Pressebericht - in: junge Welt vom 14.02.2005
Schröder will neue NATO
Bundeskanzler fordert bei Münchner Sicherheitskonferenz Neuausrichtung der westlichen Militärallianz. Massive Polizeiübergriffe auf Antikriegsdemonstration
von: Nick Brauns / junge Welt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 15. Februar 2005
Als Kampfansage an die USA muß die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Münchner Sicherheitskonferenz verstanden werden, in der er am Wochenende für eine grundlegende Neugestaltung des Verhältnisses von NATO und Europäischer Union plädiert. Die NATO sei »nicht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren«, hieß es in der aufgrund einer Erkrankung Schröders von Verteidigungsminister Peter Struck verlesenen Erklärung. Zwar sei weiterhin eine enge transatlantische Bindung im europäischen wie amerikanischen Interesse. »Aber bei der Umsetzung dieses Grundsatzes in praktische Politik kann nicht die Vergangenheit der Bezugspunkt sein, wie das so oft in transatlantischen Treueschwüren der Fall ist.«
Der Dialog zwischen den USA und der EU entspreche in seiner heutigen Form weder dem wachsenden Gewicht der EU noch den neuen strategischen Herausforderungen, die »sämtlich jenseits der alten Beistandszone des Nordatlantikpaktes« lägen, so Schröder weiter. Der Kanzler forderte eine grundlegende Wandlung der NATO aufgrund des wachsenden Gewichts der EU. Eine Reformkommission hochrangiger Vertreter von NATO und EU solle berufen werden, um bis Anfang 2006 Vorschläge auszuarbeiten. Für Deutschland verlangte er einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat, da das Land durch sein Engagement in zahlreichen Krisenregionen der Welt eine gewachsene Bedeutung in der Weltpolitik habe. Das NATO-Bündnis »zeige viel Energie und Vitalität«, widersprac
hen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Samstag dem deutschen Kanzler deutlich.
8000 Kriegsgegner ließen sich weder vom Konferenzmotto »Frieden durch Dialog« noch durch die Teilnahme von UN-Generalsekretär Kofi Annan vom Charakter der Sicherheitskonferenz täuschen. »Ihr Job ist der Krieg«, erklärte Claus Schreer vom Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz am Samstag bei der Auftaktkundgebung am Marienplatz. Die Verleihung einer Friedensmedaille durch »berufsmäßige Kriegsbrandstifter« an den UN-Generalsekretär sei, als ob die Drogenmafia einen Preis »Keine Macht den Drogen« stiften würde. Auch der parteilose Europaabgeordnete Tobias Pflüger wies die Friedensrhetorik der Sicherheitskonferenz zurück »Es ist der Frieden der westlichen Staaten gegen die Menschen im Süden. Dieser Frieden bedeutet für viele Menschen Krieg und dagegen protestieren wir hier.«
Von einem Polizeispalier begleitet zogen die Demonstranten in die Nähe des Tagungshotels Bayerischer Hof. Der Protestzug wurde mehrfach von der Polizei angegriffen. Zahlreiche Demonstranten wurden durch Pfefferspray oder Schlagstöcke verletzt. Einem 21jährigen wurden mehrere Zähne ausgeschlagen. Angeblich seien auch Flaschen geworfen worden. Bis Samstag abend wurden 49 Demonstranten verhaftet und vier »vorbeugend« in Gewahrsam genommen, unter anderem »wegen langer Nieten an der Kleidung«, wie ein Polizeisprecher erklärte. Alle Festgenommenen kamen in der Nacht zum Sonntag wieder frei.