IMI-Standpunkt 2007/060 - in: Friedensforum 4/2007
Maritime Force: Die Deutsche Marine visiert fremde Küsten und das Land dahinter an
von: Lühr Henken | Veröffentlicht am: 17. September 2007
Die Ausrichtung der Deutschen Marine nach dem Ende des Kalten Krieges wurde fundamental geändert. Die globalstrategische Sicht der deutschen Marineführung konzentriert sich nunmehr auf fremde Küstengewässer und auf das Land dahinter. Über ihre Herausforderungen heißt es militärisch kurz: „Abkehr von der Konzentration des Küstenverteidigers hin zur Teilnahme an einer multinationalen ‘Maritime Force’, die gegen eine fremde Küste operieren muß.”[1] Neue, speziell bewaffnete, Korvetten und Fregatten sollen das umsetzen.
Das derzeitige konzeptionelle Ziel der Deutschen Marine beschrieb eindrücklich der damals dafür im BMVg Verantwortliche Jürgen Mannhardt: Die Aufgaben des Militärs definiert Mannhardt mit der Allerweltsformel: „Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus bestimmen heute und künftig die Aufgabenstellungen der Streitkräfte.“[2] Frau Merkels CDU sieht noch wesentlich weiter gesteckte Bundeswehraufgaben: „Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist die deutsche Wirtschaft mehr als zuvor auf den freien Zugang zu den Märkten und Rohstoffen der Welt angewiesen. Die Bundeswehr kann als Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge im Rahmen internationaler Einsätze zur Sicherung der Handelswege und Rohstoffzugänge beitragen.“[3]
Wie dem auch sei „Vor allem in den Randmeeren und Gewässern potentieller Krisengebiete – dem aus heutiger Sicht am höchsten zu priorisierenden Wirkraum“, so Mannhardt, „muss die Marine durchsetzungs- und überlebensfähig vorausstationiert werden und operieren können. In der ‚joint operations area’[4] können Seestreitkräfte wichtige synergetische Beiträge zum streitkräftegemeinsamen und multinationalen Wirken im Rahmen von Krisenmanagement und Konfliktverhütung leisten. Dieser Bereich umfasst einerseits die offene See bis zur Küstenlinie, die kontrolliert werden muss, um Operationen an Land unterstützen zu können. Andererseits beinhaltet er landeinwärts die Region, auf die von See aus eingewirkt werden kann. In diesem gemeinsamen Operationsgebiet entscheidet das reibungslose Zusammenwirken der Teilstreitkräfte maßgeblich über den Erfolg künftiger Operationen.“ Mannhardt definiert das Wirkungsfeld speziell von Korvetten in einem Areal, das 200 Seemeilen seewärts und 100 Seemeilen landeinwärts reicht.[5] Und weiter: „Für die erfolgreiche Führung von Kampfeinsätzen ist die Fähigkeitskategorie Wirksamkeit im Einsatz die am Ende bestimmende Größe. Die Marine muss befähigt sein, langandauernd sowohl auf offener See als auch in fremden Küstengewässern durchsetzungsfähig operieren zu können. Dazu benötigt sie die Fähigkeiten zur verbundenen Über- und Unterwasserseekriegführung, zur Seeminenkriegführung sowie zur Seekriegführung aus der Luft. […] Darüber hinaus wird der Feuerunterstützung von See an Land eine zunehmende Bedeutung zukommen. Durch sie kann der Zugang zum Operationsgebiet von See aus erkämpft werden und Operationen an Land können insbesondere im frühen Stadium bei noch nicht ausreichend verfügbarer Feuerkraft der eingesetzten Kontingente sinnvoll unterstützt werden. Zudem leistet die Landzielbekämpfung von See […] einen wesentlichen Beitrag zur Gefechtsfeldvorbereitung vor den eigentlichen Operationen der Landstreitkräfte. Die Marine muss deshalb zur präzisen Bekämpfung von Landzielen auch auf größere Distanz von der Küste befähigt sein. Die Realisierung dieser Fähigkeiten ist ein wesentlicher Meilenstein hin zu dem neuen maritimen Fähigkeitsprofil der Streitkräfte. Hierzu werden zunächst die für die Korvette K 130 vorgesehenen weitreichenden Seezielflugkörper RBS15 Mk3 auch über eine Landzielfähigkeit verfügen.“[6]
Fünf Exemplare der hochseegängigen Korvetten K 130 (89 m lang, 13 m breit, 3,45 m Tiefgang, 1840 t, über 26 kn schnell, Reichweite bei 15 kn: 7.500 km) wurden im Dezember 2001 in Zeiten von Rot-Grün in Auftrag gegeben (Kosten 1,5 Mrd. Euro). Vier der fünf Korvetten sind inzwischen getauft und legen zum Teil Erprobungsfahrten ab. Die Indienststellung der fünf Korvetten soll im November 2008 abgeschlossen sein. Kapitän zur See Mannhardt ist heute konsequenterweise Chef des Stabes der Einsatzflottille 1, dem das Korvettengeschwader untersteht, und damit Stellvertreter ihres Kommandeurs.
Die Korvetten werden mit den deutsch-schwedischen Marschflugkörpern RBS 15 Mk3 bewaffnet. Noch haben diese Marschflugkörper eine Reichweite von 200 km, sollen aber später auch noch nach 400 km Überlandflug ihren 200 kg-Sprengkopf metergenau zur Detonation bringen können. Jede der fünf Korvetten wird mit vier dieser Marschflugkörper bestückt. Salvenbeschuss ist möglich. Insgesamt sind 60 Marschflugkörper bestellt worden.
Wichtig noch: In der „Konzeption der Bundeswehr“ [7] sind die fünf Korvetten den „Eingreifkräften“ zugeordnet. Dies zusammen mit sieben Fregatten, vier U-Booten sowie Seeluftstreitkräften. Alle fünf Korvetten werden also den schnellen Eingreiftruppen von NATO und EU eingegliedert. Mit den Korvetten erweitert die Bundeswehr ihre Möglichkeiten erheblich. Erstmals kann sie nicht nur Schiffe und U-Boote versenken, sondern auch von See aus Zerstörungen an Land herbeiführen. Das ist Kanonenbootpolitik, die mit Landesverteidigung nichts zu tun hat. Artikel 87 a des Grundgesetzes legt fest: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“
Der Inspekteur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Wolfgang Nolting, der damit beschäftigt ist, die Marine zu einer „Expeditionary Navy“ weiterzuentwickeln,[8] schreibt ganz im Sinne Mannhardts: „Die See wird zu einem Wirkraum, der nicht mehr durch die unmittelbare Küstenlinie selbst begrenzt wird, sondern weit darüber hinaus ins Hinterland reicht, um so die Unterstützung von Landoperationen zu ermöglichen. […] Große Priorität genießt für die Marine das Rüstungsvorhaben der Fregatte 125. Die F 125 wird für mehrjährige Stabilisierungseinsätze optimiert sein. Eine Stärke liegt dabei in der Fähigkeit, Operationen in einem Einsatzland mit Waffenwirkung von See zu unterstützen.“[9] Hervorstechendes Merkmal der vielseitigen Bewaffnung der F 125 soll das 155-mm-Geschütz der Panzerhaubitze 2000 und der Mehrfach-Raketenwerfer MARS/GMLRS („Stalinorgel“) werden. „Die Panzerhaubitze 2000 ist das zurzeit modernste Rohrwaffensystem der Welt.“[10] Es schießt 36 km weit und kann 20 Schüsse in drei Minuten abfeuern. Der Mehrfachraketenwerfer MARS „kann Bomblet- und Minenraketen bis zu einer Entfernung von 38,5 km verschießen.“[11] Bombletmunition richtet sich vor allem gegen Menschen.
Zudem sollen auf den Fregatten jeweils 50 Mann Spezial-Kampftruppen stationiert werden können, die von vier mitgeführten Speedbooten aus andere Schiffe entern oder an fremdes Land gehen können. Im Juni 2007 gab der Bundestag dem ThyssenKrupp-Konzern als Generalunternehmer grünes Licht für den Bau von vier Fregatten F 125 für 2,62 Mrd. Euro inkl. Waffen – Lieferzeitraum 2014 bis 2017.
[1] Uwe Schmidt, Wandel der militärischen Bedeutung von Küstengewässern, Soldat und Technik, 11/1998, S. 724.
[2] Jürgen Mannhardt, Leiter des Referats „Operative Grundsatzangelegenheiten der Marine“, Der maritime Beitrag im Aufgabenspektrum der Bundeswehr, Soldat und Technik, Juni 2004, S. 47 bis 53, S. 48
[3] Beschluss des 20. Parteitags der CDU Deutschlands „Deutschlands Verantwortung und Interessen in Europa und der Welt wahrnehmen“, Dresden 28./29.11.2006, 20 Seiten, http://www.cdu.de/doc/pdfc/061127_Beschluss_A_end.pdf
[4] Gemeinsames Operationsgebiet von Heer, Luftwaffe und Marine
[5] Jürgen Mannhardt, Die Korvette K 130, Wehrtechnischer Report, Dezember 2002, 28 Seiten, S. 13, Fußnote 2
[6] Soldat und Technik, Juni 2004, S. 50
[7] Konzeption der Bundeswehr, Erlass von BM Peter Struck, 9.08.04, 112 Seiten, S.77, http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/doc_ger/KdB.pdf
[8] Wolfgang Nolting, Die Marine im Einsatz, Strategie und Technik April 2007, S. 10 bis 14
[9] Nolting S. 14
[10] Heinrich Fischer, Brigadegeneral, Die Artillerie im Neuen Heer, Strategie und Technik, März 2005, S. 30.
[11] ebenda