Dokumentation:

Abu Graib in Coesfeld?

Die Folgen der Militarisierung der EU- und der deutschen Außenpolitik zeigen sich auch im Münsterland

von: Edo Schmidt | Veröffentlicht am: 15. Dezember 2004

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Der 3. Dezember 2004 war ein ganz normaler Tag! An jenem Freitag war der irakische Regierungschef Ijad Allawi in Berlin. Er traf sich dort mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die rotgrüne Regierung hatte dem Irak wenige Tage zuvor rund 3 Mrd. Euro Schulden erlassen.

Allawi kam im Sommer 2004 durch die Invasion einer „Koalition der Willigen“ an die Macht. Zuvor, während seines Exils in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten, stand er in Diensten des britischen Geheimdienstes und der CIA. In letzterer Funktion war er nachweislich an mehreren Bombenanschlägen beteiligt und erfüllt allemal die derzeit gültige Definition eines Terroristen. Vom Terroristen zum Regierungschef eines Landes ist es offenbar nur ein kleiner Schritt. Und umgekehrt auch, wie die Situation auf der arabischen Halbinsel zeigt, auf der die wirtschaftlichen Interessen der kapitalistischen Hauptländer militärisch durchgesetzt werden. Allein in Bagdad sterben seit Beginn des Krieges im März 2003 jeden Monat rund 650 Menschen. Die systematische Folter, die in Abu Graib und in anderen Gefangenenlagern der britischen und der US-Armee zur Anwendung kam und immer noch kommt, ist nur ein Nebeneffekt dieser Art von Politik.
Aber was hatten die Regierungschefs des Irak und der Bundesrepublik im vorweihnachtlichen Berlin miteinander zu besprechen? Wollte Allawi Danke für den unbürokratischen Schuldenerlaß sagen? Hat er vielleicht noch um Unterstützung für die Wahlen im Januar im Irak gebeten? Und was hat er als Gegenleistung zu bieten? Was gibt es schon im Irak zu holen? In einem kaputtgebombten Land, das von irgendjemanden wieder aufgebaut werden will, und unter dem ein beträchtlicher Teil eines sehr begehrten Rohstoffes begraben liegt – nur etwas tiefer als die weit über 100.000 toten Kinder, Frauen und Männer, die die Besatzung dieses ölreichen Landes nicht überlebt haben.

Die Bundesrepublik war am Irakkrieg beteiligt – und ist Teil der Besatzungsmacht!

Es müssen wirklich gute Geschäfte dort im Irak warten. Man hört von Milliardenaufträgen für die Öl- und Bauwirtschaft und kann sich die westlichen Geschäftemacher gut vorstellen, wie sie wie die Geier darauf warten, daß sich der Rauch des Krieges endlich verzieht. Jenes Krieges, an dem die rotgrüne Regierung vorgibt, nicht beteiligt gewesen zu sein.
Selbstverständlich war sie an diesem Krieg beteiligt! Zum Beispiel durch die Bundeswehrsoldaten in den AWACS-Aufklärungsflugzeugen der NATO über dem Nordirak und in den Fuchs-Spürpanzern in Kuwait. Oder durch U-boot- und Raketenlieferungen an Israel und an die Türkei im Vorfeld des dritten Golfkrieges. Und auch an der Besatzung des Irak ist sie mit Rüstungslieferungen und durch Ausbildung von Polizei- und Militärkräften beteiligt. Denn die Bundesrepublik ist ein „sicherer“ Bündnispartner der USA und Großbritanniens – jener kriegführenden Hauptmächte der NATO.
In der Bundesrepublik befinden sich zentrale Militärstützpunkte, die die „Koalition der Gierigen“ ausgiebig für ihren Eroberungsfeldzug am Golf nutzen. Und während die Antikriegsbewegung 2003 weltweit mit über 15 Mio. Menschen gegen diesen Krieg protestierte, sind die Langstreckenbomber und Militärtransporte über die Köpfe der Demonstrant/inn/en einfach hinweggeflogen, um ihr tödliches Geschäft zu verrichten. Neben den Überflugrechten, die die rotgrüne Regierung selbstverständlich gewährte – bei gleichzeitig geheucheltem Antikriegsdiskurs: Fischers „Sorry, I am not convinced!“, das er seinem US-Kollegen Colin Powell auf der NATO-Tagung in München am Vorabend des dritten Golfkrieges medienwirksam entgegenschleuderte, mag noch allen in Erinnerung sein -, wurden auch entgegen dem ausdrücklichen Verbot im Grundgesetz Bundeswehrsoldaten zur Bewachung von US-Militäreinrichtungen im Inland eingesetzt.
Zudem sind immer noch Hunderte deutscher Söldner im Irak – im Auftrag eines sogenannten privaten „Sicherheitsdienstes“, der seinen Sitz in Kiel hat. Aber auch die starke Beteiligung der Bundeswehr bei der Besatzung Afghanistans ist als unmittelbare Unterstützung des Irakkrieges zu sehen, denn so wurden britische und US-Militärkräfte freigesetzt, die für den Aufmarsch am Golf dringend benötigt wurden. Das hier in Münster befindliche Deutsch-Niederländische Korps hatte während des Irakkrieges 2003 das Kommando über die Besatzungstruppen in Afghanistan. Und auch auf See ist die Bundeswehr nicht aus der „Koalition der Mächtigen“ wegzudenken: Die Bundesmarine überwacht wichtige Handels- und Exportrouten im Mittelmeer und am Horn von Afrika – naheliegend für einen „Exportweltmeister“, de

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r so seine ökonomischen Interessen direkt zu schützen weiß.
Dies alles sollte man bedenken, wenn ein Terrorist einem der wichtigsten Regierungschefs Europas die Hand schüttelt. Weder ist Europa eine „Friedensmacht“, noch sind rotgrüne Politiker „Friedenstauben“, und Münster ist schon gar keine Friedensstadt.

Das Grundgesetz paßt nicht ins 21. Jahrhundert!

A propos Münster: Das Deutsch-Niederländische Korps ist seit einer Woche „Schnelle Eingreiftruppe“ der NATO. Innerhalb von fünf Tagen kann dieses Korps von hier aus in alle Welt geschickt werden, um Krieg zu führen. Dabei kann es bis zu 60.000 Soldaten befehligen. Was für eine Art von Einsatz ist es, der die Anwesenheit von 60.000 Soldaten nötig macht?
Neben diesem Korps sitzt ebenfalls das Lufttransportkommando der Bundeswehr in dieser nur scheinbar friedlichen Stadt. Falls in den Nachrichten die Rede davon ist, daß Bundeswehrsoldaten in andere Länder, gegenwärtig zum Beispiel in den Sudan, geschickt werden, um dort – in welchem Interesse auch immer – ihrem mörderischen Handwerk nachzugehen, oder wenn von verletzten Soldaten die Rede ist, die in die Bundesrepublik geflogen werden, wie die über 30.000 verletzten GI's aus dem Irak, die bisher in Landstuhl für die Rückkehr an die Front wieder fitgemacht wurden, hat das also sehr direkt mit uns hier zu tun.
Aber zurück zum 3. Dezember 2004: An diesem Tag hat der Bundestag beschlossen, daß er immer gefragt werden will, ob er einem Einsatz der Bundeswehr im Ausland zustimmt – zur Not auch erst nach einem solchen Einsatz! Über ein verbindliches UN-Mandat wird dabei schon gar nicht mehr geredet. Das ist 'ne Demokratie, was? Das Grundgesetz steht diesem Verfahren übrigens diametral entgegen. Es verbietet auch jegliche Beteiligung an Angriffskriegen, aber diese Einschränkung wurde schon im Frühjahr 1999 beim NATO-Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien vollständig ignoriert. Schließlich ist die NATO seit den Washingtoner Verträgen vom April 1999 kein Verteidigungsbündnis mehr, sondern ein offensiver Militärpakt der kapitalistischen Hauptländer und der sie umgebenden Vasallenstaaten. Wetten, daß demnächst das Grundgesetz dennoch geändert wird, damit der Widerspruch gegen Militäreinsätze solcher Art nicht so leicht zu legitimieren ist?
Der Sudan-Einsatz ist ebenfalls an jenem Schwarzen Freitag beschlossen worden. Schon jetzt ist die Bundesrepublik das Land, das die drittgrößte Zahl von Soldaten in Auslandseinsätzen hat – gleich hinter den USA und Großbritannien. Künftig wird sich die Bundeswehr an vier der geplanten zwölf „battle groups“ („Schlachtgruppen“ – alles klar?) der EU beteiligen. Dann wird Kriegführen noch „normaler“. Auf die Zustimmung der Bevölkerung zu diesen Kriegseinsätzen wird schon heute gepfiffen – die Bevölkerung ist systematisch durch „Reformstreß“ überfordert worden, sodaß sich kein adäquater Widerstand mehr artikulieren kann und wird.
Und in Coesfeld werden gerade 200 Soldaten darüber befragt, wie sie mit Wasserbestrahlung und Elektroschocks von ihren Vorgesetzten gequält worden sind, und ob sie nicht doch Strafanzeige stellen wollen. Ein Fall von „Innerer Verführung“?
Last but not least noch die Nachrichten aus dem europäischen „Militärisch-Industriellen Komplex“: Der Verbund der bisher national organisierten Rüstungsschmieden in der EU ist beschlossene Sache und scheitert zum Beispiel im Werftenbereich derzeit noch an regionalen oder nationalen Befindlichkeiten. Doch angesichts der gemeinsamen Interessen wie die weltweite Sicherung von Rohstoffen und Einflußsphären gibt es auf lange Sicht kein Problem. Der Verbund der Luft- und Raumfahrt sowie der ballistischen Raketentechnik ist bereits abgeschlossen, nur beim Fahrzeug- und Panzerbau hapert es noch: die deutsche Industrie befürchtet zuviel Bevormundung aus Paris. Aber immerhin haben die europäischen Mächte kürzlich in Rom die künftige EU-Verfassung unterschrieben, die den Einzelstaaten eine kontinuierliche Aufrüstung vorschreibt. Auf eine weitere Konzentration sowie auf stetiges Wachstum im Rüstungssektor darf also spekuliert werden.

„Soldaten sind Mörder!“

Wie Kurt Tucholsky uns schon vor vielen, vielen Jahren sagte: „Soldaten sind Mörder!“ Und nur wer dies vergessen hat, kann immer noch von „Einzelfällen“, von „humanitären Einsätzen“ und von der „zivilisierten Welt“ reden. Und der phantasiert sich auch eine „Friedensstadt“ und eine „Friedensmacht“ zurecht. Mit „Sicherheit“!
Wie gesagt, der 3. Dezember 2004 war ein ganz normaler Tag! Jedenfalls für eine wirtschaftliche und militärische Großmacht.

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