IMI-Analyse 2004/033
Bushs Gruselkabinett
Nochmaliger Rechtsruck innerhalb der US-Regierung
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 18. November 2004
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Inzwischen kristallisiert sich ein erkennbares Muster hinter der umfangreichen Kabinettsumbildung heraus, die US-Präsident George W. Bush vor kurzem verkündet hat. Neben den Neubesetzungen der Energie-, Landwirtschafts- und Familienminister, ist vor allem der Rücktritt des christlichen Hardliners John Ashcroft als Justizminister und von Colin Powell als Außenminister von Bedeutung.
Zusammen mit der Ernennung eines neuen Sicherheitsberaters und der Diskussion um den Posten des stellvertretenden Außenministers deutet die Kabinettsumbildung auf eine extreme Stärkung der ohnehin schon dominierenden Hardliner hin: Jonathan Clarke vom amerikanischen CATO-Institut bringt es auf den Punkt: „Die Botschaft lautet: 'Wenn du gemocht hast, was in der ersten Amtszeit passierte, wirst du die Zweite lieben.'“ Bushs neues Gruselkabinett repräsentiert somit einen Kantersieg für die Neokonservativen und ihre Kriegspolitik.
Ein Folterbefürworter als Justizminister
Bedauerlicherweise ist Ashcrofts Nachfolger, Alberto Gonzales, keinen Deut besser. Der 49-jährige gehört dem engsten Kreis um Bush an. Deutliche Einblicke wessen Geistes Kind Gonzales ist, eröffnete ein im Februar 2002 verfasstes Memorandum, in dem er für die US-Regierung das Recht reklamierte, Gesetze gegen Folter und Abkommen zum Schutz Kriegsgefangener auszusetzen. Damit lieferte er den argumentativen Unterbau für die in Abu Ghraib in die Praxis umgesetzten Folterungen von Gefangenen. Des weiteren gilt er als Architekt der völkerrechtswidrigen Inhaftierungen im kubanischen Guantanamo.
Die Ernennung von Gonzales war allerdings nur ein erster Fingerzeig darauf, dass Bush in seiner zweiten Amtszeit weiterhin – und sogar noch weit mehr als bisher – auf Personen aus dem Kreis der neokonservativen Hardliner zurückgreifen wird und beabsichtigt moderatere Stimmen nun vollständig zu marginalisieren.
Feindliche Übernahme des Außenministeriums
Mit Colin Powell verlässt die letzte vorsichtigere und dem Einsatz militärischer Kräfte skeptisch gegenüberstehende Stimme die Regierung. Zwar war ist es sicher kein Ruhmesblatt, dass der scheidende Außenminister, nachdem er sich wie üblich nicht gegen die Neokonservativen durchsetzen konnte, prinzipiell die Hacken zusammenschlug und salutierend half die Kriegspolitik seines Präsidenten umzusetzen. Denn hiermit diente er als multilaterales Feigenblatt der Regierung und half dabei, deren unilaterale Hegemonialpolitik international zu legitimieren. Überdeutlich wurde dies, als er Anfang 2003 vor dem UNO-Sicherheitsrat mit windigsten „Beweisen“ die angeblichen Massenvernichtungsmittel Saddam Husseins anprangerte, obwohl er Medienberichten zufolge wusste, dass diese Anklagen auf wilden Spekulationen beruhten.
Dennoch artikulierte Powell mehrfach seine erheblichen Vorbehalte gegenüber der neokonservativen Kriegspolitik. Von Bush und seinen Schergen wurde ihm dabei besonders übel genommen, dass er aufgrund seines marginalen Einflusses auf die Politik der Regierung mit seiner Kritik häufig an die Öffentlichkeit ging und hierüber versuchte gefällte Entscheidungen zu torpedieren. Das Außenministerium mit seiner traditionell starken Betonung multilateraler, diplomatischer Mittel wurde so zum Ärgernis für die Neokonservativen. Dies führte so weit, dass Newt Gingrich, der Chefideologe der „Konservativen Revolution“, im April 2003 zum Generalangriff gegen Powell aber auch das gesamte Außenministerium blies: Er forderte die Regierung auf, das Ministerium anhand neokonservativer Kriterien zu säubern. Mann müsse künftig „den Frieden erhalten, indem man Krieg nach unseren Begriffen neu definiert.“ Dies bedeute ein Gesetz „für die Umstrukturierung des Außenministeriums einzuleiten und den Frieden gemäß unseren Vorstellungen neu zu bestimmen.“
Bush, der offensichtlich deutlich mehr mit den Neokonservativen als mit Powell sympathisiert, scheint der Abgang seines Außenministers nicht ungelegen zu kommen: „Er bat Powell zu keinem Zeitpunkt im Amt zu bleiben“, wird ein Mitglied im Außenministerium zitiert. Widerworte oder gar Widerstand gegen seine Kriegspolitik, will Bush künftig vom Außenministerium nicht mehr hören, so die eindeutige Botschaft, die sich mehr als deutlich in der Ernennung der bisherigen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice als Powells Nachfolgerin niederschlägt.
Condoleezza Rice: Loyale Erfüllungsgehilfin der Kriegspolitik
Die Besetzung von Rice folgt einer deutlichen Logik: Einmal setzt Bush mit ihr eine Außenministerin ein, die als vollständig loyal gegenüber dem Präsidenten gilt. Zum zweiten vertritt sie weit härtere Positionen und steht damit den Neokonservativen deutlich näher als Powell. Insgesamt steht die Besetzung für das Ziel einer Disziplinierung des Außenministeriums – vor allem auch seiner Bürokratie -, dem klar signalisiert wird, sich künftig dem neokonservativen Programm unterzuordnen.
Rice wird zumeist als „Pragmatikerin“ – besser wäre wohl Opportunistin – beschrieben. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, sich in nahezu sämtlichen Kernbereichen gegen Powell auf die Seite der Neokonservativen zu schlagen. So kam sie zwar noch im Jahr 2000 zu dem Ergebnis,
Saddam Hussein besitze keine Massenvernichtungsmittel und sei erfolgreich eingedämmt, nur um später weitgehend vorbehaltlos auf den Kurs der Neokonservativen einzuschwenken.
Auch der Multilateralismus für den ihr Vorgänger stand, hat für Rice allenfalls instrumentellen Charakter: „Der Präsident der Vereinigten Staaten wurde nicht gewählt um Verträge zu unterzeichnen, die nicht im amerikanischen Interesse sind,“ schrieb sie ebenfalls schon im Jahr 2000 in der Foreign Affairs. Die folgenschwerste Entscheidung der als ehemaliges Aufsichtsratsmitglied von Chevron auch eng mit der Öl-Lobby verwobenen bisherigen Sicherheitsberaterin war sicherlich ihre Rolle bei der Abfassung der im September 2002 verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie. Nachdem Powell einen Entwurf verfasst hatte, ordnete Rice eine komplette Überarbeitung an: Das schließlich veröffentlichte Dokument hatte wenig mit Powells Version, umso mehr aber mit der neokonservativen Blaupause Rebuilding America's Defenses aus dem Jahr 2000 gemein. Hiermit wurde deren politische Programmatik endgültig zur offiziellen Regierungspolitik erhoben.
Die Nationale Sicherheitsstrategie mit ihrer Präventivkriegsdoktrin verdeutlicht die neoimperialen Ambitionen der Neokonservativen ebenso, wie die eindeutige Positionierung von Condeoleezza Rice in dieser entscheidenden Frage zeigt, dass mit ihr eine klare Richtungsverschiebung im Außenministerium einhergehen wird. Die Ernennung von Rice mit ihrer Skepsis gegenüber Diplomatie und Multilateralismus symbolisiert damit eine weitere Homogenisierung der Regierung in Richtung der Hardliner. Deutlich vernehmbare Alternativen zur neokonservativen Außenpolitik sind somit von dieser Seite künftig nicht mehr zu erwarten.
John Bolton – Der Star im Falkenkarussell
Dass das Muster dieser Kabinettsumbildung eine gezielte Aufwertung der Hardliner widerspiegelt bestätigt sich auch anhand der Diskussion um die Position des stellvertretenden Außenministers. Nachdem der mit Powell befreundete Richard Armitage ebenfalls seinen Rücktritt bekannt gab, wird als heißester Kandidat hierfür der bisherige Staatssekretär für Rüstungskontrollfragen im Außenministerium, John Bolton, gehandelt. Seine Jobbeschreibung ist allerdings grob irreführend, denn Bolton ist dafür bekannt, jegliche Form der Rüstungskontrolle und international bindender Verträge rundweg abzulehnen. Die Woche beschrieb seine Position folgendermaßen: „Laut US-Verfassung seien internationale Verträge für die USA höchstens politisch, niemals aber rechtlich bindend: Wenn sich Washington trotzdem an multinationale-Vereinbarungen halte, dann nur aus eigenem Interesse.“ Berüchtigt wurde Bolton auch mit seiner Forderung, die „Achse des Bösen“ um Libyen, Syrien und Kuba zu erweitern, denen er recht unverblümt mit militärischen Angriffen drohte. Die einzige Diplomatie, die Bolton vertritt ist die mit dem Kanonenboot. Allein dass Bolton überhaupt für diesen Posten ernsthaft in Betracht gezogen wird spiegelt die weitere Aufwertung des Unilateralismus innerhalb der Administration und des Außenministeriums wieder.
Stephen Hadley – „Wizard of Armageddon“
Die Ernennung von Stephen Hadley zum nationalen Sicherheitsberater und Nachfolger von Rice passt ebenfalls ins Bild. Während Rice erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 einen bewaffneten Angriff auf den Irak forderte, zählt Hadley zu denjenigen, die sich schon vor Amtsantritt der Regierung vehement für den Sturz Saddam Husseins einsetzten. Er gilt als einer der wichtigsten Strippenzieher hinter den Versuchen eine Verbindung zwischen Al-Qaida und Saddam Hussein sowie den im Irak vorhandenen Massenvernichtungsmitteln zu „beweisen“ (vermutlich sind bspws. die gefälschten Hinweise auf irakische Urankäufe im Niger und das angebliche Treffen irakischer Geheimdienstmitarbeiter mit Mohammed Atta auf ihn zurückzuführen).
Besonders gefährlich sind Hadleys Vorstellungen im Bereich der Nuklearpolitik. Er tritt offen dafür ein, dass Nuklearwaffen nicht nur zur Abschreckung dienen sondern auch tatsächlich eingesetzt werden sollten. Hadley ist damit einer der wichtigsten Befürworter nuklearer Prävention, die atomare Vernichtung feindlicher Massenvernichtungsmittel, falls diese, wie im Falle von tief verbunkerten Anlagen, konventionell nicht zu zerstören sind. So war er an einem Report des National Institute for Public Policy (NIPP) beteiligt, der allgemein als die Blaupause des 2002 an die Öffentlichkeit gelangten Nuclear Posture Review, der neu überarbeiteten amerikanischen Nuklearstrategie, gilt. Der NIPP-Report plädiert unter anderem für eine „Verwendbarkeit“ von Atomwaffen zur Proliferationsbekämpfung, für die Herstellung kleiner neuer Atomwaffen – sogenannter Mini-Nukes – und damit die endgültige Beerdigung des umfassenden Teststoppvertrags, für einen umfassenden Raketenabwehrschild und die weitgehende Zusammenführung atomarer und konventioneller Einsatzplanung. All diese Elemente, stehen für eine dramatische Aufwertung der Rolle von Nuklearwaffen und fanden sich komplett im Nuclear Posture Review wieder. Dass Dr. Seltsam inzwischen direkt am Ohr des Präsidenten sitzt ist wohl der deutlichste Beweis für den nochmaligen Rechtsruck der US-Regierung.