Dokumentation/Radio Unerhört

„Afghanistan: Experimentierfeld zivilmilitärischer Zusammenarbeit“

Radio-Interview mit Claudia Haydt (IMI)

von: IMI / Radio Unerhört | Veröffentlicht am: 25. November 2005

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Claudia Haydt: In Afghanistan ist ja faktisch ein Besatzungs- und Eroberungskrieg geführt worden. Auch wenn der deutschen Öffentlichkeit erklärt wird, dass die deutschen Soldaten nur dort sind, um Demokratieexport zu machen und Entwicklungshilfe zu leisten, sprich Stabilisierung herzustellen, und nicht um Kriege zu führen.

Im Ausland wird immer wieder fast darüber gelacht, dass in Deutschland erklärt wird, es gäbe einen großen Unterschied zwischen dem was in Afghanistan und dem was im Irak passiert. Obwohl es bei beiden faktisch um eine militärische Umsetzung von Interessenpolitik geht. Trotzdem klappt es relativ gut, dass gegenüber den Medien – vor allem im Inland – erklärt wird, dass dort vor allem zivile Intervention und keine militärische Intervention stattfinden würde.
Deswegen ist das, allein schon auf der Ebene der Öffentlichkeitsarbeit, ein relativer Ausnahmefall. Tatsächlich liegt der Schwerpunkt in vielen anderen Bereichen mehr auf Entwicklungshilfe, als in Afghanistan. In Afghanistan ist das deutsche Engagement schwerpunktmäßig ein militärisches und kein ziviles. Das ist der Grund, weshalb wir das genauer in den Blick nehmen wollten. Einfach um klar zu machen, was tatsächlich dort passiert. Nämlich eine militärische Außenpolitik.

Interviewer: Und wie äußert sich das jetzt konkret in dem Bereich zivilmilitärischer Zusammenarbeit? Also allein so, dass das Militär versucht den Medien hier zu verkaufen, dass sie dort praktisch zivile Aufgaben erfüllen oder in dem dort vor Ort ganz klar auch eine Kooperation zwischen militärischen und zivilen Stellen vorgeht?

Claudia Haydt: Sowohl als auch. Es gibt zum Beispiel diese so genannten provincial-reconstruction-teams, wie das auf englisch heißt. Das sind regionalen Wiederaufbauteams, in denen die Bundeswehr mit Entwicklungshelfern einzelner Organisationen, die sich auf diese Kooperation einlassen, zusammenarbeitet. Das passiert momentan zum Beispiel in Kundus und in Feysabad. Dort wird zusammen mit Bundeswehr und Entwicklungshelfern versucht vor Ort Wiederaufbauarbeit zu machen. Zumindest wird uns das so erklärt.
Faktisch akzeptiert es die Bevölkerung nicht als Wiederaufbauarbeit, sondern sieht auch die Entwicklungshelfer als einen Teil des Besatzungsregimes. Und entsprechend gefährdet sind diese Entwicklungshelfer auch. Viele Entwicklungshilfeorganisationen haben in der Zwischenzeit auch gesagt, dass sie unter diesen Bedingungen nicht mehr mitarbeiten. Zum Beispiel haben die Ärzte ohne Grenzen klar erklärt, dass sie unter diesen Bedingungen nicht mehr in Afghanistan arbeiten können, denn sie werden von der Bevölkerung nicht mehr als eigenständige zivile Akteure interpretiert.
Dieses Nicht-Mehr-Auseinanderhalten-Können von zivil und militärisch gehört zum militärischem Programm und macht zivile Alternativen fast unmöglich.
Das ist der eine Teil, aber zivilmilitärisch ist natürlich ein sehr vager Begriff. Der bedeutet zum Beispiel auch, dass es eine sehr enge Kooperation mit so genannten afghanischen Sicherheitskräften gibt, also zum Beispiel Polizeischulungen. Von Deutschland aus sind ja nicht nur Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Einsatz, sondern auch Polizisten. Bei den Polizisten hat es den großen Vorteil, dass über deren Einsatz das Parlament nicht entscheiden muss, sondern sie können schlichtweg auf dem Dienstweg abkommandiert werden, was auch passiert. Und es geht vor allem um die Kooperation im Bereich der Drogenbekämpfung.

Dieses Zivilmilitärische findet auf verschiedenen Ebenen statt. Alles ist aber programmatisch eingebunden in eine relativ konsequente Außenpolitik

Interviewer: Noch einmal zurück zur Kooperation von verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen mit der Bundeswehr. Kannst du etwas dazu sagen, wie die Zusammenarbeit konkret aussieht und welche Arbeit die Bundeswehr in dieser zivilmilitärischen Kooperation konkret übernimmt?

Claudia Haydt: Also konkret erklärt zumindest die Bundeswehr immer, dass die Bundeswehr Patrouillen fährt, zum Beispiel in der Umgebung von Kundus, sich dort mit den Obersten zusammensetzt und guckt was dort an Infrastruktur fehlt, zum Beispiel eine Schule, ein Krankenhaus und ähnliches. Daraufhin lädt die Bundeswehr dann die Entwicklungshilfeorganisationen ein dort tätig zu werden.

Interviewer: Das klingt zunächst einmal nach einer gewissen…

Claudia Haydt: Das klingt zunächst einmal plausibel. Man muss das Ganze allerdings von der Seite der Bevölkerung betrachten. Deren weiteres Leben wird sozusagen eingeleitet von Militärs, die ja Besatzungsregime sind und durchaus nicht immer friedlich agieren, was man an täglich dutzenden von Toten in Afghanistan sehen kann. Also von diesen Militärs wird der Kontakt eingeleitet. Dann werden die Entwicklungshilfeorganisationen von den Militärs auch in die Dörfer gebracht, werden von diesen teilweise jeden Abend abgeholt. Das Militär ist wirklich ständig präsent im Kontext mit diesen Entwicklungshilfeorganisationen. Selbst wenn die Entwicklungshilfeorganisationen tatsächlich mal allein dort sind, sind sie natürlich trotzdem gehalten, aus so genannten Sicherheitsgründen, zu berichten, was sich in den Dörfern oder in den kleinen Städten abspielt.

Auch für die Bevölkerung ist durchaus sichtbar, dass über diese Entwicklungshelfer Informationen fließen. Unter anderen Kontexten hätte man so was als Spione bezeichnet. Und genau so wird es dann zum Teil von der Bevölkerung auch interpretiert. Deswegen gibt es ja auch immer wieder Anschläge auf Entwicklungshelfer, welche von der Bevölkerung als Teil des fremden Besatzungsregimes erlebt werden. Also kein Wahrnehmen mehr von unabhängigen Entwicklungshilfestrukturen.

Interviewer: Ja, kannst du etwas zu den Trägern dieser Entwicklungshilfearbeit, die sich auf diese Kooperation mit der Bundeswehr eingelassen haben, sagen? Welche sind das zum Beispiel?

Claudia Haydt: Das ist natürlich vor allem die GTZ, also die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, die ja zum Entwicklungshilfeministerium gehört. Die zivilmilitärische Zusammenarbeit wird vor allem über das Entwicklungshilfeministerium koordiniert. Es sind auch noch einzelne weitere, die ich jetzt aber nicht mit Namen nennen möchte. Es gibt in diesen einzelnen Organisationen auch die Diskussion darüber. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation und deshalb wäre es aus meiner Sicht falsch, durch eine äußere Diffamierung, in diese internen Diskussionsprozesse einzugreifen.
Es ist für die Mediziner vor Ort auch eine schwierige Geschichte zu sagen: Wir werden hier instrumentalisiert und ziehen uns raus. Es ist die Entscheidung eine bestimmte Hilfe nicht zu leisten. Deswegen sind für mich auch nicht die einzelnen Organisationen die Verantwortlichen, sondern das Entwicklungshilfeministerium, dass zusammen mit dem Verteidigungs- und Außenministerium diese Strukturen aufgebaut hat.

Interviewer: Was würde im Zusammenhang dessen, was du eben beschrieben hast das Wort „Experimentierfeld“ genauer sagen. Was wollt ihr im Kongress, was soll die Benennung dieser Arbeitsgruppe als „Experimentierfeld militärischer Zusammenarbeit“ ausdrücken? In welche Richtung glaubst du geht das weiter und in welche Richtung plant die Bundeswehr oder die Bundesregierung weiter zumachen, nachdem sie in Afghanistan damit experimentiert hat?

Claudia Haydt: Man muss dazu sagen die deutsche Regierung ist ein maßgeblicher Akteur im Rahmen der EU. Und im Rahmen der EU werden jetzt die zentralen Aspekte zukünftiger militärischer Politik der westlichen Staaten angedacht. Es gibt in der Zwischenzeit auf EU-Ebene eine Sicherheitsstrategie und diese europäische Sicherheitsstrategie macht gewisserweise aus der Not eine Tugend. Nämlich aus der Not, dass die europäischen Staaten weniger militärische Kapazitäten als die USA haben versuchen sie eine Tugend zu machen, indem sie sagen: Wir sind aber sowohl militärisch als auch zivil effektiv. In dieser europäischen Sicherheitsstrategie kann man zum Beispiel nachlesen, dass auf militärische Effizienz häufig Chaos folgt. Das ist eine Formulierung, die sich klar auf die US-amerikanische militärische Außenpolitik bezieht. Als Gegengewicht will man selbst eine Kooperation des Zivilen und des Militärischen in der Außenpolitik machen.
Das gehört zur neuen Programmatik der EU-Außenpolitik, in der Deutschland ein maßgeblicher Akteur ist.
Um zu zeigen, wie effektiv diese Strategie ist, ist vor allem für die deutsche Regierung dieses – ich nenn es jetzt einfach mal – „Experimentierfeld Afghanistan“ notwendig, um zu schauen, welche Defizite gibt es noch in der Kooperation zwischen zivilen und militärischen Struktur. Daraus sollen dann Handlungsalternativen gefolgert werden, wie das zukünftig zu regeln ist. Es gehört zur deutschen außenpolitischen Programmatik und zur EU-Programmatik diese Vernetzung von zivilen und militärischen Strukturen zu machen. Was dann eben wirklich von der Krankenversorgung über den Aufbau eines Justizsystems bis hin zur Polizeikooperation gedacht ist. Das schließt dann eben militärischen Präsenz und Durchsetzung der jeweiligen Agenda vor Ort ein und ist somit nur ein effizienteres Besatzungsregime. Was zwar mit weniger Militär, aber eben doch nur mit Militär funktionieren soll.

Interviewer: Nun gibt es auch hier zu Lande in der Friedensbewegung seit einiger Zeit verschieden Diskussionen um zivile Konfliktbearbeitung. Auch in diese Diskussion spielt immer wieder das Stichwort zivilmilitärische Zusammenarbeit, das ja ein ziemlich breites Spektrum abdecken kann, hinein. Und in der letzten Zeit wurde auch von Organisationen, wie dem Bund für soziale Verteidigung oder dem Forum ziviler Friedensdienst, durchaus laut in Richtung zivilmilitärischer Kooperation nachgedacht. Wie würdest du die Erfahrung oder die Analyse aus dem Experimentierfeld Afghanistan bewerten? Für die Diskussion über Konzepte der zivilen Konfliktbearbeitung, bei denen eine gewisse zivilmilitärische Kooperation vielleicht nicht von vornherein ausgeschlossen ist, in der Friedensbewegung. Kann man Erfahrungen, Rückschlüsse daraus ziehen, was man besser tun sollte oder besser nicht tun sollte?

Claudia Haydt: Ich halte diese Kooperation von zivilen und militärischen Strukturen für grundsätzlich falsch, weil aus meiner Sicht und aus Sicht derjenigen, welche die zivilen Konfliktlösungsstrategien ursprünglich entwickelt haben, ist dieses Zivile eine Alternative zum militärischen und keine Ergänzung dazu.
Es ist sogar umgedreht so je mehr man zivilmilitärische Kooperationen macht, um so mehr stellt man gewisserweise das Militär frei für seine so genannten Kernfragen, sprich für weitere Militäreinsätze. Ich sehe das so, dass zivile Strukturen von militärischen Strukturen instrumentalisiert und eingebunden werden, aber sich in dieser Verbindung nicht mehr als eigenständige Konfliktlösungsstrategien entfalten können. Und ich gehe davon aus, dass man so die Probleme in den meisten Fällen nicht lösen, sondern bestenfalls auf einem gewissen Niveau einfrieren kann. Ich gehe davon aus, dass Lösungsansätze die tatsächlich in einer Gegend auch eine Zukunftsperspektive entwickeln nur über ziviles Engagement möglich sind.

Interviewer: Siehst du dann für diese Konzepte der zivilen Konfliktbearbeitung überhaupt noch eine Zukunft? Denn da scheint mir ja durchaus der Trend in die Richtung zu gehen, dass immer mehr diese zivilmilitärischen Kooperationen diskutieren. Auch weil ein solcher Einsatz in Konfliktgebieten eigentlich gar nicht anders vorstellbar erscheint, als im Windschatten des Militärs, das da gewisser Maßen erst einmal die „Go Areas“ für die zivilen Helfer abgesteckt.

Claudia Haydt: Es gibt ja durchaus auch Beispiele für erfolgreiche zivile Konfliktlösungsstrategien oder für beinahe erfolgreiche Konfliktlösungsstrategien ohne, dass das Militär für die so genannte Sicherheit da ist. Das gleich mal vorne weg.
Aber das ist tatsächlich eine Frage der Vorstellbarkeit. Denn in der Zwischenzeit wird erklärt, dass Entwicklungshelfer gar nicht agieren können, wenn ihre Sicherheit nicht durch Militär garantiert wird. Aber ich glaube am Irak zeigt sich deutlich, dass selbst mit massivstem Militäreinsatz es nicht möglich ist Sicherheit herzustellen. Und das man sogar eher in eine Unsicherheitsfalle tappt indem man mit immer noch mehr Militär immer noch mehr effizienter Sicherheit herzustellen versucht, weil dann die Kooperation mit der Bevölkerung überhaupt nicht klappt.
Und das ist ja die grundsätzliche Frage ob man Demokratie mit Kanonen exportieren kann oder ob man nicht diejenigen vor Ort und die Selbstorganisationskompetenzen der Menschen ernst nehmen muss, ohne diese gleich durch Form des Vorgehens zu Feinden zu machen.
Ich halte das schlicht für eine Sackgasse, diese Form der zivilmilitärischen Kooperation. Statt zu versuchen, aus dem was man bisher an Ansätzen im zivilen Konfliktlösungsbereich hat, diese Ansätze zu verbessern läuft das aus meiner Sicht in eine unglaubliche Ressourcen intensive aber nicht besonders effektive Form der Intervention in globalem Kontext.

Interviewer: Soweit Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung. Vielen Dank für das Gespräch.

Autor: Christian/Kalaschnikov
Radiostation: Radio Unerhört Marburg (RUM), 90,1 MHz
Datum: 2.11.2005

Quelle: http://www.freie-radios.info/portal/content.php?id=10540