berliner Unterstützung der USA im Irak sucht, muss sich nicht mit der Bündnistreue begnügen. Zwar ist das Engagement deutscher Firmen im Irak noch recht zurückhaltend, das Handelsvolumen hatte jedoch 2005 das Vorkriegsniveau längst überschritten. Aktuell gehe es aber noch, so Vertreter der Industrie und Handelskammer IHK, vor allem darum, Präsenz zu zeigen. Hier liegen deutsche Firmen vorne. Bei der 4. internationalen „Rebuild Iraq“-Messe im Mai letzten Jahres in Amman stellten sie den größten Pavillon.

Waffen und militärische Ausrüstung ist sicherlich das letzte, was der Irak benötigt. Wer dem Land wirkliche Hilfe bringen möchte, hat viele gute Möglichkeiten. So fehlen dem UN-Flüchtlingshilfswerk aktuell 261 Millionen Dollar, um die mehr als 2,2 Millionen Iraker versorgen zu können, die außer Landes flohen.[6] Die Nachbarländern Iraks, die mit der großen Zahl Flüchtlingen völlig überfordert sind, müssten zudem rasch entlastet werden: Statt irakischen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus zu entziehen, sollte Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden und einen angemessen großen Teil derer aufnehmen, die ein mit deutscher Hilfe geführter Krieg vertrieben hat.

Die Bundesregierung sollte zudem auf den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank einwirken, dass diese ihre ultimative Forderung nach Kürzung der Lebensmittelhilfen wieder zurücknehmen. Auf deren Druck hin wurde zu Beginn des Jahres der Warenkorb, der seit 1996 das Überleben der meisten Iraker sicherte weiter zusammengestrichen. Er enthält nun nur noch fünf Grundnahrungsmittel und auch deren Menge wurde gekürzt. Über 60 Prozent der Bevölkerung sind von der Lebensmittelzuteilung abhängig, vier Millionen Iraker sind laut Oxfam ohnehin schon nicht mehr ausreichend mit Lebensmittel versorgt – auf Deutsch: sie hungern.[7]

Dem irakischen Handelsministerium fehlen 5 bis 6 Milliarden Dollar, um in diesem Jahr wenigstens dieselbe Menge wie 2007 verteilen zu können. Auch die lag schon weit unter dem, was während des Embargos über das Öl-für-Nahrung-Programm zur Verfügung stand. Die fehlende Summe entspricht dem, was die USA aktuell innerhalb von 2 bis 3 Wochen für den Krieg im Land ausgeben.

Anmerkungen:
[1] Am 2. April 2003 trat Fischer in Brüssel mit seinem Krieg führenden britischen Kollegen Straw vor die Kameras und wünschte sich mit ihm einen baldigen Zusammenbruch des irakischen Regimes. Auch Kanzler Schröder wünschte sich in einer Regierungserklärung am 3. April 2003 einen raschen Zusammenbruch des irakischen Regimes „Politische Lehren aus dem Irakkrieg“, WSWS, 10. April 2003

[2] „50-Tonner im Wüstensand – Ausbildung irakischer Soldaten durch die Bundeswehr“, Focus, 30.10.2007

[3] Rüstungsexportbericht 2006 der GKKE (Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung), Dezember 2006

[4] Meldung auf der Homepage der deutschen Botschaft in Bagdad im Dezember 2007

[5] “After Baker-Hamilton – What to do in Iraq”, ICG, 19.12.2006

[6] „UNHCR fordert 261 Millionen Dollar für Irak-Flüchtlinge“, AP, 8.1.208

[7] Dahr Jamail, Ahmed Ali, “Saddam Provided More Food Than the U.S.”, Inter Press Service, 27,12.2007, “Hungern wie im Krieg, Bahnt sich im Irak eine neue Katastrophe an?“, Telepolis, 08.01.2008