IMI-Analyse 2005/001 - in: INAMO, Jg. 10, Heft 40, Winter 2004, S. 4-9.

Syrien unter Bashar al-Asad: Strukturen und Herausforderungen


von: André Bank / Carmen Becker | Veröffentlicht am: 21. Januar 2005

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Viereinhalb Jahre nach dem Amtsantritt Bashar al-Asads als Präsident in Syrien ist von der anfänglich spürbaren Aufbruchstimmung nur noch wenig geblieben. Man ist schon lange wieder zum politischen Tagesgeschäft übergegangen, das sich kaum von dem während der fast dreißigjährigen, autoritären Herrschaft von Bashars Vater Hafiz al-Asad unterscheidet. Trotz eines weitreichenden Personalwechsels in der Elite und Verschiebungen in der Regimestruktur haben sich nur geringfügige Veränderungen der Politikinhalte ergeben. Dies gilt insbesondere für den Bereich politischer Freiheiten, wo eine nur eingeschränkte Pluralisierung festzustellen ist. Bashar al-Asads Prioritäten liegen statt dessen in der schrittweisen Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung, in denjenigen Feldern also, aus denen mittel- und längerfristig wohl am ehesten innergesellschaftliche Herausforderungen für die Regimestabilität erwachsen könnten. Außenpolitisch bedeutsam ist vor allem das gespannte Verhältnis zu den USA.

Seit Anfang der 1970er Jahre besteht in Syrien ein autoritär-repressives Präsidialregime mit neopatrimonialen Zügen. Der „Erfolg“ dieses Systems, das heißt seine Stabilisierung und Konsolidierung nach einer Periode vielfältiger interner Brüche und ständiger Machtwechsel in den Jahrzehnten nach der formellen Unabhängigkeit 1946, hing aufs Engste mit dem Auf- und Ausbau starker Institutionen und deren direkter Kontrolle durch die Regimeelite unter der Führung von Präsident Hafiz al-Asad zusammen.[1]
Zwischen 1970 und 2000 war Präsident Hafiz al-Asad die alles entscheidende Quelle politischer Macht, das syrische System wurde zu „Suriya al-Asad“: Bereits de jure, laut Verfassung, war er als wichtigste Figur der Exekutive keinem System der checks and balances unterworfen und somit außerhalb von legislativer und judikativer Kontrolle. Seinerseits konnte Asad die Regierung absetzen und das Parlament auflösen. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte unterstand ihm zudem das Militär und mit der Ernennung der Geheimdienst- und Polizeichefs übte er direkte Kontrolle über das interne Sicherheitsestablishment aus. Schließlich war er Generalsekretär der syrischen Ba'th-Partei. Somit stand Asad bereits formell den drei zentralen, hierarchisch strukturierten Institutionen Staatsbürokratie, Sicherheitsapparat und Ba'th-Partei vor, die zusammen einen hohen Grad an staatlicher Durchdringung der Gesellschaft erlaubten.
De facto waren diese bereits umfangreichen Kompetenzen aber noch umfassender: Denn ganz im Sinne des Neopatrimonialismus stand der Präsident an der Spitze eines weitverzweigten, informellen Klientelnetzes, das die wichtigsten Institutionen durchzog und das er über die Vergabe von Patronagemöglichkeiten „von oben“ lenkte. Unterstützt wurde dieses System durch Asads Verfügungsgewalt über politische Renten sowie durch die Tolerierung korrupter Praktiken, vor allem durch die überwiegend alawitisch-militärische Kernelite, die ihre privilegierte Stellung in erster Linie ihrer persönlichen Nähe und Loyalität gegenüber dem Präsidenten verdankte. Zu den wichtigsten Entscheidungsträgern gehörten folglich Angehörige von Asads Familie sowie langjährige Weggefährten, wie Vizepräsident Abd al-Halim Khaddam (seit 1984), Verteidigungsminister Mustafa Tlas (1972-2004) und Außenminister Faruk al-Sharaa (seit 1984).
Der Herrschaftszugang hing somit entscheidend von der individuellen Einbindung in Patron-Klienten-Netzwerke ab. Das äußerst eingeschränkte Wahlrecht sowie die vom Regime kooptierten Parteien und korporatistischen Massenorganisationen spielten hierfür lediglich eine untergeordnete Rolle. Vom Regime autonome, zivilgesellschaftliche Vereinigungen konnten sich nur marginal entwickeln. Anders als in Demokratien besaß das Parlament zudem kaum Gesetzgebungskompetenz; es fungierte als begrenzt pluralistisches Diskussionsforum, als weiterer Patronagekanal und wurde zur Anbindung herrschaftsrelevanter Gruppierungen, wie Stammesscheichs, religiöser Führer und Unternehmer instrumentalisiert.[2]
Hafiz al-Asad herrschte also primär repressiv und kooptativ. Zusätzlich versuchte er aber auch, als Garant staatlicher Stabilität und Einheit aufzutreten, um somit die eigene, abgehobene Stellung im syrischen System zu legitimieren. Die Militarisierung der Gesellschaft wurde mit Verweis auf Syriens vermeintliche Rolle als Sachwalterin arabischer Interessen gegen Israel gerechtfertigt und der in den 1970er Jahren noch vorhandene Populismus, der sich vor allem an die agrarische Mittelschicht richtete, war zum Ende seiner Herrschaft hin lediglich noch in Restbeständen vorhanden. Statt einer geschlossenen Weltanschauung, wie sie für totalitäre Systeme charakteristisch ist, wurde im autoritären Syrien ein massiver Personenkult um den langjährigen Präsidenten Hafiz al-Asad gepflegt, der bisweilen auch absurde Formen annahm.[3]

Die dynastische Nachfolge

Bei seinem Tod im Juni 2000 – nach knapp dreißigjähriger Herrschaft – hinterließ Hafiz al-Asad seinem Sohn Bashar ein stabiles, autoritäres Regime. Grund für den reibungslosen Machttransfer war die Tatsache, dass die quasi-dynastische Nachfolge – ein bis dato einmaliger Vorgang in arabisch-republikanischen Systemen – über Jahre hin vorbereitet und potentielle Gegenkandidaten für das Präsidentenamt erfolgreich ausgeschaltet wurden. Entscheidende Wegbereiter der Nachfolge Bashar al-Asads waren enge Vertraute seines Vaters in der Kernelite, allen voran Ex-Verteidigungsminister Tlas, die am Weiterbestehen des herrschaftspolitischen Status Quo interessiert waren und ihre privilegierten Positionen erhalten wollten. Mit der Unterstützung Bashar al-Asads konnten sie sich dessen gewiß sein.
Bashar al-Asad erschien als geeigneter Kandidat für das syrische Präsidentenamt, da er die für Nachfolgeprozesse in personalistischen Systemen zentrale Mischung aus Kontinuität und Wandel verkörperte: Zum einen stand er als Kind des Regimes und Sohn des Präsidenten für die Kontinuität der bestehenden Ordnung, zum anderen symbolisierte er aber auch Veränderung. Letzteres bezog sich auf das Bild des jungen, gut ausgebildeten und „sauberen“, das heißt „nicht korrupten“, Politikers, der am Puls der Zeit ist, sich mit neuen Technologien und Medien auskennt und der in der Lage scheint, die vielfältigen Probleme des Landes anpacken zu können. Als Erbe des Vaters und Repräsentant der jüngeren Generation, die in Syrien die Bevölkerungsmehrheit ausmacht, konnte er so sich einer breiten, gesellschaftlichen Unterstützerbasis sicher sein.

Verschiebungen in der Regimestruktur

Der Legitimitätsbonus und die Vorschußlorbeeren, die dem neuen Präsidenten von Teilen der syrischen Bevölkerung entgegengebracht wurden, bedeuteten aber auch eine politische Bürde, der er erst einmal gerecht werden mußte. Die entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung von Bashar al-Asads politischen Prioritäten bestand in der Konsolidierung seiner Position innerhalb der Kernelite. Dies stellte sich als ein herrschaftspolitisch schwieriges Unterfangen dar, da er zwar die formell weitreichenden Herrschaftskompetenzen seines Vaters erbte, aber keinesfalls auch über dessen Erfahrung und hegemoniale Kontrolle der intraelitären Klientelnetzwerke verfügte. Angesichts dieser Konstellation ist Volker Perthes zuzustimmen, der für die Anfangszeit von Bashar al-Asads Herrschaft in Syrien von einer Art kollektiven Führung ausgeht, der der junge Präsident zwar auch angehörte, die aber seinen Handlungsspielraum in verschiedenerlei Richtung einschränkte.[4]
Zu dieser politischen Führungsriege zählten neben den oben genannten Tlas,[5] Sharaa und Khaddam noch weitere Personen, die noch von Hafiz al-Asad in einflußreiche Positionen gehievt wurden. Neben dem im März 2000 ernannten Ex-Ministerpräsidenten Muhammad Mustafa Miru sind dies unter anderem der Chef des militärischen Geheimdienstes, der stellvertretende Ba'th-Generalsekretär sowie Muhammad Makhluf, ein Onkel des Präsidenten. Makhluf hat zwar weder ein Amt in Partei, Staatsbürokratie oder Sicherheitsapparat inne, er kontrolliert aber ein weitverzweigtes Klientelnetzwerk und Geschäftsimperium, das Syrer als „die Mafia“ bezeichnen. Hierdurch ist es ihm möglich, erheblichen Einfluss auf wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen auszuüben.
Neben diesen Personen, die ihre Position noch Hafiz al-Asad verdankten, sind aber auch sukzessive neue Gesichter in die Kernelite aufgestiegen, die als Klienten Bashars angesehen werden können. Hierzu gehören Maher al-Asad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Offizier der Palastwache, der stellvertretende Leiter des militärischen Geheimdienstes und Schwager Bashars, Asef Shawkat, Innenminister Ali Hammud (seit Oktober 2004 ersetzt durch Generalmajor Ghazi Kanaan), der Leiter des allgemeinen Geheimdienstes sowie der Chef der Innenpolitischen Abteilung des Geheimdienstes. Mit der Ernennung dieser Personen im Sicherheitsapparat – dem für die Regimestabilität sensibelsten Bereich – ist es Bashar al-Asad gelungen, sich nach etwa zwei bis drei Jahren als primus inter pares innerhalb der syrischen Kernelite zu etablieren. Diese Verschiebung in der Regimestruktur manifestierte sich auch im gegenwärtigen Kabinett unter Ministerpräsident Naji al-Utri, der im September 2003 von Bashar al-Asad ernannt wurde. Zusammen mit al-Utri gehören einige Minister, insbesondere diejenigen mit Portfolios in Wirtschafts-, Finanz-, Kommunikations- und (Aus)Bildungsfragen, zum engsten Kreis politisch einflussreicher Entscheidungsträger und Berater.

Umfassender Personalwechsel

Die entscheidende Voraussetzung für den sukzessiven Autonomiegewinn Bashar al-Asads innerhalb der Kernelite stellt sein „von oben“ eingeleiteter, gradueller Personalwechsel in verschiedenen Politikbereichen dar. Dabei offenbarte sich das Muster, dass sich der Präsident zunächst mit der Ernennung neuer Provinzgouverneure, Bürgermeister und Stadtratsmitglieder sowie dem regionalen Führungspersonal der Ba'th eine loyale Basis in den diversen Regional- und Lokalverwaltungen von Staat und Partei schuf. Zudem wurde eine Vielzahl von Chefredakteuren und Intendanten in den staatlichen Medien (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen), die die öffentliche Meinung im autoritären Syrien prägen, ausgetauscht. Mit dieser herrschaftspolitischen Absicherung machte sich Bashar al-Asad dann schrittweise an die Umbesetzung der heikleren Posten im Sicherheitssektor.
Insgesamt fand seit dem Amtsantritt Bashar al-Asads der umfassendste Personalwechsel seit Bestehen des Regimes Anfang der 1970er Jahre statt. Typischerweise ging hiermit auch eine Verjüngung der politischen Elite einher. Und neben den Vertretern des Sicherheitsestablishments, die weiterhin stark aus dem engsten Familien- und Vertrautenkreis des Präsidenten stammen, läßt sich auch konstatieren, dass eine oftmals im westlichen Ausland erworbene, höhere Ausbildung, vor allem in Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften und in Informatik, eine notwendige Zugangsberechtigung für politisch einflussreiche Posten geworden ist. Entscheidendes Rekrutierungskriterium dieser Newcomer, die bisweilen als „Bashars Technokraten“ bezeichnet werden, ist aber weiterhin die persönliche Nähe und Loyalität zum Präsidenten.

Begrenzte politische Freiheiten

Die Parlamentswahlen im Frühjahr 2003 fanden noch nach dem alten System statt, das automatisch eine Mehrheit für die Ba'th festsetzt. Von insgesamt 250 Parlamentssitzen fielen 178 an neue Inhaber. Unter den 87 Unabhängigen setzte sich ein Trend fort, der bereits unter Hafiz al-Asad einsetzte. Vermehrt setzten sich Freiberufler und Geschäftsleute in Wahlen durch. Einige von ihnen fielen durch umfangreiche und teure Werbekampagnen auf, ein in dieser Form eher neues Phänomen in Syrien. Dadurch werden neue gesellschaftliche Akteure einbezogen, deren wirtschaftliches Fachwissen, unternehmerischer Sachverstand und intellektuelle Fähigkeiten für eine Modernisierung unverzichtbar sind.
Der Spielraum der Parteien der Nationalen Fortschrittsfront, die neben der Ba'th legal existieren, wurde ausgeweitet. Erstmals seit den 1960er Jahren dürfen sie eigene Parteibüros in den Provinzen unterhalten, eigene Zeitungen öffentlich verbreiten und politisch an den Universitäten tätig werden.[6] Alle Parteien außerhalb der Front sind offiziell illegal. Dennoch konnte die Syrische Soziale-Nationalistische Partei in Damaskus ein Büro in stiller Übereinstimmung mit dem Regime eröffnen. Während der Parlamentswahlen wurden zwei ihrer Kandidaten als Unabhängige zugelassen.[7] Ebenso toleriert das Regime die Aktivitäten der kritischen, national-demokratischen Versammlung. Sie umfaßt verschiedene nasseristische und kommunistische Gruppierungen, die sich der Anführung der Front durch die Ba'th widersetzen.[8] Dennoch läßt das Regime einen freien Wettbewerb um politische Programme weiterhin nicht zu. Die Medien werden auch unter dem neuen Mediengesetz kontrolliert. Freiräume haben sich allenfalls für Unterhaltungs- und kommerzielle Medien ergeben. Auch auf die Periode relativer Offenheit nach der Machtübernahme – Damaszener Frühling genannt, in dem zivilgesellschaftliche Gruppen unter anderem Demokratisierung, die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Beachtung der Menschenrechte forderten – folgten Repressionen in Form von Verhaftungen und Denunzierungen. Modernisierung findet in Syrien in autoritären Strukturen statt, die vom Regime vorerst nicht in Frage gestellt werden.

Wirtschaftliche Modernisierung

Mit Bashar al-Asad setzte ein wirtschaftlicher Reformprozess ein, der die Reformanstrengungen unter Hafiz al-Asad in den 1990er Jahren bei weitem übertrifft. Im Zentrum der Modernisierungsbemühungen stehen die Aktivierung des Privatsektors und privater Investitionen, die Verringerung bürokratischer Hindernisse sowie die Durchsetzung eines gewissen Maßes an Rechtssicherheit für Investoren. Außerdem sollen Führungskader qualifiziert, die Bildung verbessert, Informationstechnologien verbreitet sowie Arbeitsplätze geschaffen werden.
Zunächst wurde der Devisenbesitz legalisiert, der zuvor mit Geld- oder Gefängnisstrafen geahndet werden konnte. Es folgte ein neues Bankengesetz, das zum ersten Mal seit 1963 die Bildung privater Banken in Syrien erlaubt. Die ersten Privatbanken öffneten unter libanesischer Führung aber erst im Frühjahr 2004. Außerdem trat ein Gesetz zum Schutz des Bankgeheimnisses in Kraft. Auch das multiple Währungssystem Syriens wurde vereinfacht und die syrische Lira ihrem Weltmarktwert angenähert.[9] Zum ersten Mal nach 22 Jahren wurden die Zinsen um ein Prozent gesenkt, um Unternehmer zur Aufnahme von Krediten anzuregen und Investitionen in die syrische Wirtschaft anzukurbeln. Die Liste derjenigen Produkte, die vom Privatsektor importiert werden dürfen, wächst langsam an. Seit neuestem gehören Reis, Zucker und Autos dazu. Auf die zugelassenen Produkte müssen verschiedenste Zollabgaben entrichtet werden, die je nach Produkt zwischen einem und zweihundert Prozent liegen. In letzter Zeit wurde das Außenhandelssystem teilweise vereinfacht, die Benachteiligung der Importeure gemildert und Außenhandelsbarrieren reduziert.
Im August 2001 erließ der Präsident ein Dekret, dass die Einrichtung privater Bildungsinstitution

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en ermöglicht. Im September 2002 ging die erst virtuelle Universität der arabischen Welt an den Start. Im März 2003 folgte die Lizenzvergabe für zwei Privatuniversitäten. Die Reformen sollen dazu beitragen, ein „nationales Innovationssystem“ aufzubauen und entrepreneurs sowie technopreneurs auszubilden.[10] Nach dem Vorbild und in Zusammenarbeit mit der französischen École Nationale d'Administration wurde das National Institute of Administration für die Ausbildung von führenden Verwaltungsexperten eingerichtet. Ein Schwerpunkt sind dabei Kommunikationstechnologien. Die Regierung hat Computerunterricht in den Schulen eingeführt sowie eine Kampagne zur Ausbreitung von Internetanschlüssen und zur Förderung der lokalen Herstellung von relativ günstigen Computern initiiert.
Zwar hat der Staatssektor seine führende Rolle gegenüber dem Privatsektor mittlerweile weitgehend eingebüßt, doch sind vielfältige Interessen mit ihm verknüpft, die sein Bestehen bis zu einem gewissen Grad schützen. So steht eine Privatisierung der staatlichen Firmen nicht auf dem Reformprogramm. In diesem Zusammenhang unterstrich der Wirtschaftsminister, dass es aufgrund der syrischen Besonderheiten keine Privatisierung, wohl aber eine gewissen Beteiligung des Privatsektors geben soll.[11] Einige staatliche Unternehmen sollen ein unabhängiges Management erhalten, das nach den Logiken des freien Marktes operiert. Auch sollen die Strukturen modernisiert und in die Ausbildung der Arbeiter investiert werden.[12] Im März 2003 stellte die Regierung zwei Milliarden US-Dollar zur Sicherung und Neuschaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung. Das neu gegründete Komitee zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit soll damit über Projekte im öffentlichen Sektor neue Arbeitsplätze schaffen und alte bewahren.[13]
Die politische Kontrolle über weite Teile der Ökonomie wird in veränderter Form und im modernen Gewand beibehalten. Offiziell lautet die Begründung gegen eine Privatisierung des Staatssektors, daß dies soziale Unruhen hervorrufen würde. Widerstand gegen Reformen kommt auch aus den Reihen der staatlich-privaten Netzwerke der Regierung und des Sicherheitsapparates, deren Interessen mit der Existenz eines staatlichen Sektors verknüpft sind. Ein gutes Beispiel liefert die Kontrolle über den Außenhandel: Der Außenhandel hat zwar von einer Vereinfachung bzw. Verringerung der Zölle und Zollbestimmungen profitiert. Über Lizenzvergabe und Import- bzw. Exportlisten bleibt aber die staatliche Kontrolle erhalten. Das staatliche Monopol auf den Handel mit einigen Gütern ist zum einen weiterhin zentral für die Preisbildung wichtiger importierter Produkte auf den syrischen Binnenmarkt und für den Schutz einheimischer (Agrar-)Industrien, deren Produkte vom Staat abgekauft werden. Zum anderen gilt allgemein, daß der Schmuggel von Waren um so lukrativer ist, je höher die Handelshemmnisse sind. Wird eine Ware zum Import freigegeben, so betrifft dies den Schmuggel, der nun legale Konkurrenz bekommt. Der Tabakschmuggel zum Beispiel nach Syrien braucht das staatliche Monopol auf Tabakimporte und die informelle Gewährung des Schmuggels durch die entsprechenden Stellen, was diesen wiederum Patronagekapazität gewährt. Vor allem Mitglieder der Sicherheitsapparate profitieren von diesen „Zusatzverdiensten“, da sie den grenzüberschreitenden Schmuggel weitgehend kontrollieren. Ebenso hängen Reichtum und Einfluß der Mitglieder der Staatsbourgeoisie und der neuen kommerziellen Bourgeoisie vom Staatssektor ab.[14] Die Staatsbourgeosie besteht aus Mitgliedern der politischen Elite des Landes und aus Managern des staatlichen Wirtschaftssektors. Ihr Reichtum entspringt zum größten Teil aus illegalen Aktivitäten. Sie haben Zugang zu Staatsland, kontrollieren Einstellungsmöglichkeiten im Staatssektor, überwachen die Lizenzvergabe an den Privatsektor für Investitionen, Im- und Export sowie die Vergabe von staatlichen Aufträgen. Die Bezeichnung Bourgeoisie ist teilweise irreführend, da sie die Produktionsmittel, welche sie benutzen, nicht privat besitzen und den Gewinn nicht unbedingt reinvestieren.
Die neue kommerzielle Bourgeoisie – auch neue Klasse genannt (al-tabaqa al-jadida) – verdankt ihren Aufstieg dem Anstieg des Staatskonsums Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre sowie persönlichen Beziehungen zu Politikern. Sie haben als Zwischenhändler bei Lieferverträgen des Staates bzw. des öffentlichen Sektors mit der in- und ausländischen Privatwirtschaft immense Kommissionen eingestrichen. Darüber hinaus verdienen viele Mitglieder dieser Klasse ihr Geld mit Handel, Investitionen in Dienstleistungen und internationalen Finanzen sowie als Lieferanten. Diese Tätigkeiten sind nicht illegal, jedoch werden häufig illegale Methoden benutzt, um die Geschäfte zu sichern. Sie machen ihre größten Geschäfte als Partner einflußreicher Personen aus dem Sicherheitsapparat, aus Politik und Bürokratie, die ihre illegalen Aktivitäten wie Schmuggel und Verkauf geschmuggelter Waren schützen und den Gewinn mit ihnen teilen.[15]
Korruption und Privatisierung öffentlicher Budgets gedeihen am besten in einem riesigen und undurchsichtigen öffentlichen Sektor, dessen Verluste automatisch von der öffentlichen Kasse getragen werden.[16] Daraus ergibt sich der innere Widerstand gegen tiefergehende, umfangreiche Reformen im öffentlichen Sektor.

Regional- und Außenpolitik

Innerhalb der Region ist Syrien bemüht, eine Isolation zu vermeiden und die USA zu beschwichtigen. Die unmittelbare Nachbarschaft großer US-Truppenkontingente sowie die uneingeschränkte amerikanische Unterstützung der Scharon-Regierung verkompliziert die Regionalpolitik für Syrien erheblich. Auch entfällt durch den Sturz des irakischen Regimes nun die Möglichkeit für Syrien, irakisches Erdöl für einen Drittel des Weltmarktpreises außerhalb des UN-Kontrollregimes und somit quasi-illegal zu importieren und dann zum vollen Weltmarktpreis weiterzuverkaufen. Dadurch entgehen der Staatskasse circa eine Milliarde US-Dollar pro Jahr. Experten schätzen, dass die syrische Staatskasse dadurch circa 15 Prozent ihres Einkommens verliert.[17] Ebenso wird die Konkurrenz um den irakischen Markt für syrische Geschäftsmänner, die zuvor für viele Güter quasi Liefermonopole und somit einen privilegierten Zugangs innehatten, nun schärfer.[18]
Die Herstellung guter Arbeitsbeziehungen zur USA sind daher zentral, vor allem nach der Verabschiedung des „Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Act“ durch den Kongress und der Androhung möglicher militärischer Konsequenzen durch die US-Administration. Bereits 1996 verfaßte eine Gruppe prominenter Politikberater ein sechsseitiges Papier für Benjamin Netanyahu, der damals als israelischer Ministerpräsident kandidierte, unter dem Titel „A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm“. Das Papier enthält Politikempfehlungen zur Sicherung der regionalen Hegemonie Israels. Die Agenda läßt sich auf fünf Punkte herunterbrechen: (1) Intensivierung der Unterstützung des US-Kongresses, (2) eine „Frieden-für-Frieden“-Strategie in Palästina, (3) Einhegung und Destabilisierung regionaler Kontrahenten, (4) Wirtschaftsreformen im Inneren und (5) Wiederbelebung des Zionismus.[19] Die Urheber dieser Schrift gehören zur neuen neokonservativen Elite in Washington: Richard Perle, James Colbert, Charles Fairbanks, Douglas Feith, u.a. Sie sind überzeugt, daß „der Sturz Saddam Husseins im Irak als ein Mittel, Syriens regionale Ambitionen zu durchkreuzen“, ein wichtiges strategisches Ziel Israels sei. In diesem Papier verschmelzen israelische und US-amerikanische Interessen in einer aggressiven, expansionistischen pro-israelischen Pax Americana. Die Macht in der Region soll weiter zugunsten Israels verschoben werden.
Obwohl die USA nach dem 11. September 2001 wichtige Informationen und Daten von den syrischen Geheimdiensten erhielt, nutzte dies dem Regime wenig.[20] Im Gegenteil: Die US-Administration ernannte Syrien stattdessen zum Schurkenstaat. Ganz im Sinne des Clean Break verlangen die USA im Syria Accountability Act u.a., daß Syrien Persönlichkeiten des ehemaligen irakischen Regimes keine Zuflucht gewährt und der roadmap nicht im Wege steht. Ferner fordert Washington den Rückzug Syriens aus dem Libanon, die Entwaffnung der Hizbullah und die Schließung der Büros radikaler Palästinenserorganisationen in Damaskus. Trotz scharfer Rhetorik nach innen verfolgt der syrische Präsident eine pragmatische Linie, indem einigen amerikanischen Forderungen, wie der Schließung der Palästinenserbüros. Die US-Administration betreibt dabei eine Politik der Eskalation gegenüber Syrien. So wurde das syrische Regime ohne Beweise angeklagt, Waffenmaterial – vielleicht auch atomares Material – aus dem Irak bei sich zu lagern. Syriens veraltete Waffenarsenale, die auch chemische Waffen umfassen, verwandelten sich in der Rhetorik der Neokonservativen in umfangreiche Depots an Massenvernichtungswaffen und in eine unmittelbare Bedrohung Israels. Außenminister Sharaa schlug im UN-Sicherheitsrat daraufhin vor, den Mittleren Osten zu einer Zone ohne Massenvernichtungswaffen unter UN-Aufsicht zu erklären. Washington war jedoch nicht interessiert. Stattdessen soll Syrien unilateral entwaffnet werden.
Trotz der UN-Sicherheitsratsresolution 1559 vom September 2004, in der der Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Herstellung vollkommener libanesischer Souveränität gefordert wird, scheint Syrien in nächster Zukunft weder seine circa 15000 Soldaten aus dem Libanon abziehen noch seinen Einfluss auf die Hizbullah oder politische Kräfte im Libanon insgesamt aufgeben zu wollen. Aus der Perspektive des Regimes braucht Syrien die Truppen im Libanon und die Hizbullah als Trumpfkarte in möglichen Verhandlungen mit Israel. Gäbe man diese auf, bevor ein Friedensvertrag ausgehandelt ist, wäre Israel nicht mehr gezwungen, mit Syrien zu verhandeln. Die Rückführung der Golanhöhen würde in weite Ferne rücken und – so die Überlegungen in Damaskus – Libanon sowie die Palästinenser würden eigene Friedensverhandlungen führen.[21]
Im Dezember 2003 wurden die Verhandlungen zum Assoziationsabkommen mit der EU nach mehr als fünf Jahren abgeschlossen. Diese neue außenpolitische Priorität unter Bashar al-Asad hat zwei Gründe: Zum einen nimmt die syrische Reformelite ein Assoziationsabkommen als Chance war, die wirtschaftlichen Reformen auf einem „sanfteren“ Weg durchzuführen. Zum anderen sind Beziehungen zur EU als politischer Ausgleich zur Übermacht der USA in der Region aus geostrategischen Gründen entscheidend. Jedoch gab es bei den Verhandlungen erhebliche Schwierigkeiten, da das EU-Assoziationsabkommen einen wichtigen Teil der sozialen Basis des syrischen Regimes bedrohen würde. Hierzu zählen die diversen Staatsunternehmen sowie bestimmte regimenahe Unternehmer und große Agrarproduzenten, die von einem privilegierten Zugang zu staatlichen Ressourcen massiv profitieren. Ein Teil der Elite steht dem Abkommen daher skeptisch gegenüber und warnt vor Einmischungen in die syrische Innenpolitik, da die EU die Einhaltung demokratischer und humanitärer Mindeststandards sowie ökonomischer Strukturreformen zur Bedingung macht. Sollte das Abkommen von den EU-Staaten ratifiziert werden, würde dies zu einer Stärkung der Reformkräfte innerhalb des Regimes führen.

Herausforderungen

Intern bleibt das Regime weiterhin unter Reformdruck. Staatseinkünfte, etwa aus dem Ölgeschäft oder den Golfstaaten, gehen zurück. Prinzipiell ist zumindest der reformorientierte Teil des Regimes und Bashar al-Asad bereit, weiterzugehen, jedoch ohne die Macht aufzugeben. In diesem Zusammenhang wäre ein Frieden mit Israel enorm wichtig. Er würde nicht nur den Tourismus in der Region ankurbeln, sondern auch das Investitionsvolumen vergrößern. Außerdem würde den Konservativen in der Elite ein Grund für die Unterdrückung zivilgesellschaftlicher beziehungsweise oppositioneller Aktivitäten abhanden kommen. Da ein Frieden mit Israel ohne die USA kaum möglich sein wird, muss sich das Regime dort, wo es seine vitalen Interessen nicht unmittelbar bedroht sieht, an die USA annähern. Aber eine Modernisierung der Verwaltung reicht alleine nicht aus. Selbst wenn die Modernisierungsbemühungen Bashar al-Asads nur auf dem wirtschaftlich-technologischen Sektor beschränkt sein sollten, müssen Rechtssicherheit und ein halbwegs unabhängiges und vertrauenswürdiges Rechtssystem aufgebaut werden. Nur dann werden gesellschaftliche Akteure in die Wirtschaft investieren.

Endnoten

[1] Vgl. Raymond A. Hinnebusch (2001): Syria. Revolution from above, London: Routledge, S. 65-88, Volker Perthes (1997): The Political Economy of Syria under Asad, London: I.B. Tauris, S. 133-202 und André Bank (2005): „Syrien“, in: Bellers, Jürgen et al. (Hg.): Handbuch der Diktaturen, autoritären und transitorischen Regime von 1975 bis zur Gegenwart, Münster: Lit, i.E.
[2] Vgl. Perthes (1997), S. 166-180.
[3] Vgl. Lisa Wedeen (1999): Ambiguities of Domination. Politics, Rhetoric, and Symbols in Contemporary Syria, Chicago: University of Chicago Press.
[4] Vgl. Volker Perthes (2004a): „Syria: Difficult Inheritance“, in: ebd. (Hg.): Arab Elites – Negotiating the Politics of Change, Boulder: Lynne Rienner, S. 89 und Volker Perthes (2004b): Syria under Bashar al-Asad: Modernisation and the Limits of Change, London: IISS, Adelphi Paper 366, S. 12.
[5] Im Mai 2004 ging einer der „Barone“ des alten Regimes, Mustafa Tlas, nach 32 Jahren an der Spitze des Verteidigungsministeriums in Pension. Er wurde durch den vormaligen Generalstabschef Hassan Turkmani ersetzt. Tlas blieb jedoch Mitglied in der Regionalführung der Ba'th.
[6] Vgl. al-Hayat, 5.2.2002, S. 3; al-Hayat 12.11.2002, S. 1.
[7] Vgl. al-Sharq al-Awsat, 3.3.2003.
[8] Vgl. al-Hayat 26.1.2002, S. 14; al-Hayat, 4.1.2002, S. 5.
[9] Vgl. Agnès Levallois (2001): „Une libéralisation économique sous contrôle“, in: Les Cahiers de l'Orient, été-automne, S. 79.
[10] Vgl. The Oxford Business Group (2003): „Syria: Syrian Virtual University charts new territory“, 14.4., Online Briefing.
[11] Vgl. al-Hayat, 18.1.2002, S. 13.
[12] Vgl. The Syria Report, Dezember 2002, S. 4 und Droz-Vincent, Philippe (2001): „Syrie: „la nouvelle génération“ au pouvoir“, in: Monde Arabe Maghreb Machrek, Nr. 173, S. 30.
[13] Vgl. Samir Seifan (2002): „Perspective de l'économie“, in: Confluences Méditerranée, Nr. 44, hiver 2002-03, S. 30 und al-Hayat, 6.3.2003, S. 11.
[14] Vgl. Volker Perthes (1991): „A look at Syria's Upper Class. The Bourgeoisie and the Ba'th“, in: Middle East Report, Mai-Juni, S. 31-37.
[15] Raymond A. Hinnebusch (2002): Syria. Revolution from above, London/New York, S. 89-92.
[16] Vgl. Volker Perthes (2001): „The Political Economy of the Syrian Succession“, in: Survival, 43, 1, S. 149.
[17] Vgl. Perthes (2004b), S. 42f.
[18] Vgl. Raymond A. Hinnebusch (2004): Syria after the Iraq War: between the neo-con offensive and internal reform, Hamburg: Deutsches Orient-Institut, DOI-Focus Nr. 14, S. 12.
[19] Vgl. Institute for Research: Middle East Policy (IRMEP) (2003): „Clean Break or Dirty War?“, in: Middle East Foreign Policy Brief, March 27.
[20] Seymour Hersh (2003): „The Syrian Bet“, in: New Yorker Magazine, July 27.
[21] Vgl. Salhani, Claude (2003): „Syria at the Crossroads“, in: Middle East Policy, X, 3, S. 136-143.

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