IMI Analyse 2006/028 - in: Wissenschaft und Frieden 4/2006

Polizeisoldaten: Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik


von: Martina Harder | Veröffentlicht am: 27. November 2006

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble forderte die Entsendung der Bundespolizei, des ehemaligen Bundesgrenzschutzes, an die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien. Unmittelbar nach der Aufhebung der Seeblockade durch Israel reiste Außenminister Walter Steinmeier nach Beirut und brachte deutsche Bundespolizisten und Zollbeamte mit, die von nun an den Verkehr des dortigen Flughafens überwachen sollen.[1] Dieses Engagement, für das weder eine formale Einladung des Ziellandes, noch ein Bundestagsentscheid notwendig war, wirft ein besonders helles Schlaglicht auf die „Hybridisierung der sicherheitspolitischen Einsatzformen“ und die damit einhergehende zunehmende Vermischung ziviler (polizeilicher) und militärischer Aufgaben.[2]
Für die Autorin ist die wachsende Verwendung polizeilicher Kräfte in Auslandsmissionen eine direkte Konsequenz des veränderten Sicherheitsverständnisses, das dem beobachtbaren Anstieg militärischer Auslandseinsätze zugrunde liegt. Sie untersucht die verschiedenen Formen internationaler Polizeieinsätze und geht ein auf die Gefahren der fortschreitenden Vermischung polizeilicher und militärischer Aufgaben.

Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), lehnt einen Polizeieinsatz im Libanon zur Grenzsicherung inmitten eines Konfliktherdes scharf ab: „Das ist eine militärische Aufgabe, keine polizeiliche. Ich kann verstehen, dass man zurückscheut, deutsche Soldaten dort einzusetzen. Aber wir wollen nicht die Lückenbüßer für die Bundeswehr sein.“ Freiberg weist in diesem Zusammenhang auf eine nur auf den ersten Blick seltsam anmutende Paradoxie deutscher Sicherheitspolitik hin: Zuerst habe Schäuble „immer vom Einsatz der Bundeswehr im Inneren gesprochen, obwohl das doch Polizeiaufgaben sind, jetzt soll die Polizei auf einmal militärische Aufgaben im Ausland erledigen.“[3] Während manche innenpolitischen polizeilichen Aufgaben Soldaten übergeben werden sollen, verläuft die Entfesselung sicherheitspolitischer Organe auch in die umgekehrte Richtung, indem die Polizei mehr und mehr auf die Durchführung quasi-militärischer Auslandseinsätze ausgerichtet wird. Auf der GdP-Internetseite fasst Freiberg die Entwicklung pointiert zusammen: „Jetzt sollen Polizisten Soldaten unterstützen. Sind wir etwa auf dem Weg zu einer Miliz, über alle von der Verfassung gebotenen Grenzen hinweg?“[4]

Aus Sicht der Regierenden ist dies nur konsequent, wie Christian Schmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, verdeutlicht: „Eine betonierte Trennung von äußerer und innerer Sicherheit ist nicht mehr aufrecht zu erhalten.“ Wenn über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren nachgedacht werde, müsse die Polizei im Gegenzug dazu bereit sein, „typische Polizeiaufgaben in Auslandseinsätzen, z.B. auf dem Balkan, wahrzunehmen.“[5]

Polizeieinsätze: Bestandteil des neuen Militärinterventionismus

Da in ihnen potenzielle Rekrutierungs- und Rückzugsgebiete für Terroristen gesehen werden, wird inzwischen die militärische Stabilisierung so genannter fehlgeschlagener Staaten als ein elementarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik propagiert. Hierfür müssten – so der herrschende Konsens – sämtliche zur Verfügung stehenden Instrumente, also nicht nur das Militär, sondern insbesondere auch die Polizei eingesetzt werden.

Michael Schaefer, Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, betont etwa, das neue Sicherheitsverständnis erfordere den „kohärenten Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln“, wie er bspws. von der Europäischen Sicherheitsstrategie anvisiert werde. Gleichzeitig hebt er dabei die zentrale Funktion polizeilicher Missionen hervor, die damit zu einem integralen Bestandteil des neuen Militärinterventionismus werden: „Gerade unsere Operationen auf dem Balkan sowie in Afghanistan zeigen: Zivile Instrumente, v.a. Polizei, sind unverzichtbarer und komplementärer Bestandteil militärischer (Post-)Krisenmanagement-Operationen.“[6] Dieter Wehe, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen (AG IPM) von Bund und Ländern, teilt diese Sichtweise: „Wenn wir nicht dahin gehen, wo die Probleme sind, werden die Probleme zu uns kommen.“[7]

Die Mitschuld westlicher Staaten an der Entstehung von Konflikten ist in diesen Argumentationsmustern ebenso wenig zu finden, wie die Tatsache, dass das propagierte Allheilmittel, eine Mischung aus militärischer Befriedung und parallelem Aufbau der staatlichen Sicherheitsstrukturen nach westlichem Modell, häufig Teil des Problems ist. Nur vor dem Hintergrund dieses fragwürdigen Sicherheitsverständnisses, bei dem Deutschland wortwörtlich am Hindukusch verteidigt wird, wird die massive Ausweitung polizeilicher Missionen verständlich. Seit dem ersten Einsatz im August 1989 in Namibia haben mittlerweile fast 5.000 Beamte – davon 1.600 vom damaligen Bundesgrenzschutz – an internationalen Polizeimissionen teilgenommen. Wenn auch derzeit noch beratende Funktionen dominieren, so lässt sich doch ein Übergang zu immer militärischeren Einsätzen feststellen. Die Unterschiede zwischen hochintensiven Polizeieinsätzen und Kriegen niedriger Intensität und damit auch die grundsätzliche Trennung zwischen Militär und Polizei verwischt zunehmend.

Polizeieinsätze im Ausland

Im Fall der Krisenprävention und des Krisenmanagements reisen die Ordnungshüter überwiegend als Träger hoheitlicher Exekutivbefugnisse, was u. a. das Recht auf den »angemessenen Gebrauch von Waffen« einschließt. Demgegenüber verfügen Dokumentenberater und Verbindungsbeamte, die im Rahmen polizeilicher Aus- und Fortbildungshilfe insbesondere zur Migrationskontrolle agieren, zumeist nicht über exekutive Handlungsmöglichkeiten, auch wenn sich ein aktives Eingreifen im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik kaum kontrollieren oder unterbinden lässt.

Dokumentenberater und Verbindungsbeamte

Die Bundespolizei übernimmt immer häufiger Auslandsaufgaben. Über Verbindungsbeamte unterhält sie ein weit reichendes Beziehungsnetz. Ihre Aufgaben sind der Informationsaustausch mit den entsprechenden Organisationen des Gastlandes, das Erstellen einer grenzpolizeilichen Lageanalyse, die Anfertigung von Personenprofilen illegaler Migranten und die Unterstützung operativer Maßnahmen vor Ort. Über das Netzwerk der EUROPOL werden Informationen verknüpft und anderen EU-Staaten zur Verfügung gestellt. Derzeit sind 18 deutsche Bundespolizisten als Verbindungsbeamte in 17 Staaten stationiert.[8]
Im Jahr 2002 führte die Bundespolizei mit Dokumentenberatern insgesamt 42 Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen auf 24 migrationsrelevanten Drittlandflughäfen durch, deren Aufgabe es ist, Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen die Einreise in die EU zu erschweren. Einsätze längerer Dauer fanden dabei in Ghana, Nigeria, Jugoslawien und Albanien statt. Dabei wurden 1.590 Passagiere wegen unzureichender Ausweispapiere von einer Beförderung ausgeschlossen.[9]

Stabilitätspakt-Südosteuropa

Die EU finanziert Programme für polizeiliche Aus- und Fortbildungen in Südosteuropa. Die vom Bundesinnenministerium (BMI) bereitgestellte Ausbildungshilfe umfasst die Vermittlung von Rechtsgrundlagen, Einsatzgrundsätzen sowie spezielle polizeiliche Einsatzpraktiken. Dazu werden Seminare und Hospitationen durchgeführt sowie Stipendiatenprogramme für Führungskräfte und Experten angeboten. Die Ausstattungshilfe soll es diesen Staaten erleichtern, den Anforderungen an moderne kriminal- und grenzpolizeiliche Standards gerecht zu werden. Sie umfasst vor allem die Lieferung von Einsatzfahrzeugen, Funk- und EDV-Ausstattung, Wärmebildgeräten sowie anderem kriminaltechnischem Gerät.[10] Aus den Mitteln des SOE-Stabilitätspaktes werden seit 2002 umfassende Hilfsleistungen für die jugoslawische Polizei finanziert. Auch fand im Rahmen des Stabilitätspaktes eine Partnerschaft mit Kroatien statt. Ziel war die Entwicklung und nachhaltige Stabilisierung der Bereiche Asyl, Migration und Grenzschutz.

Weitere EU-Förderprogramme werden gegenwärtig in Polen, Ungarn, der Ukraine, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Albanien unter Leitung oder Beteiligung der Bundespolizei durchgeführt.

Polizeimissionen zur Aufstandsbekämpfung

Der Großteil deutscher Polizeieinsätze findet im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) statt. Der erste Einsatz, der überhaupt im Rahmen der ESVP erfolgte, war die Polizeimission in Bosnien und Herzegowina (EUPM), die aktuell aus 464 Polizisten und 62 nicht näher bezeichneten »Zivilisten« aus 34 Staaten besteht. Ziel der Polizeimission ist der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption sowie der Aufbau von Institutionen der inneren Sicherheit. Derzeit sind 90 deutsche Polizisten an der Mission beteiligt.

Auf den NATO-Einsatz in Mazedonien folgte mit CONCORDIA die zweite ESVP-Mission, die im Dezember 2003 von der Polizeimission PROXIMA abgelöst wurde. Diese bestand bis zu ihrem Ende im Dezember 2005 aus 170 Polizisten aus 23 EU-Staaten und 30 Einsatzkräften in Zivil, die ebenfalls mittlere und leitende Polizeikräfte ausbildeten, exekutive Aufgaben übernahmen und bei der Reform des Innenministeriums mitwirkten.

Die dritte ESVP-Polizei-Mission ist EUPOL KINSHASA, die den Aufbau von Sicherheitskräften der kongolesischen Regierung zum Ziel hat. Die Polizeieinheiten, die mit EU-Entwicklungshilfegeldern ausgerüstet werden, setzen sich aus Anhängern verschiedenster Bürgerkriegsmilizen zusammen. Wie problematisch Polizeimissionen zur so genannten Sicherheitssektorreform sind, zeigt gerade EUPOL KINSHASA. Als von der Übergangsregierung unter Joseph Kabila im Sommer 2005 die Wahlen verschoben wurden, kam es zu friedlichen Protesten, die, höchstwahrscheinlich unter Beteiligung der durch die EU unterstützten Sicherheitskräfte, gewaltsam niedergeschlagen wurden.[11]

Die ESVP-Polizei-Mission EUJUST LEX im Irak steht unter der Leitung von Stephen White, einem Polizeioffizier, der einen Großteil seiner Laufbahn in Nordirland absolvierte. In Nordirland wird die Polizei straff geführt und arbeitet systematisch mit dem Militär zusammen. EUJUST LEX hat zum Ziel, bis zu 700 irakische Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Gefängniswächter auszubilden. Die Mission wurde am 12. Juni 2006 um weitere 18 Monate verlängert.[12] Die Bundesregierung führte ressortübergreifend zwei der genannten Ausbildungskurse in Deutschland durch, auf Basis von in Brüssel entwickelten Ausbildungsmodulen. Damit übernimmt Deutschland Aufgaben, zu denen sich die Besatzungsmächte verpflichtet hatten.

Im Rahmen VN-mandatierter Missionen stellt Deutschland neben etwa 6.500 Soldaten auch knapp 300 Polizisten unter anderem für folgende Einsätze: UNMIK/Kosovo (260 Polizisten), ISAF/Afghanistan (16), UNOCI/Elfenbeinküste (5), UNOMIG/Georgien (4) und UNMIL/Liberia (5).[13] Eine Schlüsselrolle kommt Deutschland beim Engagement innerhalb der UN-Mission für den Wiederaufbau der afghanischen Polizei zu, das Ende 2005 von der Bundesregierung für ein weiteres Jahr verlängert wurde. Seit 2002 hat Deutschland dort die internationale Führungsrolle übernommen. Bisher wurden 58 Mio. € von Deutschland und 350 Mio. € von der internationalen Gebergemeinschaft für den Polizeiaufbau in Afghanistan bereit gestellt. Insgesamt wurden über 59.000 afghanische Polizeibeamte an der von Deutschland neu errichteten Polizeiakademie in Kabul ausgebildet.[14]

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In ganz Afghanistan kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Polizei. Gelegentlich wird dabei auch das Feuer auf Demonstrationen eröffnet, werden Zivilisten getötet. Nach Ansicht des UN-Sonderbeauftragten Tom Koenigs handelt es sich bei den Unruhen in Afghanistan um einen regelrechten „Aufstand“ bei dessen gewaltsamer Niederschlagung afghanische Polizeibeamte regelmäßig eingesetzt werden.[15]

Polizeimissionen zur Stabilisierung repressiver Regierungskräfte (Kongo) oder noch direkter als elementarer Bestandteil einer de facto Besatzung durch westliche Truppen (Afghanistan und Irak) gehören damit zu den Instrumenten, „mit denen schwächere Staaten unterhalb der Schwelle des offenen Krieges beeinflusst und gelenkt werden können.“[16] Da dies von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird, sind schwere Auseinandersetzungen praktisch vorprogrammiert.

Deutsche Planungszellen Internationaler Polizeimissionen

Das Institut für Aus- und Fortbildung in Nordrein-Westfalen (IAF NRW) gilt – neben der Ausbildungsstätte der Bundespolizeiakademie in Lübeck sowie der Polizeiakademie in Wertheim (Baden-Württemberg) – als bedeutendste Trainingsstätte für internationale Einsätze im Rahmen des »Zivilen Krisenmanagements« der Europäischen Union.

Die Polizeiakademie in Wertheim trainiert für folgende Missionen: EU Police Mission (EUPM) in Bosnien und Herzegowina, EU African Union Support Mission (EU AMIS II) im Sudan, EU-Border-Assistance-Mission (EUBAM) in Rafah/Palästina und das EU Coordinating Office for Palestinian Police Support (EUPOL COPPS) in Palästina.

Die Schule der Bundespolizei in Lübeck ist für die Projektgruppe Polizeilicher Aufbau Afghanistan (PGPAA) verantwortlich. Auch für die UN Observer Mission (UNOMIG) in Georgien und das Police Advisory Team (EUPAT) in Mazedonien, die UN Mission in Liberia (UNMIL), die UN Mission in Sudan (UNMIS) und die EU Border Assistance Mission (EUBAM) in Moldawien und der Ukraine übernimmt sie die Schulung der Beamten.[17]

In Bonn, in unmittelbarer Nähe des IAF NRW, das u.a. im Kosovo eingesetzte Polizisten ausbildet, liegt das Gelände der Vereinten Nationen. Aufgrund dieser Nähe zieht deren Department für friedenssichernde Operationen (DPKO) dort offenbar einen Trainingsstandort für internationale Polizistinnen und Polizisten in Erwägung.[18]

Die jüngsten Organisationseinheiten der Schule der Bundespolizei sind die Einsatzhundertschaften im niedersächsischen Gifhorn. Auf die erste Hundertschaft, die bereits ein Jahr in Gifhorn kaserniert ist, folgte im Januar die zweite, womit das Personalsoll von über 200 Beamten erfüllt wurde. Die Einheit soll sowohl für bereitschaftspolizeiliche Aufgaben im Inland als auch in polizeilichen Einsätzen im Ausland eingesetzt werden.

Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik

Am 14. April 1949 legte der Polizeibrief der alliierten Militärgouverneure an den Parlamentarischen Rat den Rahmen deutscher polizeilicher Arbeit fest. Er beinhaltete das Verbot, dass „deutsche Polizeikräfte in einer Weise neu organisiert, bewaffnet oder ausgebildet werden, die ihnen militärischen oder militärähnlichen Charakter gibt oder sie in die Lage versetzt, im Gegensatz zu Polizeiaufgaben militärische Aufgaben“ durchzuführen.[19] Betrachtet man die heutige Realität, so muss man feststellen, dass internationale Polizeieinsätze einen immer militärischeren Charakter annehmen.

Polizeimissionen gelten fälschlicher Weise als Zivilisierung einer maßgeblich durch das Militär geprägten Außenpolitik. Als Schäuble die libanesisch-syrische Grenze »seinen« Bundespolizisten überantworten wollte, wurde der Ruf nach einer robusteren Polizeieinheit laut. Die GdP fordert zur Bewältigung gewalttätiger Auseinandersetzungen entsprechend ausgebildete und ausgerüstete Einheiten.[20] Vieles deutet darauf hin, dass mit der Errichtung der Sondereinheit in Gifhorn dieser Plan bereits realisiert wird. Ziel sei es, so ein BGS-Spezialist, „Demonstrationen bewältigen zu können.“ [21] Ein GdP-Pressesprecher räumte ein, solche Einsätze fänden in einer rechtlichen Grauzone statt, die Bundespolizei könne dabei in Situationen geraten, „die mehr militärischen Charakter haben.“ Aus diesem Grund forderte Konrad Freiberg „gepanzerte Fahrzeuge“ für polizeiliche Auslandsmissionen. Auch sei zu überlegen ob „für diese Einsätze Maschinengewehre“ bereitzuhalten seien.[22] Vor allem die Gifhorner Einheit scheint damit die Speerspitze für eine direkte polizeiliche Unruhe- und Aufstandsbekämpfung im Ausland (riot control) zu werden, die sich kaum mehr von Militäreinsätzen trennen lässt.[23] Deutschland folgt somit dem europäischen Trend zur Ausbildung paramilitärischer Einheiten. Fünf EU-Staaten sind bereits dabei, eine Gendarmerietruppe von 800 Mann aufzustellen, die konzeptionell eher militärischen als polizeilichen Charakter hat.[24]

Im Zug der Auslandseinsätze wird die Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben aufgeweicht. Bei der Logistik und vor allem bei einem schnellen Rückzug aus Drittländern, sind Polizeimissionen oft auf die Zusammenarbeit mit dem Militär angewiesen. Wehe betont diesbezüglich die Kraft des Faktischen: „Die Trennung zwischen Militär und Polizei ist zwar wünschenswert, aber oftmals nicht zu realisieren.“[25]

Wer den zunehmenden Militärinterventionen zur »Stabilisierung« fehlgeschlagener Staaten kritisch gegenüber steht, muss ebenso skeptisch die Funktion internationaler Polizeieinsätze betrachten, die ihrerseits integraler Bestandteil des neuen Interventionismus sind. Hinzu kommt, dass mit solchen Polizeimissionen die Außenpolitik immer weiter der parlamentarischen Kontrolle entzogen wird. Die Bundespolizei untersteht allein dem Innenminister. Seine Beschlüsse bezüglich der Verwendung der Polizei im Ausland bedürfen keiner Zustimmung des Parlaments. Einsätze sollen zuverlässig, schnell und leise vonstatten gehen. In dieses Bild passt auch Schäubles Forderung künftig Polizisten – analog zu Soldaten – ohne deren Einwilligung für Auslandseinsätze verpflichten zu können.[26] So „drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Polizeikontingente insbesondere dann zum Einsatz kommen, wenn ein militärischer Einsatz wegen der vorgeschalteten Parlamentsentscheidung untunlich ist“, schreibt Andreas Fischer-Lescano. Die Konsequenz wäre eine zunehmende „Entparlamentarisierung der deutschen Außenpolitik“.[27]

Diese Entparlamentarisierung reduziert die Transparenz der deutschen Außenpolitik. Informationen gelangen nicht in die Zeitungen und somit verliert die Presse ihre kontrollierende Wirkung. Polizisten genießen darüber hinaus in der deutschen Bevölkerung eine weit größere Akzeptanz als Soldaten. Die Erfahrungen mit verkehrsregulierenden oder kriminalpolizeilichen Aufgaben der Polizei verleiten zu dem Fehlschluss, die Wahrung von Ordnung und Friede in Afghanistan, im Irak, im Kongo oder im Kosovo sei ähnlicher Gestalt.

Martina Harder ist Mitarbeiterin der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

Anmerkungen
[1] Die Libanon-Krise, Informationen des Auswärtigen Amts, 31.08.2006.
[2] Fischer-Lescano, Andreas: Soldaten sind Polizisten sind Soldaten – Paradoxien deutscher Sicherheitspolitik, in: Zeitschrift Kritische Justiz, Heft 1/2004, S. 67-80.
[3] Klug, Sönke: Bundespolizei – Wir wollen nicht Lückenbüßer sein, Spiegel Online, 17.08.2006.
[4] GdP: Bundespolizisten nicht in militärische Konflikte verwickeln, Pressemitteilung, Berlin, 16.08.2006.
[5] Merten, Ulrike: Bundespolizei soll zu Auslandseinsatz gezwungen werden können, in: Netzzeitung, 29.07.2005.
[6] NATO & ESVP: Gestaltung des europäischen Pfeilers einer transformierten Allianz, Rede von Dr. Michael Schaefer, Auswärtiges Amt, 15.03.2004.
[7] Wehe, Dieter: Internationale Polizeimissionen – Einsatz im Ausland, in: Deutsche Polizei – Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, Nr.3, März 2006, S. 8-12, S. 8.
[8] German-Foreign-Policy.com: Pate der Polizei, 27.02.2006.
[9] Bundesministerium des Innern, Berlin: Bundesgrenzschutz – Jahresbericht 2002.
[10] BMI Daten und Fakten: Internationales und multilaterales Engagement des Bundesministeriums des Innern, URL: http://www.bmi.bund.de
[11] Marischka, Christoph/Obenland, Wolfgang: Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat, ISW-Spezial Nr.19 (2005).
[12] Rat der EU: EU Integrated Rule of Law mission for Iraq, 10383/06 (Presse 181).
[13] ZIF (Zentrun für internationale Friedenseinsätze): German Personnel in Peace Operations, May 2005.
[14] Schäuble, Wolfgang: Innere Sicherheit unter deutscher Führung in Afghanistan weiter stabilisieren, Pressemitteilung des BMI vom 07. Dezember 2005.
[15] Mehr Soldaten nach Afghanistan, Frankfurter Rundschau, 05.09.2006.
[16] Marischka/Obenland 2005, S. 21.
[17] Wischerath, R./Litges, T.: Das Vorbereitungsseminar, Polizei NRW Auslandseinsätze (Dezernat 13), 21.11.2005.
[18] Sazer, U.: Hoher Besuch in Brühl, Polizei NRW, 15.03.2006.
[19] Dokumentation des Polizeibriefes bei: Martin Willich: Bundesgrenzschutz – Historische und aktuelle Probleme der Rechtsstellung des Bundesgrenzschutzes, seiner Aufgaben und Befugnisse, Hamburg 1980. Vgl. zur Entwicklung des BGS Harder, Martina: Die Erweiterung des BGS-Einsatzspektruns, in: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin, Dezember 2005.
[20] GdP-Positionen und Forderungen zu Auslandseinsätzen der deutschen Polizei, in: Deutsche Polizei – Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei Nr.3 März 2006, S. 13.
[21] Gutzeit, Achim: Entlastung für die Bundeswehr? Die geplante BGS-Truppe für den Auslandseinsatz, in: Streitkräfte und Strategien, Sendereihe des NDR, 02.07.2005.
[22] Militarisierung, German-Foreign-Policy.com, 07.07.2005.
[23] Gutzeit, Achim: Entlastung für die Bundeswehr? Die geplante BGS-Truppe für den Auslandseinsatz, in: Streitkräfte und Strategien, Sendereihe des NDR, 02.07.2005.
[24] Daniel, Tobias: Startschuss für europäische Polizeitruppe, europa-digital.de, 28.9.2004.
[25] Wehe 2006, S. 9.
[26] Merten 2005.
[27] Fischer-Lescano 2004.

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