IMI-Analyse 2006/010 - in: AUSDRUCK (Juni 2006)
Grüne Werte und deutsche Interessen passen gut zusammen
von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 4. Juni 2006
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„Es gibt viele Leute, die es reizen würde, mal ein schwarz-grünes Bündnis zu machen“, erklärte der Fraktionschef Fritz Kuhn der (Oliv-)Grünen Anfang April im „Hamburger Abendblatt“. Und auch Parteichef Reinhard Bütikofer sieht die Grünen für „alle Konstellationen“ offen, also „auch für Schwarz-Grün“.
Ein „Alpha-Tier“ wie Joschka Fischer werde es allerdings auf absehbare Zeit bei den Grünen nicht mehr geben. Das sei nur ein Sport der Medien, meint Bütikofer.
Ob er da nicht die Rechnung ohne den Trittin gemacht hat? Der hat sich als Fraktionsvize inzwischen von der Umwelt- zur Außenpolitik verändert und empfindet Opposition als einen „Zustand, den es zu überwinden gilt“.[1]
Dementsprechend ist die „überwölbende Frage“ grüner Außenpolitik (von der wir seit Joschka wissen, dass es sie gar nicht gibt: Es gibt nur eine deutsche), was sie beitragen kann, damit es „2009 einen Wahlerfolg für Bündnis 90/Die Grünen gibt“.
Im ersten Abschnitt seines Papiers unter der Überschrift „Cruise Missile und Kosovo“ markiert der neue Leitwolf sein Revier. „Es gibt deutsche Interessen und es gibt grüne Politik.“ Fragt sich, wie sich das Eine zum Anderen verhält. Nach Trittin bedeutet „deutsche Interessen in seiner Politik zu berücksichtigen (…) gerade nicht, diese zu verabsolutieren.“ Kritisch hinterfragen will er diese Interessen. Auf die Fragen wartet der gespannte Leser allerdings vergeblich.
Trittin kritisiert Angela Merkels „Politik des Nato First“, die „nicht im deutschen Interesse“ liegt, „weil die Deutschen in der NATO nicht die Rolle spielen (to keep the germans down) wie etwa in der EU“. Gleichzeitig will er die USA vom „Schmieden (…) von Bündnissen gegen die EU“ abhalten, die nicht im deutschen Interesse wären, solange „neben der EU der US-Markt für die deutsche Industrie immer noch der wichtigste ist“.
„Cruise Missile und Kosovo“ passen offenbar in grüner Sicht und in deutschem Interesse gut zusammen. Dazu muss man nach Trittins Rezeptur nur zunächst zwischen Politik und Interesse unterscheiden. Dann aber doch eine gehörige Portion deutsches Interesse in den grünen Brei geben, kritisch hinterfragt natürlich, nicht absolut und nur solange bis der Brei die Farbe oliv annimmt.
„Grüne sollten aufhören sich wegen des von Oskar Lafontaine so genannten ‚Jugoslawien-Feldzuges’ zu verstecken.“ Für Trittin gab es „veritable Sicherheitsinteressen Deutschlands“ und außerdem „mittelfristig ökonomische Interessen“ für den Kriegseinsatz der Bundeswehr. Grüne Werte und so eine Kleinigkeit wie das Völkerrecht müssen da schon mal ins zweite Glied.
„Der Unilateralismus ist gescheitert.“ Trittin ist überzeugt, dass die USA die globalen Herausforderungen nicht im Alleingang bewältigen kann. Seine Agenda klingt dabei, auch in ihrer Reihenfolge, nur wenig anders als die von George W. Bush: „Die globale Herausforderung des Terrorismus“, „die Überwindung der globalen Armut“, die „global wachsende Organisierte Kriminalität“ und der „Kampf gegen zerfallende Staaten“.
Kein Wort über die Folgen des Raubtierkapitalismus, die Zerstörung der Lebensperspektiven eines großen Teils der Menschheit, die Unterwerfung des Globus und seiner Bewohner unter das Profitprinzip, die Interventionen der kapitalistischen Metropolen zur gewaltsamen Sicherung ihres Nachschubs an Rohstoffen.
Trittins Papier bewegt sich ausschließlich in der Welt der Schlagzeilen der bürgerlichen Medien, die realen Konflikte, die reale Lage bleibt ausgeblendet. Kein Wunder, dass die propagierten Lösungen dem „deutschen Interesse“ so sehr angepasst sind.
Er bedauert, dass der Rest der Welt die USA nicht vom Krieg gegen den Irak abzuhalten vermochte. Jetzt aber kann sich laut Trittin diese Welt den Abzug der USA nicht wünschen. „Es gibt keine Alternative dazu, den Irak zu stabilisieren“, ruft uns Trittin zu und es klingt wie das Pfeifen im Walde. Ist ihm wirklich nicht klar, dass es gerade die Anwesenheit und die tägliche Praxis der Besatzungsmächte ist, die den Irak destabilisiert und zerstört, seinen Menschen die Zukunftsperspektiven nimmt, Terror und Folter etabliert, für den Ausverkauf der Rohstoffe und die Zerstörung der sozialen Errungenschaften sorgt?
In einem Kommentar über die „Bewerbung eines Ex-Ministers“ zitiert der Tagesspiegel (5.4.06) einen Grünen-Fraktionskollegen mit der Aussage, Trittin bediene sich lediglich einer realpolitischen Sprache, um seine „im Kern linke Politik zu kaschieren“. Welche Verwechslung von lechts und rinks.
Trittin stellt fest, dass „der Konflikt um das Atomprogramm des Iran (…) dauerhaft nur mit zivilen Mitteln gelöst werden“ kann. „Dabei wird man dem Iran nicht dauerhaft sein Recht nach dem Atomwaffensperrvertrag vorenthalten können.“ Ist es Erbsenzählerei, wenn dem Kritiker die zweimalige Verwendung des Wörtchens „dauerhaft“ ins Auge sticht? Ohne dieses Wort wären die Sätze klar und eindeutig. Unterstellt man dem Bewerber um die führende außenpolitische Rolle bei den Grünen etwas, wenn man ihn verdächtigt, nichts gegen us-amerikanische Pläne zum gewaltsamen Regimewechsel im Iran zu haben?
Trittin fordert die Achtung von Grund- und Menschenrechten auch im „Kampf gegen den Terrorismus und Organisierte Kriminalität“ ein und kritisiert die Praxis der illegalen Festnahmen, Einrichtung geheimer Gefängnisse und Folter. Er vermeidet es dabei allerdings, Ross und Reiter zu nennen. So bleibt die Zusammenarbeit deutscher Dienste und Behörden mit den USA im Strategiepapier für grüne Außenpolitik unerwähnt. Kleinigkeiten eben, wenn es um deutsche Interessen und grüne Werte geht.
Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass es bei den Grünen „im Kampf gegen den Terrorismus noch keine eigenständige Konzeption (gibt), die eine umfassende Alternative zum war on terror darstellt“. Insbesondere mahnt er ein Konzept an, dass sich „nicht vor den harten Seiten dieser Auseinandersetzung drückt“. Dabei besteht hier wahrlich kein Mangel. Schließlich haben die Grünen im Bundestag jedem Bundeswehreinsatz der letzten Jahre ihre Stimme gegeben, mit oder ohne Konzept.
Trittin ist für einen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Er trägt ihn in typischer grüner Pose vor: „Leistungsfähige Länder wie Deutschland und Japan“ sollten „in stärkere Verantwortung genommen werden“.
Teil dieser „Verantwortung“ ist offensichtlich auch die Entsendung deutscher Soldaten in den Kongo, der sich auch die Abgeordneten Ströbele und Hermann nicht entziehen wollten. Unter dem Mantel der Verantwortung verschwinden dann auch wieder Kapitalinteressen, die in Militärzeitschriften dafür umso deutlicher propagiert werden: „Afrika ist als europäischer Nachbarkontinent ein wichtiger Rohstofflieferant und künftiger Markt. Zudem werden die Ölzentren in Zentral- und Westafrika (Angola, Nigeria, Kongo, Südsudan), die an die DROC (DR Kongo) angrenzen, zur strategischen Rohölversorgung (Substitution des Nahostöls) des Westens zunehmend wichtiger.“ (IAP-Dienst Sicherheitspolitik, März 2006).
Die „Krise der EU“ sieht Trittin in der „Blockade des Verfassungsvertrages“. Weder die Militarisierung der EU, noch der neoliberale Geist dieses Verfassungswerkes sind Trittin einer Erwähnung wert. Aus der Ablehnung des Machwerkes durch die Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden wird der bürokratische Begriff der „Blockade“. Gleichzeitig zeigt er, was er sich von der EU außenpolitisch verspricht, wenn er „nicht nur Polen, sondern alle Mitgliedstaaten“ vor dem Glauben warnt, „jeder für sich könne die globalen Probleme der Energiesicherheit oder der zerfallenden Staaten und privatisierenden Kriege bewältigen“.
Trittin konstatiert eine Globalisierung von Armut und Reichtum und die „Herausbildung einer globalen Klassengesellschaft samt einer neuen Spaltung der Welt“.
„Die nachhaltige Gestaltung von globaler Freiheit, globaler Sicherheit und globalem Wohlstand“ ist für Trittin in erster Linie „ein Mobilisierungsthema, das breit in der Partei und ihrer Basis getragen wird.
Sein Rezept für grüne Realpolitik dagegen ist „der Umbau der Bundeswehr von einer Heimatverteidigungsarmee zu einem Instrument einer multilateralen globalen Sicherheitspolitik“. Dieser Umbau müsse „in europäischer Einbindung und unter dem Dach der Vereinten Nationen (…) beschleunigt werden“. „Grüne müssen deshalb den Abschied von Wehrpflichtarmee und den Umbau der Bundeswehr in den Mittelpunkt ihrer sicherheitspolitischen Aktivitäten stellen.“
Trittin will nicht auf halbem Wege stehen bleiben und das Thema zu Ende denken. In dieser Richtung liegt für ihn dann auch die Europäisierung der Rüstungspolitik. Dass es dabei eher um die Unterwerfung der europäischen Rüstungspotenziale unter die Interessen der großen, insbesondere deutschen und französischen Konzerne geht, dürfte auch einem Jürgen Trittin klar sein. Schon die erste Regierung Schröder-Fischer hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, „aktiv die Bemühungen um den Zusammenschluss der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie“ zu unterstützen. Diese Unterstützung führte dann folgerichtig zum größten Auftrag in der Geschichte des Superrüstungskonzerns EADS, dem Militärtransporter Airbus A400M, der dem Konzern derzeit Traumprofite beschert.
„Grüne Werte und deutsche Interessen zusammen zu bringen, ist möglich“, stellt Jürgen Trittin am Ende seines Thesenpapiers fest. Die Grünen haben sich dabei „in der Friedens- und Sicherheitspolitik bitteren Konflikten gestellt, Entscheidungen getroffen und aus ihren Konsequenzen gelernt.“
Wie sehr dies zutrifft, belegt folgende Meldung: „Infratest dimap hat für den Deutschlandtrend im Auftrag der ARD-Tagesthemen und des Tagesspiegels ermittelt, dass 59 Prozent der Deutschen den Kongo-Einsatz ablehnen und nur 37 Prozent ihn für sinnvoll halten. Die größte Zustimmung genießt der Einsatz bei Grünen-Anhängern, bei denen 49 Prozent für den Einsatz sind, 42 Prozent dagegen.“ (Tagesspiegel-Online 1.6.2006)
Solange die Grünen nicht fragen, wessen Interessen sie dabei vertreten, bleibt wohl nur, die herrschenden Interessen den Beherrschten in grüner Verpackung schmackhaft zu machen.
[1] Alle weiteren Zitate aus: Jürgen Trittin: Grüne Werte – Deutsche Interessen. Schwerpunkte unserer internationalen Politik. Thesen zur Klausur des AK Internationale Politik und Menschenrechte, 3.4.2006, http://www.juergentrittin.de/hintergrund3.php?id=125