IMI-Standpunkt 2007/069

Quantensprung im Weltraum

Satellitenaufklärung mit SAR-Lupe soll Bundeswehr-Fähigkeiten zur Durchführung weltweiter Kriegseinsätze auf neues Niveau heben

von: Malte Lühmann | Veröffentlicht am: 7. November 2007

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Am Morgen des 1. November wurde vom russischen Weltraumbahnhof Plessezk der dritte von insgesamt fünf Aufklärungs-Satelliten des SAR-Lupe-Systems der Bundeswehr auf seine Umlaufbahn gebracht. Die letzten beiden Satelliten sollen im Laufe des kommenden Jahres in den Orbit geschossen werden. Das System, mit dem ab 2008 Radarbilder von jedem Punkt der Erde in hoher – und damit militärisch besonders wertvoller – Auflösung gemacht werden sollen, fügt sich nahtlos ein in die Transformation der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“. Für globale Interventionen im Sinne deutscher oder wahlweise europäischer Interessen gewinnt die Fähigkeit, sich ein Bild von der Lage und den geografischen Gegebenheiten in möglichen Einsatzgebieten machen zu können, zunehmend an Bedeutung.

Das unter Führung der Firma OHB aus Bremen und mit Beteiligung von Rüstungskonzernen wie THALES und EADS durchgeführte Projekt wird nach internen Angaben der Bundeswehr insgesamt 742 Mio. € kosten[1]. Mit SAR-Lupe soll „für die Bundeswehr die Tür zu einer eigenständigen und unabhängigen weltweiten Aufklärungsfähigkeit aufgestoßen“ werden[2]. Den Anstoß zum Aufbau solcher Kapazitäten gaben die Entwicklungen auf dem Balkan seit Anfang der 90er Jahre. Während die USA zu diesem Zeitpunkt über eigene Satellitenbilder verfügten, die nur in geringem Maße weitergegeben wurden, musste sich die deutsche Regierung mit Bildern von kommerziellen US-Satelliten begnügen. Deren Aufnahmen unterliegen zudem einem Vorgriffsrecht der US-Administration. Ein eigenes System musste her, denn solche Beschränkungen vertragen sich nicht mit dem deutschen Anspruch auf „nationale Unabhängigkeit, wie sie für viele Nationen mit gleicher politischer und wirtschaftlicher Bedeutung seit langem eine Selbstverständlichkeit ist“[3].

Mit der ab 2008 voll einsatzfähigen SAR-Lupe stößt die Bundeswehr in nicht gekannte „Höhen“ der Aufklärungsfähigkeit vor und katapultiert sich „mit diesem Raketenstart immerhin auf Platz drei der Weltrangliste für militärische hochauflösende Radaraufklärung“[4]. So sollen innerhalb von durchschnittlich 11 und maximal 24 Stunden Satellitenaufnahmen von jedem Punkt der Erde gemacht werden können. Die Auflösung, die mit unter einem Meter angegeben wird, reicht dabei aus, um Objekte eindeutig zu identifizieren. So könnten z.B. Flugzeugtypen auf einer Militärbasis erkannt werden[5]. Derartig leistungsfähige Technologie in den Händen deutscher Militärs zu wissen, dürfte in einigen Staaten der Erde Beunruhigung hervorrufen.

Auf der operativen Ebene verspricht sich die Bundeswehr einiges von ihrem neuen System. Oberst Reinhard Pfaff, der Abteilungsleiter des Bereichs Satellitengestützte Aufklärung, der das Nutzersegment von SAR-Lupe betreiben soll, beschreibt die Neuentwicklung wie folgt: „Wir nutzen seit Jahren auch Produkte von kommerziellen Satellitenbetreibern. Aber schnell, unabhängig und in dieser Qualität Material wie von SAR-Lupe zu bekommen, ist ein Quantensprung. Einem operativen Befehlshaber zu erlauben sein Einsatzgebiet virtuell zu durchschreiten, das ist nicht mehr nur eine Idee. Ich erwarte mir eine völlig neue Form der Unterstützung von Einsätzen.“[6]. Auch das Verteidigungsministerium unterstrich auf Nachfrage der Jungen Welt die große Bedeutung des Systems, es hebe die „Fähigkeiten der Bundeswehr zum Krisenmanagement auf eine qualitativ neue Stufe“[7].

Ein Vorteil der Satellitenaufklärung, der immer wieder auch von der Bundeswehr vorgebracht wird, ist vor diesem Hintergrund höchst fraglich. So wird behauptet, die Informationsgewinnung auf diesem Weg führe im Vergleich zu Spionageflugzeugen, die in den Luftraum fremder Staaten eindringen müssen, nicht zu einer Eskalation der Situation[8]. Der kürzlich erfolgte Test einer chinesischen Antisatellitenrakete (ASAT) spricht da allerdings eine andere Sprache und nährt die Sorge um einen verschärften Rüstungswettlauf im All. Der zunehmende Einsatz von militärischen oder militärisch genutzten Satelliten macht die Entwicklung und Verbreitung von Waffen zu ihrer Bekämpfung immer wahrscheinlicher.

Um neben den eigenen Radarbildern auch auf ergänzende optische Aufnahmen zurückgreifen zu können, hat die Bundeswehr eine Kooperation mit den französischen Streitkräften vereinbart, die ihr Satelliten-System Helios 2 einbringen. Helios 2 hat eine höhere Auflösung, während SAR-Lupe auch nachts und bei starker Bewölkung eingesetzt werden kann. Auf der Basis dieser Kooperation soll dann im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 unter dem Namen MUSIS (Multinational Spacebased Imaging System) eine erweitere europäische Zusammenarbeit unter Beteiligung Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Belgiens und Spaniens aufgebaut werden[9]. Am Ende dieser Entwicklung könnte ein Aufklärungsverbund unter dem Dach der EU stehen. Mit der Inbetriebnahme von SAR-Lupe hat für die Rüstungsplaner und –konzerne der Goldrausch im Weltraum also erst begonnen.

Um einem Rüstungswettlauf im Weltall und einer weiteren Ausweitung der Interventionsfähigkeiten deutscher und europäischer Militärs entgegen zu treten, müssen Erdbeobachtungssatelliten auf rein zivile Anwendungen, wie die Stadtplanung oder die Meeresforschung beschränkt werden. Auch im Sicherheitsbereich, speziell bei der (Ab-)Rüstungskontrolle könnten sie durchaus mit Nutzen eingesetzt werden, allerdings nicht unter der Kontrolle von einzelnen Streitkräften, sondern wenn überhaupt auf der Basis gegenseitiger Übereinkünfte.

Anmerkungen

[1] Bundeswehrplan 2008 http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/Rustung/Rustung_2007/BwPlan_2008_dok.pdf
[2] wt wehrtechnik I/2007
[3] Strategie und Technik 02/07
[4] Y. Magazin der Bundeswehr Mai/2007
[5] Vortragsfolien zum DGAP Expertengespräch „Sicherheitspolitische Überlegungen zur Weitergabe von Erdbeobachtungsdaten“ http://www.dgap.org/bfz2/veranstaltung/Praes_Langelueddecke_20041028.pdf
[6] Y. Magazin der Bundeswehr Mai/2007
[7] Junge Welt 20.12.2006
[8] exempl.: Europäische Sicherheit Juli/2007
[9] http://www.redorbit.com/news/business/1120070/european_nations_focus_spacebased_observation_capabilities/index.html