Dokumentation - in: junge Welt vom 21.08.2004
Interview: »Hartz IV« und Flüchtlinge: Noch weniger als ALG II?
Claudia Langholz arbeitet beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein im Projekt »Perspektive - berufliche Qualifizierung für Flüchtlinge« im Rahmen des EU-Programms EQUAL
von: Dokumentation / junge welt / Wolfgang Pomrehn / Claudia Langholz | Veröffentlicht am: 23. August 2004
Interview: Wolfgang Pomrehn
F: Was bedeuten die Hartz-Gesetze und die Einführung des neuen »Arbeitslosengeld II« (ALG II) für Flüchtlinge in Deutschland?
Die schon jetzt an den Rand gedrängten Gruppen werden noch weiter ausgegrenzt. »Hartz IV« bedeutet für Flüchtlinge eine extreme Verschlechterung. Von den hier lebenden ausländischen Staatsangehörigen sind 24,9 Prozent arbeitslos, wobei die Asylbewerberinnen und -bewerber, die im ersten Jahr nicht arbeiten dürfen, gar nicht mitgerechnet sind.
F: Wo liegt die Verschlechterung?
Bisher haben einige Flüchtlinge Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Diese wird aber ab Januar vom ALG II ersetzt, und davon sind Flüchtlinge generell ausgeschlossen. Darin liegt der große Rückschritt.
Für diese Menschen bedeutet das, daß sie, wenn sie ihren Job verlieren und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft, mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen müssen. Diese liegen rund 30 Prozent unter dem Sozialhilfeniveau. Während also andere Arbeitslose mit dem ALG II auf Sozialhilfeniveau gedrückt werden, hat man sich für einen Teil der Flüchtlinge noch eine Stufe darunter ausgedacht. Außerdem haben die vom ALG II Ausgeschlossenen auch keinen Anspruch auf Fördermaßnahmen wie Fortbildung oder Wiedereingliederungshilfen. Damit werden die sowieso schon bestehenden enormen Schwierigkeiten dieser Menschen, eine Arbeit zu finden, noch verstärkt.
F: Man kann also sagen, daß die bisherige Hierarchie erhalten bleibt: Alle werden eine Stufe nach unten gedrückt.
Richtig. In der Praxis sieht das dann vielleicht so aus: Ein Flüchtling lebt seit fünf Jahren hier und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrages, er hat sich mühselig einen sozialversicherungspflichtigen Job gesucht und sich etwas etabliert. Wenn er dann seine Stelle verliert und nicht bald eine neue Arbeit findet, dann kann es ihm – je nach dem, in welcher Kommune er lebt – passieren, daß er nicht mal mehr Bargeld bekommt, sondern nur
noch Einkaufsgutscheine und Sachleistungen. Er wird also aus seinem ganzen sozialen Gefüge, daß er sich aufgebaut hat, herausgerissen.
F: Wer ist noch betroffen?
Genauso kann es ab nächstem Januar auch abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerbern gehen, die aufgrund nachgewiesener Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden können und daher eine Aufenthaltsbefugnis haben.
Nach den neuen Gesetzen haben Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber, alle Personen im sogenannten Flughafenverfahren, Geduldete und die sogenannten vollziehbar Ausreisepflichtigen keinen Anspruch auf das ALG II.
F: Haben die neuen Regeln ausländerrechtliche Konsequenzen? Immerhin ist ja die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, manchmal auch einer Aufenthaltsbefugnis, daran geknüpft, daß der Antragsteller für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen muß.
Ja. Das gilt bisher auch im Falle von Erwerbslosigkeit als gegeben, wenn der Lebensunterhalt noch für sechs Monate durch den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gesichert ist. Da es aber künftig keine Arbeitslosenhilfe mehr gibt, bedeutet der Absturz ins ALG II beziehungsweise der für die genannten Gruppen noch tiefere Sturz, daß es noch schwieriger wird, an diesen relativ sicheren Aufenthaltstitel zu kommen.
Hinzu kommt das Zusammenspiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz. Dieses weitet den Personenkreis derer aus, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Immer mehr Menschen bekommen Leistungen nach diesem Gesetz und verlieren damit ihren Anspruch auf ALG II.
F: Müßten dann nicht viel mehr Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge zu den Montagsdemos gehen?
Auf jeden Fall. Pro Asyl hat zum Beispiel auf diese Dinge schon vor Monaten aufmerksam gemacht. Insofern ist es gut, daß jetzt mit den Protesten auch die Möglichkeit besteht, diese besondere Perfidie gegenüber den schwächsten Gruppen mehr in die Öffentlichkeit zu bringen.
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Original-URL: http://www.jungewelt.de/2004/08-21/014.php