IMI-Analyse 2005/029 - in: AUSDRUCK (Dezember 2005)

Der Schafspelz wird abgelegt

Die Außen- und Sicherheitspolitik im schwarz-roten Koalitionsvertrag

von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 4. Dezember 2005

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Wer große Neuerungen im Bereich der Außenpolitik der neuen Berliner Koalition erwartet hat, der wurde enttäuscht. Das wesentliche Element des neuen Koalitionsvertrages ist die Kontinuität zur Politik der Vorgängerregierung. Endgültig vorbei ist allerdings ganz offensichtlich die Zeit in der militärische Optionen und nationale Interessen schamhaft in den Hintergrund gestellt wurden. An machen Stellen sind es nur Akzentverschiebungen, insgesamt jedoch ist die selbstbewusste Machtpolitik konsequent in den einzelnen Passagen des Vertrags verankert.

Friedenspolitik? Entwicklungspolitik?

Als 1998 Rot-Grün an die Macht kam erklärten sie noch verschämt: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.“ Dass dieses vorgebliche Friedensziel schon kurz danach mit Bomben auf Belgrad umgesetzt wurde, machte klar, dass hier keine Einheit von politischem Ziel und dafür einzusetzenden Mitteln gemeint war. Schwarz-Rot ist hier weniger zurückhaltend, Außenpolitik „dient dem Frieden in der Welt“ . Diese Pax Germania soll im Zusammenspiel von „Außen, Europa- und Entwicklungspolitik“ umgesetzt werden. Bei Sätzen wie „CDU, CSU und SPD treten dafür ein, dass Deutschland darauf dringt, Konflikte friedlich zu lösen,“ keimt kurz Hoffnung auf eine militärpolitisch zurückhaltendere Politik auf. Bei genauem Lesen fällt auf, dass es hier lediglich um die Kontinuität zur deutschen Haltung gegenüber dem US-geführten Irakkrieg handelt. Die rhetorische Antikriegshaltung in diesem konkreten Fall kann leider nicht als eine grundlegende Absage gegenüber militärischen Mitteln verstanden werden. Die Prioritäten sind klar, wenn der Koalitionsvertrag einen „umfassenden Sicherheitsbegriff“ beschwört, bei dem es „neben militärischen Fähigkeiten nicht zuletzt um genügend ziviles Personal“ geht. „Nicht zuletzt“ heißt leider nicht „in erster Linie“ und schon gar nicht „ausschließlich“ auf zivile Konfliktlösungen zurückzugreifen. Leider wird zusätzlich die Einbeziehung von zivilen Strukturen in nationale Interessenspolitik , die bereits unter Rot-Grün eingeleitet wurde, fortgesetzt. Kritik von kirchlichen und humanitären Initiativen an einer Instrumentalisierung von zivilen Helfern, wie sie z.B. von Caritas oder Ärzte ohne Grenzen geäußert wurde, wird komplett ignoriert, wenn „die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Stiftungen und der Wirtschaft“ weiter „ausgestaltet“ werden soll. Unabhängige, überparteiliche und tatsächlich zivile Ansätze wird es wohl zunehmend weniger geben, denn zukünftig soll „durch eine enge Verzahnung unserer Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Menschenrechts-, Außenwirtschafts- und Auswärtigen Kulturpolitik“ eine „kohärente Politik gegenüber den Entwicklungsländern“ zum „Einsatz kommen.“
Die grundsätzlichen Denkfehler des nicht nur im Koalitionsvertrag propagierten entwicklungspolitischen Ansatzes wird klar wenn beschrieben wird, dass „die Folgen der sich verschärfenden Entwicklungsprobleme (…) unmittelbar Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa“ gefährden. Der Gedanke, dass der Wohlstand der reichen Staaten die Entwicklungsmöglichkeiten der ärmeren einschränkt, wird so erfolgreich verdrängt.

Die EU als Aktionsplattform für deutsche Interessenspolitik

Deutlicher als erwartet führt im Koalitionsvertrag die bereits von Schröder angeregte „Neuordnung der transatlantischen Beziehungen“ zu einer weiteren Stärkung des außenpolitischen Arms der EU. Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik will Schwarz-Rot zu einer „Sicherheits- und Verteidigungsunion fortentwickeln.“ Dazu sollen alle militärisch notwendigen Bereiche ausgebaut werden. Die im transatlantischen Verhältnis nicht unproblematische eigene – also US-unabhängige – „EU Planungs- und Führungsfähigkeit“ wird dazu aus Sicht der Koalitionäre benötigt. Notwendig scheint auch der weitere „Aufbau EU-eigener multinationaler Gefechtsverbände.“ Diese Battle-Groups (mit umfangreicher deutscher Beteiligung) sind offensichtlich genauso unumstrittenen wie die Fortsetzung der bisherigen Militäreinsätze etwa in Afghanistan oder auf dem Balkan. Dessen Stabilisierung erklärtermaßen keineswegs Hilfsbereitschaft sondern „vitales Interesse“ Deutschlands ist.

Eine zentrale Rolle spielt hier die Umsetzung der europäischen Sicherheitsstrategie. Im Rahmen dieses so genannten Solana-Papiers einigten sich im Dezember 2003 die EU-Staats- und Regierungschefs darauf, in ihre militärische Außenpolitik künftig „mehr Handlungsfähigkeit“ und „mehr Kohärenz“ zu bringen, um damit insgesamt „aktiver“ zu werden. Um es klar zu formulieren: hier wird keiner EU-Friedensmacht das Wort geredet, hier geht es um auch militärisch ausgetragene Interessenspolitik. Die USA ist hier insofern ein Bezugspunkt, als dass es unter dem dortigen politischen Establishment schon länger üblich ist ganz offen die verschiedenen Wege zur Umsetzung nationaler Interessen zu benennen. Nicht zufällig zitierte Angela Merkel bereits 2004 auf der Münchner Sicherheitskonferenz die frühere US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright: „Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“ Frau Merkel bezog sich positiv auf dieses aggressive Verständnis von Außenpolitik und formulierte dann in eigenen Worten: „Im Grunde ist es eine verblüffend einfache Definition – den Interessen und den Werten der eigenen Nation dienen und dabei alle Mittel in Betracht ziehen. Aber es ist auch eine Definition, die … auch Maßstab einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein sollte, besser: sein muss.“
Nun – etwa eineinhalb Jahre später – verknüpft die von ihr angeführte Koalition „das Setzen auf Verhandlungslösungen bei Konflikten mit dem Ausbau der Fähigkeiten zu gemeinsamem militärischem Handeln“.

Den deutschen Einfluss ausbauen

Und wie steht es mit dem Verhältnis zur NATO und den USA? „Für die Koalitionspartner ist die Stärkung der außenpolitischen Rolle der Europäischen Union und eine Vertiefung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika daher kein Gegensatz, sondern eine notwendige Ergänzung, die den nationalen Interessen unseres Landes dient.“ Oberste Leitlinie bei der Wahl der Verbündeten ist also das „nationale Interesse“. Auch wenn rhetorisch immer wieder die starke Verbindung zu USA und NATO beschworen wird so ist doch in fast jeder Passage spürbar, dass es um die Zusammenarbeit zwischen den USA und „einem selbstbewussten Europa“ geht, wobei auch „unterschiedliche Auffassungen“ nicht ausgeschlossen sind. Neben der im Vertrag sicherheitspolitisch und ökonomisch begründeten Kooperation mit den USA steht deswegen – mit gleicher Begründung – auch eine andere Priorität: Zusätzlich zur „strategischen Partnerschaft mit Russland“ gilt es auch „eine langfristig partnerschaftliche Strategie vor allem mit China und Indien (zu) entwickeln.“

Der Einfluss deutscher Politik soll so global ausgebaut werden. Dabei wird auch der Traum der VN-Reform mit der Übernahme eines „ständigen Sicherheitsratssitzes“ für Deutschland nicht aufgegeben um weltweit „mehr Verantwortung zu übernehmen“. Erst als zweite Priorität wird auch ein Sitz für die EU nicht ausgeschlossen.

Das vorgebliche Ziel einer „Verrechtlichung der internationalen Beziehungen“ wird schnell als Farce entlarvt, wenn gleichzeitig an keiner Stelle die Völkerrechtswidrigkeit des Handelns der westlichen Staaten erwähnt wird. „Die Zusammenarbeit mit den USA ist besonders wichtig für ein gedeihliches Verhältnis zwischen der islamischen Welt und dem Westen, bei der Sicherung von Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten und auf dem Balkan“. Die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, der US-geführte Angriffskrieg gegen Irak und der brutale so genannte Anti-Terrorkampf gegen und in zahlreichen mehrheitlich islamischen Staaten – all das soll nun die Grundlage des gemeinsamen Kampfes für „Frieden, Demokratie und Freiheit in der Welt“ sein? Deutlich wird dabei, dass es offensichtlich weder in den „gemeinsamen Werten“ noch in den dafür einzusetzenden Mitteln einen Unterschied zwischen deutscher, EU und US-amerikanischer Politik gibt. Die Unterschiede bestehen wohl nur in den, je nach Einsatzgebiet, gelegentlich unterschiedlichen „nationalen Interessen“.
Zum Ausbau des deutschen Einflusses gehört auch die Ankündigung „im ersten Halbjahr 2007 die Präsidentschaft der Europäischen Union zu übernehmen“ und dabei „alle Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Präsidentschaft zu einem Erfolg zu führen.“ Das bezieht sich speziell auf die vorläufig in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte EU-Verfassung. Diese Verfassung macht nach Ansicht der Koalitionäre „die Europäische Union demokratischer, handlungsfähiger, effizienter und transparenter.“ Der Schwerpunkt liegt aus deutscher Sicht wohl auf „handlungsfähiger“ und „effizienter“. Dass der Verfassungsvertrag Deutschland zur stärksten und damit einflussreichsten Macht im Europäischen Rat machen würde, das wird an keiner Stelle erwähnt, ist aber wohl dennoch ein wesentlicher Motivationsfaktor. Bezüglich des Zeitplans für eine immer noch mögliche Umsetzung des Verfassungsvertrags bleibt hier noch anzumerken, dass die Verbindlichkeit des französischen Referendums maßgeblich an Chiracs Versprechen diesbezüglich hängt. Anfang 2007 werden allerdings in Frankreich nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen möglicherweise neue politische Akteure eine Neuauflage des Ratifizierungsprozesses in Frankreich ermöglichen.

Rüstung ohne Schranken

Zur militärischen Sicherheitspolitik gehört auch die „Weiterentwicklung und Bereitstellung notwendiger Fähigkeiten“. Hier wird übrigens fast ausschließlich die europäische Karte gespielt: „Die Bundesregierung wird alle Möglichkeiten nutzen, um die europäische Rüstungskooperation unter Erhalt der Kernfähigkeiten der deutschen wehrtechnischen Industrie … voranzutreiben.“ Die dafür erhoffte „erweiterte Kooperation mit der Wirtschaft, Privatisierung und öffentlich-private Partnerschaften“ soll „zusätzliches Kapital der privaten Wirtschaft“ bringen. Dass hier die Entwicklung zur Zeit aber genau in die andere Richtung läuft und auf EU-Ebene durch die European Defence Agency (EDA / Rüstungsagentur) das Marketing für Rüstungsprodukte und die entsprechende finanzielle Unterstützung für Forschung und Produktion im Rahmen eines gemeinsamen Rüstungsmarktes organisiert werden, das verschweigt man lieber.
Zukünftig kann man mit einem bereits im Koalitionsvertrag erwähnten Trick der staunenden Öffentlichkeit vielleicht schon bald einen sinkenden Rüstungshaushalt präsentieren: „Es wird angestrebt, dass nicht konsumtive Ausgaben im Verteidigungshaushalt in den Haushaltsgrundsätzen entsprechend europäischer Regelungen als Investitionen gewertet werden.“ Investitionen im Rüstungshaushalt wie neue Hubschrauber, Panzer und Flugzeuge werden bisher als „Verteidigungsinvestive Ausgaben“, also nicht als „investive Anlagegüter“, sondern korrekterweise als „Verbrauchsgüter im Verwaltungshaushalt der Bundesrepublik geführt. Nach haushaltsrechtlicher Definition handelt es sich bei den meisten dieser Gegenstände aber nicht um wertschöpfende, also investive Anlagegüter, sondern um Verbrauchsgüter.“
Bekannter weise darf die Neuverschuldung im Verwaltungshaushalt nicht höher sein als die Investitionsausgaben (für Schienen, Straßen oder Gebäuden usw.). Die Bundesregierung versucht nun – übrigens im Konzert mit der italienischen und französischen Regierung – die Regelungen so zu verdrehen, dass zukünftig in Rüstung investiert werden kann ohne Stabilitätskriterien zu verletzen. Da das Ganze dann aber doch irgendwie finanziert werden muss, darf wohl mit weiteren „leider notwendigen“ Kürzungen im Sozialbereich gerechnet werden.

Die Rolle der Bundeswehr

Das Lieblingskind der CDU – der Einsatz der Bundeswehr im Inneren – ist zwar noch nicht definitiv im Koalitionsvertrag festgelegt. Voraussetzungen dafür sind aber bereits an mehreren Stellen geschaffen worden. Im Rahmen eines „umfassenden Sicherheitsbegriffs“ wird die Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit aufgehoben: „Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus greifen innere und äußere Sicherheit immer stärker ineinander. Dem begegnen wir durch eine konsequente Sicherheitspolitik.“ Im Inneren sollen „verlässliche regionale Strukturen“ und der Ausbau „zivil-militärischer Zusammenarbeit“ eine „effiziente Landesverteidigung“ gewährleisten. Dies klingt sehr nach dem CDU-Konzept eines umfassenden „Heimatschutzes“ mit Bundeswehrsoldaten.
Insgesamt aber bleibt die Bundeswehr eine „Armee im Einsatz“, der es natürlich an Nichts fehlen darf. Sie muss schließlich so umstrukturiert werden, dass sie „im Sinne der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands … eingesetzt werden kann“. Auch beim konkreten Einsatz der Bundeswehrsoldaten betont der Koalitionsvertrag den hohen Stellenwert nationaler Interessen: Einsätze sollen nur stattfinden „soweit sie sicherheitspolitisch notwendig sind und auch im nationalen Interesse liegen.“ Unter solchen Prämissen könnte es gelegentlich nötig sein, deutsche Soldaten schnell in Einsätze zu schicken. Die Battle-Groups etwa sollen teilweise innerhalb von fünf Tagen einsatzbereit sein. Selbst mit dem relativ großzügigen rechtlichen Rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes könnte es dabei Schwierigkeiten geben. Eine möglichen Nachbesserungsbedarf hatten die Koalitionäre wohl im Hinterkopf wenn sie formulieren: „Das Parlamentsbeteiligungsgesetz bleibt Verfahrensgrundlage … Sollte sich im Lichte bisher gewonnene Erfahrungen ein Bedarf zur Weiterentwicklung ergeben, so werden die Koalitionsfraktionen Initiativen einbringen.“ Mit einer fortschreitenden Entmachtung des Parlaments und entsprechend schlechter Information der Bevölkerung ist folglich zu rechnen.
Dieser Koalitionsvertrag ist eine friedenspolitische Katastrophe und setzt den falschen Weg in einen globalen militärischen Interventionismus noch ungenierter als bisher fort.