IMI-Standpunkt 2006/084 - in Schwäbisches Tagblatt, 27.10.2006

Abzug aus Afghanistan

Kolumne im Schwäbischen Tagblatt

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 3. November 2006

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Was muss eigentlich noch passieren, bis die deutschen Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden? Leichenschändungen von deutschen Gebirgsjägern am Hindukusch, der Fall Kurnaz und die wahrscheinliche Kooperation beim Foltern und Misshandeln von Gefangenen durch das Kommando Spezialkräfte sprechen eine deutliche Sprache. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt.

Stattdessen wird immer deutlicher, dass deutsche Soldaten in aller Welt Hass auf sich ziehen. Deutschland versinkt mehr und mehr im Sumpf der Auslandseinsätze der Bundeswehr: im Kongo, wo die EU als parteiischer Akteur zugunsten des autokratischen Präsidenten Kabila wahrgenommen wird oder in Afghanistan, wo bei westlichen Angriffsaktionen der Tod von Zivilisten als „Kollateralschaden“ achselzuckend hingenommen wird. Fast 9000 Bundeswehrsoldaten sind schon im Auslandseinsatz, und geht es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen es noch mehr werden. Das am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedete Weißbuch zeigt, dass für die Zukunft sogar noch Schlimmeres vermutet werden muss. Die „Enttabuisierung des Militärischen“ (Gerhard Schröder) ist inzwischen weit fortgeschritten: „Die Bundeswehr beschreitet seit Jahren konsequent den Weg des Wandels zu einer Armee im Einsatz“, heißt es in dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Dokument.

Auffällig ist, wie offen das Weißbuch erklärt, die Bundeswehr habe militärisch für die Absicherung der Rohstoffversorgung zu sorgen: Deutschland sei „in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig. […] Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen.“ Aus diesem Grund „muss die Sicherheit der Energieinfrastruktur gewährleistet werden.“

Die Beteiligung an NATO und EU-Militäreinsätzen mit und ohne UN-Mandat ist dabei Mittel zum Zweck. Bezüglich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wird im Weißbuch im Wesentlichen die im Dezember 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) wiedergegeben. Insbesondere wird auch einer ihrer Kernsätze übernommen: Die erste „Verteidigungslinie wird hierbei oft im Ausland liegen.“

Als Fachmann, der das Kommando Spezialkräfte (KSK) seit seiner Gründung im Jahr 1996 intensiv begleitet, hatte ich seit Jahren vor der Gefahr des Einsatzes dieser geheimen Elitetruppe der Exekutive gewarnt. Seit meinem Einzug ins Europäische Parlament weise ich zudem auch am Beispiel des Kommandos Spezialkräfte (KSK) darauf hin, wie wichtig eine – auch auf EU-Ebene eben nicht vorhandene – parlamentarisch-politische Kontrolle von Militäreinsätzen ist. Genau diese parlamentarisch-politische Kontrolle war auch Thema Bei meinem Besuch des Kommando Spezialkräfte am 17. Juli diesen Jahres erklärte KSK-Chef Brigadegeneral Rainer Hartbrod, dass er nicht wisse, wie die parlamentarische Kontrolle genau ablaufe, er sich aber sicher sei, dass sie gesichert wäre. Brigadegeneral Hartbrod konnte oder wollte mir die Frage, was das KSK bei Kampfeinsätzen mit Gefangenen macht, nicht schlüssig beantworten.

Bevor es noch schlimmer kommt, muss etwas passieren. Meine Vorschläge: Keine Umsetzung des vorgelegten Weißbuches, Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und Auflösung des KSK.

Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Linken

Quelle: http://www.tagblatt.de/?artikel_id=1464797