IMI-Standpunkt 2007/072 - in: Friedensjournal 6/2007
„Galileo“ – Schlüssel zur EU-Weltraummacht
von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 25. November 2007
Das europäische Satellitennavigationssystem „Galileo“ macht seit Monaten Negativschlagzeilen. Der EU ist es bislang nicht gelungen, das aktuelle Finanzierungsloch von angeblich 2,4 Milliarden Euro zu stopfen. Ursprünglich sollten private Konzessionäre 70 Prozent der Kosten der „Errichtungsphase“ übernehmen. Seit Frühjahr ist aber klar, dass die beteiligten Konzerne die Finanzierung den Steuerzahlern überlassen wollen, weil ihnen das Risiko im Verhältnis zu den erwarteten Profiten zu hoch erscheint.
In einem Konzessionskonsortium waren von der EU-Kommission rivalisierende Raumfahrt- und Rüstungskonzerne wie EADS, Thales und Finmeccanica zusammengespannt worden, die allerdings ihre Differenzen um Führung und die Verteilung von Kosten und Risiken nie beilegen konnten. Für die Einheits-Konstruktion hatte die Bundesregierung gesorgt. Ursprünglich waren zwei konkurrierende Konsortien angetreten. In beiden waren französische Konzerne vertreten, die deutsche Industrie aber nur einmal. Da die Bundesregierung alle Hebel in Bewegung setzte, um deutsche Kapitalinteressen durchzusetzen, wurde der Wettbewerb einfach ausgeschaltet und die rivalisierenden Konzerngruppen zur Zusammenarbeit genötigt.
Ob die öffentlich genannten Gesamtkosten von 3,4 Milliarden Euro für die dritte Phase (Aufbau- oder Errichtungsphase) des ehrgeizigen „Galileo“-Projektes realistisch sind, darf bezweifelt werden. Aus der Industrie werden Zahlen genannt, die sich im Bereich von rund 4,5 Milliarden Euro bewegen. Für Aufbau und Betrieb rechnet die EU-Kommission je nach Betreibermodell mit Gesamtkosten von 9 bis 12 Mrd. Euro bis zum Jahr 2030. Ob dagegen die in dieser Zeit geplanten Einnahmen von 8 bis 10 Mrd. Euro wirklich fließen, wird immer fraglicher. Um „Galileo“ das Wasser abzugraben, wollen die USA künftig ihr verbessertes GPS mit zahlreichen kostenlosen Diensten anbieten.
Nachdem die öffentlich-private Partnerschaftslösung gescheitert war, hat die EU-Kommission im Septemberg vorgeschlagen, „Galileo“ vollständig durch Umschichtungen aus dem EU-Haushalt zu finanzieren. Dagegen sperrt sich wiederum die Bundesregierung. Sie will „Galileo“ über zusätzliche Beiträge der Mitgliedsländer an die Europäische Weltraumorganisation (ESA) finanzieren. Kalkül: Dies würde eine Auftragsvergabe nach dem Beitragsanteil der Länder ohne Wettbewerb mit sich bringen und der deutschen Industrie einen Löwenanteil an den sogenannten Rückflüssen sichern.
Es ist der erklärte Wille der EU-Mächtigen, den europäischen Konzernen in der Auseinandersetzung mit der US-Konkurrenz einen Spitzenplatz bei der kommerziellen Nutzung des Weltraumes zu verschaffen – koste es was es wolle. Dabei lässt sich die nationale Konkurrenz innerhalb der EU aber nicht einfach ausschalten.
Zumal es bei „Galileo“ um weit mehr als lediglich um Industriepolitik geht. „Galileo“ ist ein strategisches Projekt zur Installierung einer autonomen Militärmacht der EU und gleichzeitig der Kampfplatz, auf dem um politische und militärische Führungspositionen in dieser EU gerungen wird.
Allerdings wird öffentlich in der EU noch immer die „zivile Alternative Galileo“ zum militärischen GPS gepriesen. Als der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Jacques Barrot, Mitte September dem EU-Parlament einen Bericht zur Finanzierung von „Galileo“ vorlegte, wurde die militärische Bedeutung des Projektes schlicht unterschlagen.
Dabei hatte die EU-Kommission bereits im November 2003 in einem Weissbuch zur Raumfahrtpolitik mit Blick auf Galileo den „unmittelbaren Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und zu ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ ins Auge gefasst.
Und in einem Kommissionspapier zur „Europäischen Raumfahrtpolitik“ vom 26.04.07 wird auf den „Bedarf Europas an Raumfahrtsystemen für Militäroperationen“ hingewiesen und die militärische Nutzbarkeit von „Galileo“ betont.
Thomas Enders, seinerzeit Chef der Rüstungssparte des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, forderte schon vor Jahren: „Galileo muss ein zentrales Schlüsselelement unserer militärischen Grundinfrastruktur sein. Es wäre ein schlechter Witz und militärisch wie ökonomisch unsinnig, wenn Galileo nur zivil genutzt würde.“ (VDI Nachrichten, 1.8.2003)
Satellitennavigation ist grundlegend für Auslandseinsätze von Bundeswehr, EU-Eingreiftruppen oder NATO-Einheiten.
„Eine Patrouille findet sich mit ihrer Hilfe in einer entlegenen Berggegend in Afghanistan besser zurecht; moderne Kampfflugzeuge sind mit Präzisionsbomben ausgerüstet, die das Signal aus dem All zur Zielerfassung nutzen.“ (FAZ, 22.09.07)
Und eines der einflussreichsten Beratungsinstitute der Bundsregierung, die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht die militärische Bedeutung von Galileo darin, das sich mittels Satellitennavigation die „Wirksamkeit von Streitkräfteoperationen in bisher unerreichtem Maße steigern und gleichzeitig die Verluste für europäische Truppen“ minimieren ließen.
Für die Bundeswehr sind Satellitensysteme wie „Galileo“ und GMES „Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit moderner Streitkräfte“. Immer neue Einsätze in aller Welt schaffen erhöhten Bedarf für die militärische Nutzung des Weltraums. Das Bundesverteidigungsministerium hat im vergangenen Jahr eigens eine Arbeitsgruppe Weltraum installiert und die deutsche Luftwaffe beschäftigt sich in ihrem Strategiezentrum und in Studien intensiv mit der „Erweiterung des Fähigkeitsspektrums deutscher Streitkräfte durch die Nutzung des Weltraums“.
Die Weiterentwicklung und Nutzung von ferngelenkten Waffen und unbemannten Luftfahrzeugen, wie sie die europäische Rüstungsagentur EDA vorantreibt, steht in engem Zusammenhang mit präzisen Daten von Satellitennavigationssystemen. Für die Bundesluftwaffe geht es bei der militärischen Nutzung des Weltraumes daher nicht nur um „eine mögliche Steigerung der bereits vorhandenen Fähigkeiten“. Militärische Weltraumnutzung gilt als „Key Enabler für die Weiterentwicklung des Fähigkeitsprofils deutscher Streitkräfte“. (Europäische Sicherheit 7/2007)
Wenn EU-Kommissionsvizepräsident Günter Verheugen bei einer EU-Fachkonferenz im April in München den Aufstieg der EU zur Weltraummacht propagiert hat, dann geht es dabei nicht um eine Prestigeangelegenheit, sondern um eine strategische Entscheidung und eine Kampfansage an die USA.
Gemäß dem Motto „Die zweitbesten Waffen unserer Freunde stärken ihre Wirtschaft, schaffen Abhängigkeiten“ (Egon Bahr) begründet die EU ihre Entscheidung für „Galileo“ und gegen das US-amerikanische GPS-System mit ihrer Absicht, politisch und militärisch autonom von den USA agieren zu können.
„Europa braucht eine effektive Raumfahrtpolitik, damit es seine weltweite Führungsrolle in bestimmten Politikbereichen im Einklang mit den europäischen Interessen und Werten ausüben kann“, formuliert das Raumfahrtpapier der EU-Kommission.
Und die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) nennt als Hauptmotive der EU-Weltraumpolitik „erstens, modernes technisches Gerät für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) bereitzustellen, und zweitens, über geeignete Träger- und Satellitensysteme unabhängig verfügen zu können. Die Union wäre dann gegebenenfalls auf Partner wie die Nato oder die USA und deren hochentwickelte Weltraumtechnik nicht mehr angewiesen.“
Es ist nicht verwunderlich, dass bis heute an der „Galileo-Front“ harte Kämpfe zwischen EU und USA toben.
Im Dezember 2001 heizte der damalige stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz den Konflikt mit einem Brief an seine NATO-Kollegen an, indem er davor warnte, dass „Galileo“-Daten auch militärischen Gegnern der USA zur Verfügung stehen könnten.
Washingtons engster Verbündeter Großbritannien bemühte sich darauf hin um eine Regelung, die den Militärs aus EU-Ländern verbieten sollte, vom GPS-Signal auf „Galileo“-Codes umzusteigen.
Im Juni 2004 schlossen EU und USA ein Kooperationsabkommen, in dem Washington zwar den Bau von „Galileo“ akzeptierte, die EU im Gegenzug aber die US-amerikanischen Sicherheitsforderungen anerkennen musste. Durch den Verzicht der EU auf bestimmte Frequenzen, ist es dem US-Militär künftig möglich, nicht nur das zivile GPS-System, sondern auch das „Galileo“-Navigationssignal in bestimmten Gebieten zu stören, ohne das militärische GPS-System zu beeinträchtigen.