IMI-Analyse 2005/027 - in: AUSDRUCK - das IMI-Magazin (Oktober 2005)

Die Würfel fallen wieder im großen Spiel um Zentralasien: Zur Rolle der EU und Deutschlands in der Region


von: Laura Laabs | Veröffentlicht am: 11. Oktober 2005

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

20 Millionen Euro Entwicklungshilfe verspricht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Kirgistan für die nächsten zwei Jahre. Woher kommt das Interesse für diesen kleinen Staat? Die zentralasiatische Region ehemaliger Sowjet-Staaten war für Europäer lange Zeit eher ein weißer Fleck auf der Weltkarte, für den es an Informationen und sicher auch Interesse mangelte. Seit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus jedoch wurden die Staaten Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan durch ihre geostrategisch bedeutsame Lage plötzlich ins internationale Rampenlicht gerückt. Die Unruhen der vergangenen Monate taten schließlich auch dem Außenstehenden von der politischen Brisanz der Region Kunde.

Darüber hinaus befinden sich in der unterentwickelten kaspischen Region, in der die Menschenrechte keineswegs als bindend erachtet werden [1], die weltweit größten unangezapften Quellen fossiler Brennstoffe. Schätzungen sprechen von bis zu 243 Milliarden Barrels Rohöl, über die die Region verfügt. Allein Azerbaijan und Kasachstan besitzen vermutlich über das Dreifache der US-Rohstoffreserven.[2] Kein Wunder also, dass im letzten Jahrzehnt ein Wettlauf um die Vormachtsstellung in dieser Region ausgebrochen ist, bei dem die EU zwar eine Außenseiterposition vertritt, aber dennoch mitläuft.

Mächtige Figuren auf dem Spielfeld

Russland versteht sich noch immer als diejenige Macht, die ein Vorrecht auf die Region hat und beäugt deswegen vor allem die Versuche der Einflussnahme auf Zentralasien seitens der USA misstrauisch. Seit deren Krieg gegen Afghanistan breiten sich die US-Amerikaner in der Region aus. Im Oktober 2001 nahmen sie eine Militärbasis in Usbekistan und Anfang 2002 den Luftwaffenstützpunkt Manas nahe der kirgisischen Hauptstadt in Betrieb, auch Kasachstan und Tadschikistan erklärten sich zur Unterstützung des „Kampfs gegen den Terror“ bereit.[3] Als Gegenleistung für die Kooperation mit den USA können die zentralasiatischen Staaten steigende Entwicklungshilfen und wirtschaftliche Investitionen erwarten. Da sich aber Washington kritisch gegen das brutale Niederschießen der Unruhen in Usbekistan im Mai diesen Jahres äußerten, bekam die Regierung der zentralasiatischen Republik einen Anlass, das US-Militär des usbekischen Stützpunktes zu verweisen.[4] Hinter dieser Entscheidung wird auch wachsender Druck der SCO (Shanghai Cooperation Organization) gestanden haben, einer zentralasiatische Organisation für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Separatismus und Terrorismus, in der unter anderem Russland, China und auch Usbekistan Mitglieder sind. Im Interesse dieser Organisation liegt es, den Einfluss der USA auf Zentralasien zu schwächen, während die Positionen Russlands und der aufstrebenden Macht China gestärkt werden soll.[5] Eine russische Nachrichtenagentur meldet aber, dass die US-Strategen bereits Aussicht auf einen neuen Stützpunkt in Turkmenistan haben [6], das kein SCO Mitglied, aber auch besonders undemokratisch und nachlässig gegenüber der Einhaltung der Menschenrechte ist.
Die Gesellschaften der jungen Staaten Zentralasiens bemühen sich um eine Identitätsfindung zwischen islamischer Herkunft, sozialistischer Prägung und westlichem Einfluss und geraten dabei zusätzlich in das Spannungsfeld von Russland, den USA und China. Die Großmächte haben sich in Zentralasien zu einer Neuauflage des Great Game zusammengefunden, das schon einmal während des Imperialismus im 19. Jahrhundert gespielt wurde. Der Untertitel lautet „Ökonomie statt Demokratie“. Ziel des Spiels ist es weniger, den Kampf gegen internationalen Terrorismus noch für die Einhaltung der Menschenrechte voranzutreiben, sondern Pipelines so zu legen, dass sie durch den eigenen Einflussbereich verlaufen. Für die USA bedeutet das zum Beispiel, eine Pipeline zu bauen, die sowohl russisches als auch OPEC-Territorium umgeht.[7] Sieger ist derjenige, der den größten geopolitischen Machtgewinn durch Einflusserweiterung erzielt, der die meisten neuen Märkte erschließt und sich möglichst viele Rohstoffe sichert.

Welche Karten haben die EU und Deutschland auf der Hand?

Die 20 Millionen Euro, die das BMZ Kirgistan kürzlich zusicherte [8], werden mit der Forderung nach Strukturreformen im Land und einer beratenden Funktion Deutschlands in der kirgisischen Wirtschaft verknüpft. Außerdem hofft man, dass sich deutsche Unternehmen profitabel an der Sanierung der kirgisischen Stromerzeugung beteiligen können. Zur Strategie der EU gehört es, sich durch wirtschaftlichen Einfluss auch politischen zu verschaffen. Erklärtes Ziel ist es dabei, Zentralasien von Russland unabhängig zu machen und die marktwirtschaftliche Entwicklung zu fördern [9], also zu liberalisieren. Die zentralasiatischen Märkte wirken bereits sehr westlich geprägt. Ein europäischer Reisender wird auch in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek den ihm bekannten aufdringlichen Werbeplakaten nicht entkommen. 137 Unternehmen mit deutschem Kapitalanteil und 70 deutsche Firmenvertretungen, darunter DaimlerChrysler, Siemens und BASF, gibt es in Usbekistan. Europäische Banken verdienen am Baumwollhandel.[10] In Kasachstan gibt es das Jointventure Unternehmen Kazgermunai, an dem RWE beteiligt ist und das Öl fördert.[11] So spielt auch Deutschland eine Nebenrolle im letzten Ölrausch der Welt.

Man wünschte sich, dass es stimmte und Europa mit den wirtschaftlichen Projekten in Zentralasien auch die gesellschaftliche Entwicklung der Länder vorantreiben will, doch Zweifel drängen sich auf. Denn neben den umworbenen Branchen, wie der der Energie, in die investiert werden, sind große Teile der Volkswirtschaften noch immer marode, herrscht Korruption und Misswirtschaft, während die Bevölkerung verarmt. Verlässt man in Bischkek die großen Einkaufszentren, gibt es noch immer jene kleinen Basar-Händler, die von weniger als 28 Dollar im Monat [12] leben müssen. Während Europa in die profitablen Branchen investiert um seinen Einfluss zu erhöhen, spalten sich die Gesellschaften Zentralasiens in Gewinner und Verlierer der Marktwirtschaft. Einer demokratischen Entwicklung ist das nicht zuträglich.

Nachlässigkeiten bei den Regeln

In Europa gerät man vor Bemühungen um die Durchsetzung der Menschenrechte in der Region nicht gerade ins Schwitzen. Das deutsche Außenministerium berichtet von den guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Turkmenistan, dessen wichtigster EU-Handelspartner die BRD ist.[13] Es werden in diesem Zusammenhang keinerlei moralische Einschränkungen gegenüber einem Land unternommen, in dem sich der Regierungschef auf Lebenszeit hat wählen lassen und zu dem sich amnesty international regelmäßig besorgt äußert.[14] Es gibt in Turkmenistan keine rechtsstaatliche Grundlage und Menschen werden willkürlich verhaftet, gefoltert und getötet. Anstatt seinen wirtschaftlichen Einfluss zu nutzen, um Druck auf das turkmenische Regime auszuüben, äußert sich Deutschland nur halbherzig kritisch und verdient Geld statt Respekt.

Auch der deutsche Militärstützpunkt im usbekischen Temerz, als dessen Legitimation die sichere Versorgung der deutschen Truppen in Afghanistan gilt, wird aufrechterhalten. 300 deutsche Soldaten sind hier stationiert, die ihr ehemaliger Kommodore Oberst Ochs als „prächtige Truppe“ bezeichnet.[15] Vielleicht hat der usbekische Staatschef eine ähnliche Meinung, oder es muss einen anderen Grund dafür geben, warum die US-Truppen des Landes verwiesen wurden und die deutschen nicht. Womöglich weil die Amerikaner im Vergleich zu den Deutschen eher als eine vereinnahmende Macht gesehen wurden, die es loszuwerden galt. Vielleicht aber auch, weil die USA der Kritik am Verhalten der usbekischen Regierung während der Aufstände Taten folgen ließ und Deutschland nicht.[16]

Der Heimvorteil

Bei den Bemühungen, den eigenen Einfluss in Zentralasien zu erweitern, hat das deutsche Außenministerium noch ein Ass im Ärmel. In fast allen Staaten der Region gibt es Enklaven von Menschen deutscher Herkunft, die zwar seit Generationen in Asien leben, die Deutsche Sprache und Kultur jedoch beibehalten haben. Die blankesten Schrankwände in Kirgisien wird man in der Enklave Rotfront finden. In Kasachstan, wo heute noch etwa 300.000 [17] Frauen und Männer deutscher Herkunft leben, kann die BRD als ein faktischer Schutzstaat für diese Minderheit auftreten und so Einfluss auf innenpolitische Entscheidungen nehmen. Seit Ende des Kalten Krieges kam es jedoch zu massiven Auswanderungen der Asiendeutschen zurück nach Europa, denen Berlin nun durch großzügige finanzielle Unterstützung der Minderheiten entgegenwirkt.[18] Das Resultat sind verhältnismäßig gut ausgebaute kulturelle Beziehungen zu Zentralasien, auch im Bildungsbereich, sodass Deutsch eine der wichtigsten Fremdsprachen in der Region ist.

Jedoch hat die Mittelmacht Deutschland, wie in den meisten Bereichen, Probleme sich gegen die Projekte der Großen durchzusetzen. Während CDU und CSU sich im Jahre 2001 eine strategische Einflussnahme Deutschlands auf den Verlauf der Ölpipelines in Zentralasien wünschte [19], verwies der Zentralasienexperte der Bundesregierung Johannes Pflug in einer Bundestagsdebatte darauf, dass es sich dabei um „Wunschträume“ handelt und Deutschland sich realistisch betrachtet nur einen Zugang zu den Märkten der Region sichern und dort Öl kaufen könne. Interessant ist es aber, in welcher Rolle sich Deutschland im Traum sieht und in welcher Liga auch unsere Politiker gerne spielen würden, wenn sie die Macht dazu hätten. Joschka Fischer erklärte bei der gleichen Gelegenheit, dass Deutschland allein ohnehin kaum Möglichkeiten habe, im „Hinblick auf Frieden, Entwicklung und Menschenrechte“ etwas zu erreichen, sondern nur in Zusammenarbeit mit der EU und der OSZE etwas unternehmen könne.
Es ist fraglich, ob man mit diesen Mitspielern Regeln durchsetzen wird, die verhindern, dass Zentralasien lediglich die Rennstrecke für den Wettlauf der Großmächte bleibt, dessen Gewinner noch nicht fest steht, bei dem es aber bereits Verlierer gibt.

Anmerkungen

[1] Vgl. International Helsinki Federation for Human Rights (2003) „Human Rights in the OSCE Region: Europe, Central Asia and North America, Report 2003“.
[2] Siehe Kleveman, Lutz (2003) „Oil wars: from Central Asia to Iraq“ , in „Open Democracy“, online global magizine. Trotz dieser hohen Schätzungen sollte erwähnt werden, dass sich die bislang tatsächlich gefundenen Ölvorkommen geringer herausgestellt haben als erwartet.
[3] Siehe Freitag-Wirminghaus, Rainer (2002) „Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September: Geopolitische Interessen und der Kampf gegen den Terrorismus“, in Bundeszentrale für politische Bildung (2002) „Achse des Bösen?“.
[4] Siehe „US Truppen sollen abziehen“, in „Spiegel online“, 30.7.2005.
[5] Heyden, Ulrich (2005) „US soldaten sollen Usbekistan verlassen“, in „Deutsche Allgemeine Zeitung, die deutsch-russische Wochenzeitung in Zentralasien“.
[6] RIAN Novosti, Meldung: „Experten: Stationierung des US-Militärs in Turkmenien – ein beunruhigendes Signal für Russland“, vom 6.9.2005.
[7] Vgl. „Das neue Große Spiel um Zentralasien“, in „Suedasien Info“, unter www.suedasien.net/themen/interviews/rashid_zentralasien.htm, Stand 9.9.2005.
[8] BMZ, „Deutschland unterstützt Kirgisien nach Präsidentschaftswahlen“, Pressemitteilung vom 31.8.2005.
[9] Vgl. „Zentralasienkonzept der Bundesregierung“ (2002).
[10] Siehe Auswärtiges Amt (2004) „Beziehungen zwischen Usbekistan und Deutschland“ unter www.auswaertiges-amt.de, Stand 9.9.2005.
[11] Siehe www.rwe-dea.com, Stand 9.9.2005.
[12] Vgl. Fischer Weltalmanach 2005.
[13] Siehe Auswärtiges Amt (2004) „Beziehungen zwischen Turkmenistan und Deutschland“, unter www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?type_id=14&land_id=177, Stand 9.9.2005.
[14] Amnesty international (2003) „Länderkurzinfo, Turkmenistan“, unter http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/LK2003002/, Stand 9.9.2005.
[15] Bundeswehr (2004), Meldung: „Kommandoübergabe im Einsatzgeschwader Termez“, vom 17.12.2004.
[16] Vgl. „Spiegel online“ (2005), „Bundeswehr bleibt auch nach Abzug der USA“, vom 1.8.2005
[17] www.wikipedia.org/wiki/Kasachstandeutsche, Stand 9.9.2005.
[18] Vgl. Bundesministerium des Inneren (2005), Meldung: MdB Kemper: „Deutsche Minderheit in Kasachstan kann optimistisch in die Zukunft blicken!“, vom 14.6.2005.
[19] Siehe „Bundestagsprotokoll der Debatte vom 22. Juni 2001 über Armenien, Aserbaidschan und Georgien“, unter: www.deutsch-armenische-gesellschaft.de/dag/rbkkdbtag.htm, Stand 9.9.2005.